TE OGH 1986/11/18 14Ob196/86

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.11.1986
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuderna und Dr.Gamerith, sowie die Beisitzer Dr.Anton Haschka und Mag.Karl Dirschmied als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz P***, Arbeiter, Wien 16, Arltgasse 10-16/10/5, vertreten durch Dr.Gustav Teicht, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei O***-P*** Gesellschaft mbH in Wien 14, Linzerstraße 146, vertreten durch Dr.Hans Georg Zeiner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 31.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27.Jänner 1986, GZ.44 Cg 240/85-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 27.Juni 1985, GZ.4 Cr 11/85-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 257,25 USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war - nach seinen Behauptungen seit 13 Jahren - bei der beklagten Partei beschäftigt. Diese kündigte sein Dienstverhältnis mit Schreiben vom 19.2.1985 zum 21.3.1985 auf. Auf Grund des Antrages des Klägers vom 10.12.1984 stellte das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland mit Bescheid vom 6.3.1985 fest, daß der Kläger ab 1.12.1984 dem Kreis der begünstigten Invaliden angehöre und die Minderung seiner Erwerbsfähigkeit 70 vH betrage. Der Produktionsleiter der beklagten Partei Ing.D*** erhielt diesen Bescheid innerhalb der Kündigungsfrist.

Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Bestehens seines Dienstverhältnisses zur beklagten Partei mit der Begründung, seit 1.12.1984 begünstigter Invalide iS des § 2 Abs 1 InvEG zu sein, so daß er rechtswirksam nur mit Zustimmung des Invalidenausschusses gekündigt werden könne.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stützte seine Entscheidung auf § 8 Abs 2 InvEG, wonach die Kündigung eines begünstigten Invaliden erst dann ausgesprochen werden dürfe, wenn der Invalidenausschuß (§ 12 InvEG)....zugestimmt habe. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Invalidenausschusses sei rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteile. Aus § 14 Abs 1 und 2 iVm § 2 Abs 1 InvEG ergebe sich, daß dem Bescheid über die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Invaliden nur deklarative Bedeutung zukomme. Der Gesetzgeber stelle für den Schutz des Invaliden auf jenen Zeitpunkt ab, in dem die Erwerbsfähigkeit infolge einer Gesundheitsschädigung unter 50 % gesunken sei. Im vorliegenden Fall seien die Begünstigungen nach dem Invalideneinstellungsgesetz, also auch der Kündigungsschutz gemäß § 14 Abs 2 dritter Satz InvEG mit 1.12.1984 wirksam geworden, so daß die am 19.2.1985 ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam sei. Die auf der Grundlage des früheren Invalideneinstellungsgesetzes (1953) ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 30.6.1959, Arb.7.082, sei überholt, weil jenes Gesetz eine dem § 14 Abs 2 Satz 3 InvEG 1969 entsprechende Bestimmung nicht enthalten habe. Der Kläger habe es unterlassen, die nachträgliche Zustimmung des Invalidenausschusses einzuholen.

Unmittelbar nach dem Schluß der Verhandlung erster Instanz stellte die beklagte Partei am 1.7.1985 beim zuständigen Invalidenausschuß die Anträge

a) auszusprechen, daß dieser (zur Erteilung der nachträglichen Zustimmung zur Kündigung des Klägers) unzuständig sei, oder hilfsweise

b) die nachträgliche Zustimmung zu der zum 21.3.1985 ausgesprochenen Kündigung des Klägers oder

c) zur Kündigung des Klägers zum nächstmöglichen Termin zu erteilen.

In der Berufung brachte die beklagte Partei diesen Umstand neu vor und behauptete, daß der Invalidenausschuß iS der bestehenden Spruchpraxis voraussichtlich die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung erteilen werde.

Mit Bescheid vom 6.11.1985 setzte der Invalidenausschuß für Wien die Entscheidung über den Antrag der beklagten Partei auf Zustimmung zur Kündigung des Klägers bis zur rechtskräftigen Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 38 AVG aus Zweckmäßigkeitsgründen aus. Hierauf zog die beklagte Partei ihren mit der Berufung verbundenen Unterbrechungsantrag wieder zurück.

Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem, traf dieselben Feststellungen wie das Erstgericht und nahm außerdem als erwiesen an, daß der Unterbrechungsbescheid des Invalidenausschusses für Wien vom 6.11.1985 in Rechtskraft erwachsen sei und damit ein Zustimmungsbescheid nach § 8 InvEG nicht vorliege. Die zweite Instanz gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, daß der Streitwert S 30.000,-- übersteigt.

Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß der Arbeitgeber mit der Zustimmung des Invalidenausschusses die ihm nach den Bestimmungen des Privatrechtes zustehende Befugnis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurückerhalte. Daß die Rechtskraft des Zustimmungsbescheides nicht ausdrücklich gefordert werde, lasse sich aus der generellen Regelung des § 64 Abs 1 AVG erschließen. Der Gesetzgeber habe sogar für "besondere Ausnahmsfälle" die zusätzliche Möglichkeit (gemeint: der nachträglichen Zustimmung des Invalidenausschusses zur Kündigung) geschaffen. Diese Sonderbestimmung ändere aber nichts daran, daß bei Fehlen der angeführten Voraussetzungen im Normalfall die Kündigung eines begünstigten Invaliden unzulässig sei. Das Vorliegen eines besonderen Ausnahmsfalles sei von der beklagten Partei nicht einmal behauptet worden. Die Besonderheit des vorliegenden Sachverhaltes bestehe einzig und allein darin, daß (erst) während der Kündigungsfrist die Zugehörigkeit des Klägers zum Kreis der begünstigten Invaliden rechtskräftig festgestellt worden sei.

§ 14 Abs 2 InvEG bestimme, daß die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens jedoch mit dem Ersten des Monats, in dem der Antrag eingebracht worden sei, wirksam würden. Mit dieser Reeelung habe der Gesetzgeber die Rechtsunsicherheit über den Zeitpunkt des Anfalles der Begünstigung bei Zivilbehinderten beseitigen wollen. Die Rechtslage sei damit zugunsten der begünstigten Invaliden eindeutig dadurch geändert worden, daß der Gesetzgeber das rückwirkende Inkrafttreten der Begünstigungen ausdrücklich anordne. Die Entscheidungskriterien "beim OGH" (gemeint wohl: in der vom Beklagten ins Treffen geführten Entscheidung vom 30.6.1959, 4 Ob 54/59 = Arb.7.082) seien durch die Änderung des § 14 Abs 2 InvEG überholt. Der Kläger habe rückwirkend mit 1.12.1984 die Stellung eines begünstigten Invaliden.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Die Revisionswerberin stützt sich weiterhin auf die Entscheidung Arb.7.082, in der der Oberste Gerichtshof zum Invalideneinstellungsgesetz 1953 BGBl.21 ausgesprochen hat, daß durch einen dem Dienstgeber erst nach der Kündigung des Dienstnehmers zur Kenntnis gebrachten rückwirkenden Gleichstellungsbescheid nach § 2 Abs 2 InvEG 1953 das Dienstverhältnis nicht wieder in ein solches auf unbestimmte Dauer zurückverwandelt werden könne, Dienstverhältnisse auf bestimmte Dauer aber auch nach dem InvEG 1953 zulässig seien. Diese Rechtsansicht hat aber der Oberste Gerichtshof schon in der zum InvEG 1969, BGBl.1970/22 idF der Novelle BGBl.1979/111 ergangenen Entscheidung vom 26.6.1984, 4 Ob 21/84 wegen geänderter Rechtslage nicht mehr aufrecht erhalten. Mit dieser Novelle wurde § 14 Abs 2 InvEG durch folgenden Satz ergänzt: "Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingebracht worden ist." Nach den Materialien (1158 BlgNR 14. GP 15) sollte durch diese Regelung, die einer ähnlichen Bestimmung im Kriegsopferversorgungsgesetz nachgebildet ist, die bisher festzustellende Rechtsunsicherheit über den Zeitpunkt des Anfalls der Begünstigungen beim Zivilbehinderten beseitigt werden (Ernst-Newerkla, InvEG 3 124 FN 9). Mit dieser Gesetzesänderung wurde klargestellt, daß der Bescheid, mit dem über die Zugehörigkeit einer Person zum Kreis der nach § 2 Abs 1 InvEG begünstigten Invaliden abgesprochen wird, nur feststellenden Charakter hat, dem Nachweis der Begünstigung (vgl die Überschrift zu § 14 InvEG idF der Novelle 1979/111) dient, und daß die Begünstigungen kraft Gesetzes mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens jedoch mit dem Ersten des Monats, in dem der Antrag eingebracht worden ist, wirksam werden. Zu diesen Begünstigungen zählt auch die beschränkte Kündbarkeit eines Invaliden nach § 8 Abs 2 InvEG. Damit kommt es aber für den Eintritt dieser Begünstigung nicht (mehr) darauf an, ob dem Dienstgeber die bescheidmäßige Feststellung der Zugehörigkeit des Dienstnehmers zum Kreis der begünstigten Invaliden vor dem Ausspruch (Zugang) der Kündigung oder erst später bekannt geworden ist. Entscheidend ist allen, ob die Begünstigungen im Zeitpunkte des Ausspruches der Kündigung bereits eingetreten waren, was beim Kläger zutrifft, weil er am 10.12.1984 um die Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Invaliden angesucht hatte und infolge der damals schon vorliegenden Invalidität der 1.12.1984 als Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Begünstigungen festzusetzen war und auch festgesetzt wurde. Die Behauptung der Revision, daß seit der Entscheidung Arb.7.082 im Invalideneinstellungsrecht keine solchen Gesetzesänderungen erfolgt seien, die ein Abgehen von der damaligen Ansicht rechtfertigten, scheitern an dem klaren Wortlaut des § 14 Abs 2 (zunächst zweiter Satz; seit der Nov 1982/360:) dritter Satz InvEG und der aus den Materialien hervorgehenden, mit dieser Regelung verbundenen Absicht.

