Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Pauline S***, Ärtzin, Zwölfaxing, Roman Knollstraße 2, vertreten durch Dr.Michel Münzker, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C*** Versicherung auf Gegenseitigkeit, Wien 1.,Lichtenfelsgasse 7, vertreten durch Dr.Herbert Machatschek, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 880.000 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 15.September 1986, GZ. 4 R 133/86-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Handelsgerichtes Wien vom 21.April 1986, GZ. 12 Cg 20/86-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin den Betrag von S 880.000,-- samt 4 % Zinsen seit 15.November 1985 und die Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen. Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 22.441,70 (darin S 38,-- Barauslagen und S 2.036,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens sowie die mit S 43.081,40 (darin S 15.038,-- Barauslagen und S 2.544,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen." Die Klägerin ist ferner schuldig, der beklagten Partei auch die mit S 36.815,15 (darin S 20.000,-- Barauslagen und S 1.528,65
Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat bei der Beklagten für ihre ärztliche Praxis in Schwechat, Himbergerstraße 19, für die Zeit vom 6.August 1978 bis 6. August 1988 eine Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich Tätige ab dem 15.Tag, längstens für 360 Tage mit einer Jahresversicherungssumme von 1 Mio. S abgeschlossen. Versichert war unter anderem die Unterbrechung des versicherten Betriebes infolge Unfalles oder Krankheit der den Betrieb verantwortlich leitenden Person. Der Versicherung lagen die Allgemeinen Betriebsunterbrechungsversicherungsbedingungen für freiberuflich Tätige 1978 zugrunde. Art.1 Abs.1 dieser Versicherungsbedingungen lautet:
"Soweit eine Unterbrechung des versicherten Betriebes durch ein Schadensereignis (Abs.2) verursacht wird, ersetzt der Versicherer nach den folgenden Bestimmungen den dadurch entstandenen Unterbrechungsschaden (Art.2)." Nach Art.1 Abs.2 gilt als Schadensereignis im Sinne des Abs.1
die Beschädigung oder die Zerstörung einer dem Betrieb dienenden Sache, wobei nach lit.d auch die gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebes infolge Unfalles der den Betrieb verantwortlich leitenden Person gilt. Nach Art.1 Abs.6 gilt als Unfall im Sinne des Vertrages jedes vom Willen des Versicherten unabhängige Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkend eine körperliche Schädigung oder den Tod des Versicherten nach sich zieht.
Am 15.Jänner 1985 stürzte die Klägerin über die Kellerstiege ihres Hauses und erlitt hiedurch eine Querschnittslähmung, durch die sie auf Lebenszeit an der Berufsausübung gehindert ist. Die Beklagte hat der Klägerin auf allfällige Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag S 120.000 akontiert, lehnt jedoch im Hinblick auf den Umstand, daß sich inzwischen herausgestellt habe, der Betrieb könne nie mehr wieder aufgenommen werden, weitere Zahlungen ab.
Die Vorinstanzen haben ausgesprochen, daß das auf Zahlung von S 880.000,-- s.A. gerichtete Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe und hiebei die Rechtsansicht vertreten, nach den Versicherungsbedingungen sei selbst der Tod des Versicherten als Unfall anzusehen. Da der Tod des Versicherten in der Regel die Betriebseinstellung zur Folge habe, müsse auch die Betriebseinstellung infolge eines Unfalles die Verpflichtung des Versicherers zur Erbringung von Versicherungsleistungen auslösen. Darüber hinaus sei zu beachten, daß nach Art.11 Abs.1 der Versicherungsbedingungen Vorschußleistungen auf die Entschädigung verlangt werden können. Demnach sei der Versicherer unter Umständen auch bereits vor Feststellung des Umstandes, daß eine Wiederaufnahme des Betriebes nicht mehr in Frage komme, verpflichtet, Zahlungen zu leisten. Würde man den Standpunkt vertreten, daß infolge Betriebseinstellung keine Leistungspflicht des Versicherers bestehe, würde dies zur Rückzahlungsverpflichtung des Versicherten führen, was jedoch in den Versicherungsbedingungen nicht vorgesehen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist berechtigt.
Bei der Betriebsunterbrechungsversicherung handelt es sich um eine Sachversicherung (Prölls-Martin VVG 23 , 605). Dieser Umstand ist, entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, nicht unerheblich. Bei der Sachversicherung sind nämlich Sachen und nicht Personen versichert. Gegenstand der Versicherung bei der Betriebsunterbrechungsversicherung ist der Betrieb, nicht die Person des Betriebsinhabers. Rein begrifflich führt dies zum Ergebnis, daß sich die Entschädigung aus der Versicherung immer nur auf den Ausfall eines Betriebes, nicht aber auf einen bloßen Personenschaden erstrecken kann. Abgesehen davon, daß schon das Wort "Unterbrechung" darauf hinweist, daß der Versicherungsfall nur dann gegeben ist, wenn der Betrieb nicht dauernd eingestellt wird, sprechen auch die Grundsätze der Sachversicherung dafür, daß bei der Betriebsunterbrechungsversicherung Entschädigungsleistungen für einen Zeitraum, der nach der Betriebseinstellung liegt, nicht zu leisten sind.
