TE OGH 1987/1/15 7Ob58/86

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Veröffentlicht am 15.01.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Hule, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Reinhold N***, Rechtsanwalt in Feldkirch, Hirschgraben 37, wider die beklagte Partei I*** Internationale Unfall- und Schadenversicherung Aktiengesellschaft, Wien 1., Tegetthoffstraße 7, vertreten durch Dr. Hans Kreinhöfner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6. Oktober 1986, GZ 4 R 149/86-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 13. Mai 1986, GZ 17 Cg 70/85-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.112,15 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.555,65 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei aufgrund der mit dieser abgeschlossenen Berufshaftpflichtversicherung für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt. Die beklagte Partei beruft sich darauf, daß der Kläger nach seinem eigenen Standpunkt in dem vom Dritten gegen ihn beim Landesgericht Feldkirch angestrengten Haftpflichtprozeß für den angeblich Geschädigten niemals als Rechtsanwalt tätig gewesen sei, und auf die Ausschlußklausel nach Art. 4 I Punkt 9 lit. b der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV). Nach dieser Klausel bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche von Geschäftsteilhabern des Versicherungsnehmers.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen errichteten der Kläger und Helmut M*** am 20. Jänner 1978 eine Gesellschaft mbH, die am 17. März 1978 unter der Firma M*** Wohnungseigentumsgesellschaft mbH (im folgenden nur Gesellschaft mbH) protokolliert wurde. Die beiden Gesellschafter übernahmen je die Hälfte des Stammkapitals von S 100.000. Zum Geschäftsführer mit Einzelvertretungsbefugnis wurde Helmut M*** bestellt. In Verfolgung ihres Unternehmensgegenstandes erwarb die Gesellschaft mbH mit den Kaufverträgen vom 12. September und 5. Dezember 1978 von Dr. Eduard K*** und Anna J*** die Liegenschaft EZ 1052 II KG Wilten, nachdem der Kläger schon im September 1977 eine das Zufahrtsrecht zu dieser Liegenschaft regelnde Dienstbarkeitsvereinbarung getroffen hatte. Diese Vereinbarung wurde aber von dem Miteigentümer des begünstigten Grundstückes Dr. K*** nicht unterschrieben und auch nicht in Form eines Notariatsaktes abgeschlossen. Aus diesen Gründen scheiterte eine Verbücherung der Dienstbarkeit.

Am 12. September 1980 erhob die Gesellschaft mbH beim Bezirksgericht Innsbruck eine Klage gegen Isolde F*** auf Feststellung der Dienstbarkeit. In diesem Verfahren wurde die GesmbH vom Kläger vertreten. Das Klagebegehren wurde rechtskräftig abgewiesen. Am 27. April 1984 brachte die Gesellschaft mbH beim Landesgericht Feldkirch gegen den Kläger eine Klage auf Schadenersatz von S 3,734.144,40 s. A. ein. Das Klagebegehren wurde zunächst darauf gestützt, der Kläger habe nicht erkannt, daß die Dienstbarkeitsvereinbarung rechtsunwirksam sei, und habe die GesmbH zum Kauf der Liegenschaft bewogen. Im Verlaufe des Verfahrens begründete die GesmbH ihren Anspruch auch damit, daß der Kläger im Verfahren vor dem Bezirksgericht Innsbruck grob fahrlässig die erforderlichen Erhebungen unterlassen habe, um eine Ersitzung der Dienstbarkeit beweisen zu können. Mit Gesellschafterbeschluß vom 25. September 1984 wurde die Gesellschaft mbH aufgrund der Bestimmungen des Strukturverbesserungsgesetzes in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtes umgewandelt. Daraufhin wurde im Verfahren vor dem Landesgericht Feldkirch von der klagenden Gesellschaft mbH eine Änderung der Parteibezeichnung der klagenden Partei auf Helmut M*** unter gleichzeitiger Einschränkung des Klagebegehrens auf die Hälfte beantragt. Der Kläger hat sich gegen die beantragte Änderung der Parteibezeichnung ausgesprochen. Das Verfahren ist seit 4. März 1985 unterbrochen. Die beklagte Partei, die dem Kläger in jenem Verfahren zunächst Versicherungsschutz gewährt hatte, lehnte nach der beantragten Änderung der Parteibezeichnung eine weitere Deckung ab. Nach der Auffassung des Erstgerichtes komme es für die Beurteilung der Frage, ob die Tätigkeit des Klägers unter das versicherte Risiko falle, nur darauf an, daß dem Kläger im Haftpflichtprozeß ein Sorgfaltsverstoß bei seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt vorgeworfen werde. Dies treffe hier zu. Unmaßgeblich sei, ob der Kläger bei der Vereinbarung vom September 1977 bereits für die erst später gegründete GesmbH als Rechtsanwalt eingeschritten sei. Der Ausschlußtatbestand nach Art. 4 I Z 9 lit. b der AVBV sei nicht gegeben, weil zu dem allein maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens des Haftpflichtanspruches Helmut M***

nicht Geschäftsteilhaber des Klägers gewesen sei. Durch den nachträglichen Übergang eines Teiles des Haftpflichtanspruches aufgrund der Bestimmungen des Strukturverbesserungsgesetzes werde der Ausschlußtatbestand nicht verwirklicht.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, daß es im Urteilsspruch die die Haftpflicht begründende Tätigkeit des Klägers mit dem Beisatz "als Rechtsanwalt" näher bezeichnete. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß der Haftpflichtanspruch auch auf die Tätigkeit des Klägers im Verfahren vor dem Bezirksgericht Innsbruck gestützt werde und diese Tätigkeit jedenfalls unter das versicherte Risiko falle, sodaß die beklagte Partei schon nach dem Grundsatz der Gesamtkausalität Versicherungsschutz zu gewähren habe. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteigt.

