TE OGH 1986/12/4 8Ob674/86

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Veröffentlicht am 04.12.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache Elfriede M***, geboren am 13. Jänner 1945, 5020 Salzburg, St. Julienstraße 2, infolge Revisionsrekurses des Kollisionskurators Dr. Erich Paumgartner, Richter des Bezirksgerichtes Salzburg, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes vom 18. September 1986, GZ. 33 R 657/86-52, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 10. Juli 1986, GZ. 4 Sw 142/84-50, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Mit Antrag vom 4. Juli 1986 begehrte der Sachwalter Dr. Herbert S*** seine Enthebung von der Personensorge für die am 23. Juni 1983 wegen Geisteskrankheit beschränkt entmündigte und nunmehr gemäß § 273 Abs 3 Z 2 ABGB unter Sachwalterschaft stehende, am 13. Jänner 1945 geborene Elfriede M***. Er brachte dazu vor, daß sich die Betroffene schon seit jeher ablehnend ihm gegenüber verhalte und jeden Kontakt ablehne. Sie schicke sämtliche Briefe ungeöffnet zurück und ignoriere die über sie verfügte Sachwalterschaft völlig. Sie wohne noch immer in ihrer Wohnung, Salzburg, St. Julienstraße 2, Top. 701 und es sei nicht abzusehen, wann sie diese auf Grund der am 29. Jänner 1986 eingebrachten Räumungsklage werde räumen müssen. Weiters sei es unmöglich, ihr das Taschengeld regelmäßig und persönlich auszuhändigen, sodaß dieses auf ein Konto bei der Volksbank per Dauerauftrag überwiesen werde.

Durch die von der Betroffenen an den Tag gelegte hartnäckige Ignoranz sei es unmöglich, ihr eine wie immer geartete Hilfestellung anzubieten bzw. die nötige soziale und ärztliche Betreuung sicherzustellen. Aus diesem Grunde lehne der Sachwalter die weitere Verantwortung aus der Pflicht zur Personensorge ab und stelle den Antrag, ihn davon zu entheben.

Das Erstgericht wies den Enthebungsantrag des Sachwalters ab. Es stellte dazu fest, daß die nunmehr 41-jährige, beschränkt entmündigte Pflegebefohlene an einer Paranoia erkrankt ist, die eine Beeinträchtigung ihres formalen Denkvermögens und des Antriebs zur Folge hat. Die Kurandin hatte auch die ihr seinerzeit zum Beistand bestellte Rechtsanwältin Dr. Ingrid S*** von Anfang an völlig abgelehnt. Elfriede M*** hat die beschränkte Entmündigung für sich nicht gelten lassen und die Annahme jedweder Hilfeleistung verweigert; am 22. Mai 1984 hat sie selbst auch einen Antrag auf Aufhebung der beschränkten Entmündigung gestellt. Unter gleichzeitiger Enthebung von Dr. Ingrid S*** wurde mit Beschluß vom 25. Jänner 1985 (ON 35) Dr. Herbert S*** zum Sachwalter bestellt und dessen Aufgabenkreis gemäß § 273 Abs 3 Z 2 ABGB dahingehend festgelegt, daß es nunmehr für die Verwaltung des Einkommens und Vermögens, für die Vertretung in Wohnungsfragen und gegenüber Behörden zuständig ist. Auch Dr. S*** gegenüber lehnt Elfriede M*** jedoch den Kontakt ab und ignoriert die Sachwalterschaft, sodaß auf diese Weise die bisherige Betreuung durch den Sachwalter größtenteils vereitelt wird.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß trotz dieser schwierigen Betreuungssituation eine Enthebung von der Personensorge nicht möglich sei. Die Personensorge sei gemäß § 282 zweiter Satz ABGB eine jeden Sachwalter treffende Pflicht, die ihn anhalte, die soziale und ärztliche Versorgung seines Pflegebefohlenen sicherzustellen. Diese Pflicht sei ihm schon allein durch Gesetz auferlegt, bedürfe also keiner weiteren beschlußmäßigen Feststellung bzw. Umschreibung oder Abgrenzung und stelle daher einen dem Sachwalterbegriff immanenten Bestandteil dar. Wenn es im letzten Halbsatz des § 282 ABGB heiße, "soweit das Gericht nichts anderes bestimmt", so sei darunter zu verstehen, daß das Gericht die nähere Ausgestaltung bzw. eine punktuelle Einschränkung der Personensorge anordnen könne. Dies beinhalte jedoch nicht eine gänzliche Enthebung von der Pflicht der Personensorge, da ansonsten das Wesen der Sachwalterschaft im Kern und gegen die Intention des Gesetzes wesentlich verändert würde. Trotz größter Schwierigkeiten werde der Sachwalter daher angehalten sein, es immer wieder zu versuchen, mit der Pflegebefohlenen in Kontakt zu treten, sich von ihrem Allgemeinzustand zu informieren und für sie die nötige soziale und ärztliche Versorgung sicherzustellen.

