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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §28;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des WOO in G, vertreten durch Dr. Kurt Lechner, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 34, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. September 2004, Zl. 240.867/0-V/13/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste gemäß seinen Angaben am 25. November 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte hier die Gewährung von Asyl. In seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt schilderte er seine Fluchtgründe wie folgt:
"Meine Leute sind sehr schlecht und sie verwenden Personen wie mich, um Geld zu machen. Ich habe einen Buckel. Wenn man diesen berührt, bringt das Glück. 1994 wollten sie mich auch opfern. Man wollte mich gefangen nehmen. Deshalb beschloss ich davonzulaufen. Auch wenn ich hier in Österreich einen Schwarzen sehe, fürchte ich mich.
...
F: Sie sagten, man wollte Sie gefangen nehmen. Wen meinen Sie
damit.
A: Ich meine damit die Leute.
F: Wollte man Sie gefangen nehmen um Sie zu opfern?
A: Ja, in meinem Land wird man gefangen. Sie versuchen Geld daraus zu machen.
F: Ist es richtig, dass sich das alles im Jahr 1994
zugetragen hat?
A: Ja, das ist richtig.
F: Haben Sie seit 1994 bis zur Zeit Ihrer Ausreise wiederum
Probleme gehabt?
A: Seit dem traue ich mich nicht mehr aus meinem Dorf hinaus. Wenn ich mich nach draußen wagen würde, würde mir mein Vater zwei Personen hinter mir herschicken um mich wieder heimzuholen.
F: Wollten diese Personen Sie beschützen?
A: Ja.
F: Vor wem?
A: Vor den Leuten.
F: Wer sind diese Leute?
A: Die Dorfbewohner.
F: Ist es richtig, dass Sie Ihre Heimat deswegen verlassen
haben, weil Sie Angst davor haben, dass Ihnen die Bewohner Ihres
Dorfes etwas antun könnten?
A: Ja das ist richtig.
F: Haben Sie noch irgendetwas Anderes in Ihrer Heimat Nigeria
zu befürchten?
A: Abgesehen davon habe ich nichts zu befürchten.
F: Möchten Sie noch irgendetwas zur Begründung Ihres
Asylantrages angeben?
N: Nein ich habe nichts mehr zu sagen.
Vorhalt: Sie geben an, dass Sie nur deshalb aus Nigeria geflüchtet sind, weil Sie eine Verfolgung durch die Bewohner aus Ihrem Heimatdorf Udo fürchten. Es wäre Ihnen die Möglichkeit offen gestanden an Stelle von Österreich nach Lagos zu gehen. Dort wären Sie vor den Dorfbewohnern sicher gewesen. Was sagen Sie dazu.
A: In ganz Nigeria versuchen sie Leute mit meinem Problem zu fangen, weil es Glück bringt.
F: Was hätten Sie zu befürchten, wenn Sie in Ihr Heimatland
zurückkehren würden?
A: Sie würden mich töten.
F: Wen meinen Sie mit sie?
A: Ich meine damit meine Familie, sie ist sehr böse und schlecht."
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers
gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer seine Heimat verlassen habe, weil er auf Grund seiner körperlichen Behinderung (ausgeprägter Rundrücken) eine Verfolgung durch die Bewohner seines Heimatdorfes befürchtet habe. Er hätte jedoch staatlichen Schutz finden können und es wäre ihm zudem ein "unproblematischer Aufenthalt in einer großen Stadt in Nigeria, wie etwa in Lagos" möglich gewesen.
Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 1. September 2004 gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Die belangte Behörde führte aus, dass dem Beschwerdeführer jegliche persönliche Glaubwürdigkeit abzuerkennen und seinem Fluchtvorbringen daher die Glaubhaftigkeit zu versagen sei. Dies begründete sie - nach allgemeinen beweiswürdigenden Überlegungen - ua. wie folgt:
"In der durchgeführten Berufungsverhandlung modifizierte der (Beschwerdeführer) seine bisherigen Ausführungen dahingehend, dass sein primärer Fluchtgrund in seiner Furcht vor den Dorfbewohnern gelegen sei, welche ihn fangen und in weiterer Folge zwecks Opferung im Zuge eines nicht näher definierten Rituals hätten verkaufen wollen. Sein Vater habe ihn davor gewarnt, sodass der (Beschwerdeführer) mit Hilfe eines Freundes habe fliehen können. Generell habe er als Behinderter nicht ohne Beschützer auf die Straße gehen können. Angesprochen auf seine konkrete familiäre Situation gab der (Beschwerdeführer) an, zwei Brüder zu haben. Bei nochmaligem Nachfragen durch den Verhandlungsleiter korrigierte der (Beschwerdeführer) seine Aussage und gab nunmehr an, einen Bruder und eine Schwester zu haben.
Diese Angaben stehen in eklatantem Widerspruch zu den Angaben des (Beschwerdeführers) vor der Behörde erster Instanz, wonach er abweichendes Bedrohungsszenario angeführt hatte."
Da der Beschwerdeführer sein Vorbringen - so die belangte Behörde rechtlich - nicht habe glaubhaft machen können, komme weder die Zuerkennung von Asyl noch die Gewährung von Refoulement-Schutz in Betracht, wozu weiter ausgeführt werde, dass in Nigeria keine dergestalt exzeptionelle Situation (Bürgerkrieg, Seuchenkatastrophe bzw. Hungersnot) bestehe, dass eine Gefährdung im Sinn der Art. 2 und 3 EMRK indiziert wäre.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die oben wörtlich wiedergegebenen Überlegungen im Rahmen der behördlichen Beweiswürdigung sind nicht nachvollziehbar. Auch vor dem Bundesasylamt hat der Beschwerdeführer nämlich (siehe eingangs) angegeben, aus Angst vor den Bewohnern seines Dorfes - weil man ihn im Hinblick auf seine Behinderung habe gefangen nehmen wollen - geflohen zu sein. Insoweit ist der von der belangten Behörde konstatierte "eklatante Widerspruch" zum Vorbringen in der Berufungsverhandlung nicht ersichtlich. Richtig ist lediglich, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt ergänzend anführte, er befürchte im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria von seiner Familie, die "sehr böse und schlecht" sei, getötet zu werden. Dieses Vorbringen steht indes mit den davor erstatteten Ausführungen über die Angst vor den Dorfbewohnern nicht in erkennbarem Zusammenhang, wäre näher zu hinterfragen gewesen und rechtfertigt jedenfalls nicht die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe vor dem Bundesasylamt ein - gegenüber seiner Darstellung in der Berufungsverhandlung - "abweichendes Bedrohungsszenario" vorgebracht.
Abgesehen von dem eben dargestellten Begründungsmangel ist der belangten Behörde, wie in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt wird, anzulasten, dass sie sich nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen in Nigeria auseinander gesetzt hat. Angesichts der evidenten Behinderung des Beschwerdeführers (das Bundesasylamt spricht von einem ausgeprägten Rundrücken) wäre es vor dem Hintergrund des § 8 AsylG unabhängig von seiner Fluchtgeschichte Aufgabe der belangten Behörde gewesen, die Situation entsprechend behinderter Menschen in Nigeria zu ermitteln. Der allgemeine Hinweis, dass keine "exzeptionelle Situation" (Bürgerkrieg, Seuchenkatastrophe bzw. Hungersnot) bestehe, genügt dieser Anforderung nicht. Vor allem aber hätte abgeklärt werden müssen, ob das vom Beschwerdeführer geschilderte Verfolgungsszenario einen realen Hintergrund hat, ob also Angriffe gegen behinderte Personen in der vom Beschwerdeführer dargestellten Art tatsächlich in Nigeria bekannt sind oder nicht. Erst auf Grundlage entsprechender Informationen wäre eine mangelfreie Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers möglich gewesen.
Da die belangte Behörde die Berechtigung des Asylantrages des Beschwerdeführers und die Gewährung von Refoulement-Schutz ausschließlich wegen der von ihr angenommenen, jedoch nach dem Gesagten nicht schlüssig begründeten Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers verneint hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. August 2005
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2004010550.X00Im RIS seit
22.09.2005