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der geltend gemachte Verfahrensmangel (ein Verstoß des Berufungsgerichtes gegen § 405 ZPO) wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).

Nach Art. 1 Abs. 1 der AVBV gewährt der Versicherer dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz für den Fall, daß er wegen eines bei der Ausübung der in der Polizze angegebenen beruflichen Tätigkeit begangenen Verstoßes von einem anderen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhaltes für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird. Der Versicherungsschutz bezieht sich jedoch gemäß Art. 4 I Punkt 9 lit. b AVBV nicht auf Haftpflichtansprüche von Geschäftsteilhabern des Versicherungsnehmers. Aus dem Wortlaut der Ausschlußklausel im Zusammenhang mit dem in Art. 1 umschriebenen Gegenstand der Versicherung ergibt sich, daß es nicht darauf ankommt, wem die Ansprüche zustehen und wer sie geltend macht, sondern nur darauf, wem gegenüber der Verstoß begangen wurde, auf den die Haftpflichtansprüche gegründet werden. Die betreffende Geschäftsteilhaberschaft zum Versicherungsnehmer muß überdies im Zeitpunkt des Schadensereignisses vorgelegen haben. Es ist daher gleichgültig, ob der Geschädigte vor dem Schadensereignis Geschäftsteilhaber des Versicherungsnehmers war oder es zwischen Schadensereignis und Geltendmachung oder erst nach Geltendmachung der Ansprüche geworden ist (vgl. Wussow AHB 7 464). Der Grund der Ausschlußklausel liegt, wie schon das Berufungsgericht hervorgehoben hat, darin, daß bei solchen Beziehungen die Gefahr eines dem Versicherer nachteiligen Zusammenwirkens zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer infolge dieser Beziehungen besonders groß ist (vgl. Wussow aaO 462). Richtig hat das Berufungsgericht auch erkannt, daß eine besondere Kollisionsgefahr aber nur im Zeitpunkt des Schadensereignisses gegeben ist. Aus dem Gesagten folgt, daß unter die Ausschlußklausel des Art. 4 I Punkt 9 lit. b AVBV nicht auch Haftpflichtansprüche fallen, die von einem Geschäftsteilhaber des Versicherungsnehmers als Rechtsnachfolger eines Geschädigten geltend gemacht werden, der im Zeitpunkt des Schadensereignisses nicht Geschäftsteilhaber des Versicherungsnehmers war. Dies trifft hier zu, waren doch im Zeitpunkt des Schadensereignisses weder die GesmbH noch Helmut M*** Geschäftsteilhaber des Klägers. Die Ansprüche sind vielmehr im Wege der Rechtsnachfolge auf Helmut M*** übergegangen. Die Natur des Anspruches wurde durch den Übergang nicht verändert. Anspruchsgrundlage ist demnach nicht die gesellschaftsrechtliche Beziehung zwischen dem Kläger und Helmut M***, sondern der dem Kläger vorgeworfene Sorgfaltsverstoß in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit. Die Ansicht der Revision, daß es sich nunmehr um einen Anspruch aus dem Gesellschaftsverhältnis handle, kann daher nicht geteilt werden. Auf die Frage, ob dem Versicherungsnehmer, wie die Revision meint, ein Befreiungsanspruch erst zusteht, wenn im Haftpflichtprozeß seine Verantwortlichkeit festgestellt ist, kommt es hier nicht an. Ein konkreter Befreiungsanspruch wurde vom Kläger nicht erhoben. Feststeht aber, daß der Kläger von einem Dritten bzw. nunmehr von dessen Rechtsnachfolger auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Damit ist aber der Anspruch aus der Haftpflichtversicherung entstanden und fällig geworden (Bruck-Möller-Johannsen VVG 8 IV 73 mwN). Da die beklagte Partei den Versicherungsschutz ablehnt, kommt dem Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Deckungspflicht zu. Die Feststellungsklage auf Gewährung von Versicherungsschutz umfaßt zwar den Rechtsschutz- und den Befreiungsanspruch. Daß die Verantwortlichkeit des Klägers im Haftpflichtprozeß noch nicht feststeht, hindert aber nicht die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei ohne Beschränkung auf den Rechtsschutzanspruch, weil es dem Versicherer zukommt, zu bestimmen, ob er den Anspruch des Geschädigten befriedigen oder abwehren will, und dem Versicherer in diesem Liquidationsstadium diese Ermessensentscheidung auch noch möglich ist. Der Ermessensspielraum des Versicherers endet erst mit der endgültigen Feststellung der Haftpflichtschuld (Bruck-Möller-Johannsen aaO 66 f.; VersR 1984, 1195). Trifft letzteres zu, mag es sein, daß der Versicherungsnehmer dann nur mehr einen Befreiungsanspruch hat. Es mag auch richtig sein, daß der Versicherungsnehmer einen konkreten Anspruch auf Befreiung auch nur unter dieser Voraussetzung geltend machen kann. Ist aber nur die Frage zu entscheiden, ob der Versicherer grundsätzlich für einen Verstoß des Versicherungsnehmers Versicherungsschutz zu gewähren hat, kann das Feststellungsbegehren des Versicherungsnehmers wegen der dem Versicherer vorbehaltenen Ermessensentscheidung beide Komponenten des Versicherungsschutzanspruches umfassen. Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E10176

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00058.86.0115.000

Dokumentnummer

JJT_19870115_OGH0002_0070OB00058_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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