Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Schlosser und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1./ Karoline W***, Pensionistin, Wels, Negrellistraße 13, und 2./ Maria L***, Pensionistin, Steinhaus bei Wels, Oberschauersberg 13, beide vertreten durch Dr. Ulrich Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien 1./ Erich S***, Maschinschlosser und 2./ Cornelia S***, im Haushalt, beide wohnhaft in Wels, Flurgasse 52, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Moringer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Aufkündigung einer Wohnungsmiete, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom 8. Juli 1985, GZ R 504/85-23, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 15. März 1985, GZ 3 C 1307/83-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der außerordentlichen Revision der beklagten Parteien wird nicht stattgegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit 3.016,93 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Barauslagen 240 S und an Umsatzsteuer 252,45 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beiden Beklagten mieteten von den beiden Klägerinnen die in der Aufkündigung näher umschriebene Wohnung ab 1. Februar 1980 auf unbestimmte Zeit. Die Klägerinnen kündigten dieses Bestandverhältnis mit dem am 9. August 1983 bei Gericht eingelangten Schriftsatz zum 30. November 1983 auf. Der hierüber ergangene Gerichtsbeschluß wurde den Beklagten am 16. August 1983 zugestellt.
Als Kündigungsgrund im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 MRG machten die Klägerinnen nachteiligen Gebrauch der Bestandsache, ohne Genehmigung der Hauseigentümer vorgenommene Umbauten, mietvertraglich untersagte Haltung von Hasen, Meerschweinchen und Katzen, vorsätzliche Beschädigung des Mopeds eines anderen Hausbewohners sowie ein wegen Rücksichtslosigkeit, Anstößigkeit und sonstiger grober Ungehörigkeit unleidliches Verhalten der Beklagten geltend.
Die Beklagten bestritten jeden nachteiligen Gebrauch des Mietgegenstandes, jede Sachbeschädigung und jede eigenmächtige Vornahme von Einbauten. Sie behaupteten, die 1981 erfolgte Montage einer Etagenheizung sei mit Zustimmung und auch nachträglicher Billigung durch die Klägerinnen vorgenommen worden. Die Klägerinnen hätten der Haltung einer Katze sowie einiger Hasen im Garten ausdrücklich zugestimmt. Die Beklagten hätten während des Rechtsstreites nur noch eine Katze in der Mietwohnung belassen. Im übrigen bestritten die Beklagten jedes unleidliche Verhalten. Das Prozeßgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die Beklagten zur Räumung des Bestandgegenstandes. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt. Es sprach weiters aus, daß die Revisionszulässigkeitsvoraussetzung nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht vorliege.
Aus den vom Berufungsgericht übernommenen erstrichterlichen Feststellungen ist hervorzuheben:
Im Hause der Klägerinnen befinden sich im Parterre und im Obergeschoß je zwei Wohneinheiten, im Dachgeschoß liegt eine Mansardenwohnung. Als die Beklagten im Jahre 1980 die rechte Parterrewohnung bezogen, waren alle vier weiteren Wohnungen im Haus vermietet. Unter den Hausbewohnern herrschte allseits Frieden. Seit dem Einzug der Beklagten wurden an den Ehemann der ersten Klägerin und Schwager der zweiten Klägerin in unregelmäßigen Abständen Beschwerden der Hausbewohner herangetragen. Ursache war in den meisten Fällen eine Auseinandersetzung der Beklagten mit der Mieterin der über der Mietwohnung der Beklagten gelegenen Wohnung, aber auch mit anderen Hausbewohnern oder dem Grundnachbarn. Die Mieterin der rechten Obergeschoßwohnung wurde als Bauerntrampel, Zigeunerweib, Trampel, Depperte, ihr Lebensgefährte als Hurenbock beschimpft, ihre Kinder in geringschätziger Weise angesprochen, wie etwa durch die mit der Aufforderung, "fressen zu