Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 20.November 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Steinhauer als Schriftführer in der Strafsache gegen Othmar U*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 9. September 1986, GZ 12 Vr 2861/85-38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Othmar U*** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs 1 und Abs 2 Z 3, 129 Z 1, 15 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, des Vergehens nach § 36 Abs 1 lit a WaffG, des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB schuldig gesprochen. Er wurde nach §§ 87 Abs 1 StGB, 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt. Von einem weiteren Anklagepunkt erfolgte ein Freispruch. Der Antrag der Staatsanwaltschaft, den Angeklagten gemäß § 23 Abs 1 StGB in eine Anstalt für gefährliche Rückfallstäter einzuweisen, wurde abgewiesen. In seinem schriftlichen Gutachten hat sich der vom Untersuchungsrichter zur Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beschuldigten zur Tatzeit bestellte Sachverständige Prim. Dr. Otto S*** nur mit der Frage des Vorliegens von Schuldausschließungsgründen im Sinne des § 11 StGB befaßt. In der Hauptverhandlung verwies der Sachverständige auf das schriftliche Gutachten und erklärte zum Vorliegen der psychiatrischen Voraussetzungen des § 23 StGB keine endgültige Stellungnahme abgeben zu können, weil er hiezu erst die wesentlichen Vorstrafakten nachprüfen müsse (S 278). Der Staatsanwalt beantragte hierauf die Beischaffung sämtlicher Vorstrafakten und ein ergänzendes Gutachten des Sachverständigen zur Frage der Voraussetzungen für die Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für gefährliche Rückfallstäter. Dieser Antrag wurde vom Schöffengericht in der Hauptverhandlung mit der Begründung abgewiesen, daß ein ergänzendes Gutachten nicht unbedingt notwendig sei, da der Sachverständige seine Meinung ohnehin zum Ausdruck gebracht habe (S 279). Der Staatsanwalt hat sich die Nichtigkeitsbeschwerde aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 4 StPO vorbehalten.
Rechtliche Beurteilung
Die Abweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft, den Angeklagten gemäß § 23 Abs 1 StGB in eine Anstalt für gefährliche Rückfallstäter einzuweisen, wurde im Urteil mit der Begründung abgewiesen, daß ein Hang des Angeklagten zu strafbaren Handlungen nicht mit Sicherheit angenommen werden könne, und die Verhängung einer längeren Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer Besserung des Angeklagten biete (S 290, 291).
Die auf § 281 Abs 1 Z 3 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft richtet sich nur gegen die Abweisung des Einweisungsantrages. Gemäß § 439 Abs 2 StPO könne die Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche rückfallstäter bei sonstiger Nichtigkeit nur nach Beiziehung zumindest eines Sachverständigen angeordnet werden. Die Nichtbefragung des zwingend vorgeschriebenen Sachverständigen zur Gefährlichkeitsprognose käme der Nichtzuziehung eines Sachverständigen gleich.
Die Anordnung der Unterbringung in einer der in den §§ 21 Abs 2, 22 und 23 StGB genannten Anstalten oder ihr
Unterbleiben - über diese vorbeugenden Maßnahmen ist gemäß § 435 Abs 1 StPO in der Regel (§ 441 StPO) im Strafurteil zu entscheiden - bildet einen Teil des Ausspruches über die Strafe und kann zugunsten und zum Nachteil des Verurteilten mit Berufung - weil den Ermessensbereich betreffend - angefochten werden (§ 435 Abs 2 StPO). Nur wenn das Gericht bei Entscheidung über die vorbeugende Maßnahme seine Befugnisse überschritten hat - dem Gericht somit kein Ermessensspielraum eingeräumt war -, kann das Urteil wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 oder § 345 Abs 1 Z 13 StPO) angefochten werden (§ 435 Abs 3 StPO).
Soweit eine Entscheidung über die Einweisung in eine der genannten Anstalten somit dem Ermessen des Gerichtes unterliegt, das ist insbesonders bei der Gefährlichkeitsprognose der Fall, kann diese Entscheidung daher ausschließlich mit Berufung bekämpft werden (ÖJZ-LSK 1975/162, ÖJZ-LSK 1983/136). Eine Überschreitung der Strafbefugnis hingegen unterliegt der Überprüfung im Nichtigkeitsverfahren (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO). Nur in Ansehung solcher (Tatsachen-)Feststellungen, die dafür maßgeblich sind, ob das Gericht durch die Entscheidung über die vorbeugende Maßnahme seine Befugnisse überschritten hat, besteht auch die Möglichkeit der Anfechtung des Urteils mit Verfahrens- und Mängelrüge (SSt. 47/43, SSt. 50/28). So wird die Strafbefugnis des Gerichtes überschritten, wenn die Voraussetzungen einer getroffenen Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB (Begehung der Anlaßtat unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes) oder nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle (Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grade) oder nach § 22 Abs 1 StGB (daß der Rechtsbrecher dem Mißbrauch eines berauschenden Mittels oder Suchtmittels ergeben ist), oder nach § 23 Abs 1 Z 1 und 2 StGB ungerechtfertigt bejaht oder verneint wurde. Weil die Anordnung der Unterbringung in einer der genannten Anstalten bei sonstiger Nichtigkeit nur nach Beiziehung zumindest eines Sachverständigen angeordnet werden kann, hat somit eine erfolgreiche Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Unterbleiben der Anstaltseinweisung zur Voraussetzung, daß die Abweisung eines Antrages auf Beiziehung eines Sachverständigen mit Verfahrens- oder Mängelrüge angefochten wird.
Weil Ermessensentscheidungen, und dazu gehören vor allem die nach §§ 21 bis 23 StGB erforderlichen Gefährlichkeitsprognosen, nur mit Berufung angefochten werden können, sind auch Verfahrens- und Begründungsmängel bei Ausübung des richterlichen Ermessens ausschließlich mit Berufung geltend zu machen (12 Os 26/86). Im vorliegenden Fall wurde der Sachverständige ausschließlich zur Beischaffung der Urteilsgrundlagen für die dem Gericht obliegende Gefährlichkeitsprognose nach § 23 Abs 1 Z 3 StGB, also für eine Ermessensentscheidung, beantragt. Nach Inhalt und Zielsetzung der Ausführungen der Staatsanwaltschaft in der Nichtigkeitsbeschwerde wird somit nur ein Berufungsgrund, nicht aber einer der im § 281 Abs 1 Z 1 bis 11 StPO genannten Nichtigkeitsgründe geltend gemacht.
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist somit nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt. Sie war daher bereits in einer nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285 d Abs 1 Z 1 StPO in Verbindung mit § 285 a Z 2 StPO sofort zurückzuweisen. Zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft werden die Akten in sinngemäßer Anwendung des § 285 b Abs 6 StPO dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Anmerkung
E09746European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0120OS00157.86.1120.000Dokumentnummer
JJT_19861120_OGH0002_0120OS00157_8600000_000