Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuderna und Dr.Gamerith sowie die Beisitzer Mag. Karl Dirschmied und Dr. Anton Haschka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Renü G***, Angestellter, Wien 23., Fröhlichgasse 20/5, vertreten durch Dr.Peter Kauten, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei T*** 9101 Gesellschaft mbH in Wien 14., Hütteldorferstraße 259/9/1/14, vertreten durch Dr.Michael Gnesda, Rechtsanwalt in Wien, wegen 26.250 S sA, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 10.März 1976, GZ 44 Cg 12/86-24, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 18. September 1985, GZ 10 Cr 41/85-18, richtig: -16, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
1) Die Revisionsbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
2) Den Revisionen wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und Fällung einer neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Drittschuldnerklage von der beklagten Partei die Zahlung eines Betrages von 26.250 S sA. Er stützt dieses Begehren auf den Exekutionsbewilligungsbeschluß des Exekutionsgerichtes Wien vom 15.November 1984, 5 E 13.384/84, mit dem ihm gegen die verpflichtete Partei Margarete P*** die Exekution durch Pfändung und Überweisung bewilligt worden sei. Die beklagte Partei habe zu Unrecht behauptet, Margarete P*** sei bei ihr nicht beschäftigt, und daher zu Unrecht keine Überweisungen an den Kläger vorgenommen. Sie wäre aber verpflichtet gewesen, Zahlungen in der Höhe des Klagsbetrages an den Kläger zu leisten. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Exekutionsbewilligungsgebschluß sei an sie nie rechtswirksam zugestellt worden. Die Firmenbezeichnung der beklagten Partei sei vor dem 20.November 1984 geändert worden. Im übrigen habe sie die verpflichtete Partei nicht beschäftigt.
Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Teilbetrag von 3.900 S sA zu und wies das Mehrbegehren ab. Die Zustellung der Exekutionsbewilligung sei zwar mangels Vorliegens der Voraussetzungen für eine Hinterlegung der Postsendung zunächst rechtsunwirksam erfolgt; dieser Zustellmangel sei aber durch den am 17. April 1985 erfolgten Erhalt des Bewilligungsbeschlusses und des E-Form. 280 durch den Geschäftsführer der beklagten Partei, welche noch vor dem Zustellversuch eine neue Firmenbezeichnung erhalten habe, geheilt worden, so daß mit diesem Zeitpunkt die Zustellung als rechtswirksam angesehen werden müsse. Bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen der Verpflichteten Margarete P*** von 7.101 S (41 S x 40 Wochenstunden x 4,33) verbleibe unter Berücksichtigung der Sorgepflichten für drei Kinder ein der Pfändung unterliegender Betrag von monatlich 780 S. Die beklagte Partei hätte daher für die Zeit vom 17.April 1985 bis zum Schluß der Verhandlung in erster Instanz (18.September 1985) insgesamt 3.900 S an den Kläger überweisen müssen.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung zum Teil dahin ab, daß es dem Kläger insgesamt einen Teilbetrag von 8.163,50 S sA zusprach. Es unterließ zwar im Spruch die Abweisung des verbleibenden Mehrbegehrens von 18.086,50 S, doch ergibt sich ein derartiger Entscheidungswille des Berufungsgerichts immerhin aus den Entscheidungsgründen. Das Berufungsgericht führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf folgende für das Revisionsverfahren wesentliche Feststellungen:
Geschäftsführer der Martin S*** Gesellschaft mbH waren bis 27. Jänner 1984 Georg L*** und von diesem Tag an Martin S***. Am 30.Oktober 1984 wurde die Änderung der Firmenbezeichnung der genannten Gesellschaft auf den Namen der beklagten Partei und der neue Geschäftsführer Alexander S*** in das Handelsregister eingetragen.
Am 8. November 1984 beantragte der Kläger auf Grund des Urteils des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 10.Juni 1983, 19 Cg 364/81, zur Hereinbringung der vollstreckbaren Forderung von 67.566 S sA die Exekution durch Pfändung und Überweisung der der Verpflichteten Margarete P*** gegen die Martin S*** Gesellschaft mbH zustehenden Bezüge. Mit Beschluß des Exekutionsgerichtes Wien vom 12. November 1984 wurde die Exekution antragsgemäß bewilligt. Der Briefträger, der von der Änderung der Firmenbezeichnung und dem Wechsel der Geschäftsführung des Drittschuldners keine Kenntnis hatte, fragte die im Büro anwesende Sekretärin der beklagten Partei nach der Anwesenheit des Martin S***. Auf die Mitteilung, daß dieser nicht anwesend sei, hinterließ er im Büro die erste Aufforderung zur Anwesenheit. Da Martin S*** auch am nächsten Tag während des zweiten Zustellversuchs nicht anwesend war, hinterlegte der Briefträger am 21.November 1984 die Postsendung und ließ eine Hinterlegungsanzeige im Büro zurück. Die Sekretärin verneinte die Frage des Zustellers, ob Herr S*** anwesend sei, ohne darauf hinzuweisen, daß dieser nicht mehr Geschäftsführer sei. Sie sagte auch nicht, daß ein Geschäftsführer der beklagten Partei am Geschäftsort nicht anwesend sei.
Die hinterlegte Postsendung gelangte nach (ergebnislosem) Ablauf der Hinterlegungsfrist an das Exekutionsgericht Wien zurück, wo sie von einer Angestellten des Beklagtenvertreters am 25.März 1985 behoben wurde und in der Folge der beklagten Partei zukam. Diese sandte das ausgefüllte und vom Geschäftsführer Alexander S*** unterfertigte E-Form. 280 an das Exekutionsgericht Wien, wo es am 17. April 1985 einlangte. In dem Formular wurde die Frage, ob die Verpflichtete Margarete P*** Entgeltansprüche gegen die Drittschuldnerin habe, verneint.
Die Verpflichtete ist zumindest seit Feber 1984 bei der beklagten Partei, deren Rechtsperson unverändert geblieben war und die nur ihren Firmennamen geändert hatte, als Telefonistin und im Funksprechverkehr beschäftigt. Sie arbeitet regelmäßig in einem Schichtdienst von 6 Uhr 30 bis 14 Uhr 30, wobei sie "arbeitsmäßig jedenfalls die 40-Stundenwoche erreicht". Sie wird stundenweise abgerechnet und erhält einen Stundenlohn von 50 S netto. Sie wurde nicht bei der Krankenkasse angemeldet; die beklagte Partei hat auch keine Lohnsteuer für die Verpflichtete abgeführt. Dies ergibt einen - monatlich abgerechneten - Monatsverdienst von 7.583,33 S (50 x 35 x 4,33).
Der Ehegatte der Verpflichteten ist berufstätig. Dieser Ehe entstammen drei Kinder im Alter von 14, 13 und 3 Jahren. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, die Zustellung des Exekutionsbewilligungsbeschlusses und der Aufforderung zur Äußerung des Drittschuldners sei rechtswirksam bereits am 22.November 1984 erfolgt. Der vom Zusteller eingehaltene Vorgang sei "praktisch durchaus geeignet gewesen", dem Geschäftsführer Alexander S*** die Empfangnahme des Poststücks am Tag nach dem ersten Zustellversuch zu ermöglichen. Da er an diesen Tagen nicht anwesend gewesen sei oder zumindest seine Anwesenheit nicht bekanntgegeben habe, sei die Hinterlegung nach dem § 17 ZustG gerechtfertigt gewesen. Ausgehend von einem auf "30 bis 35 Wochenstunden" beruhenden Monatsdurchschnittseinkommen von 7.000 S sowie unter Berücksichtigung der Sorgepflichten der Verpflichteten Margarete P*** für drei Kinder, verbelibe nach den §§ 5 und 6 LPfG ein der Pfändung unterliegendes Einkommen von monatlich 525,33 S. Die beklagte Partei hätte bis zum Schluß der Verhandlung in erster Instanz einen Betrag von 5.201 S und bis zum Schluß der Berufungsverhandlung einen Betrag von insgesamt 8.163,50 S überweisen müssen.
Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen beider Parteien. Der Kläger ficht den abweisenden Teil des angefochtenen Urteils aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung an mit dem Antrag, auch dem restlichen Klagebegehren stattzugeben. Die beklagte Partei bekämpft den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils aus den Gründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil "einschließlich des gesamten erstgerichtlichen Verfahrens im angefochtenen Umfang" als nichtig aufzuheben; allenfalls das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückweisungsantrag gestellt. Die Revisionsbeantwortung des Klägers ist verspätet, weil die Revision der beklagten Partei ihm am 16. Juli 1986 zugestellt, die Revisionsbeantwortung aber erst am 11. September 1986 zur Post gegeben wurde. Gemäß dem § 223 Abs 2 ZPO haben die Gerichtsferien auf das Verfahren vor den Arbeitsgerichten keinen Einfluß. Die vierwöchige Frist für die Erstattung der Revisionsbeantwortung (§ 507 Abs 2 ZPO) war bereits am 13.August 1986 abgelaufen.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Revisionen sind berechtigt.
Zur Revision des Klägers:
Der Auffassung des Klägers, das angefochtene Urteil sei nichtig im Sinne des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, kann nicht zugestimmt werden. Eine solche Nichtigkeit ist nur gegeben, wenn ein Widerspruch im Spruch der Entscheidung oder ein Mangel der Gründe überhaupt vorliegt, nicht aber im Falle einer mangelhaften oder widerspruchsvollen Begründung (EvBl 1958/11, Arb 8609 uva, zuletzt 2 Ob 674/85, 6 Ob 695/85).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung ist zwar insofern widersprüchlich, als das Berufungsgericht einerseits feststellte, daß die Verpflichtete Margarete P*** 40 Stunden in der Woche arbeite, andererseits aber aus unbekannten Gründen der Berechnung des durchschnittlichen Monatsverdienstes eine 35-stündige wöchentliche Arbeitszeit zugrunde legte. Dieser Begründungsmangel erfüllt die oben dargelegten Voraussetzungen einer Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO nicht, erfordert aber die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht zweiter Instanz schon zur Beseitigung dieses Mangels.
Mit Recht wendet sich der Kläger gegen die Berücksichtigung der Sorgepflichten der Verpflichteten für drei Kinder bei der Errechnung des der Pfändung unterliegenden Einkommens. Gemäß dem § 5 Abs 2 LPfG erhöht sich der unpfändbare Betrag für jede Person, der Unterhalt gewährt sind, um die dort genannten Beträge. Voraussetzung hiefür ist somit die tatsächliche Gewährung von Unterhalt. Ob, in welcher Höhe und in welchem Zeitraum die Verpflichtete Margarete P*** ihren drei Kindern Unterhalt - sei es auch durch Haushaltsführung im Sinne des § 140 Abs 2 ABGB - gewährt hat, wurde aber vom Berufungsgericht nicht festgestellt. Damit fehlt es an den Voraussetzungen für die Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß sich der unpfändbare Betrag im Sinne des § 5 Abs 2 LPfG erhöht. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils ist daher auch infolge dieses Feststellungsmangels notwendig.
Hingegen kann der Auffassung des Klägers, in das pfändungsfreie Einkommen seien auch die "gesetzlichen" Sonderzahlungen einzubeziehen, weil Arbeitnehmer schon auf Grund des Gesetzes Anspruch auf derartige Zahlungen hätten, nicht beigepflichtet werden. Abgesehen davon, daß derartige Ansprüche vielfach ihre Rechtsgrundlage in kollektivvertraglichen Normen oder in einzelvertraglichen Vereinbarungen und nicht in Gesetzen im formellen Sinn haben, ist nicht erwiesen, daß die Verpflichtete Sonderzahlungen erhalten hat. Im übrigen wären solche Beträge gemäß dem § 3 Z 2 und 4 LPfG idF BGBl. 1983/664 bzw. nunmehr idF der ZV-Nov. 1986, BGBl. 71, weitgehend unpfändbar.