Richtig ist allerdings, daß diese allgemeinen Erwägungen dann nicht zutreffen würden, wenn die dem Vertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen eine andere Auslegung geboten erscheinen lassen. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen ist dies hier jedoch nicht der Fall.
Die auf Art.11 der Versicherungsbedingungen gestützten Erwägungen des Berufungsgerichtes gehen daran vorbei, daß diese Bestimmung lediglich die Fälligkeit allfälliger Vorschußzahlungen regelt. Die Tatsache, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch Vorschußleistungen vor endgültiger Klärung des Versicherungsfalles zu zahlen sind, besagt über den endgültigen Anspruch nichts. Gerade der Wortlaut des Art.11 Abs.1 der Versicherungsbedingungen zeigt, daß Teilzahlungen die endgültige Feststellung des Versicherungsfalles nicht zur Voraussetzung haben. Demnach können die Teilzahlungen über die endgültige Beurteilung der Frage des Eintrittes des Versicherungsfalles nichts sagen. Die Verpflichtung zur Teilzahlung bereits vor endgültiger Klägerung des Versicherungsfalles wird dem Versicherer im Interesse des Versicherungsnehmers auferlegt. Daß im Interesse des Versicherungsnehmers, abweichend von sonst allgemein geltenden Grundsätzen, eine vorgezogene Zahlungspflicht festgesetzt wird, kann nicht dazu führen, daß der Versicherer endgültig verpflichtet wäre, auch bei gegenteiligen Ergebnissen seiner Erhebungen für die Zukunft Leistungen zu erbringen. Vor allem kann eine derartige, in Versicherungsbedingungen aufgenommene Verpflichtung zu Vorschußleistungen nicht zwingend zu einer Auslegung der Umschreibung des Versicherungsfalles in dem von den Vorinstanzen aufgezeigten Sinn führen. Das Fehlen einer Rückzahlungsverpflichtung in den Versicherungsbedingungen ist überhaupt kein Argument in dieser Richtung. Fehlt es an einer solchen Bestimmung in den Versicherungsbedingungen, treten eben die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften für den Fall der Zahlung einer Nichtschuld ein (allenfalls § 1435 ABGB). Ob die nachträgliche Verneinung eines Anspruches aus der Betriebsunterbrechungsversicherung letzten Endes tatsächlich zur Rückzahlungsverpflichtung bezüglich erhaltener Vorschüsse führen kann oder ob man hier allenfalls den im Arbeitsrecht entwickelten Grundsatz, daß gutgläubig empfangene Bezüge nicht zurückzuzahlen sind, anwenden könnte, muß hier nicht geprüft werden, weil die Klägerin nur noch nicht erhaltene Zahlungen begehrt.
Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichtes spricht die von ihm zitierte Stelle bei Prölss-Martin (VVG 23 , 606 f) nicht für, sondern gegen seinen Standpunkt. Dort wird nämlich die Versicherungspflicht für den Fall verneint, als der Ausfall nicht auf die Betriebsunterbrechung, sondern den Brand (im vorliegenden Fall der dem Brand vergleichbare Unfall) zurückzuführen ist. Versichert ist nämlich nicht der Brand (hier Unfall), sondern die durch den Brand verursachte Betriebsunterbrechung. Vor allem ergibt sich aber aus der zitierten Stelle, daß keinesfalls Entschädigungen für einen nach der Betriebsstillegung liegenden Zeitraum zu zahlen sind. Die Klägerin begehrt aber gerade für einen solchen Zeitraum eine Entschädigung, weil nach ihren eigenen Ausführungen der Betrieb selbst bereits mit dem Unfall beendet worden ist. Die bloße Liquidation des bereits beendeten Betriebes kann gerade bei einer ärztlichen Praxis nicht als Weiterführung des Betriebes gewertet werden, weil ja der Betrieb einer Arztpraxis in der Betreuung und Versorgung Kranker und nicht in der bloßen Verwertung der Praxis bzw. allfälliger Abrechnung bereits vorher stattgefundener ärztlicher Betreuung besteht.
Richtig ist allerdings, daß Fälle, die die Versicherungsbedingungen als Versicherungsfälle vorsehen, zumindest grundsätzlich, wenn auch vielleicht nur in Ausnahmsfällen, als Versicherungsfälle denkbar sein müssen. Sehen also die Versicherungsbedingungen als Versicherungsfall auch den Tod des Versicherten vor, so können die Versicherungsbedingungen nicht so ausgelegt werden, daß der Tod des Versicherungsnehmers keinesfalls Versicherungsleistungen auslösen könnte.
