TE Vfgh Erkenntnis 2001/9/25 B737/00

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2001
beobachten
merken

Index

63 Allgemeines Dienst- und Besoldungsrecht
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / Strafrecht
BDG 1979 §94
BDG 1979 §123

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die mehrmalige Erweiterung des Einleitungsbeschlusses im Disziplinarverfahren gegen einen Finanzbeamten wegen schuldhafter Dienstpflichtverletzungen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer stand als Finanzbeamter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

1.2. Mit Beschluss der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen (im Folgenden: Disziplinarkommission) vom 2. Oktober 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß §123 Abs1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (im Folgenden: BDG) ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

Mit Beschluss der Disziplinarkommission vom 17. Feber 1999 wurde dieses Disziplinarverfahren - ein erstes Mal - erweitert. Der vom Beschwerdeführer dagegen an die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt (im Folgenden: Berufungskommission) erhobenen Berufung gab diese mit Bescheid vom 30. Juni 1999 keine Folge. Die dagegen gemäß Art144 B-VG erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde von diesem mit Erkenntnis vom 19. Juni 2000, B1635/99, abgewiesen.

1.3. Mit Beschluss der Disziplinarkommission vom 15. März 1999 wurde das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Disziplinarverfahren ein zweites Mal erweitert. Die dagegen an die Berufungskommission erhobene Berufung wurde mit Bescheid vom 3. November 1999 abgewiesen. Dieser Bescheid ist unbekämpft geblieben.

1.4.1. Schließlich wurde das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Disziplinarverfahren mit Beschluss der Disziplinarkommission vom 7. Juni 1999 ein drittes Mal erweitert.

Nach diesem Beschluss bestehe der Verdacht, der Beschwerdeführer habe in seiner Funktion als Vorstandsstellvertreter und Leiter der Amtsbetriebsprüfung beim Finanzamt Salzburg-Stadt in den Jahren 1993 bis 1996 seine Dienstpflichten verletzt, weil er

a) im Jahr 1993 die Anwendung der "Schirennläufererlässe" auf die Besteuerung des Abgabepflichtigen M S in Österreich gegenüber seinen Vorgesetzten befürwortet habe, ohne den für die Besteuerung relevanten Sachverhalt zu erheben und die Zuständigkeit des Finanzamtes Salzburg-Stadt zu prüfen; nach Kenntnis des Sachverhaltes habe der Beschwerdeführer im Jahr 1996 die steuerlichen Auswirkungen der "Schirennläufererlässe" gegenüber seinen vorgesetzten Behörden inhaltlich falsch dargestellt; weiters habe der Beschwerdeführer die Mitarbeiter der Veranlagungsabteilung angewiesen, mit der Klärung offener Fragen für die Einkommensteuererklärung 1992 ohne sachlichen Grund auf unbestimmte Zeit zuzuwarten und die Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1993 mit unsachlichen Argumenten verzögert;

b) durch Weisung den ihm unterstellten Betriebsprüfer veranlasst habe, anlässlich der Betriebsprüfung beim Abgabepflichtigen M S für das Jahr 1992 ATS 22,6 Mio., für die der Republik Österreich das Besteuerungsrecht zustünde, als nicht im Inland steuerpflichtige Einkünfte anzusetzen; dadurch habe der Beschwerdeführer wissentlich seine Befugnis als Beamter des Bundes missbraucht und die Republik Österreich vorsätzlich in ihrem Recht auf Erhalt der gesetzmäßig zustehenden Steuern geschädigt;

c) durch Weisung an den ihm unterstellten Betriebsprüfer anlässlich der Betriebsprüfung beim Abgabepflichtigen M S für das Jahr 1993 ATS 10,1 Mio. ausländische Abzugsteuern als Betriebsausgaben zugelassen habe.

Zusammenfassend wird dem Beschwerdeführer in diesem Beschluss der Disziplinarkommission daher zur Last gelegt, durch dieses sein Verhalten gegen näher bezeichnete gesetzliche Bestimmungen verstoßen und dadurch schuldhaft Dienstpflichtverletzungen im Sinne des §91 BDG begangen zu haben.

1.4.2. Die gegen diesen Beschluss an die Berufungskommmission erhobene Berufung wurde von dieser mit Bescheid vom 18. Feber 2000 abgewiesen. Begründend wird ua. Folgendes ausgeführt:

"Die Disziplinarkommission muss bei Fällung ihres Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit darüber erzielen, ob ein bestimmter Beamter sich einer Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht hat, weil für die Erhebung dieser Frage das ordentliche Verfahren vorgesehen ist; erst für dieses ist ausdrücklich normiert, dass der Sachverhalt 'ausreichend' und nicht mehr nur vorläufig zu klären ist. Beim Einleitungsbeschluss handelt es sich daher noch um eine Entscheidung im Verdachtsbereich.

