Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27.November 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schneider (Berichterstatter), Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Täuber als Schriftführers in der Strafsache gegen Rupert M*** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 19.August 1986, GZ. 5 d Vr 5370/86-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Kodek, und des Verteidigers Dr. Schaller, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 25.August 1939 geborene Rupert M*** wurde des Verbrechens nach § 142 Abs 1 StGB. schuldig erkannt, weil er am 18. April 1986 in Wien dem Johann P*** dadurch, daß er ihn am Nacken umfaßte und zu Boden zog, sohin mit Gewalt gegen eine Person, die Brieftasche mit 5.100 S Bargeld geraubt hat.
Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z. 4, 5 und 10 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Die Verfahrensrüge (Z. 4) wendet sich gegen die Ablehnung des vom Verteidiger des Angeklagten in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Beischaffung der Krankengeschichte des Kaiser-Franz-Josef-Spitals zum Beweise dafür, "daß der Angeklagte nicht in der Lage war, den von dem Zeugen (Johann P***) geschilderten Angriff zu starten, da er damals einen Oberschenkelgips getragen hat und deshalb auch nicht in der Lage war, nach diesem Vorfall sich so schnell zu entfernen" (S. 81). Der Schöffensenat erachtete jedoch diese Beweisaufnahme angesichts der Ergebnisse des Beweisverfahrens - wozu ergänzend noch der Aktenvermerk ON. 9 verlesen wurde - nicht für erforderlich und wies den Antrag ab (S. 81). Soweit die Beschwerde dagegen vorbringt, durch diese Beweisaufnahme (aber auch durch den Aktenvermerk ON. 9 selbst) hätte, den Urteilsausführungen (S. 87) zuwider, über den Inhalt der (im Aktenvermerk zitierten) Ambulanzkarte jedenfalls festgestellt werden können, daß der Angeklagte den Gipsverband zur Tatzeit, also etwa drei Wochen nach dessen Anlegung am 26.März 1986, noch getragen habe, ist ihm zu erwidern, daß das Erstgericht eine solche Möglichkeit gar nicht ausschloß, diese Frage aber als unerheblich offen ließ, weil ein Oberschenkelgips (wie zu ergänzen ist, wegen eines Seitenbandrisses - siehe S. 40) nach allgemeiner Lebenserfahrung die Tatbegehung nicht gehindert hätte (S. 90). Tatsächlich war der Antrag zum Beweis der (behaupteten) Unmöglichkeit, den Überfallenen unter Umklammerung des Nackens zu berauben und dann zu flüchten, von vornherein ungeeignet, weil solches auch einer in der Fortbewegung durch einen Gipsverband allenfalls etwas behinderten Person möglich ist, und zwar auch dann, wenn sich die Brieftasche in der Westeninnentasche des Opfers befand. Eine Überprüfung der Wahrnehmungsfähigkeit des Zeugen P***, der seiner Aussage zufolge den Gipsverband am Angreifer nicht bemerkt hat (S. 78), war aber laut Beweisantrag kein Beweisthema, sodaß die Bezugnahme der Verfahrensrüge darauf ins Leere geht. Die Mängelrüge (Z. 5) ist bemüht, Undeutlichkeiten oder offenbar unzureichende Gründe des Urteils aufzuzeigen. Sie versagt jedoch ebenso. Daß dem Urteil nicht zu entnehmen wäre, welche Tatsachen festgestellt wurden, es also undeutlich sei, vermag der Beschwerdeführer konkret gar nicht zu behaupten. Eine unzureichende Begründung wird aber mit den breiten Darlegungen der Beschwerde über den Widerspruch zwischen den Angaben des Zeugen P*** im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung über den Zeitpunkt, zu dem er das Fehlen seiner Brieftasche bemerkte ("unmittelbar" nach dem Vorfall - S. 78, 80 - oder etwa eine Stunde
