TE OGH 1986/11/19 9Os45/86

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Veröffentlicht am 19.11.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.November 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Täuber als Schriftführer in der Strafsache gegen Heinrich W*** und andere wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Heinrich W*** gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht St. Pölten vom 17.Jänner 1986, GZ 24 Vr 503/85-79, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, und des Verteidigers Dr. Mühl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurde der am 13.Jänner 1949 geborene Angeklagte Heinrich W*** der Verbrechen des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 StGB (Punkt I/1 des Urteilssatzes), des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster und zweiter Fall StGB (I/2) und des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (III/1) sowie des Vergehens nach § 36 Abs 1 lit a WaffG (IV) schuldig erkannt.

Darnach hat er

(zu I/1) am 5.April 1985 in Innermanzing in Gesellschaft

der - im selben Strafverfahren rechtskräftig

abgeurteilten - Beteiligten (§ 12 StGB) Peter H*** und Arno K*** fremde bewegliche Sachen, und zwar eine Bockflinte im Wert von 9.600 S und eine Doppelflinte im Wert von 4.200 S dem Johann H*** durch Einbruch (in dessen Geschäftslokal) mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem Arno K*** die Auslagenscheibe mit einer Spitzhacke einschlug, Heinrich W*** die Waffen an sich nahm und Peter H*** das Tat- und Fluchtauto lenkte;

(zu I/2) am 16.April 1985 in Innermanzing in Gesellschaft des Beteiligten (§ 12 StGB) Arno K*** durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (Verfügungsberechtigten) der R*** I*** fremde bewegliche Sachen, nämlich

411.990 S Bargeld mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie der Angestellten der R*** Johanna B*** abgesägte und geladene Bock- bzw. Doppelflinten vorhielten und sie zur Herausgabe von Bargeld aufforderten sowie den Bankkunden Franz M*** durch Vorhalten der Gewehre an der Verständigung der Gendarmerie hinderten, wobei der Raub unter Verwendung einer Waffe verübt wurde;

(zu III/1) am 16.April 1985 in Freilehnmühle (auf der S 33 - Abfahrt Traismauer Süd/Kreuzung Landes-Hauptstraße 113) den Gendarmeriebeamten Karl K*** durch aus unmittelbarer Nähe gegen dessen Körper erfolgte Abgabe zweier Schüsse aus einem abgesägten Schrotgewehr vorsätzlich zu töten versucht;

(zu IV) in der Zeit vom 5.April bis 16.April 1985 in Wien und Niederösterreich zwei auf 58 cm Länge verkürzte Schrotgewehre, sohin Faustfeuerwaffen unbefugt besessen und geführt.

Die Geschwornen hatten die den Beschwerdeführer betreffenden, anklagekonform an sie gerichteten Hauptfragen I (nach schwerem Diebstahl durch Einbruch), IV (nach schwerem Raub) und VII (nach dem Vergehen gegen das Waffengesetz) jeweils einstimmig, die Hauptfrage X (nach Mordversuch) im Stimmenverhältnis 7:1 bejaht und ließen demgemäß die für den Fall der Verneinung der Hauptfrage X gestellten Eventualfragen XIII (nach absichtlicher schwerer Körperverletzung durch aus unmittelbarer Nähe gegen den Körper des Gendarmeriebeamten erfolgte Abgabe zweier Schüsse) und XIV (nach Widerstand gegen die Staatsgewalt durch Morddrohung mittels Abgabe zweier Schüsse aus unmittelbarer Nähe - ersichtlich gemeint: am Körper des Beamten vorbei) unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Verdikt und den darauf gegründeten Schuldspruch richtet sich die lediglich auf die Z 5 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten mit dem Einwand, infolge des durch eine Schußverletzung anläßlich seiner Festnahme bewirkten gänzlichen Verlustes des sprachlichen und schriftlichen Ausdrucksvermögens verhandlungsunfähig gewesen und durch die Abweisung des darum gestellten Antrages auf Ausscheidung (und Vertagung) des ihn betreffenden Strafverfahrens in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt worden zu sein. Die Beschwerde ist unbegründet.

Der Angeklagte wurde am 16.April 1985 bei der zur Anhaltung des Fluchtfahrzeuges und schließlich zu seiner Festnahme führenden Amtshandlung durch einen von RevInsp. Karl K*** aus der Dienstpistole abgefeuerten Schuß am Hals getroffen. Infolge einer dadurch erlittenen Verletzung der großen inneren Kopfschlagader kam es zu einer vorübergehenden schweren Störung der Hirndurchblutung, die ua zu einer Sprachstörung (Aphasie) geführt hat, von der ursprünglich das Sprachverständnis und das Sprechvermögen betroffen waren.