...

Der angefochtene Bescheid stützt sich auf eine Disziplinaranzeige, deren Grundlage umfangreiche Ermittlungen der Dienstbehörde I. Instanz bilden.

Für die Berufungskommission steht es nicht in Frage, dass die Disziplinarkommission berechtigt war, auf Grund dieser Ermittlungen vom Vorliegen eines begründeten Verdachtes von Dienstpflichtverletzungen durch den BW (Berufungswerber) auszugehen, zumal nach eigener Aussage des BW zwischen ihm und dem für S auftretenden Wirtschaftstreuhänder Dr. E ein Freundschaftsverhältnis bestand.

Was den Einwand des BW zu Punkt 1 des Spruches des angefochtenen Bescheides anlangt, so erweist sich seine Auffassung als irrig, dass - bei Zutreffen des Verdachtes - keine Umstände vorlägen, die die Fehlhandlung als disziplinär erhebliche Verletzung von Dienstpflichten erscheinen ließen. Bei Zusammentreffen der folgenden Umstände besteht nämlich hinsichtlich der Empfehlung des BW an Dienstvorgesetzte, einer vereinfachten Gewinnermittlungsmethode - genauer: einer Schätzungsmethode - ('Schirennläufererlässe') zuzustimmen, deren Anwendung seitens des Bundesministeriums für Finanzen (und nach den Denkgesetzen) an konkrete Voraussetzungen geknüpft war, sehr wohl der begründete Verdacht, dass die Schwelle disziplinarrechtlicher Erheblichkeit bereits überschritten wurde:

Krasse Vernachlässigung der Prüfung der sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen (oder sogar Kenntnis ihres Nichtvorliegens) im Bewusstsein, dass die so bewirkte Entscheidung Auswirkungen auf ein Abgabenvolumen von einigem Gewicht haben würde, leitende Stellung des Beamten und damit verbundene Erfahrungen sowie die damit auch verbundene Pflicht, eine negative Beispielswirkung gegenüber den Mitarbeitern zu vermeiden.

Unter den verdachtsgegenständlichen Umständen kann auch eine unsachliche Verzögerung von Abgabenverfahren zu einem disziplinär qualifizierten Verstoß gegen Dienstplichten führen. Dies gilt auch für den Verdacht einer wissentlichen Minderbesteuerung.

Die dargestellten verdachtsgegenständlichen Handlungsweisen sind zweifellos auch geeignet, dass Ansehen der Finanzverwaltung in der Öffentlichkeit nachhaltig zu schädigen.

Offen zutageliegende Umstände für das Vorliegen von Einstellungsgründen waren nicht ersichtlich:

Was insbesondere die vom BW eingewendete Verjährung anlangt, so trifft es zwar zu, dass es auf das disziplinäre Verhalten und nicht auf allfällige Verantwortlichkeiten oder weitere - disziplinär nicht erhebliche - Arbeiten an einem Fall ankommt, der BW verkennt aber hier, dass der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Wahrung der Dreijahresfrist sehr wohl auf das disziplinäre Verhalten selbst abstellt, indem er vom Vorliegen des Verdachtes eines Dauerdeliktes ausgeht, dessen Beendigung erst die Dreijahresfrist in Lauf setzt.

Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten,

2. Aufl., S. 51, führt dazu aus:

'Der Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung, von dem an die objektive Verjährungsfrist von drei Jahren zu laufen beginnt, ist jener, in dem das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört. ... Weiters können Dienstpflichtverletzungen - infolge der weiten Tatbestände z.B. der §§43f BDG - auch Dauerdelikte darstellen, wenn ein rechtswidriger Zustand zunächst herbeigeführt und sodann aufrechterhalten wird ...; in diesem Falle ist der Zeitpunkt der Beendigung des rechtswidrigen Zustands entscheidend.

Im gegenständlichen Fall besteht der Verdacht, dass der BW eine rechtswidrige Besteuerung des Abgabepflichtigen S herbeigeführt und aufrechterhalten habe. Als Aufrechterhalten wäre eine solche Besteuerung solange anzusehen, als entweder eine rechtsrichtige Besteuerung Platz greift oder eine Änderung zu einer rechtsrichtigen Besteuerung (etwa zufolge des Eintrittes der Bemessungsverjährung) nicht mehr möglich ist.

