Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 17.Dezember 1970 geborenen Johann J*** infolge Revisionsrekurses des Vaters Hans J***, Fleischhauermeister, 9431 St.Stefan Nr.32, vertreten durch Dr.Hans Paternioner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 24.Oktober 1986, GZ. 1 R 407/86- 52, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Wolfsberg vom 16.Juli 1986, GZ. P 241/85-48, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Johann J*** sen., geboren am 12.Juni 1933, ist der eheliche Vater des am 17.Dezember 1970 geborenen Johann J*** jun., ihm stehen die elterlichen Rechte und Pflichten allein zu, nachdem die eheliche Mutter im Jahre 1973 verstorben ist. Der Vater ist selbständiger Fleischhauermeister. Am 11.Juli 1986 beantragte Margot J***, die am 16. August 1960 geborene Schwester des Minderjährigen, ihr alle aus dem Gesetz erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten nach § 176 Abs 1 bzw. § 144 ABGB, einschließlich gesetzlich vorgesehener Einwilligungs- und Zustimmungsrechte ab sofort zuzuweisen, insbesondere, damit der Minderjährige eine Lehrstelle in Wien verläßlich antreten könne. Der Vater sei dem Alkohol verfallen und nehme Psychopharmaka in Überdosis zu sich, er äußere Selbstmordgedanken und bedrohe unter anderem auch den Minderjährigen mit dem Umbringen. Sie sei bereit und in der Lage, den Minderjährigen in ihre Wohnung aufzunehmen und für ihn zu sorgen. Der Minderjährige sprach sich im Sinne des Antrages seiner Schwester aus, der Vater beantragte dessen Abweisung.
Das Erstgericht entzog dem Vater gemäß § 176 Abs 1 ABGB alle aus familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj. Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten, einschließlich der gesetzlich vorgesehenen Einwilligungs- und Zustimmungsrechte hinsichtlich des Johann J*** jun. und wies alle diese Rechte der Margot J*** zu; gemäß § 12 Abs 1 AußStrG wurde der sofortige Vollzug dieser Verfügung angeordnet. Das Erstgericht ging hiebei im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:
Der Vater Johann J*** sen., mißhandelte schon seine im Jahre 1973 verstorbene Ehefrau durch Schläge, Tritte und Reißen an den Haaren. Er schob die Schuld für diverse geschäftliche Vorgänge immer auf seine Frau, die Mutter seiner vier Kinder. Der Vater war auch wiederholt betrunken. Als die Töchter rund 13 Jahre alt waren - der Vater hat insgesamt 3 Töchter -, begann er auch diese zu schlagen; Margot J*** beschimpfte er beinahe täglich, weshalb sie mehrmals von zu Hause wegging. Als sie wieder zum Vater zurückkam, wurde sie zunächst besser behandelt, doch bald verhielt sich der Vater wie früher. Dieser ist launenhaft und unberechenbar, bald kleinlich, bald großzügig und versucht immer wieder, seine Kinder an sich zu binden, damit sie in seinem Fleischhauereibetrieb arbeiten. Er hat einen schroffen, autoritären Ton gegenüber seinen Kindern. Er äußerte wiederholt, daß er Selbstmord begehen werde, wenn ihn seine Kinder verließen. Dem Vater kann man es nie recht machen, es wird immer zu wenig geleistet. In den letzten Jahren schlug der Vater den mj. Johann J*** jun. wöchentlich durchschnittlich einmal mit der flachen Hand, auch auf den Rücken. Der Minderjährige hatte wiederholt blaue Flecken. Der Vater schlug völlig grundlos, zum Beispiel, wenn der Minderjährige einen Hammer falsch hielt. Der Minderjährige wurde vom Kindesvater auch täglich beschimpft ("Dreckschwein", "Krüppel", "Depp", "Trottel"), und zwar dann, wenn er irgendwelche Fehler beging. Die Mißhandlungen erfolgten, wenn kein Zeuge anwesend war. Der Minderjährige erzählte Margot J*** wiederholt von den Mißhandlungen. Im vorigen Jahr nahm er sich öfter vor, sich wegen des Verhaltens seines Vaters das Leben zu nehmen; einmal sprang er aus dem Fenster, um vor seinem Vater zu fliehen, und nahm dabei sogar eine Verletzung in Kauf. Der Minderjährige will nicht beim Vater, der immer wieder Alkoholexzessen erliegt, bleiben und erklärt ausdrücklich, wieder "abzuhauen", wenn er beim Vater bleiben müsse. Er würde auch eine Verzweiflungstat (Selbstmord) begehen. Der Minderjährige hat in Wien eine Lehrstelle als Fleischer in Aussicht, und zwar im selben Betrieb, in dem auch Margot J*** arbeiten wird. Diese hat auch bereits für die Anmietung einer Wohnung gesorgt; der Minderjährige wird bei ihr ein Zimmer bekommen und von ihr versorgt werden. In den letzten vier Jahren war der Vater mehrmals durch längere Zeit betrunken; seine Tochter Margot beschimpfte er öfter ("Kuh", "Trampel"). Der