gehen", verbundene Bemerkung, wieder (nur) einen Leberkäs zu bekommen. Die Zweitbeklagte beschimpfte den Grundnachbarn als Narrischen. Die Beklagten führten ihre ehelichen Auseinandersetzungen auch bei geöffnetem Fenster oder im Hausgarten so lautstark, daß sie in der Nachbarschaft noch in einer Entfernung von 120 bis 150 m gehört werden konnten. Die Beklagten betrieben ihre Stereoanlage in einer so übermäßigen Lautstärke, daß in der rechten Obergeschoßwohnung der Lautsprecher des dort eingeschalteten Fernsehempfängers übertönt wurde. Der Erstbeklagte entwickelte im Zuge von Mopedreparaturen (Probelauf bei Vollgas) manchmal unangenehm empfundenen Lärm. Er belästigte die Hausmitbewohner auch während der Wochenenden mit dem Lärm, der beim Pressen von Papier zu Papierbriketts entsteht. Die Beklagten hielten entgegen einem mietvertraglichen Verbot Hasen und Meerschweinchen und verursachten dabei durch die Ablagerung des anfallenden Stallmistes auf dem Komposthaufen im Garten eine Geruchsbelästigung. Eine von den Beklagten entgegen einem mietvertraglichen Verbot gehaltene Katze verursachte im PKW eines anderen Hausbewohners an den Sitzbezügen Schäden. Der Erstbeklagte benützte die von der Mieterin der linken Obergeschoßwohnung gespannte Wäscheleine dazu, geschlagene Hasen zum Ausbluten aufzuhängen; er reinigte die Leine nachher nicht. Von der betroffenen Mieterin zur Rede gestellt, drohte er ihr an, die Leine abzuschneiden. Diese Ankündigung setzte er allerdings nicht in die Tat um. Der Erstbeklagte spielte sich bei verschiedenen Gelegenheiten als der "Chef im Haus" auf, als den er sich selbst einem anderen Mieter gegenüber bezeichnete. Die Beklagten statteten ihre Wohnung ohne vorherige Zustimmung der Klägerinnen mit einer Etagenheizung aus. In dem von den Bewohnern der Parterrewohnungen zu benützenden Gangklosett installierten die Beklagten einen Heizkörper, sind aber nicht bereit, den durch den Betrieb des Heizkörpers verursachten Stromverbrauch mitzutragen. Schlichtungsbemühungen des Ehemannes der ersten Klägerin auf Grund eingehender Beschwerden hatten nur teilweise Erfolg. So gaben die Beklagten etwa die Hasen- und Meerschweinchenhaltung auf. Das Verhalten der Beklagten bestimmte die Mieterin der rechten Obergeschoßwohnung zur Aufgabe ihrer Mietwohnung.
Der Ehemann der ersten Klägerin richtete an die Beklagten ein mit 1. August 1983 datiertes Schreiben, in dem er den Beklagten eine Reihe von Unzukömmlichkeiten vorhielt. Dieses Schreiben schließt folgendermaßen:
"Wir haben Ihnen hiermit auf diesem Wege Ihr böswilliges Benehmen nochmals vor Augen geführt und legen Ihnen nahe, daß Sie 1.) Ihre Katzen, Hasen und Meerschweinchen innerhalb einer Woche wegbringen.
2.) Ihr feindseliges Benehmen gegenüber allen Wohnparteien und Nachbarn einstellen. 3.) Wir wollen es Ihnen und Ihrer Frau nahelegen, daß Sie kein anmaßender Hausverwalter, sondern nur ein Wohnungsmieter wie alle anderen auch gemäß Ihrem Mietvertrag vom 1. Februar 1980 sind und sich gemäß dieses Vertrages in allen Punkten zu verhalten haben." Die Vorinstanzen werteten das festgestellte Gesamtverhalten der Beklagten als keinesfalls bloß geringfügige Fälle rücksichtslosen und grob ungehörigen Verhaltens, durch das den Mitbewohnern das Zusammenleben verleidet worden sei. Dabei erachteten sie eine Gewähr dafür nicht als gegeben, daß die festgestellten Verhaltensweisen der Beklagten für die Zukunft ausgeschlossen werden könnten. Die Vorinstanzen nahmen daher einen Kündigungsgrund im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 MRG als erfüllt an. Das Berufungsgericht betonte dazu in Erwiderung der Berufungsausführungen, daß (nach der Art des Verhaltens der Beklagten) zur Geltendmachung des Kündigungsgrundes keine vorausgegangene Abmahnung erforderlich gewesen sei, um den Beklagten die Gemeinschaftswidrigkeit ihres Verhaltens bewußt zu machen.