nachher - S. 14, 15 - allerdings, so entgegen der Beschwerde, nicht ausdrücklich vor dem Untersuchungsrichter ON 4), ebenfalls nicht nachgewiesen. Wenn das Erstgericht ungeachtet einer Unstimmigkeit in den Angaben dieses Zeugen seine in der Hauptverhandlung abgelegte Aussage als widerspruchsfrei wertete, ohne auf diese Ungereimtheit näher einzugehen, so unterlief ihm damit nach Lage des Falls kein Begründungsmangel in der Bedeutung des § 281 Abs 1 Z. 5 StPO.; denn es betrifft keine entscheidende Tatsache, wann der Zeuge bemerkte, beraubt worden zu sein. Aber auch im Rahmen der Beweiswürdigung, die sich keineswegs allein auf diese Zeugenaussage, sondern auch auf weitere den Angeklagten belastende Umstände stützte (S. 89), ist es nicht von entscheidender Bedeutung, wieviel Zeit nach dem Überfall bis zur Entdeckung des Fehlens der Brieftasche verstrichen ist. Genug daran, daß der Senat keineswegs davon ausgegangen ist, daß das Opfer den Verlust seiner Brieftasche im Augenblick ihrer Wegnahme wahrgenommen hat, also Zeuge dieser Wegnahme war, sondern ihn erst später "bemerkt" hat (S. 89 oben). Darlegungen zur Beweiswürdigung haben in gedrängter Form (§ 270 Abs 2 Z. 5 StPO.) zu geschehen; unwesentliche Widersprüche, welche die Glaubwürdigkeit nicht beeinträchtigen, können dabei durchaus unerwähnt bleiben. Keine entscheidende Tatsache ist auch der Zeitpunkt der Polizeianzeige; die bloße Erwähnung in den Urteilsgründen, sie sei "daraufhin", also ohne nähere zeitliche Präzisierung, erstattet worden (S. 87), vermag keinen Begründungsmangel, insbesondere keine Undeutlichkeit der Begründung zu bewirken.
Schließlich besteht zwischen den Angaben des Zeugen P***, er habe nach dem Verlassen des Gasthauses "noch beim Vorbeigehen die Prostituierten anschauen" wollen (S. 78) und seiner angeblichen - in diesem Wortlaut aber gar nicht vorliegenden - polizeilichen Deposition, "er habe mit Prostituierten nichts im Sinne gehabt" (S. 112; in Wahrheit sagte der Zeuge nur, er wollte in Ablehnung des Vorschlags des Angeklagten, mit Prostituierten nicht ins Zimmer gehen, S. 15) überhaupt kein Widerspruch, zumal der Zeuge auch in der Hauptverhandlung betonte, an Prostituierten kein Interesse gehabt zu haben und auf keinen Fall gewillt gewesen zu sein, mit einer mitzugehen (S. 78). In Wahrheit liegt in diesen Beschwerdeausführungen, die unterstellen, der Zeuge P*** habe nach dem Zusammenstoß mit dem Angeklagten beim "Prostituiertenschauen" genügend Möglichkeiten gehabt, seine Geldbörse zu verlieren, bloß ein unzulässiger Angriff auf die im Rechtsmittelverfahren gegen schöffengerichtliche Urteile einer Anfechtung entzogene erstgerichtliche Beweiswürdigung.
In der Rechtsrüge (Z. 10) vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, daß seine Tat nur den Tatbestand des Diebstahls verwirkliche, weil es an einer räuberischen Nötigung fehle, wenn der Angriff so überraschend geschieht, daß das Opfer einen auf die weggenommene Sache bezogenen Behauptungswillen und einen Widerstandsentschluß gar nicht fassen könne. Die solcherart gesuchte Assimilierung zum Fall eines Raubes durch Entreißen einer Handtasche (vgl. u.a. Mayerhofer/Rieder 2 , ENr. 9 ff zu § 142 StGB.) geht indes fehl. Richtet sich in derartigen Fällen doch der gewaltsame Angriff unmittelbar gegen die wegzunehmende Sache; wird ein Widerstand des Opfers erst gar nicht entfaltet, so liegt, weil kein Widerstand gebrochen wird, nur Diebstahl vor. Nach den zur (rechtlichen) Beurteilung vorliegenden erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen wandte sich aber die Gewalt des Täters hier von vornherein gegen das Raubopfer selbst, das umklammert und zu Boden gezogen wurde. Wenn der Angeklagte diese von ihm gewaltsam bewirkte Behinderung seines Opfers dazu ausnützte, ihm dabei die Brieftasche zu ziehen, ohne daß dies dem Überfallenen sofort bewußt wurde, so kann von einer bloßen Wegnahme der Sache im Sinn des § 127 Abs 1 StGB. keine Rede sein.
