TE OGH 1986/12/4 8Ob680/86

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Veröffentlicht am 04.12.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Pflegschaftssache des mj. Hannes F***, geboren am 14.Dezember 1975, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Karl F***, Installateur, Bahnsteggasse 29/2/2/8, 1210 Wien, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg als Rekursgerichtes vom 23. September 1986, GZ 5 R 248/86-22, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 22. August 1986, GZ P 58/85-19, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die am 23. Mai 1975 geschlossene Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 27.6.1985, Sch 25/85-3, nach § 55 a EheG geschieden. Mit dem im Scheidungsverfahren am 27.6.1985 geschlossenen Vergleich vereinbarten die Eltern des Minderjährigen dessen Verbleib in Pflege und Erziehung der ehelichen Mutter und die Übertragung des Rechtes, den Minderjährigen zu vertreten, an sie. Außerdem trafen sie eine Besuchsrechtsregelung. Dieser Vergleich wurde am 19. Jänner 1985 pflegschaftsbehördlich genehmigt (P 58/85-4).

Am 14.1.1986 stellte der Vater des Minderjährigen den Antrag, diesen in seine Pflege und Erziehung zu überweisen, weil der Minderjährige von seiner Mutter vernachlässigt werde. Die Mutter des Minderjährigen sprach sich gegen den Antrag aus. Das Kind sei ihr nach der Scheidung zugesprochen worden, daran dürfe sich nichts ändern; der Vater sei zur Erziehung nicht geeignet. Das Erstgericht überwies den Minderjährigen in Pflege und Erziehung seines Vaters und übertrug diesem die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen. Das Erstgericht traf über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Vor der Scheidung der Ehe der Eltern kam es am 31.3.1985 in Korneuburg zu einer Auseinandersetzung zwischenden den Eltern des Minderjährigen; im Zuge dieses Streites nötigte Karl F*** seine Frau und deren Tochter Regina F*** mit Gewalt und gefährlicher Drohung zur Unterlassung einer telefonischen Anzeige bei der Gendarmerie; dabei verletzte er seine Frau durch einen Faustschlag gegen das Kinn. Wegen dieses Vorfalles wurde er wegen §§ 105 Abs 1 und 83 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von S 9.000,- verurteilt. Als mildernd wurde dabei ua die eher triste Ehesituation und die daraus entstehenden Emotionen sowie der Umstand gewertet, daß auch eine gewisse Provokation der damaligen Ehegattin des Beschuldigten vorlag. Im Zuge dieser Auseinandersetzung ging Karl F*** jedoch gegen seinen anwesenden Sohn nicht vor. Die Mutter des Minderjährigen ist als Hausfrau tätig, arbeitssuchend und hat kein Einkommen. Der Minderjährige, ein sehr aufgewecktes und sehr kluges Kind, ist nicht verwahrlost oder ungepflegt. Er spricht sich ganz eindeutig für eine Unterbringung beim Vater aus. Es besteht bereits jetzt ein intensiver Kontakt; der Minderjährige verbringt meist einen Wochtentag sowie nahezu alle Wochenenden und Urlaubstage beim Vater. Er fühlt sich von seiner Mutter besonders im Vergleich zu seiner Halbschwester Regina ungerecht behandelt und empfindet vom Vater mehr Interess und Zuwendung. Er hat auch schon seinen Freundeskreis in der Umgebung des Vaters aufgebaut. Die Mutter lehnt weitere Kontakte mit dem Jugendamt ab und leistet weiteren Ladungen keine Folge. Auf Kontaktaufnahmen des Jugendamtes mit dem Kind reagiert sie sehr ungehalten. Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Univ.Prof.Dr. Walter Spiel ist psychiatrischpsychologisch nicht zu klären, bei wem der Minderjährige besser aufgehoben wäre. Das Jugendamt Korneuburg sprach sich gegen den Weiterverbleib des Kindes bei seiner Mutter aus und begründete dies damit, daß das Zusammenleben mit der Kindesmutter aufgrund der ablehnenden Haltung des Kindes sich schwierig gestalten dürfte. Es könnte zu Störungen in der Entwicklung des Kindes kommen. Aufgrund der Erhebungen des für den Vater zuständigen Jugendamtes sind die Verhältnisse beim Vater, der in einer 80 m 2 großen Eigentumswohnung im 21. Wiener Gemeindebezirk wohnt, geordnet; Einwände gegen die Übertragung der elterlichen Rechte an den Vater wurden nicht erhoben. Dem Minderjährigen steht in der Wohnung seines Vaters ein eigenes kleines Zimmer zur Verfügung. Der Vater ist als Installateur bei den Wiener Gaswerken tätig ung zeigt größtes Interesse an der Erziehung und dem Fortkommen des Kindes. Der Vater will den Minderjährigen ins Halbinternat zu den Schulbrüdern geben und ihn nach 17 Uhr selbst betreuen.

Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, daß die Übertragung der Elternrechte an den Vater dem Kindeswohl entspräche. Der Minderjährige spreche sich vehement für die Übertragung der Pflege und Erziehung an seinen Vater aus und sei eine Verschlechterung seiner Beziehungen zur Mutter zu befürchten, falls diese Übertragung nicht stattfinde. Es dürfe auch die Eifersucht auf die "bevorzugte" Halbschwester nicht außer Acht gelassen werden. Eine eingehende Prüfung des Vorstrafaktes sowie der Pflegschaftsakten zeige, daß sich die früheren Aggressionen des Vaters lediglich gegen seine Frau und deren Tochter, nie jedoch gegen den Minderjährigen gerichtet hätten, sodaß dem Vater die Eignung zur Übernahme der elterlichen Rechte nicht abgesprochen werden könne.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs der ehelichen Mutter Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es den Antrag des Vaters abwies. Dem Bericht der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vom 13.3.1986 sei zu entnehmen, daß von einer Verwahrlosung des Minderjährigen keine Rede sein könne und der vom Vater diesbezüglich geäußerte Verdacht ebensowenig zu verifizieren sei wie die Behauptung, die Mutter des Minderjährigen vereitle notwendige Untersuchungen des Kindes. Auch eine Drohung der Mutter, das Kind zu mißhandeln, sei nicht aktenkundig. Aus dem Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof.Dr. Walter Spiel ließe sich entnehmen, daß der Sachverständige selbst psychiatrisch-psychologisch nicht habe klären können, bei welchem Elternteil der Minderjährige besser aufgehoben wäre. Sowohl bei der Mutter wie auch beim Vater sei die nötige Pflege und Erziehung zu erwarten. Es ließe sich aus Sicht des Sachverständigen nicht sagen, daß die Erziehung bei einem der Elternteile vorzuziehen sei. Der Sachverständige verweise letztlich darauf, daß die Wohn- und Bildungsmöglichkeiten zu überprüfen seien und dann zu entscheiden sei, bei welchem der Elternteile das Fortkommen des Minderjährigen günstiger gewährleistet sei. Aus den daraufhin durchgeführten weiteren Erhebungen ergäbe sich, daß dem Minderjährigen bei seiner Mutter ein entsprechender Wohnraum zur Verfügung stehe und er auch die Schulbildung erhalten könne, die seinen Fähigkeiten entspreche. Eine Unterbringung beim Vater würde aller Voraussicht nach keine Verschlechterung diesbezüglich bedeuten. Die Wohnverhältnisse beim Vater seien etwa gleichwertig; auch für die entsprechende schulische Bildung wäre bei einer Unterbringung des Minderjährigen beim Vater gesorgt. Dies bedeute, daß auch die Wohn- und Bildungsmöglichkeiten bei beiden Elternteilen als etwa gleichwertig angesehen werden könnten. Einzig allein die Tatsache, daß das Kind mit größter Vehement den Wunsch verfolge, zu seinem Vater zu kommen, spräche für die Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten an den Vater. Daß für den Fall des Weiterverbleibes des Kindes bei der Mutter mit Störungen in seiner Entwicklung gerechnet werden müsse - wie es das Jugendamt Korneuburg vermeine - ließe sich vor allem aus dem Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof.Dr. Spiel nicht nachvollziehen. Mit einiger Sicherheit könne allerdings tatsächlich angenommen werden, daß das Kind in menschlich verständlicher Weise auf die Verweigerung seines Wunsches reagieren werde, indem es tatsächlich zumindest eine Zeit hindurch das Zusammenleben zwischen ihm und der Mutter schwierig gestalten werde. Es werde allerdings Sache des Vaters sein, im Interesse des Kindes mitzuhelfen, diese Schwierigkeiten abzubauen. Wohl werde die weitere Entwicklung des Kindes zu beobachten sein, um allenfalls in der Folge auftretende - derzeit nicht zu erwartende - psychische Störungen zu unterbinden. Nach ständiger Rechtsprechung sei ein Wechsel in der Person eines einmal rechtskräftig bestellten Erziehungsberechtigten grundsätzlich zu vermeiden, da sich ein solcher Wechsel im allgemeinen auf die Entwicklung des Kindes nachteilig auswirke. Nur wenn es im Interesse des Kindes dringend geboten erscheine, solle eine Änderung in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen vorgenommen werden; dabei sei ein strenger Maßstab anzuwenden. Da die Eltern des Minderjährigen sich mit pflegschaftsbehördlicher Genehmigung auf den Verbleib des Minderjährigen in Pflege und Erziehung der Mutter geeinigt hätten, die Verhältnisse bei beiden Elternteilen etwa gleich geblieben seien und der Wunsch des Kindes nach Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten an den Vater allein kein Grund für eine Änderung darstelle, sei dem Grundsatz der Kontinuität in der Erziehung der Vorzug zu geben und eine Änderung in den Verhältnissen nicht gerechtfertigt. Die Schwierigkeiten, die in naher Zukunft zu erwarten seien, müßten von allen Beteiligten gemeinsam gemeistert werden.