Die Beklagten fechten das bestätigende Berufungsurteil mit außerordentlicher Revision an. Sie erachten dieses Rechtsmittel im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO als zulässig, weil das Berufungsgericht die Frage nach dem Erfordernis einer der Kündigung vorangegangenen Abmahnung einerseits und andererseits die Frage danach unrichtig gelöst habe, daß eine - wenn auch nicht zur Ausübung des Kündigungsrechtes vorausgesetzte, aber doch tatsächlich erfolgte - Abmahnung die - schlüssige - Erklärung enthalte, es vorerst bei der Aufforderung zum vertragsgemäßen Verhalten oder zur Wiederherstellung des vertragsgemäßen Zustandes bewenden zu lassen, den Erfolg der ausgesprochenen Ermahnung abzuwarten und während angemessener Frist das bemängelte Verhalten oder den gerügten Zustand nicht zur Grundlage einer schwerer wiegenden Maßnahme, etwa einer Vertragsaufhebung zu machen. Die Revisionswerber führen ihre Rechtsrüge auch dahin aus, daß erst ein Verharren im bemängelten Verhalten ungeachtet vorangegangener Abmahnung einen Kündigungsgrund hätte darstellen können und wegen der tatsächlich erfolgten Abmahnung die Klägerinnen die Reaktion der Beklagten darauf hätten abwarten müssen. Die Revisionswerber beantragen die Abänderung des angefochtenen Berufungsurteiles im Sinne einer (Rechtsunwirksamerklärung der Aufkündigung und) Abweisung des (auf sie gegründeten) Räumungsbegehrens.
Die Klägerinnen haben (vorzeitig) eine Revisionsbeantwortung erstattet. Sie erachten die Revision als unzulässig; hilfsweise streben sie die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist insoweit zulässig, als die Bedeutung einer erfolgten Abmahnung für das Recht auf Geltendmachung von Gestaltungsrechten auf Grund des in der Abmahnung bemängelten Verhaltens, hier auf Ausübung des Kündigungsrechtes nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG, eine nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO qualifizierte Rechtsfrage darstellt, von deren Lösung einerseits die angefochtene Entscheidung abhing und die andererseits Gegenstand der Revisionsausführungen ist.
Die Frage danach, ob nach der Art des festgestellten, das Zusammenleben der Hausbewohner beeinträchtigenden Verhaltens der Beklagten diesen vor einer Aufkündigung des Mietverhältnisses durch eine Abmahnung die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens hätte bewußt gemacht werden müssen und erst eine Fortsetzung dieses Verhaltens den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG erfüllt hätte, hat das Berufungsgericht im Sinne der ständigen Rechtsprechung und herrschenden Lehre gelöst, ohne daß eine denkgesetzwidrige Unterstellung des festgestellten Sachverhaltes unter diese Leitsätze schlüssig aufzeigbar wäre. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, daß das im konkreten Einzelfall festgestellte Gesamtverhalten der Beklagten objektiv geeignet sei, Mitbewohnern das Zusammenleben im Hause zu verleiden. Es ist dabei im Sinne der von ihm zitierten Rechtsprechung davon ausgegangen, daß es keines besonderen, ausdrücklichen Hinweises bedurft habe, den Beklagten die dem Gemeinschaftsleben im Hause abträgliche Eignung ihrer einzelnen Verhaltensweisen sowie ihres gesamten Verhaltens bewußt zu machen, so daß auch die Geltendmachung dieses Verhaltens als Kündigungsgrund nicht von einer vorherigen Abmahnung abhängig zu machen gewesen wäre. Die dagegen gerichteten Revisionsausführungen erfüllen nicht das Erfordernis nach § 503 Abs 2 ZPO und sind daher keine taugliche Ausführung einer Revision im sogenannten Zulassungsbereich. Diese Ausführungen sind unbeachtlich.