Vater ist ein Trinkertyp, der einige Tage hindurch trinkt und dann wieder monatelang "trocken" ist, von seinem Hausarzt erhielt er keine Psychopharmaka, sondern nur Vitamininfusionen. Der Vater stieß mehrfach Selbstmorddrohungen gegenüber Edith P*** aus, auch schrie er, randalierte und weinte wiederholt. Nach außen verstand er es, den Eindruck zu erwecken, daß das familiäre Leben in Ordnung sei. Alle drei Töchter haben den Vater wegen seines unleidlichen Verhaltens verlassen. Hermine B*** vom Bezirksjugendamt Wolfsberg beschimpfte der Kindesvater grundlos mit "falsches Weib", ein normales Gespräch konnte die Beamtin anläßlich eines Besuches vom 23. Mai 1986 mit ihm nicht führen. Auch gegenüber Frau B*** erklärte der Jugendliche, nicht zum Vater zurückkehren, sondern bei seiner Schwester bleiben zu wollen, da er von diesem geschlagen und beschimpft werde. Im Jahre 1977 lief gegen den Vater ein Führerscheinentzugsverfahren wegen Alkoholisierung. 1980 war eine Nachuntersuchung, die keine Auffälligkeiten ergab. Im November 1985 verständigte Abteilungsinspektor S*** vom Gendarmeriepostenkommando St.Stefan Amtsarzt Dr.Dagmar W*** davon, daß er beim Vater Selbstmordgefahr befürchte, da dieser seit Tagen betrunken sei. Anläßlich der folgenden Untersuchungen durch Dr.W*** äußerte der stark betrunkene Vater Selbstmordabsichten, weshalb er in die geschlossene Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt eingewiesen wurde. Das Persönlichkeitsbild des Vaters Johann J*** sen. entspricht einem Folgezustand früherer und zum Teil auch heute noch bestehender Alkoholund Tablettenabhängigkeit.
Es ist ein Übergang von der Phase expansiver, egozentrischer Machtbesessenheit zu resignierter Depressivität mit Suicid- und Selbstmorddrohungen gegeben. Der minderjährige Johann J*** jun. will mit dem Vater auf keinen Fall zusammenkommen; er droht damit, auf der Stelle davonzulaufen. Der Minderjährige ist von normaler Intelligenz und imstande, jede Berufslehre oder auch eine mittlere technische Schule mit Erfolg zu absolvieren. Margot J*** eignet sich für die Pflege und Erziehung ihres Bruders besser als der Vater. Sie ist ruhig und besonnen und übt einen guten Einfluß auf den Minderjährigen aus. Dem Vater gegenüber empfindet der Minderjährige Abneigung und ambivalente Gefühle mit Angst und Mißtrauen. Es soll darauf geachtet werden, daß der Minderjährige im engen Kontakt mit Margot J*** bleibt. Das heilpädagogische Gutachten ergibt gleichfalls, daß der Minderjährige keinesfalls beim Vater bleiben will; in projektiven Tests zeigten sich Angstsymptome, Affektverdrängung, Unsicherheit, Insuffizienzgefühle etc. Hingegen kann sich der Minderjährige gut vorstellen, bei seiner Schwester zu wohnen, von ihr erwartet er auch Hilfe, während er anderen Beziehungspartnern gegenüber große Bedenken hegt. Sowohl die Schwester des Vaters als auch der mütterliche Großvater des Minderjährigen endeten durch Selbtmord. Es besteht die Gefahr, daß der Minderjährige, wenn er zu seinem Vater zurückkehren muß, neuerlich Reißaus nimmt und, im Extremfall, sogar Selbstmord begeht. Der Vater rief beim Lehrherren des Minderjährigen, dem Fleischhauermeister D*** täglich an und störte dadurch dessen Betrieb. Frau D*** erklärte, sie wolle in ihrer Familie nicht beeinträchtigt werden, wenn sie den Minderjährigen am Wochenende versorgen müsse. D*** lehnte schließlich ab, den Minderjährigen in die Lehre zu nehmen. Es konnte nun ein Lehrplatz in Wien gefunden werden. Im dortigen Betrieb arbeitet auch Margot J*** als Ladnerin. Der Minderjährige selbst hat sich dort bereits vorgestellt und auch keinerlei nachteilige Verhältnisse feststellen können. Es handelt sich offenbar um einen wohlgeordneten Betrieb. Margot J*** ist in Wien wohnversorgt und wird den Minderjährigen in ihrer Wohnung aufnehmen und versorgen.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, daß das Verhalten des Vaters für die weitere Entwicklung des Minderjährigen schädlich sei, ernstliche Schäden seien zu befürchten, der Vater würde den Minderjährigen weiterhin drangsalieren und schikanieren. Margot J*** sei hingegen zur Erfüllung der sich aus § 144 ABGB ergebenden Rechte und Pflichten geeignet. Diese Regelungen entsprächen dem Interesse des Minderjährigen.
Der Rekurs des Vaters blieb erfolglos; das Gericht zweiter Instanz bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes (Punkt 1. der E.) mit der Maßgabe, daß Margot J*** für den minderjährigen Johann J*** zum Vormund bestellt wurde (Punkt 2. der E.).