Nach dem zur Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses vom Schwurgerichtshof herangezogenen Gutachten des Sachverständigen Dr. P*** in Verbindung mit dem Ergebnis der vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 23.April 1986, GZ 9 Os 45/86-8, gemäß § 285 f StPO sowie zur Vorbereitung des Gerichtstages über die Berufung des Angeklagten angeordneten Erhebungen (insbesondere dem eingeholten Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. K***) war zur Zeit der Hauptverhandlung (16. und 17.Jänner 1986) das Sprachverständnis des Angeklagten praktisch vollständig wiederhergestellt und er auch fähig, Gesten zu deuten oder Gegenstände zu agnoszieren. Das Sprechvermögen hingegen, also die Fähigkeit sich verbal auszudrücken, war nach wie vor weitgehend aufgehoben und er war gleichfalls nicht in der Lage spontan zu schreiben, konnte demnach seine Gedanken auch nicht schriftlich zum Ausdruck bringen. Nicht beeinträchtigt war allerdings seine Fähigkeit, sich in Gesten auszudrücken. Auch die Fähigkeit zu graphischer Darstellung war - wenn auch eingeschränkt - erhalten geblieben. Störungen seiner intellektuellen Kapazität lagen ebensowenig vor wie eine Beeinträchtigung seiner Wachheit, Aufmerkfähigkeit und Dauerbelastbarkeit sowie seines Konzentrationsvermögens.

Unabdingbare (vgl. SSt. 46/74) Voraussetzung für die Durchführung einer Hauptverhandlung ist die Fähigkeit des Angeklagten, dem Verlauf der Verhandlung ohne Gefahr für seine Gesundheit zu folgen, sich verständlich zu äußern und seine Rechte sinnvoll wahrzunehmen (Bertel, Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechtes, Rz. 305; vgl. SSt. 48/86, EvBl 1977/254 und 1971/15).

Fraglich kann vorliegend nach dem im wesentlichen übereinstimmenden, eben zusammenfassend wiedergegebenen Inhalt der erwähnten Gutachten lediglich sein, ob die beiden zuletzt genannten Prämissen der Verhandlungsfähigkeit mit Rücksicht darauf gegeben sind, daß der Angeklagte nicht sprechen und seine Gedanken auch nicht schriftlich zum Ausdruck bringen kann, er also einem stummen Analphabeten gleichzusetzen ist, der zudem die besondere Zeichensprache der Stummen nicht beherrscht. Insoweit ergibt sich aus den sinngemäß auch in der Hauptverhandlung anzuwendenden Bestimmungen der §§ 163, 164, 198 Abs 3 StPO im Zusammenhalt mit jenen Verfahrensvorschriften, die die prozessualen Rechte des Angeklagten in der Hauptverhandlung regeln (etwa §§ 245 Abs 1, 246 Abs 1, 248 Abs 4, 249, 252 Abs 3, 253, 255 Abs 3 StPO im schöffengerichtlichen Verfahren), daß die Durchführung einer Hauptverhandlung auch gegen Angeklagte zulässig ist, die infolge einer schweren Beeinträchtigung des Ausdrucksvermögens an der persönlichen Wahrnehmung eines Teiles ihrer Verteidigungsrechte gehindert sind. Dies ist letztlich einerseits damit zu rechtfertigen, daß das Gericht (und auch der öffentliche Ankläger) zur amtswegigen Belehrung des Angeklagten über seine Rechte und zur Berücksichtigung der zu seiner Verteidigung dienenden Umstände verpflichtet ist (§ 3 StPO) sowie die materielle Wahrheit zu erforschen (§ 254 StPO) und die Verantwortung des Angeklagten wie jedes andere Beweismittel gewissenhaft zu würdigen hat (§ 258 Abs 2 StPO), und daß andererseits das Gesetz die Möglichkeit einer zweckentsprechenden Verteidigung in der Hauptverhandlung durch berufsmäßige Rechtsbeistände sicherstellt (§§ 39, 41 StPO). Ob eine noch nicht zum (absoluten) Verlust des Ausdrucksvermögens gediehene Verminderung desselben bereits einen solchen Grad erreicht hat, daß sie den Angeklagten trotz der oben erwähnten prozessualen Kautelen unfähig macht, sich zu einem Tatvorwurf verständlich zu äußern und insoweit seine Rechte sinnvoll wahrzunehmen, ist von Fall zu Fall zu prüfen, wobei ua auf die Schwierigkeit und Komplexität des Tatvorwurfs sowie die daraus resultierende Notwendigkeit einer differenzierten Beantwortung der aufgeworfenen Fragen Bedacht zu nehmen ist und das Ergebnis der Prüfung zudem - solange die Hauptverhandlung im Gange ist - einer ständigen Nachkontrolle an Hand der fortschreitenden Verfahrensergebnisse bedarf. Vorliegend hat sich nun der - in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertretene - Angeklagte zu den wider ihn erhobenen Vorwürfen des Einbruchsdiebstahls, des schweren Raubes und des Vergehens gegen das Waffengesetz schuldig bekannt und das jeweilige Tatgeschehen über Fragen des Vorsitzenden durch eindeutige und unmißverständliche Gesten demonstriert. Für die Annahme einer durch verminderte Ausdrucksfähigkeit bewirkten Schmälerung von Verteidigungsrechten bleibt demnach insoweit kein Raum. In Ansehung des Vorwurfes des Mordversuches hat sich der Angeklagte hingegen nicht schuldig bekannt. Zu diesem Vorwurf hat er durch Bejahung bzw. Verneinung der ihm unter Vorhalt von Lichtbildern und der Angaben der als Zeugen vernommenen Gendarmen gestellten Fragen sowie durch sein Verhalten bei der Rekonstruktion des Tatgeschehens, an der er unter Verwendung der Tatwaffe mitwirkte, klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er bestreitet, überhaupt auf Karl K*** geschossen zu haben. Er habe lediglich versucht, sich selbst zu erschießen, doch sei ihm dies mangels Entsicherung der Waffe nicht gelungen. Deswegen habe er die Waffe - mit dem Lauf etwas nach vorne gerichtet - entsichert, doch sei er in diesem Augenblick von einem Schuß des Gendarmen getroffen worden (S 26 f./III).