Am 11. Juni 1996 (sohin drei Jahre vor Zustellung des berufungsgegenständlichen Bescheides der Disziplinarkommission an den BW) wäre eine Änderung der Besteuerung des Abgabepflichtigen S jedenfalls noch möglich gewesen: Bis zumindest zum 23.7.1996 war der BW in der Sache S noch mit der Abfassung eines Berichtes an das Bundesministerium für Finanzen betreffend das Verständigungsverfahren mit Deutschland befasst, in welchem er ... die inhaltlich falsche und seinem Wissensstand widersprechende Ansicht vertrat, die Anwendung der Schirennläufererlässe stelle keine Vorzugsbesteuerung dar und wirke 'trotz nicht unbedingter Vorteile attraktiv'.

Mithin war die objektive Verjährungsfrist von drei Jahren jedenfalls im Zeitpunkt der Zustellung des gegenständlichen Bescheides der Disziplinarkommission über die Erweiterung des Disziplinarverfahrens noch nicht abgelaufen, eine Verjährung konnte somit aus diesem Grunde noch keinesfalls eingetreten sein.

Was den vom BW weiters behaupteten Verjährungseintritt infolge Ablauf der Sechsmonatsfrist ab Kenntnis der Disziplinarbehörde anlangt, so ist nach Ansicht der Berufungskommission in der ergänzenden Stellungnahme vom 27. Jänner 2000 zweifelsfrei und schlüssig dargelegt, dass Präsident Dr. K und die Geschäftsabteilung 1 der Finanzlandesdirektion für Salzburg als zuständige Stellen der Dienstbehörde am 18. Dezember 1998 durch die anonyme, an die Disziplinarkommission gerichtete Anzeige von möglichen Dienstpflichtverletzungen des BW im Zusammenhang mit der Besteuerung S erfahren haben. Um von einer tatsächlichen Kenntnisnahme einer Dienstpflichtverletzung durch die Dienstbehörde sprechen zu können, reicht selbstverständlich eine anonyme Anzeige über mögliche Dienstpflichtverletzungen nicht aus. Unbestritten wird von einer Kenntnisnahme einer Dienstpflichtverletzung erst ausgegangen werden können, wenn die Dienstbehörde die in einer anonymen Anzeige erhobenen Vorwürfe auf ihre Stichhältigkeit geprüft und sich z.B. durch Akteneinsicht ein umfassendes Bild über die möglicherweise disziplinär relevanten Sachverhalte verschafft hat. Dies geschah im gegenständlichen Fall nach den glaubwürdigen Ausführungen der Finanzlandesdirektion für Salzburg erst im Jänner 1999. Damit ist aber auch klar, dass die im §94 Abs1 Z1 BDG für den Eintritt der Verjährung normierte Sechsmonatsfrist ab Kenntnisnahme der Dienstpflichtverletzung durch die Dienstbehörde im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides durch die Disziplinarkommission, mit dem das Disziplinarverfahren erweitert wurde, noch keinesfalls abgelaufen war. Der Einwand der Verjährung geht somit ins Leere."

1.4.3. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

1.4.4. Der Beschwerdeführer gründet seine Beschwerdevorwürfe zum einen auf das - behauptetermaßen - willkürliche Vorgehen der Behörde: Die Berufungskommission habe vollkommen einseitig ein Ermittlungsverfahren lediglich durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Präsidenten der Finanzlandesdirektion gepflogen und sei dieser Stellungnahme völlig unkritisch gefolgt, ohne ihn mit der Stellungnahme zu konfrontieren und zu einer Gegendarstellung aufzufordern. Sie habe damit sein Recht auf Parteiengehör gemäß §45 Abs3 AVG völlig außer Acht gelassen und ihn aus den Ermittlungen im Berufungsverfahren vollkommen ausgeschlossen.

Darüber hinaus habe die belangte Behörde durch inhaltliche Entscheidung in einer bereits verjährten Angelegenheit (der vollständige Sachverhalt sei der zuständigen Dienstbehörde schon im April 1996 bekannt gewesen) das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Schließlich sei der Beschwerdeführer auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden, zumal ein Disziplinarverfahren bis zur Amtsenthebung einerseits und zu einer Geldstrafe bis zur Höhe von fünf Monatsbezügen andererseits führen könne. Verfahren, in denen solche Strafen ausgesprochen werden können, kämen aber strafrechtlichen Anklagen in der Schwere des angedrohten Übels gleich und seien somit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens im Sinne des Art6 EMRK zu unterstellen.