Soweit aber die Revision zur Bedeutung einer Abmahnung für weiterreichende Folgerungen aus dem als vertragswidrig bemängelten Verhalten zulässig ist und auch im Sinne des Revisionsgrundes nach § 503 Abs 2 ZPO ausgeführt wurde, ist das Rechtsmittel nicht gerechtfertigt.
Ist nach der Wertung der Vorinstanzen davon auszugehen, daß das festgestellte Gesamtverhalten der Beklagten - auch ohne vorangegangene Abmahnung - den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG erfüllte, konnte ein darauf beruhender Kündigungsanspruch der Klägerinnen durch Verzicht wieder erloschen sein. Ein solcher Verzicht hätte auch schlüssig erklärt werden können, soweit nur die Eindeutigkeit der Erklärung im Sinne des § 863 ABGB gegeben gewesen wäre. Ein Verzicht auf das Kündigungsrecht hätte daher nur dann angenommen werden können, wenn die Abmahnung nach ihrem Inhalt und den konkreten äußeren Umständen sowie den Sachzusammenhängen von einem verständigen Empfänger nicht anders aufgefaßt werden konnte, als daß sich die Abmahnenden zunächst auf diese Maßnahme beschränken und von weiteren Schritten vorderhand absehen wollten. Derartiges müßte etwa gelten, wenn der Abmahnende erklärt, im Falle der Wiederholung oder Fortsetzung des bemängelten Verhaltens (oder der Aufrechterhaltung des gerügten Zustandes) das Vertragsverhältnis aufzulösen oder eine sonstige Maßnahme zu setzen, die er aber zunächst unterläßt. Entgegen der offenkundigen Auffassung der Rechtsmittelwerber wohnt aber nicht schon jeder Abmahnung an sich ein schlüssiger Verzicht auf weiterreichende Maßnahmen inne. Es bestünde beispielsweise bei vertragswidriger Tierhaltung, bei der Störung mietvertraglicher Nutzungsrechte anderer Hausbewohner, bei der Anmaßung von Verwaltungsbefugnissen und ähnlichen neben einem allfälligen Vertragsauflösungsanspruch der Vermieter ein klagbarer und gegebenenfalls auch der Sicherung durch einstweilige Verfügung zugänglicher Unterlassungsanspruch. Eine - im Interesse der übrigen Mieter - durch den Vermieter ausgesprochene Erinnerung an die entsprechenden Verhaltenspflichten des Mieters enthält für sich allein noch nicht einen schlüssigen Verzicht darauf, die bisherigen Verstöße nicht weiter zu sanktionieren, weil ja auch während eines unter Umständen länger währenden Kündigungsstreites auf die Erhaltung des Hausfriedens gedrungen werden müßte.
Die Revisionswerber haben auch in ihrem erstinstanzlichen Prozeßvorbringen niemals die im Rechtsmittelverfahren abgeleitete Folgerung aus dem Schreiben des Ehegatten der ersten Klägerin vom 1. August 1983 gezogen und damit der Sache nach im Rechtsmittelverfahren eine neue Einwendung erhoben. Davon abgesehen ist der Einwand aber weder unter dem Gesichtspunkt des schlüssigen Verzichtes auf den Kündigungsanspruch noch auch unter dem Gesichtspunkt sittenwidriger Rechtsausübung stichhältig. Die Beklagten hatten nach Erfüllung des Kündigungsgrundes keinen Anspruch darauf, daß sich die Klägerinnen mit einer bloßen Erinnerung an die Verhaltenspflichten eines Mieters begnügten. Sie hätten sich auch ohne eine solche Erinnerung vertragsgemäß zu verhalten gehabt. Sie konnten andererseits innerhalb der kurzen Zeitspanne zwischen dem Erhalt des Abmahnungsschreibens und der gerichtlichen Aufkündigung noch nicht im Vertrauen darauf über ihre Wohnstätte disponieren, daß ihr Mietrecht ungeachtet der den Vermieterinnen bekanntgewordenen Vorfälle fortbestehen würde. Der Revision war aus diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 46 Abs 2 und 50 ZPO.
Anmerkung
E10032European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0060OB00703.86.1218.000Dokumentnummer
JJT_19861218_OGH0002_0060OB00703_8600000_000