Lediglich gegen Punkt 1. der Entscheidung des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs des Vaters, mit dem aus der Begründung zu entnehmenden Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen, mit welchen ihm alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönliche Rechte und Pflichten hinsichtlich des mj. Johann J***
entzogen wurden, ersatzlos aufzuheben. Der Rechtsmittelwerber führt aus, seine Tochter Margot wolle ihm seinen Sohn entziehen, ihre Angaben, er hätte seinen Sohn mißhandelt, seien unrichtig gewesen, er müsse auch den Vorwurf, Trinker zu sein, zurückweisen, er habe aus Kummer Trinkphasen gehabt, enthalte sich aber nunmehr des Alkohols. Ebenso sei es unrichtig, daß er Psychopharmaka nehme, die diesbezüglichen Feststellungen seien falsch; den Aussagen der Zeugen P*** und D*** hätte das Gericht Glauben geschenkt, die gegenteiligen Aussagen von 75 Kunden und Nichtkunden, die zu seinen Gunsten lauteten, seien hingegen nicht berücksichtigt worden. Auch das heilpädagogische Gutachten, dem das Erstgericht Glauben geschenkt habe, sei unrichtig. Die Schwestern des Minderjährigen hätten sich wenig um ihren Bruder gekümmert, als dieser noch die Volks- und Hauptschule besucht habe. Sein Sohn sei bereits in seinen Betrieb integriert, er habe ihm später den Betrieb übergeben wollen. Aus leichtsinnigen Bemerkungen, die er unter Alkoholeinfluß gemacht habe, seien Morddrohungen konstruiert worden. Der Oberste Gerichtshof möge die Unterlagen, die er vorlege, auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen und ihm die väterlichen Rechte wieder einräumen. Der Entzug der väterlichen Rechte könnte sich negativ auf seinen Geschäftsbetrieb auswirken und damit das künftige Wohl seines Sohnes beeinträchtigen.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:
Das Rekursgericht hat den Beschluß des Erstgerichtes hinsichtlich der vom Revisionsrekurswerber ausschließlich bekämpften Entziehung der elterlichen Rechte und Pflichten betreffend seinen Sohn Johann J*** jun. vollinhaltlich bestätigt. Da es sich somit um eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes handelt, wäre ein Revisionsrekurs gemäß § 16 AußStrG nur wegen Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit oder offenbarer Gesetzwidrigkeit zulässig. Der Rechtsmittelwerber konnte aber im vorliegenden Fall weder einen Verfahrensmangel vom Gewichte einer Nichtigkeit (Nullität), der etwa dann vorläge, wenn die Stoffsammlung so mangelhaft geblieben wäre, daß dadurch Grundprinzipien des Pflegschaftsverfahrens, nämlich die Bedachtnahme auf das Wohl des Kindes, außer acht gelassen wurden (vgl. EFSlg 42.369 u.a.), noch eine Aktenwidrigkeit, nämlich die unrichtige Wiedergabe des Akteninhaltes in einem wesentlichen Punkt (vgl. EvBl 1950/13 u.a.), noch auch eine offenbare Gesetzwidrigkeit der Entscheidung des Rekursgerichtes aufzeigen. Offenbare Gesetzwidrigkeit liegt vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit in Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird. Sie kann schon begrifflich nicht gegeben sein, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um eine Ermessensentscheidung handelt, außer die Entscheidung verstieße gegen die Grundsprinzipien des Rechtes oder sie wäre ganz willkürlich und mißbräuchlich (EFSlg 47.208), wovon hier nicht die Rede sein kann. Der Hinweis, daß nicht alle Umstände des Falls bedacht worden seien, vermag die in § 16 AußStrG angeführte Rechtsmittelvoraussetzung der offenbaren Gesetzwidrigkeit nicht herzustellen (EFSlg 44.643, 47.211). Wohl ist eine Entziehung der elterlichen Rechte gemäß § 176 Abs 1 ABGB nur dann zulässig, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes gefährden. Eine Gefährdung des Kindeswohles setzt nicht geradezu einen Mißbrauch der elterlichen Befugnisse voraus. Es genügt, daß die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (SZ 53/142, SZ 51/112 ua.). Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen wäre aber im vorliegenden Fall gerade die Belassung der elterlichen Rechte und Pflichten beim Vater mit der Gefahr einer ernstlichen Beeinträchtigung des Wohles des bereits 16-jährigen Minderjährigen verbunden. Die Ausführungen des Revisionsrekurses stellen vielmehr lediglich eine Bekämpfung der Beweiswürdigung des Erstgerichtes dar, die vom Rekursgericht gebilligt wurde. Ein solcher Anfechtungsgrund ist aber im § 16 AußStrG nicht vorgesehen. Da der Rechtsmittelwerber somit das Vorliegen der im § 16 AußStrG abschließend aufgezählten Anfechtungsgründe nicht darzutun vermochte, war sein Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.
Anmerkung
E09951European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00726.86.0127.000Dokumentnummer
JJT_19870127_OGH0002_0020OB00726_8600000_000