Ausgehend einerseits vom Vorwurf eines an sich einfachen äußeren Tatgeschehens, das auch in Ansehung der subjektiven Tatseite keine besonderen Schwierigkeiten bot, und andererseits von den dem Angeklagten trotz seiner Behinderung noch zur Verfügung stehenden Ausdrucksmöglichkeiten, die ihm gestatteten, der Anklage in Form von Gesten eine zusammenhängende Erklärung des Sachverhaltes entgegenzustellen, kann nicht gesagt werden, daß das Gericht durch die gegen seinen Antrag erfolgte Durchführung der Hauptverhandlung Verfahrensgrundsätze verletzt hat, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist (§ 345 Abs 1 Z 5 StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 75 StGB zu achtzehn Jahren Freiheitsstrafe und ordnete gemäß § 23 Abs 1 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter an.

Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, die zahlreichen, über die Rückfallsvoraussetzungen (§ 39 StGB) hinausgehenden einschlägigen Vorstrafen, die Verführung der Mittäter, den hohen Wert der Raubbeute und die zweifache Qualifikation zum schweren Raub als erschwerend; als mildernd hingegen das Teilgeständnis, die Zustandebringung eines überwiegenden Teiles des geraubten Geldbetrages, daß es beim Mordversuch geblieben ist und die durch den Schußwechsel erlittene Verletzung sowie die damit verbundene dauernde schwere Behinderung.

Nur gegen den Strafausspruch - nicht auch gegen die Anordnung der Maßnahme nach § 23 StGB - richtet sich die Berufung des Angeklagten mit dem Antrag auf Herabsetzung des Strafausmaßes. Die Berufung ist unbegründet.

Unberücksichtigt gebliebene Milderungsgründe vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen; es können solche in der Tat auch nicht gefunden werden. Die schwere, mit Dauerfolgen verbundene eigene Verletzung als unmittelbare Tatfolge wurde vom Geschwornengericht ohnedies gebührend in Rechnung gestellt. Daß der Mordversuch nicht reiflich überlegt oder sorgfältig geplant und vorbereitet worden war, ist kein besonderer Milderungsgrund, sondern beschwert diese Tat nicht zusätzlich im Sinn des § 32 Abs 3 StGB. Gerade dies wäre in Ansehung des Banküberfalls noch zum Nachteil des Angeklagten in die Waagschale zu werfen gewesen. Im übrigen wurden die Strafbemessungsgründe richtig und vollständig aufgezählt und auch zutreffend gewürdigt. Insbesondere im Hinblick auf das Zusammentreffen zweier Kapitalverbrechen und das schwer belastete Vorleben des Berufungswerbers, das ihn als gefährlichen Rückfallstäter ausweist, erscheint die verhängte zeitliche Freiheitsstrafe nicht überhöht.

Es war daher auch der Berufung ein Erfolg zu versagen. Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist eine gesetzliche Konsequenz der getroffenen Sachentscheidung (§ 390 a StPO).

Anmerkung

E09683

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0090OS00045.86.1119.000

Dokumentnummer

JJT_19861119_OGH0002_0090OS00045_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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