Gegen diesen Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs des ehelichen Vaters, mit dem der Antrag auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung und hilfsweise ein Aufhebungsantrag gestellt wird.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne der Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber macht in seinem Rechtsmittel vor allem geltend, daß der Minderjährige nach der Entscheidung erster Instanz zu ihm gekommen sei, nunmehr in seinem Haushalt lebe und auch in Wien die Schule besuche. Nachdem ihm die Entscheidung des Rekursgerichtes bekannt geworden sei, habe er mit Magenbeschwerden reagiert, die sogar eine Spitalsbehandlung notwendig gemacht hätten. Diese Beschwerden hätten sich als seelische Bedrängnis des Minderjährigen herausgestellt. Der Minderjährige wolle unter keinen Umständen zu seiner Mutter zurück. Im Falle seiner Rückführung zur Mutter habe er mit dem Davonlaufen gedroht und sei mit einer seelischen Störung des Minderjährigen zu rechnen.

Nach Einlangen des Revisionsrekurses trug das Erstgericht dem Sachverständigen Univ.Prof.Dr. Walter Spiel die Ergänzung des von ihm bereits erstatteten Gutachtens unter Berücksichtigung der neu hervorgekommenen Beweismittel, nämlich der Reaktion des Minderjährigen auf den Beschluß des Rekursgerichtes und der Krankengeschichte des Mautner Markhof'schen Kinderspitals dahin auf, ob nicht doch bei einem Verbleib bzw. der Rückführung des Minderjährigen bei bzw. zur Kindesmutter eine Störung dessen seelischen Entwicklung zu befürchten sei (ON 24 dA). Nach Einlangen dieses ergänzenden Gutachtens ordnete das Erstgericht den Verbleib des Minderjährigen beim ehelichen Vater bis zur Entscheidung über den Revisionsrekurs an. Wie das im "Zwischenverfahren" eingeholte Gutachten zeige, habe der Minderjährige "erwartungsgemäß" mit körperlichen Störungen reagiert, wobei im Falle einer Rückführung zur Mutter Schäden des Kindes nicht ausgeschlossen werden könnten. Es sei daher zum Schutz des Minderjährigen von Amts wegen die vorliegende Provisorialentscheidung zu treffen gewesen. Bei der Beurteilung des vorliegenden Revisionsrekurses ist vorerst davon auszugehen, daß die im Revisionsrekurs geltend gemachten Umstände Äußerungen eines Zustandes des Minderjährigen darstellen, der jedenfalls schon zur Zeit der Entscheidung erster Instanz vorlag. Reaktionen, die nach der Entscheidung erster Instanz auftraten und in dieser psychischen Situation des Minderjährigen ihre Wurzel haben, müssen daher im Rahmen eines ordentlichen Revisionsrekurses als die wohlverstandenen Interessen des Minderjährigen berührend, jedenfalls berücksichtigt werden (§ 10 AußStrG).

Dem Rekursgericht ist wohl darin beizupflichten, daß eine Änderung der durch den pflegschaftsbehördlich genehmigten Ehescheidungsvergleich begründeten Zuteilung der Elternrechte nur dann zulässig ist, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten und dabei ein strenger Maßstab anzuwenden ist (EFSlg. 45.846, 43.324 ua). Den vom Erstgericht nach Erhebung des Revisionsrekurses durchgeführten Erhebungen ist zu entnehmen, daß der Minderjährige aufgrund der den erstgerichtlichen Beschluß abändernden Entscheidung des Rekursgerichtes Reaktionen an den Tag gelegt hat, die bei der Beurteilung der hier zu lösenden Fragen nicht unbeachtet bleiben dürfen. Das Erstgericht hat wohl versucht, durch eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens Klarheit zu schaffen; das ergänzende Gutachten wurde vom Sachverständigen jedoch nur aufgrund der Aktenlage erstattet. Wesentliche Fragen mußten vom Sachverständigen offen gelassen werden. So konnte der Sachverständige etwa die ihm doch wesentlich erscheinende Frage nicht beantworten, ob und in welchem Ausmaß der eheliche Vater allenfalls an der vom Minderjährigen gezeigten Entwicklung ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung trifft und ob der vom Minderjährigen unternommene Versuch, seinen Wunsch "mit einer großen Sturheit" durchzusetzen, auf einer unbewußten psychosomatischen Grundlage beruht und welche Bedeutung diesem Verhalten in Zukunft beizumessen ist. Der Sachverständige wies auch in einer besonders eindringlichen Weise auf die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines effektiven Kontaktes zwischen dem Minderjährigen und seiner Mutter hin und auf die Rolle, die dem ehelichen Vater dabei zukommen müßte. Auf all diese Fragen ist das Erstgericht im Rahmen seiner Provisorialentscheidung vom 25. November 1986 - offensichtlich wegen deren Dringlichkeit - nicht eingegangen. Mangels entsprechender Feststellungen des Erstgerichtes ist eine abschließende Beurteilung des vom ehelichen Vater hier gestellten Antrages nicht möglich und eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen unvermeidlich. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren mit den Beteiligten die vom Sachverständigen aufgeworfenen Fragen zu erörtern, dazu allenfalls weitere Beweise aufzunehmen und entsprechende Feststellungen zu treffen haben. Erst dann wird beurteilt werden können, ob der vom Vater beantragten und zwischenweilig - wie dem Revisionsrekurs weiters zu entnehmen ist - auch tatsächlich vorgenommenen Änderung der Verhältnisse im wohlverstandenen Interesse des Minderjährigen Berechtigung zukommt. Es war daher dem Revisionsrekurs Folge zu geben und dem Erstgericht nach Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen die neue Verhandlung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Anmerkung

E10069

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00680.86.1204.000

Dokumentnummer

JJT_19861204_OGH0002_0080OB00680_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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