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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des PNC in W, vertreten durch Dr. Hilbert Aubauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rosenbursenstraße 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. April 2003, Zl. 234.975/0-V/15/03, betreffend Versagung der Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist in einem Verfahren nach dem Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. August 2002 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers (vom 30. Juli 2002) gemäß § 7 AsylG abgewiesen und ausgesprochen, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Dieser Bescheid wurde der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf (Referat für Jugendwohlfahrt und Sozialarbeit) am 2. August 2002 zugestellt.
Mit am 21. Jänner 2003 zur Post gegebenem Schriftsatz stellte der Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie (Magistratsabteilung 11; Kompetenzzentrum für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) gemäß § 25 AsylG für den Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsfrist und erhob gleichzeitig gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. August 2002 Berufung.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. Februar 2003 wurde der Wiedereinsetzungsantrag "gemäß § 71 Abs. 2 AVG als unzulässig zurückgewiesen".
Zur Begründung führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, der damalige gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers - das sei bis 8. Oktober 2002 die Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf (Referat für Jugendwohlfahrt und Sozialarbeit) gewesen - habe von der Existenz des im Asylverfahren ergangenen Bescheides vom 1. August 2002 und der Zulässigkeit einer Berufung gegen diesen Bescheid schon am 2. August 2002 Kenntnis erlangt. Das für die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages fristauslösende Ereignis falle auf den Zeitpunkt der Bescheidzustellung und nicht - wie im Wiedereinsetzungsantrag unrichtig behauptet werde - auf den 9. Jänner 2003. Der Wiedereinsetzungsantrag hätte spätestens am "16. August 2003" (gemeint wohl: 16. August 2002) gestellt werden müssen. Die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters sei der Partei zuzurechnen. Der Wiedereinsetzungsantrag sei nach Ablauf der Frist des § 71 Abs. 2 AVG gestellt worden und daher zurückzuweisen. Gegen die Versäumung der Frist des § 71 Abs. 2 AVG finde keine Wiedereinsetzung statt, sodass auf eine mögliche Verschuldensfrage oder das Vorliegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses nicht einzugehen sei.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. Februar 2003 "gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen".
Zur Begründung stellte die belangte Behörde den Verfahrensverlauf dar und führte danach im Anschluss an die Wiedergabe des Wortlautes des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG u.a. aus, "§ 71 Abs. 1 lit. a AVG" beziehe sich auf die Partei, im Anwendungsbereich des § 12 AVG aber auch auf den Bevollmächtigten. Daher sei das Verschulden des Vertreters der Partei zuzurechnen. Ein Wiedereinsetzungsantrag könne nur erfolgreich sein, wenn glaubhaft gemacht werde, dass der Parteienvertreter durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Frist gehindert worden sei und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens treffe. Nach Wiedergabe auch des § 71 Abs. 2 AVG führte die belangte Behörde weiter aus, das Bundesasylamt habe im Bescheid vom 4. Februar 2003 die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Erwägungen der Beweiswürdigung und die Beurteilung der Rechtsfrage "klar und übersichtlich zusammengefasst". Die belangte Behörde schließe sich diesen Ausführungen des Bundesasylamtes vollinhaltlich an. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG in Verbindung mit § 67d AVG habe von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden können.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
§ 71 Abs. 1 und Abs. 2 AVG lauten:
"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu
erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid
keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.
(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden."
Die belangte Behörde hat ihre Bestätigung des erstinstanzlichen, auf § 71 Abs. 2 AVG gestützten Zurückweisungsbescheides im Spruch des angefochtenen Bescheides auf "§ 71 Abs. 1 AVG" - eine der erstinstanzlichen Zurückweisung nicht zu Grunde liegende und dafür auch nicht geeignete Vorschrift - gestützt und diese Entscheidung einerseits mit die Sache des Berufungsverfahrens, nämlich die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages, nicht betreffenden Ausführungen über "§ 71 Abs. 1 lit. a AVG" und andererseits mit einem Totalverweis auf den erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid begründet. Eine argumentative Auseinandersetzung mit dem in der Berufung vertretenen Standpunkt hinsichtlich des Beginns der Wiedereinsetzungsfrist fehlt zur Gänze.
Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid somit nicht nachvollziehbar begründet, weil die Überlegungen, von denen sie sich bei der Abweisung der Berufung "gemäß § 71 Abs. 1 AVG" leiten ließ, für den Verwaltungsgerichtshof nicht erkennbar sind.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. August 2005
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003010330.X00Im RIS seit
22.09.2005