TE OGH 1986/12/16 2Ob717/86

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Veröffentlicht am 16.12.1986
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Maria HAT, geboren am 26. Juli 1968, infolge Revisionsrekurses des B*** W*** gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 16. Jänner 1986, GZ. 43 R 868/85-153, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 4. November 1985, GZ. 3 P 73/75-149, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Mit Beschluß vom 29.1.1985 stellte das Erstgericht die der minderjährigen Maria HAT gewährten Unterhaltsvorschüsse rückwirkend mit 30.8.1984 ein. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien beantragte, das Kind, den gesetzlichen Vertreter des Kindes, die Mutter des Kindes und hilfsweise den Unterhaltsschuldner zur Zahlung der in der Zeit vom 1.9.1984 bis 31.1.1985 zu Unrecht ausgezahlten Beträge von S 3.000,-- zu verpflichten.

Auf Grund des Rekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien bestätigte das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes, soweit der Ersatzanspruch gegen die Minderjährige abgewiesen wurde, und änderte den Beschluß im übrigen dahin ab, daß "die S*** W*** (Bezirksjugendamt für den 3. Bezirk)" und die Mutter zur ungeteilten Hand schuldig seien, der Republik Österreich den Betrag von S 3.000,-- binnen drei Monaten ab Rechtskraft des Beschlusses zu bezahlen. Hinsichtlich des Einhebungskurators führte das Gericht zweiter Instanz aus, die mit 18.1.1985 datierte, beim Erstgericht am 23.1.1985 eingelangte Anzeige gemäß § 21 UVG sei verspätet erfolgt. Wie der Einhebungskurator im Schriftsatz ON 148 ausgeführt habe, sei er von der Mutter bereits im August 1984 vom Dienstverhältnis der Minderjährigen unterrichtet worden. Diese Information allein hätte zu einer Mitteilung nach § 21 UVG an das Gericht verpflichtet. Schon diese Unterlassung der rechtskundigen Behörde sei im Sinne des § 22 Abs 1 UVG als grob fahrlässig anzusehen. Auch die weiters dazu geschilderten Umstände vermögen das Verhalten des Einhebungskurators nicht zu entschuldigen. Diesen Ausführungen zufolge habe der Einhebungskurator von der von der Mutter genannten Dienstgeberfirma eine Auskunft über das Einkommen verlangt; diese sei jedoch zufolge eines Kommunikationsfehlers bei einer anderen Firma, die sie unbeantwortet gelassen habe, eingelangt. Die neuerliche, richtig adressierte Anfrage sei mit 11.1.1985 datiert, sei also mehr als vier Monate nach der ersten ergangen. Dies lasse nur den Schluß zu, daß die Beantwortung der ersten Auskunft in grob fahrlässiger Weise nicht ausreichend überwacht worden sei (etwa durch eine Kalenderverfügung); ansonsten sei nicht erklärbar, daß die zweite Auskunft, die dann zur Anzeige gemäß § 21 UVG geführt habe, erst vier Monate später ergangen sei. § 21 UVG verpflichte, alle für den materiellen Bestand der Unterhaltspflicht wesentlichen Umstände dem Gericht mitzuteilen. Das Bestehen eines Dienstverhältnisses des Minderjährigen werde im allgemeinen immer als ein solcher Tatbestand zu werten sein. Der Mitteilungspflichtige sei an sich nicht verhalten, den wahren Sachverhalt zu erforschen; die dahingehende Aufgabenstellung obliege dem Gericht. Sicher bestehe kein Einwand, wenn dahingehende Bemühungen, insbesondere vom Einhebungskurator, dem dazu die Mittel, die ihm als Behörde gegeben seien, zur Verfügung stünden, unternommen würden, doch dürfe eine dahingehende Arbeit die Mitteilung an das Gericht nicht verzögern. Gegen diesen Beschluß erhob zunächst das Bezirksjugendamt für den

3. Bezirk Rekurs. Es wurde ausgeführt, die Mutter habe den zuständigen Sachbearbeiter am 8.8.1984 telefonisch in Kenntnis gesetzt, daß die Minderjährige eine Lehrstelle erhalten habe. Daß es sich hiebei um eine Hilfsarbeitertätigkeit gehandelt habe, habe sich erst später herausgestellt. An dem erwähnten Tag seien die persönlichen Umstände für den Sachbearbeiter erschwert gewesen. Von fünf Sachbearbeitern seien nur drei anwesend gewesen, ein weiterer sei in Ausbildung gestanden und habe ebenfalls vertreten werden müssen. Das Telefongespräch mit der Mutter sei während des Parteienverkehrs erfolgt, worauf der Kommunikationsfehler zurückzuführen sei. Auch die mangelnde Terminsetzung sei unter Beachtung der Gesamtsituation zur Zeit des Telefonates zu betrachten. Die Verletzung der Mitteilungspflicht sei daher subjektiv erklärbar und könne nicht als grob fahrlässig angesehen werden.

Dieser Revisionsrekurs wurde mit Beschluß vom 17.6.1986, 2 Ob 577/86, zurückgewiesen, weil das Bezirksjugendamt weder im eigenen Namen rekursberechtigt, noch legitimiert ist, das B*** W*** in dieser Angelegenheit zu vertreten.

Nunmehr erhebt das B*** W***, nachdem ihm die Entscheidung des Rekursgerichtes zugestellt wurde, Revisionsrekurs.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluß des Rekursgerichtes wurde dem B*** W*** am 14.8.1986 zugestellt, der Revisionsrekurs langte auf dem Postweg am 29.8.1986 beim Erstgericht ein. Das Postaufgabedatum konnte zwar nicht festgestellt werden, der Revisionsrekurs ist jedoch als rechtzeitig zu betrachten, weil ein Rechtsmittel im Zweifel die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich hat (SZ 46/86).

Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Mit Recht rügt die Rechtsmittelwerberin, daß sie am Verfahren erster Instanz nicht beteiligt wurde, sondern nur das Bezirksjugendamt für den 3.Bezirk, das nicht vertretungsbefugt war.

Schon aus diesem Grund ist eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen notwendig. Dazu kommt, daß auch den Ausführungen des Revisionsrekurses über grobe Fahrlässigkeit Berechtigung nicht abgesprochen werden kann.

Entgegen der Ansicht des B*** W*** ist unter dem gesetzlichen Vertreter im Sinne des § 22 Abs 1 UVG auch die als besonderer Sachwalter gemäß § 9 Abs 2 UVG einschreitende Bezirksverwaltungsbehörde zu verstehen (SZ 55/24; Österreichischer Amtsvormund 1985, 149). Entscheidend ist aber, ob dem Sachbearbeiter in diesem konkreten Fall grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist. Hiebei ist davon auszugehen, daß grobe Fahrlässigkeit dann vorliegt, wenn der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar war, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommen kann und nach den Umständen auch wohl die Vermutung des bösen Vorsatzes naheliegt (EFSlg 46.518 mwN). Wenn auf Grund des Telefonanrufes der Mutter nicht klar war, in welcher Eigenschaft die Minderjährige beschäftigt ist und welches Einkommen sie bezieht, konnte der Sachbearbeiter nicht wissen, ob die Voraussetzungen für die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse tatsächlich weggefallen sind, zumal dies bei Bezug einer Lehrlingsentschädigung nicht der Fall sein muß (EFSlg 46.548). Es kann daher nicht als grob fahrlässig angesehen werden, daß nicht sofort eine Meldung an das Gericht, sondern eine Anfrage an den Dienstgeber erfolgte. Allerdings hätte das Einlangen einer Antwort überwacht werden müssen. Obwohl dies nicht geschehen ist, wäre grobe Fahrlässigkeit zu verneinen, wenn besondere Umstände vorgelegen wären, die die Versäumnis des Sachbearbeiters entschuldbar erscheinen ließen.

Es ist daher nicht nur erforderlich, das B*** W*** am Verfahren zu beteiligen, sondern auch, die näheren Umstände anläßlich der Verständigung des Sachbearbeiters durch die Mutter und der Anfrage an den Dienstgeber zu prüfen.

Aus diesen Gründen mußten die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben werden.

Anmerkung

E09769

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00717.86.1216.000

Dokumentnummer

JJT_19861216_OGH0002_0020OB00717_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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