Im vorliegenden Fall verweist nun die Beklagte zutreffend darauf, daß nicht in allen Fällen durch den Tod des Versicherten der Betrieb beendet wird. Auch das Berufungsgericht führt hier nur aus, daß im Falle des Todes der Betrieb des Versicherten "in der Regel" nicht fortgesetzt werden könne. Demnach erkennt auch das Berufungsgericht, daß der Tod nicht in jedem Falle zur Beendigung des Betriebes führen muß. Damit liegt aber auf der Hand, daß der in den Versicherungsbedingungen genannte Tod des Versicherten auch dann zu einer Versicherungsleistung führen kann, wenn man als "Betriebsunterbrechung" nur einen Stillstand versteht, nach dessen Beendigung der Betrieb wieder fortgeführt wird. Daß es sich hiebei vielleicht um einen Ausnahmsfall handelt, spielt keine Rolle, weil die in Versicherungsbedingungen vorgesehenen Versicherungsfälle nicht mit großer Häufigkeit auftreten müssen. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß in den vorliegenden Versicherungsbedingungen der Tod des Versicherten nicht der einzige Versicherungsfall ist, vielmehr auch andere Fälle vorgesehen sind, die in ihrer Gesamtheit auch bei der von der Beklagten vorgenommenen Auslegung die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung einer Entschädigung nicht auf ein so geringes Ausmaß beschränken, daß man von einem praktischen Nichtvorliegen einer Versicherung sprechen könnte. Es soll nun nicht übersehen werden, daß bei einer Arztpraxis der Tod des Versicherten grundsätzlich zu einer Beendigung des Betriebes führen wird, weil gemäß § 22 Abs.2 des Ärztegesetzes der Arzt seinen Beruf persönlich und unmittelbar auszuüben hat. Nach § 23 Abs.1 dieses Gesetzes muß auch bei Zusammenarbeit von freiberuflich tätigen Ärzten die Eigenverantwortlichkeit eines jeden Arztes bestehen bleiben. Eine solche Zusammenarbeit darf nach außen hin nicht als Gesellschaft in Erscheinung treten. Demnach kommt die Fortführung einer Arztpraxis, etwa in Form eines Witwenfortbetriebes oder durch Verpachtung, nicht in Frage. Der Betrieb verliert durch den Tod des Arztes seine Identität. Dies führt hier jedoch zu keiner anderen Beurteilung, weil die dem Vertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen nicht nur freiberufliche Ärzte, sondern schlechthin Betriebe verschiedenster Art freiberuflich Tätiger zum Gegenstand haben. Ob ein in den Versicherungsbedingungen vorgesehener Versicherungsfall überhaupt eintreten kann, ist nicht nur im Hinblick auf einen einzelnen Versicherungsnehmer oder eine bestimmte Gruppe von Versicherungsnehmern, sondern auf die Gesamtheit der für derartige Versicherungen in Frage kommenden Versicherungsnehmer zu beurteilen. Daß aber unter Berücksichtigung aller in Frage kommenden Versicherungsnehmer Versicherungsleistungen im Falle des Todes des Betriebsinhabers auch dann nicht grundsätzlich auszuschließen sind, wenn man den Begriff "Betriebsunterbrechung" so auslegt, daß eine Wiederaufnahme des Betriebes zumindest ernstlich ins Auge gefaßt gewesen sein muß, wurde bereits oben dargelegt.
Daß Umstände vorgelegen wären, die nach dem Unfall eine Fortführung des Betriebes ernstlich als möglich erscheinen hätten lassen, hat die Klägerin nicht behauptet; auf die Frage, ob solche Umstände Leistungen für den Zeitraum bis zum Wegfall dieser Gründe gerechtfertigt hätten, war daher nicht einzugehen.
Zusammenfassend ergibt sich sohin, daß die von der Klägerin begehrte Leistung ihrem Wesen nach nicht eine Leistung aus einer Sachversicherung (Betriebsunterbrechungsversicherung), sondern aus einer Personenversicherung (Unfallversicherung) ist. Die Klägerin begehrt nämlich nicht den Ersatz jener Schäden, die durch die zeitweilige Unterbrechung ihres Betriebes entstehen, sondern eine Entschädigung dafür, daß sie infolge eines Unfalles in Zukunft nicht mehr in der Lage sein wird, ihren Beruf auszuüben. Derartige, mit einem nach wie vor aufrechten Betrieb in keinem Zusammenhang stehende Entschädigungen können aber ohne entsprechende Versicherungsbedingungen nicht Gegenstand einer Betriebsunterbrechungsversicherung sein.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E10058European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0070OB00055.86.1218.000Dokumentnummer
JJT_19861218_OGH0002_0070OB00055_8600000_000