Ebenso verfehlt ist die Bezugnahme der Beschwerde auf die bekannte Taktik von Taschendieben, ihr Opfer durch Körperkontakt abzulenken, um ihm so unbemerkt die Brieftasche ziehen zu können. Ein solcher "Körperkontakt" stellt sich eben (noch) nicht als Gewalt gegen die Person im Sinn des § 142 Abs 1 StGB. dar. Hingegen erfordert - der Beschwerde zuwider - der Tatbestand des Raubes nicht, daß das Opfer mit einem Angriff auf sein Eigentum rechnet und diesen abwehren will (vgl. hiezu auch 13 Os 179/82 u.a.). § 142 StGB. verlangt nicht den Willen des Überfallenen, sein Eigentum zu verteidigen, sondern den Vorsatz des Täters, einem anderen durch Gewalt (oder gefährliche Drohung) eine fremde bewegliche Sache wegzunehmen. Die vom Beschwerdeführer mißverständlich herangezogenen Ausführungen im Kommentar zum Strafgesetzbuch von Leukauf-Steininger 2 in RN. 22 zu § 142 StGB. beziehen sich nur auf jene - vorbehandelten - Fälle, in denen sich die Gewalt des Täters nicht unmittelbar gegen die Person des Überfallenen, sondern gegen eine Sache, etwa eine von diesem gehaltene Tasche, richtet, sodaß die Gewaltausübung als solche dem Opfer nicht zwangsläufig ins Bewußtsein treten muß. Bei physischer Gewalt gegen das Opfer selbst aber sind Feststellungen über die Deutung dieses Angriffs durch den Angegriffenen durchaus entbehrlich; ob er ihn als Raub erkannte oder für eine anders motivierte gewalttätige Attacke hielt, ist irrelevant (so schon zutreffend das Ersturteil, S. 90). Soweit der Beschwerdeführer aber seinen vom Erstgericht festgestellten Vorsatz, Gewalt zum Zweck der Sachwegnahme zu üben, negiert, führt er die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig aus.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Landesgericht verhängte über den Angeklagten nach § 142 Abs 1 StGB. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Dabei waren die auf gleicher schädlicher Neigung beruhenden (vierzehn !) Vorstrafen erschwerend; ein Milderungsumstand wurde nicht angenommen. Auch der Berufung, mit der der Angeklagte die Herabsetzung der Strafe anstrebt, ist kein Erfolg beschieden.
Unter Zugrundelegung des Unrechtsgehalts der Tat und des stark getrübten, kriminellen Vorlebens des Rechtsmittelwerbers erweist sich - bei einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren - die vom Schöffengericht gefundene Freiheitsstrafe als durchaus angemessen. Der im Berufungsverfahren unternommene Versuch, sowohl das Vorleben des immer wieder straffällig gewordenen Angeklagten, wie auch den Schuldgehalt der nunmehrigen Raubtat zu bagatellisieren, kann sich auf keine überzeugenden Argumente stützen und schlägt darum fehl. Ein Vergleich mit der "Eigentumsgroßkriminalität" (S. 119) verkennt, daß der Raub nicht bloß ein Vermögens- sondern auch ein Gewaltdelikt ist und als solches von der Rechtsordnung streng verpönt wird. Wie die Berufung aber selbst einräumt, war auch der Vermögensverlust für das Opfer hier sicher empfindlich (S. 119), was gleichfalls im Strafmaß Berücksichtigung verdient.
Anmerkung
E10256European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0130OS00149.86.1127.000Dokumentnummer
JJT_19861127_OGH0002_0130OS00149_8600000_000