1.5. Die Berufungskommission als belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Die hier in erster Linie maßgeblichen §§94 und 123 BDG lauten wie folgt:

"Verjährung

§94. (1) Der Beamte darf wegen einer Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht

1. innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem der Disziplinarbehörde die Dienstpflichtverletzung zur Kenntnis gelangt ist, oder

2. innerhalb von drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung,

eine Disziplinarverfügung erlassen oder ein Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission eingeleitet wurde. Sind von der Dienstbehörde vor Einleitung des Disziplinarverfahrens im Auftrag der Disziplinarkommission notwendige Ermittlungen durchzuführen (§123 Abs1 zweiter Satz), verlängert sich die unter Z1 genannte Frist um sechs Monate.

(1a) Drei Jahre nach der an den beschuldigten Beamten erfolgten Zustellung der Entscheidung, gegen ihn ein Disziplinarverfahren durchzuführen, darf eine Disziplinarstrafe nicht mehr verhängt werden.

(2) Der Lauf der in Abs1 und 1a genannten Fristen wird - sofern der der Dienstpflichtverletzung zugrundeliegende Sachverhalt Gegenstand der Anzeige oder eines der folgenden Verfahren ist - gehemmt

1. für die Dauer eines Verfahrens vor dem Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof,

2. für die Dauer eines Verfahrens vor der Berufungskommission,

2a. für die Dauer eines Verfahrens vor einem unabhängigen Verwaltungssenat über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder auf andere Weise in ihren Rechten verletzt worden zu sein,

3. für die Dauer eines bei einem Gericht, bei einem unabhängigen Verwaltungssenat oder einer Verwaltungsbehörde anhängigen Strafverfahrens,

4. für den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Beendigung oder, wenn auch nur vorläufigen, Einstellung eines Strafverfahrens und dem Einlangen einer diesbezüglichen Mitteilung bei der Dienstbehörde und

5. für den Zeitraum zwischen der Erstattung der Anzeige und dem Einlangen der Mitteilung

a) über die Beendigung des verwaltungsbehördlichen oder des gerichtlichen Verfahrens bzw. des Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat,

b) des Staatsanwaltes über die Zurücklegung der Anzeige oder

c) der Verwaltungsbehörde über das Absehen von der Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens bei der Dienstbehörde.

(3) ...

(4) Hat der Sachverhalt, der einer Dienstpflichtverletzung zugrunde liegt, zu einer strafgerichtlichen Verurteilung geführt und ist die strafrechtliche Verjährungsfrist länger als die im Abs1 Z2 genannte Frist, so tritt an die Stelle dieser Frist die strafrechtliche Verjährungsfrist."

"Verfahren vor der Disziplinarkommission

Einleitung

§123. (1) Der Senatsvorsitzende hat nach Einlangen der Disziplinaranzeige den Disziplinarsenat zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag des Senatsvorsitzenden durchzuführen.

(2) Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Beschluss dem beschuldigten Beamten, dem Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen. Gegen den Beschluss, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, nicht einzuleiten oder einzustellen (§118 BDG 1979), ist die Berufung an die Berufungskommission zulässig.

(3) Sind in anderen Rechtsvorschriften an die Einleitung des Disziplinarverfahrens Rechtsfolgen geknüpft, so treten diese nur im Falle des Beschlusses der Disziplinarkommission, ein Disziplinarverfahren durchzuführen, und im Falle der (vorläufigen) Suspendierung ein."

2.2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte oder wenn sie bei der Erlassung des Bescheides Willkür übte.

2.2.2. Da der Verfassungsgerichtshof gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften (so vor allem gegen §123 BDG 1979) keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt (vgl. etwa VfSlg. 15.287/1998) und die Bescheidbegründung keinen Anhaltspunkt für die Annahme liefert, dass die Berufungskommission dem BDG 1979 einen verfassungswidrigen Inhalt beigemessen hätte, könnte der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid im genannten Grundrecht nur verletzt worden sein, wenn der Berufungskommission Willkür zum Vorwurf zu machen wäre.

2.2.3. Darüber, welche Umstände gegeben sein müssen, damit einer Behörde Willkür anzulasten ist, lässt sich keine allgemeine Aussage treffen. Ob Willkür vorliegt, kann nur dem Gesamtbild des Verhaltens der Behörde im einzelnen Fall entnommen werden (zB VfSlg. 5491/1967, 6404/1971, 6471/1971, 8808/1980, 14.573/1996 uva.).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987). Auch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung kann Willkür indizieren (VfSlg. 9561/1982, 14.573/1996).

