Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Vormundschaftssache der mj. Marsela N***, geboren am 18. Juli 1974, in Pflege und Erziehung der Mutter Waltraud W***, 2633 Pottschach, Kaplangasse 6/3, infolge Revisionsrekurses des Vaters Mladen S***, 3560 Koesel, Kleinheidalaan, Belgien, vertreten durch Dr. Heinrich Schmiedt, Rechtsanwalt in Kitzbühel, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgerichtes vom 14. April 1986, GZ. R 107/86-33, womit der Rekurs des Mladen S*** gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Neunkirchen vom 20. Jänner 1986, GZ. P 112/76-26, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben; dem Rekursgericht wird aufgetragen, unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund über den Rekurs des Vaters gegen den Beschluß des Erstgerichtes zu entscheiden.
Text
Begründung:
Das Erstgericht verpflichtete Mladen S***, seiner außerehelichen Tochter Marsela N*** ab 1. Jänner 1986 einen monatlichen Unterhalt von 1.600 S anstelle des bisherigen Betrages von 800 S zu bezahlen. Diese Entscheidung wurde am 22. Jänner 1986
dem Unterhaltsschuldner zugestellt. Dagegen langte beim Erstgericht ein am 4. Februar 1986 zur Post gegebener, von Dr. Heinrich S***, Rechtsanwalt in Kitzbühel, verfaßter Rekurs mit dem Antrag ein, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Hilfsweise wurde beantragt, die Entscheidung dahin abzuändern, daß der Unterhaltserhöhungsantrag abgewiesen werde. Dr. Heinrich S*** legte der Rechtsmittelschrift keine schriftliche Vollmachtsurkunde bei, sondern berief sich gemäß § 30 Abs 2 ZPO auf die ihm erteilte Bevollmächtigung. Da das Erstgericht die Auffassung vertrat, § 30 Abs 2 ZPO komme im außerstreitigen Verfahren nicht zur Anwendung, forderte es den Einschreiter auf, binnen 14 Tagen die Vollmachtsurkunde vorzulegen. Dieser Beschluß wurde an Rechtsanwalt Dr. S*** am 7. Februar 1986 zugestellt. Ein rechtzeitiges Fristerstreckungsbegehren wurde mit Beschluß vom 24. Februar 1986 abgewiesen; dieser erwuchs am 11. März 1986 in Rechtskraft. Erst am 24. März 1986 (die Postaufgabe erfolgte nicht vor dem 20. März 1986), sohin außerhalb der 14-Tagesfrist, langte dann die mit 12. März 1986 datierte Vollmachtsurkunde beim Erstgericht ein.
Das Rekursgericht wies den Rekurs zurück. Es vertrat insbesondere in Anlehnung an die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 6 Ob 657/84 die Auffassung, daß § 30 Abs 2 ZPO im außerstreitigen Verfahren unanwendbar sei. Im § 2 Abs 2 Z 3 AußStrG sei nämlich die Frage der Dartuung der Vollmacht ohne jeglichen Bezug auf die Bestimmung der ZPO geregelt. Da demnach die Vollmachtsvorlage eigens behandelt sei, könne im außerstreitigen Verfahren die Bestimmung des § 30 Abs 2 ZPO auch nicht analog angewendet werden, zumal keine Rechtslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit vorliege. Der Rekurs erweise sich als verspätet, weil das Erstgericht dem Einschreiter einen befristeten Verbesserungsauftrag zur Beibringung der Vollmacht erteilte, welchem er innerhalb der gesetzten Frist nicht entsprochen habe. Eine sachliche Erledigung trotz Verspätung im Sinne des § 11 Abs 2 AußStrG sei ausgeschlossen, weil die Minderjährige durch die angefochtene Entscheidung bereits Rechte erlangt habe. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs Mladen S***, in welchem er beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden oder dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig (SZ 40/1; SZ 43/234 u.z.a.) und berechtigt:
Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausführte (EvBl 1985/132 = NZ 1985, 192; 5 Ob 72/85), sind bei Fehlen genauerer Bestimmungen für das Verfahren außer Streitsachen sinngemäß die Vorschriften der ZPO, soweit diese für das außerstreitige Verfahren in Betracht kommen, heranzuziehen (so etwa hinsichtlich des Nullitätsbegriffes SZ 22/107, SZ 28/31, SZ 45/11
und SZ 45/50; EvBl 1975/111; hinsichtlich der Vorschriften über die Vollmacht EvBl 1975/110; siehe auch Feil, Verfahren außer Streitsachen 53). Zur Rechtslage vor der ZP-Nov. 1983 wurde angesichts dessen, daß das Außerstreitgesetz von Vollmachten nur im § 2 Abs 2 Z 3 handelt (wonach das Gericht die Vollmachten und Legitimationsurkunden der Personen, die nicht im eigenen Namen handeln, genau prüfen und nötigenfalls bei den Akten zurückbehalten soll) und § 30 Abs 1 ZPO i.d.F. vor der Zivilverfahrens-Novelle 1983 ausdrücklich normierte, daß Rechtsanwälte und sonstige Bevollmächtigte bei der ersten von ihnen in einer Streitsache vorgenommenen Prozeßhandlung ihre Bevollmächtigung durch eine Urkunde (Vollmacht) darzutun haben, welche in Urschrift