Es wird wohl zutreffen, wie die Revisionswerberin unter dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit rügt, daß der allein dem Nachweis der Begünstigung gemäß § 14 Abs 2 InvEG dienende Bescheid des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 6.3.1985 beim Ablauf der Kündigungsfrist (21.3.1985) noch nicht rechtskräftig war. Obwohl der Nachweis der Begünstigung durch rechtskräftigen Bescheid zu führen ist (siehe § 14 Abs 1 InvEG), ist aber das Fehlen der Rechtskraft des zitierten Bescheides bei Ablauf der Kündigungsfrist ohne Bedeutung, weil es für den Eintritt der Begünstigungswirkungen auf das Zutreffen der Voraussetzungen am Stichtag (hier: 1.12.1984) ankommt und die Revision selbst einräumt, daß der Bescheid inzwischen in Rechtkraft erwachsen ist. Die Revisionswerberin schränkt zwar dieses Geständnis durch Äußerung "theoretischer Zweifel" an der Rechtskraft des Bescheides ein. Dafür aber, daß gegen diesen Bescheid vom Begünstigten selbst ein Rechtsmittel erhoben worden wäre - die beklagte Partei hatte im Verfahren nach § 14 Abs 2 InvEG keine Parteistellung - oder der Bescheid von Amts wegen wieder beseitigt worden wäre, was dem von der beklagten Partei angestrengten Zustimmungsverfahren nach § 8 InvEG die Grundlage entzogen hätte, fehlt jeder Anhaltspunkt. Damit hätte die beklagte Partei am 19.2.1985 die Kündigung des Klägers gemäß § 8 Abs 2 Satz 1 InvEG nicht ohne vorherige Zustimmung des Invalidenausschusses aussprechen dürfen, weil er damals bereits begünstigter Invalide iS des § 2 Abs 1 InvEG war. Der Gesetzgeber hat allerdings für "besondere Ausnahmsfälle" neben der im Regelfall vor dem Ausspruch der Kündigung eines begünstigten Invaliden gemäß § 8 Abs 2 Satz 1 InvEG einzuholenden Zustimmungen des Invalidenausschusses in Satz 2 dieser Gesetzesstelle die Erteilung einer nachträglichen Zustimmung vorgesehen. Das Gesetz bringt dabei durch die doppelte Hervorhebung des Ausnahmecharakters ("besondere Ausnahme"-Fälle) in eindringlicher Weise zum Ausdruck, daß die nachträgliche Zustimmung nur bei ganz außergewöhnlichen Umständen erfolgen soll. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrmals ausgesprochen hat, muß es sich deshalb um Fälle handeln, die nicht nur hart an der....Grenze des Kündigungsschutzes gelegen sondern auch dadurch charakterisiert sind, daß dem Dienstgeber die vorherige Einholung einer behördlichen Zustimmung nicht zugemutet werden kann (Arb.7.115 = VwSlgNF 5.037 A; VwSlgNF 3.442 A; Ernst-Newerkla aaO 81 f, FN 30).

Das Gericht hat die Frage, ob ein solcher besonderer Ausnahmsfall iS des § 8 Abs 2 Satz 2 InvEG vorliegt, nicht als Vorfrage zu beurteilen, sondern den rechtsgestaltenden Bescheid der zuständigen Behörde abzuwarten und sein Ergebnis (nachträgliche Zustimmung oder deren Verweigerung) der Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung zugrundezulegen (4 Ob 168/85; vgl SZ 53/67 = Arb.9.872).

Die beklagte Partei stellte zwar beim Invalidenausschuß einen Antrag auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung gem § 8 Abs 2 Satz 2 InvEG, doch legte das Berufungsgericht seiner Entscheidung infolge rechtskräftiger Unterbrechung des Verfahrens beim Invalidenausschuß das (derzeitige) Fehlen einer nachträglichen Zustimmung zugrunde. Die Revisionswerberin bekämpft das nicht. Ihre Aktenwidrigkeitsrüge richtet sich nicht gegen die (allerdings unrichtige) Annahme der zweiten Instanz, daß sie das Vorliegen eines besonderen Ausnahmsfalls nach § 8 Abs 2 Satz 2 InvEG gar nicht behauptet habe, sondern nur gegen die (bereits oben behandelte) Annahme der Rechtskraft des Begünstigungsbescheides vom 6.3.1985. Außerdem zog die beklagte Partei den Antrag, dieses Verfahrens bis zur Entscheidung des Invalidenausschusses über die nachträgliche Genehmigung der Kündigung zu unterbrechen, in der Berufungsverhandlung zurück.

Für den Fall, daß der Invalidenausschuß im fortgesetzten Verwaltungsverfahren die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung vom 19.2.1985 gem § 8 Abs 2 Satz 2 InvEG erteilen sollte, läge in erweiternder, die Prinzipien des § 69 Abs 1 lit c AVG übernehmender Auslegung des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO ein Grund zur Wiederaufnahme dieses Verfahrens vor (Fasching, Lehrbuch Rz 2058; derselbe [Analogie noch ablehnend] in Komm IV 507 f).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E09592

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00196.86.1118.000

Dokumentnummer

JJT_19861118_OGH0002_0140OB00196_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten