TE OGH 1986/12/16 2Ob32/86

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Veröffentlicht am 16.12.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Olga V***, Hausfrau, 3133 Traismauer, Stollhofen 27, vertreten durch Dr. Ferdinand Weber, Rechtsanwalt in Krems, wider die beklagte Partei V*** DER V*** Ö***, 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 3, vertreten durch Dr. Karl Stockreiter, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 727.780,38 und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24. April 1986, GZ 15 R 46/86-84, womit infolge Berufung der klagenden und beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Krems/Donau vom 31. Oktober 1985, GZ 4 Cg 24/81-72, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat der beklagten Partei die mit S 19.091,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.517,40 Umsatzsteuer und S 2.400,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde am 22. Jänner 1980 um ca. 15.50 Uhr in Krems auf der Kreuzung der Wachaustraße mit der Austraße als Radfahrerin von einem von Stefan G*** gelenkten LKW, für dessen ausländischen Versicherer die beklagte Partei eintritt, zu Boden gestoßen und schwer verletzt. Sie behauptet das Alleinverschulden des Stefan G*** am Unfall wegen Vorrangverletzung und erhebt Schadenersatzansprüche in der Höhe von S 839.080,38 sA sowie ein Feststellungsbegehren. Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung, weil die Klägerin auf der Kreuzung wartepflichtig gewesen und dem Lenker des LKW kein Verschulden am Unfall anzulasten sei.

Das Erstgericht sprach der Klägerin einen Betrag von S 592.971,45 sA unter Abweisung des Leistungsmehrbegehrens zu und stellte die Haftung der beklagten Partei für die zukünftigen Schäden der Klägerin aus dem gegenständlichen Unfall im Rahmen der Haftpflichtversicherungssumme fest.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht, dagegen jener der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung wendet sich die auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß das erstgerichtliche Urteil im klagsstattgebenden Ausspruch wiederhergestellt, im klagsabweisenden Teil dagegen aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht, allenfalls an das Erstgericht, zurückverwiesen werde.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Nach den Feststellungen des erstgerichtlichen Urteils weist die von Stefan G*** mit dem LKW bei seiner Annäherung an die Kreuzung mit der Austraße benützte Fahrbahn der Wachaustraße drei Fahrstreifen auf. Rechts schließt an die Fahrbahn ein mit Bäumen besetzter Grünstreifen und sodann ein Radweg an, auf welchem die Klägerin mit ihrem Fahrrad ebenfalls in Richtung der Kreuzung fuhr. Stefan G*** beabsichtigte, vom ersten Fahrstreifen nach rechts in die Austraße einzubiegen, die Klägerin wollte die Kreuzung "parallel zum Schutzweg" übersetzen und sodann auf dem dort vorhandenen Radfahrstreifen in Richtung Wachaubrücke weiterfahren. Sie näherte sich mit ca. 15 km/h Fahrgeschwindigkeit und fuhr, als die Verkehrsampel grünes Licht zeigte und der Querverkehr angehalten hatte, in die Kreuzung ein. Währenddessen bog Stefan G*** mit dem LKW unter Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von rund 23 km/h nach rechts ein und es kam 3,4 m innerhalb der Kreuzung zum Zusammenstoß der Fahrzeuge und zum Sturz der Klägerin, wobei sie vom LKW überrollt wurde. Als Stefan G*** 15 m vor der Unfallsposition war, befand sich die Klägerin 11,7 m vor dieser auf dem Radweg und G*** hätte sie im Außenspiegel wahrnehmen können.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, der von der Klägerin befahrene Radweg stelle keine Nebenfahrbahn und damit keine Verkehrsfläche nach § 19 Abs 6 StVO 1960 dar, sodaß ihr der Vorrang gegenüber dem von Stefan G*** gelenkten LKW zugekommen sei. Somit treffe den LKW-Lenker das Alleinverschulden am Unfall. Der Höhe nach hielt es aus den im einzelnen angeführten Gründen die Klagsansprüche im Gesamtbetrag von S 592.971,45 sA für gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht verwies darauf, daß nach den erstgerichtlichen Feststellungen auf der Kreuzung selbst kein Radweg oder Radfahrstreifen vorhanden sei und sich ein Radfahrstreifen erst jenseits der Kreuzung in Richtung Wachaubrücke befinde. Es stellte auf Grund der Auskunft des Magistrates der Stadt Krems, ON 27, ergänzend fest, daß der von der Klägerin zunächst benützte, "an der Fahrbahn der querenden Austraße endende" Radweg zur Unfallszeit mit dem Vorschriftszeichen nach § 52 Z 16 StVO 1960 gekennzeichnet gewesen sei. Rechtlich vertrat es die Ansicht, daß die Klägerin im Sinne der zur Unfallszeit geltenden Fassung des § 68 Abs 2 StVO 1960 ("Radfahrer dürfen beim Einbiegen vom Radweg oder Radfahrstreifen auf die Fahrbahn andere Straßenbenützer weder gefährden noch behindern") den Stefan G*** mit dem von ihm gelenkten LKW nicht hätte behindern dürfen und diesem gegenüber im Ergebnis wartepflichtig gewesen sei, wie dies in der nunmehrigen Fassung des § 68 Abs 2 StVO 1960 ("Radfahrer sind beim Einbiegen von Radfahrstreifen, Radwegen oder Rad- und Gehwegen auf die Fahrbahn wartepflichtig im Sinne des § 19 Abs 7 StVO 1960") ausdrücklich vorgesehen und in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 10/85 auch zur früheren Fassung dieser Gesetzesbestimmung bereits ausgesprochen worden sei. Daran änderten die Bestimmungen des § 38 StVO 1960, insbesonders dessen Absatz 5

(richtig: 4), nichts, denn auch grünes Licht in Fahrtrichtung beider Unfallsbeteiligter habe die Klägerin nicht berechtigt, entgegen § 68 Abs 2 StVO 1960 in die Kreuzung ohne Bedachtnahme auf den LKW einzufahren, zumal sie den Fußgängerübergang nicht benützen habe dürfen, und auch tatsächlich nicht benützt habe. Auf einen Aufmerksamkeits- oder Reaktionsfehler des Stefan G*** habe die Klägerin dessen Verschulden in erster Instanz nicht gegründet. Lediglich wegen der teilweise gegebenen Sicht auf die Radfahrerin sei G*** auch noch nicht zu ihrer besonderen Beobachtung verpflichtet gewesen, vielmehr habe er die Fahrbahn und einen allfälligen Fußgängerverkehr auf dem Schutzweg beachten müssen. Daß die Klägerin als Wartepflichtige in die Fahrbahn einfahren würde, habe er auch nicht vorhersehen können. Somit falle ihm kein Verschulden am Unfall zur Last und die Haftung der beklagten Partei für die Unfallschäden der Klägerin sei zu verneinen. In der Revision behauptet die Klägerin, der von ihr befahrene Radweg setze sich - ohne daß dies festgestellt worden sei - auch jenseits der Kreuzung, und zwar ohne neuerliche "Beschilderung", fort und sei auch im Kreuzungsbereich, wenngleich ohne entsprechende Bodenmarkierung, rechtlich vorhanden. Von einem "Einbiegen" vom Radweg in die Fahrbahn, welches eine "Bogenfahrt" voraussetze, könne überhaupt nicht die Rede sein. § 68 Abs 2 StVO 1960 alter und neuer Fassung verstehe unter dem verwendeten Begriff "Einbiegen" keinesfalls eine "gerade Weiterfahrt". Somit sei die Bestimmung des § 19 Abs 7 StVO 1960 hier nicht anwendbar. Da die Klägerin nicht aus einer Nebenfahrbahn gekommen sei, habe sie bei Grünlicht die Kreuzung jedenfalls übersetzen dürfen, dagegen sei Stefan G*** gemäß § 11 StVO 1960 verpflichtet gewesen, sich zu überzeugen, ob seine Änderung der Fahrtrichtung ohne Gefährdung anderer Straßenbenützer möglich sei. Im übrigen sei keine hinreichende Feststellung darüber getroffen worden, ob dem Stefan G*** im Hinblick auf seine unzureichende Beobachtung und Reaktion ein Mitverschulden am Unfall treffe. Da der Unfallshergang von der Klägerin "dargestellt und damit behauptet" worden sei, hätte eine rechtliche Würdigung auch in dieser Richtung eines Mitverschuldens vorgenommen werden müssen.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Die Behauptung der Revisionswerberin, der Radweg setze sich jenseits der Kreuzung fort, ist feststellungswidrig und rechtlich unerheblich. Zutreffend geht die Revisionswerberin davon aus, daß im Kreuzungsbereich eine Markierung eines Radweges oder einer von den auf dem Radweg zur Kreuzung herankommenden Radfahrern zu benützenden Verkehrsfläche auf der Kreuzung selbst nicht vorhanden ist. Die Ansicht, daß dennoch "rechtlich" ein solcher Radweg auch auf der Kreuzung existiere, kann nicht geteilt werden.

Nach der zur Unfallszeit geltenden Fassung des § 68 Abs 2 StVO 1960 durften Radfahrer beim Einbiegen vom Radweg bzw. Radfahrstreifen auf die Fahrbahn andere Straßenbenützer nicht gefährden oder behindern. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist es dabei gleichgültig, ob ein Einbiegen in die gleiche Fahrtrichtung oder ein Überqueren einer Fahrbahn vorliegt (vgl. Anm. 10 zu § 68 in Dittrich-Veit-Schuchlenz, StVO 1960 3 ; Haupfleisch in ZVR 1983, 232, Pkt.6.7.3.; ZVR 1976/217; 2 Ob 361/70, 2 Ob 10/85). Auch die Erläuternden Bemerkungen zu dieser Fassung des § 68 Abs 2 StVO 1960 haben darauf hingewiesen, daß hier unter Einbiegen auch ein Einordnen in den fließenden Verkehr zu verstehen sei.

Der Argumentation, die Klägerin habe im Hinblick auf das in ihrer Fahrtrichtung aufleuchtende Grünlicht die Kreuzung jedenfalls übersetzen dürfen, ist zu entgegnen:

Eine besondere Regelung des Falles findet sich in keiner Bestimmung, insbesondere auch nicht in jener des § 38 Abs 4 StVO 1960. In dieser war in der zur Unfallszeit geltenden Fassung normiert, daß bei Grünlicht grundsätzlich weiter zu fahren, beim Einbiegen die Benützer freigegebener Fahrstreifen nicht behindert oder gefährdet werden dürfen und entgegenkommenden, geradeaus fahrenden oder nach rechts abbiegenden Fahrzeugen der Vorrang zu geben ist, schließlich, daß Fußgänger, welche die Fahrbahn im Sinne der Regelung des § 76 Abs 3 StVO 1960 überqueren, ebenfalls nicht behindert oder gefährdet werden dürfen. Eine Bedachtnahme auf Radfahrer, welche einen an der ampelgeregelten Kreuzung endenden - allenfalls jenseits der Kreuzung fortgesetzten - Radweg benützt hatten und beabsichtigten, die Kreuzung zu überqueren, ist also nicht erfolgt.

In der zwischenzeitig durch die 10. StVO-Novelle erfolgten Neufassung des § 68 Abs 2 StVO 1960 ist den von Radwegen und Radfahrstreifen einbiegenden Radfahrern eine ausdrückliche Wartepflicht gegenüber einbiegenden Fahrzeugen nach § 19 Abs 7 StVO 1960 auferlegt worden. Zur Frage, was im Falle einer ampelgeregelten Kreuzung gilt, enthält der Gesetzestext auch jetzt keinen ausdrücklichen Hinweis. Haupfleisch, aaO, verweist darauf, der in der Regierungsvorlage zur 10. StVO-Novelle enthaltene Vorschlag, in Verlängerung der Radwege einen Radfahrerschutzweg auf der Kreuzung einzuführen, welchem im wesentlichen die Bedeutung von Schutzwegen für Fußgänger zukommen sollte, sei ausführlich diskutiert, von den Verkehrsfachleuten aber im Interesse der Radfahrer abgelehnt worden. Eine Regelung, Radfahrschutzwege nur im Zusammenhang mit Verkehrsampeln zu installieren, sei dagegen an den hohen Kosten gescheitert. Deswegen bleibe als juristisch nicht definiertes Faktum, daß Radwege meist auch über eine querende Fahrbahn mit unterbrochenen gelben Linien markiert würden, ohne daß dies unmittelbare Rechtswirkung hätte.

In dem Falle der von den Unterinstanzen zitierten, die Rechtslage zur Unfallszeit betreffenden Entscheidung ZVR 1976/217 war für Radfahrer eine solche "markierte Verkehrsfläche" auf der ampelgeregelten Kreuzung vorhanden und der Oberste Gerichtshof vertrat hiezu die Ansicht, daß diese markierte "Überleitung" des Radweges auf die Fahrbahn im Kreuzungsbereich einem gekennzeichneten Fußgängerübergang gleichzuhalten sei, sodaß Radfahrer gegenüber einbiegenden Fahrzeugen geschützt seien. Ob auch der - im gegenständlichen Verfahren - zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Slg. 9179 A eine solche auf der Kreuzung selbst markierte Verkehrsfläche für Radfahrer zugrundelag, ist dem veröffentlichten Entscheidungsteil nicht zu entnehmen. Dieser Frage, nämlich, ob bei Verlängerung des Radweges in die ampelgeregelte Kreuzung hinein ein Schutz der Radfahrer gegenüber einbiegenden Fahrzeugen begründbar erscheint, kommt indes hier keine Bedeutung zu. Vorliegendenfalls ist nämlich festgestellt, daß keine solche Markierung vorlag. Im Sinne der Bestimmungen der §§ 38 Abs 4, 76 Abs 3 StVO 1960, wonach auf ampelgeregelten Kreuzungen Fußgängern auf dem Schutzweg ein Schutz auch gegenüber einbiegenden Fahrzeugen zukommt, eine Schutzbestimmung für Radfahrer, die sich, vom Radweg oder Radfahrstreifen kommend, in den fließenden Verkehr einordnen, aber fehlt, vertritt der erkennende Senat die Rechtsauffassung, daß auch in diesem Falle die Bestimmungen des § 68 Abs 2 StVO 1960 alter und neuer Fassung anzuwenden sind. Somit durfte die Klägerin im vorliegenden Fall im Sinne der zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes den mit einem LKW einbiegenden Stefan G*** nicht behindern oder gefährden und war ihm gegenüber de facto wartepflichtig. Demgemäß hat sie das Schadensereignis selbst zu vertreten. Ein Mitverschulden des Stefan G***, der auf ein vorschriftsmäßiges Verhalten der Radfahrerin vertrauen durfte, ist beim gegebenen Sachverhalt nicht gegeben und wurde, worauf das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend verwies, auch nur in Richtung der - nicht gegebenen - Vorrangverletzung des Stefan G*** behauptet.

Der Revision konnte daher kein Erfolg zuteil werden. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E09970

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00032.86.1216.000

Dokumentnummer

JJT_19861216_OGH0002_0020OB00032_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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