oder in beglaubigter Abschrift vorzulegen ist und bei Gericht zurückbehalten werden kann, allgemein die Auffassung vertreten, daß sich auch im außerstreitigen Verfahren die Bevollmächtigten dem Gerichte gegenüber durch eine Vollmacht auszuweisen haben, die sie zu dem in Betracht kommenden Einschreiten ermächtigt; das Gericht hat diese Vollmacht genau zu prüfen und bei den Akten zurückzubehalten (§ 2 Abs 2 Z 3 AußStrG). Der Mangel der Vollmacht begründet Nichtigkeit des Verfahrens, soweit die nachträgliche Genehmigung durch den angeblich Vertretenen nicht zu erzielen ist (Stagel, Grundzüge der österreichischen Zivilgerichtsverfassung und des Verfahrens außer Streitsachen 43 f.; Ott, Rechtsfürsorgeverfahren 138 ff; vgl. auch Sander, Verfahren außer Streitsachen 43, 100; Rintelen, Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen 21; 1 Ob 45/71; EvBl 1975/111 ua.). Die durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 geschaffene und gemäß § 78 EO sowie § 171 KO, §§ 76 und 91 AO auch im Exekutionsverfahren und in den Insolvenzverfahren unmittelbar anwendbare Bestimmung des § 30 Abs 2 ZPO, wonach dann, wenn ein Rechtsanwalt oder Notar einschreitet, die Berufung auf die ihm erteilte Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis ersetzt, beruht darauf, daß dem Rechtsanwalt oder Notar grundsätzlich vertraut wird, wenn er ein Vollmachtsverhältnis behauptet (Bericht des Justizausschusses zur ZVN 1983, 1337 BlgNR 15. GP 8; 2 Ob 42/84), zumal der genannte Personenkreis einer strengen standesrechtlichen Verantwortung unterliegt und ein Einschreiten ohne Bevollmächtigung schwere disziplinäre Folgen hätte; sie dient gleichzeitig der vom Gesetzgeber mit der Zivilverfahrens-Novelle 1983 ganz allgemein angestrebten Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung. Hält man sich die der Zivilverfahrens-Novelle 1983 zugrunde liegenden Wertungen und Zwecke vor Augen, welche keineswegs auf deren Anwendungsbereich beschränkt sind, dann erkennt man, daß auch im Bereich des Verfahrens außer Streitsachen in bezug auf die Frage, ob die Berufung eines Rechtsanwaltes oder Notars auf die ihm erteilte Bevollmächtigung den urkundlichen Nachweis seiner Einschreitervollmacht ersetzt, eine nachträgliche "telelogische" Gesetzeslücke (vgl. dazu Bydlinski in Rummel, ABGB, RN 2 zu § 7) entstanden ist, welche durch sinngemäße Anwendung des § 30 Abs 2 ZPO i.d.F. der Zivilverfahrens-Novelle 1983 zu schließen ist. Es ist kein Grund ersichtlich, warum den Rechtsanwälten und Notaren nicht auch im Außerstreitverfahren vertraut werden sollte, wenn sie sich auf die ihnen erteilte Bevollmächtigung zum Einschreiten berufen (EvBl 1985/132 = NZ 1985, 112; 5 Ob 72/85; vgl. auch 7 Ob 694/85). Ein gegenteiliger Standpunkt läßt sich aus den bloßen Hinweisen in 6 Ob 657/84 und Fasching, Zivilverfahrensgesetze Rdz 428 nicht aufrecht erhalten; die Ausführungen Hofmeisters in NZ 1985, 185 betreffen allein das Grundbuchsverfahren.
Der vorliegende Fall ist im übrigen dadurch gekennzeichnet, daß das Erstgericht nicht etwa die Bevollmächtigung des einschreitenden Rechtsanwaltes durch den Antragsgegner bezweifelte, sondern sich grundsätzlich auf den Standpunkt stellte, daß die Berufung auf die Erteilung der Vollmacht gemäß § 30 Abs 2 ZPO im außerstreitigen Verfahren nicht gilt (vgl. AS 62); Erwägungen in die Richtung einer amtswegigen Beseitigung von Zweifeln über die Vollmachtserteilung (vgl. Fasching a.a.O. Rdz 428), die unter entsprechenden Umständen - wie sich schon aus dem Wortlaut des § 2 Abs 2 Z 3
AußStrG ergibt - grundsätzlich auch im Außerstreitverfahren anzustellen sind, scheiden hier daher aus.
Selbst dann aber, wenn man § 30 Abs 2 ZPO für das außerstreitige Verfahren nicht für anwendbar fände und der Auftrag zur Vorlage der Vollmacht als berechtigt anzusehen wäre, hätte das Rekursgericht am 14. April 1986 den Rekurs nicht wegen mangelnden Nachweises der Bevollmächtigung des Vertreters zurückweisen dürfen, weil zu diesem Zeitpunkt bereits die am 24. März 1986 vorgelegte Vollmacht im Akt erlag (Fasching II, 159; SZ 27/14; vgl. auch 7 Ob 694/85 ua.). Der vom Rekursgericht herangezogene Zurückweisungsgrund liegt daher nicht vor. Demgemäß war dem Rekurs des Antragsgegners Folge zu geben, der angefochtene Zurückweisungsbeschluß zu beheben und dem Gericht zweiter Instanz die Entscheidung über den Rekurs des Antragsgegners gegen den Beschluß des Erstgerichtes unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Anmerkung
E09863European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00588.86.1119.000Dokumentnummer
JJT_19861119_OGH0002_0080OB00588_8600000_000