Zur Revision der beklagten Partei:
Soweit die beklagte Partei neuerlich eine bereits vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit dieses Verfahrens (die Berufung der beklagten Partei wurde insoweit verworfen) im Zusammenhang mit der Zustellung des Exekutionsbewilligungsbeschlusses und des E-Form. 280 an die beklagte Partei geltend macht, ist sie auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts gemäß § 519 ZPO zu verweisen (EvBl 1960/371; RZ 1967, 129 ua).
Die für den Zeitpunkt der Pfändung der Entgeltbezüge der Verpflichteten entscheidende Frage, ob die Zustellung der Exekutionsbewilligung dem Gesetz entsprochen hat, kann aber auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht beantwortet werden, sodaß die Aufhebung des angefochtenen Urteils auch aus diesem Grund erforderlich ist. Im Zeitpunkt des Zustellversuchs lautete die Firma der beklagten Partei Martin S*** Gesellschaft mbH, des Adressaten der betreffenden Postsendung, bereits "T*** 9101 Gesellschaft mbH". Die juristische Person selbst blieb allerdings trotz dieser Firmenänderung dieselbe. Die Zustellung hätte aber an deren neuen Geschäftsführer Alexander S*** erfolgen müssen. Voraussetzung für eine wirksame Ersatzzustellung durch Hinterlegung ist, daß die Partei die Möglichkeit hat, der Hinterlegungsanzeige (der Aufforderung zur Anwesenheit) Folge zu leisten; eine solche Möglichkeit besteht nicht, wenn der Empfänger ortsabwesend ist (§ 17 Abs 3 ZustG). Ob Alexander S*** im Zeitpunkt des Zustellversuchs ortsanwesend oder sogar im Büro war, wurde nicht festgestellt. Ebensowenig steht fest, ob der Aufforderung zu entnehmen war, daß die Martin S*** Gesellschaft mbH Adressatin der Postsendung war und wie die Sekretärin mit dem Aufforderungsschreiben und der Hinterlegungsanzeige verfahren hat.
Für den Fall der Rechtsunwirksamkeit der Zustellung wurde der Mangel allerdings, wie das Erstgericht richtig erkannte, gemäß dem § 7 ZustG in dem Zeitpunkt geheilt, in dem die Postsendung dem Geschäftsführer Alexander S*** tatsächlich zugekommen war, nämlich spätestens am 17.April 1985. Die beklagte Partei hätte in diesem Fall erst von diesem Zeitpunkt an die gepfändeten Bezüge der Verpflichteten unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des Lohnpfändungsgesetzes an den Kläger überweisen müssen. Der beklagten Partei kann nicht gefolgt werden, daß das Berufungsgericht grundsätzlich nur jene (von der beklagten Partei und dem Kläger zu überweisenden) Beträge hätte zusprechen dürfen, die bis zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz fällig geworden waren. Da das Berufungsgericht im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu zu verhandeln hat und das Neuerungsverbot des § 482 Abs 1 ZPO daher nicht gilt, können an sich bis zum Schluß der Berufungsverhandlung fällig gewordene Beträge berücksichtigt werden. Der Kläger hat allerdings über den Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz hinaus ein Begehren nicht gestellt, sodaß ein Verstoß gegen den § 405 ZPO vorliegt. Dazu kommt, daß dem Berufungsgericht eine solche Berücksichtigung auch deshalb verwehrt war, weil es - mangels entsprechender Beweisgrundlagen - eine Feststellung darüber, ob und in welchem Umfang die Verpflichtete bis zu diesem Zeitpunkt gearbeitet hat und welches der Pfändung unterliegende Einkommen sie in diesem weiteren Zeitraum bezog, nicht getroffen hat.
Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.
Anmerkung
E09588European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00152.86.1118.000Dokumentnummer
JJT_19861118_OGH0002_0140OB00152_8600000_000