Enfolge Rekurses des Sachwalters hob das Gericht zweiter Instanz den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Rekursgericht widersprach der Auffassung des Erstgerichtes, daß eine gänzliche Enthebung von der Personensorge gegen das Wesen der Sachwalterschaft verstoßen würde. Es seien sowohl Fälle denkbar, in denen eine Personensorge nicht erforderlich sei, weil der Behinderte für seine Person selbst sorgen könne und dies auch tue, jedoch andere Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst besorgen könne. Es kämen aber auch Fälle vor, in denen eine Personensorge erforderlich, jedoch anderweitig sichergestellt sei z. B. durch die Familie oder Einrichtungen der Behindertenhilfe. Schließlich kämen auch Fälle vor, in denen die Personensorge nicht durchführbar sei, z.B. wenn ein Behinderter sich der Betreuung entziehe und unbekannten Aufenthaltes sei. Der Sinn der von § 282 ABGB dem Gerichte gegebenen Ermächtigung gehe dahin, die Personensorge dem Einzelfall anzupassen, was unter Umständen auch eine Enthebung einschließe. Im vorliegenden Fall liege aber nicht eine völlige Unmöglichkeit, sondern nur eine Erschwernis der Personensorge vor. Allerdings sei derzeit ungeklärt, in welchem Ausmaß Elfriede M*** eine Personensorge benötige. Nach der Aktenlage und dem bisherigen Verlauf der Sachwalterschaft scheine sie ihre täglichen Bedürfnisse aus dem ihr übergebenen Geld selbst befriedigt zu haben und dabei nicht auffällig geworden zu sein. Bei ihrer letzten psychiatrischen Untersuchung habe sie einen gepflegten Eindruck gemacht. Ob die Wohnung von ihr in gutem Zustand gehalten werde oder verwahrlost sei, sei unbekannt, ebenso ob eine laufende ärztliche Betreuung bei der gegebenen Erkrankung notwendig oder zweckmäßig sei, ob sie bestehe oder von Frau M*** verweigert werde. Lediglich eine einzige Aufnahme in die Landesnervenklinik sei aktenmäßig festgehalten, vom 8. bis 10. Jänner 1986, wobei ebenfalls nicht feststehe, ob die Behinderte öffentlich auffällig wurde oder selbst gefährdet war oder im Zuge einer laufenden ordnungsgemäßen ärztlichen Betreuung zu einer besonderen Behandlung eingewiesen wurde. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, werde feststehen, in welchem Umfang Frau M*** Personensorge benötige. Diese Fragen werden durch gerichtliche Vernehmung der Behinderten, Einholung der Krankengeschichte, allenfalls Befragung von Nachbarn und Wohnungsbesichtigung zu klären sein. Es werde Sache des Erstgerichtes sein, dem Sachwalter entsprechende Ermächtigungen, z. B. zum Betreten der Wohnung auch gegen den Willen der Behinderten zu erteilen. Im übrigen könne eine Personensorge nur nach den jeweiligen konkreten Möglichkeiten ausgeübt und durch das Verhalten eines Behinderten entsprechend erschwert und eingeschränkt werden. Der Sachwalter sei zu einer sorgfältigen Ausübung der Personensorge verpflichtet, schulde aber keinen Erfolg. Das Erstgericht werde daher aus Anlaß des Enthebungsantrages die Personensorge mit dem Sachwalter zu erörtern, die entsprechenden Erhebungen vorzunehmen oder zu veranlassen und dann neuerlich zu entscheiden haben. Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs des vom Erstgericht bestellten Kollisionskurators für die Betroffene mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Der Kollisionskurator führt aus, daß die im § 282 ABGB dem Sachwalter auferlegte Pflicht zur Personensorge ein immanenter Bestandteil jedweder aufrechten Sachwalterschaft sei, unabhängig davon, ob nun der Betroffene gerade dieser Personensorge bedürfe oder nicht. Diese gesetzliche Anordnung solle nämlich insbesondere auch sicherstellen, daß die Personensorge durch den Sachwalter jederzeit zum Tragen kommen könne, ohne daß es hiezu eines eigenen Verfahrens zur Feststellung der tatsächlichen Notwendigkeit einer solchen konkreten Maßnahme bedürfte. Diese Bestimmung habe also auch eine wesentliche Bedeutung im Sinne einer Verhinderung von Nachteilen, die dem Betroffenen im Falle der Notwendigkeit einer raschen ärztlichen oder soziale Betreuung erwachsen könnten, wenn es hiezu eines gesonderten Verfahrens bedürfte. Nach der klaren Absicht des Gesetzgebers könne somit bei aufrechter Sachwalterschaft eine Enthebung des Sachwalters von seiner im § 282 ABGB normierten Verpflichtung zur Personensorge niemals erfolgen.

Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 282 zweiter Satz ABGB hat der Sachwalter einer behinderten Person auch die erforderliche Personensorge, besonders auch die ärztliche und soziale Betreuung, sicherzustellen, soweit das Gericht nicht anderes bestimmt. Es gehört somit zu den Aufgaben eines Sachwalters einer behinderten Person - im Sinne einer zeitgemäßen, nicht nur das Vermögen, sondern auch die Person eines Behinderten umfassenden Rechtsfürsorge - auch die Sicherstellung der erforderlichen Personensorge (vgl. RV 20, 742 BlgNR 15. GP, Maurer, Sachwalterrecht, Anm. 6 zu § 282 ABGB). Das Gericht ist hiebei nicht nur auf die bloße Überwachung beschränkt, sondern es kann dem Sachwalter von Amts wegen oder auf dessen Antrag auch allgemeine Weisungen über die Art der Personensorge erteilen (Maurer aaO, Anm. 9 zu § 282 ABGB). Die Regelung der Personensorge unter den Rechten und Pflichten des Sachwalters (§ 282 ABGB) und nicht etwa in § 273 Abs 3 ABGB, der die Art und den Umfang der Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen durch den Sachwalter regelt, spricht nach Ansicht des erkennenden Senates dafür, daß der Gesetzgeber die objektiv erforderliche Personensorge für die behinderte Person im Sinne einer zeitgemäßen, nicht nur das Vermögen, sondern auch die Person des Behinderten umfassenden Rechtsfürsorge (RV 20), bei jeder Bestellung eines Sachwalters gesichert wissen wollte und nicht nur bei einer Bestellung zur Besorgung aller Angelegenheiten im Sinn des § 273 Abs 3 Z 3 ABGB. Das Abstellen auf die erforderliche Personensorge im zweiten Satz des § 282 ABGB läßt ja eine weitgehende Anpassung an die konkreten Erfordernisse des Einzelfalles zu und schließt nicht aus, daß etwa in den Fällen des § 273 Abs 3 Z 1 oder Z 2 ABGB nur eine ganz geringfügige oder unter Umständen auch gar keine Personensorge objektiv erforderlich ist. Wie das Rekursgericht zutreffend ausführte, kann eine Personensorge ohnehin nur im Rahmen der jeweiligen konkreten Möglichkeiten ausgeübt und durch das Verhalten eines Behinderten erschwert, allenfalls sogar vereitelt werden. In einem solchen Falle wird das Gericht durch geeignete Maßnahmen den Sachwalter bei der pflichtgemäßen Durchführung der objektiv erforderlichen Personensorge zu unterstützen haben. Einem gänzlichen generellen Ausschluß der Personensorge bei Bestellung eines Sachwalters bzw. einer generellen Enthebung des Sachwalters von der Personensorge steht aber nach der Auffassung des erkennenden Senates nicht nur der Wortlaut der Vorschrift des § 282 ABGB entgegen ("der Sachwalter einer behinderten Person hat...") sondern auch der Zweck der Vorschriften über die Sachwalterschaft, nämlich den Schutz eines Behinderten vor Nachteilen, sei es an seinem Vermögen oder an seiner Person zu gewährleisten.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Anmerkung

E09870

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00674.86.1204.000

Dokumentnummer

JJT_19861204_OGH0002_0080OB00674_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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