2.2.4. Keiner dieser Mängel liegt jedoch hier vor. Der Verfassungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, dass das Ermittlungsverfahren mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel behaftet wäre; auch kann weder von einem gehäuften Verkennen der Rechtslage noch von denkunmöglicher Gesetzesanwendung die Rede sein.

Insbesondere trifft es nicht zu, dass die Berufungskommission die ordnungsgemäße Durchführung eines Ermittlungsverfahrens in einer der Willkür gleichzuhaltenden Weise unterlassen habe. Die Berufungskommission ist in der bekämpften Entscheidung von der keinesfalls als unvertretbar zu qualifizierenden Rechtsauffassung ausgegangen, dass bei der Fällung eines Einleitungsbeschlusses (iSd. §123 BDG 1979) "noch nicht völlige Klarheit darüber erzielt (werden müsse), ob sich ein bestimmter Beamter einer Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht hat, weil für die Erhebung dieser Frage das ordentliche Verfahren vorgesehen ist" (vgl. Erk. VfSlg. 15.287/ 1998, wonach es für einen Einleitungsbeschluss hinreicht, dass ausreichende Verdachtsmomente bestehen, der Beamte habe ein disziplinär zu ahndendes Verhalten gesetzt). Gestützt darauf gelangte die Berufungskommission ersichtlich und nachvollziehbar zur Auffassung, dass auf Grund der Ergebnisse der umfangreichen, von der die Disziplinaranzeige erstattenden Dienstbehörde erster Instanz gepflogenen Ermittlungen der Verdacht begründet sei, der Beschwerdeführer habe sich insbesondere durch die Befürwortung der Anwendung der "Schirennläufererlässe" sowie die wissentlich falsche Darstellung der Auswirkungen der Besteuerung des Abgabepflichtigen M S gemäß diesen Erlässen, ferner als Verfahrensleiter bei einer bei diesem Abgabepflichtigen durchgeführten Betriebsprüfung durch Weisungen an den ihm unterstellten Betriebsprüfer, die die Verkürzung der Republik Österreich gesetzmäßig zustehender Abgaben bewirkten, verschiedener, näher bezeichneter Dienstpflichtverletzungen schuldig gemacht. Daraus schloss die Berufungskommission - in jedenfalls vertretbarer Weise -, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erweiterung des gegen den Beschwerdeführer bereits eingeleiteten Disziplinarverfahrens gegeben seien. Schließlich ist auch die Auseinandersetzung der Berufungskommmission mit der Verjährungseinrede des Beschwerdeführers nicht als denkunmöglich zu bewerten.

Die getroffene behördliche Entscheidung ist - zusammenfassend - also nicht mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel, der eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz bewirken würde, belastet. Aus den gleichen Erwägungen scheidet aber auch die behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aus.

Ob der Entscheidung auch darüber hinaus eine in jeder Hinsicht richtige Gesetzesanwendung - etwa in der Frage der Einhaltung des §45 AVG seitens der belangten Behörde, im Besonderen der Bestimmungen über das Parteiengehör - zu Grunde liegt, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch nicht in dem - hier vorliegenden - Fall, dass eine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg. 9541/1982 und dort angeführte Vorjudikatur; VfSlg. 14.806/1997 uva.).

Der vom Beschwerdeführer behauptete Verstoß gegen Art6 EMRK kommt im vorliegenden Fall schon deswegen nicht in Betracht, weil die Entscheidung einer Disziplinarkommission gemäß §123 Abs1 BDG über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens (bzw. die Erweiterung des Einleitungsbeschlusses) dieser Garantie keinesfalls unterliegt, also selbst dann nicht, wenn Art6 EMRK für die mit dem im nachfolgenden Disziplinarverfahren ergehenden Disziplinarerkenntnis verhängte Disziplinarstrafe sehr wohl Bedeutung hätte (vgl. dazu VfSlg. 11.506/1987, 11.569/1987, 11.776/1988, VfGH 12.6.2000 B1642/99 ua.).

2.2.5. Der Beschwerdeführer wurde sohin aus den in der Beschwerde vorgetragenen Erwägungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.3. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.

2.4. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Dienstrecht, Disziplinarrecht Verfahren, Einleitungsbeschluß, Verjährung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B737.2000

Dokumentnummer

JFT_09989075_00B00737_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten