TE Vwgh Erkenntnis 2005/8/30 2003/01/0227

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Veröffentlicht am 30.08.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

MRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StGB §133 Abs1;
StGB §134 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des Z P in F, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 10. März 2003, Zl. Ia 370- 667/2002, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines bosnischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG)" ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 14. Oktober 1974 in Bludenz (Vorarlberg) geboren, er habe seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich. Nach dem Besuch der Pflichtschule habe er eine Lehre als Stahlbauschlosser absolviert; bis 2000 habe er als Versicherungskaufmann und Schlosser in verschiedenen Betrieben in Vorarlberg gearbeitet. Anschließend habe der Beschwerdeführer die Berufsreifeprüfung abgelegt; seit 2001 studiere er an der Johannes "Kettler" (richtig: Kepler) Universität Linz im Wege eines Fernstudiums Rechtswissenschaft.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 17. August 1993 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 StGB unter Vorbehalt des Ausspruches der zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren verurteilt worden.

Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 17. Oktober 1996 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen a S 100,-- verurteilt worden, weil er "von Dezember 1994 bis Sommer 1995 in Nüziders und Bürs als Schuldner mehrer Gläubiger, in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit, fahrlässig die Befriedigung seiner Gläubiger dadurch vereitelt oder geschmälert hatte, dass er neue Schulden einging, andererseits Schulden bezahlte und die Eröffnung des Konkurses oder Ausgleichsverfahrens nicht rechtzeitig beantragte".

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 24. April 1997 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Unterschlagung nach § 134 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen a S 350,-- verurteilt worden, weil er "am 3.3.1997 bei der Mobiltankstelle in Bludenz getankt hatte, ohne das getankte Benzin zu zahlen".

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 22. Mai 2001 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen a S 250,--

verurteilt worden, weil er "sich am 30.10.2000 einen entliehenen Videofilm mit dem Vorsatz, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, zugeeignet hatte, indem er den Film trotz mehrfacher Mahnungen nicht zurückgestellt hatte".

Der Beschwerdeführer sei von der Bezirkshauptmannschaft bestraft worden; diesbezüglich listete die belangte Behörde zunächst Verwaltungsstrafen im Zeitraum 12. Oktober 1993 bis 19. November 1997 jeweils unter Angabe von Bescheidzahl, Datum der Übertretung (Tatzeit) sowie jeweils verhängter Strafe und angewendeter Gesetzesbestimmung(en) auf.

Danach stellte die belangte Behörde noch folgende Bestrafungen des Beschwerdeführers fest:

"mit Bescheid, Zl. X-alt-1998/3225, wegen einer Übertretung vom 06.03.1998 nach den §§ 52 lit. a Z 10a und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von (umgerechnet) EUR 182,--, weil er mit dem von ihm gelenkten PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 37 km/h überschritten hatte;

mit Bescheid, Zl. X-alt-1999/3040, wegen einer Übertretung von 12.04.1999 nach § 36 lit. e KFG 1967 mit einer Geldstrafe von (umgerechnet) EUR 36,--, weil er ein mehrspuriges Kraftfahrzeug ohne eine den Vorschriften entsprechende Begutachtungsplakette verwendete;

mit Bescheid, Zl. X-9-2000/4607, wegen einer Übertretung vom 07.02.2000 nach § 7 Abs. 5 StVO mit einer Geldstrafe von (umgerechnet) EUR 73,--, weil er mit dem von ihm gelenkten PKW eine als Einbahn gekennzeichnete Straße entgegen der angezeigten Fahrtrichtung befahren hatte;

mit Bescheid, Zl. X-9-2000/08826, wegen einer Übertretung vom '32.02.2002' nach Art. III Abs. 5 lit. a der 3. KFG-Novelle, BGBl. Nr. 352/1974, mit einer Geldstrafe von EUR 14,--, weil er als Lenker eines Kraftfahrzeuges den Sicherheitsgurt nicht verwendet hatte."

Mit Bescheid vom 7. Februar 1995 sei dem Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz die Lenkerberechtigung für drei Monate entzogen worden, weil er der bescheidmäßig angeordneten Nachschulung keine Folge geleistet habe. Der Beschwerdeführer sei außerdem Vater einer unehelichen Tochter; bis März 2003 schulde er Unterhaltszahlungen in Höhe von EUR 7.303,67.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus dem festgestellten Sachverhalt, der Beschwerdeführer erfülle die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht. Er sei viermal strafrechtlich verurteilt worden. Seit 1996 habe er immer wieder strafbare Handlungen gegen fremdes Eigentum begangen; die Vergehen der Unterschlagung und der Veruntreuung habe er vorsätzlich begangen. Der Beschwerdeführer habe seit 1993 insgesamt 48 Verwaltungsübertretungen begangen. Daraus, dass er in den letzten Jahren wiederholt Vermögensdelikte und eine Vielzahl von Verwaltungsübertretungen begangen habe, sei zu folgern, dass der Beschwerdeführer "möglicherweise auch in Zukunft wesentliche Vorschriften missachten wird, die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bzw. für die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen erlassen wurden".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG kann die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt, noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.

Bei der Prüfung dieser Verleihungsvoraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers, insbesondere auf von ihm begangene Straftaten, Bedacht zu nehmen. Maßgebend ist, ob es sich dabei um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Verleihungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschrift missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstösse kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetze zum Ausdruck (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8.März 2005, Zl. 2004/01/0421, und die darin angegebene Judikatur).

Ausgehend davon fehlt der Zukunftsprognose der belangten Behörde im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG die hinreichende Tatsachengrundlage, um die im angefochtenen Bescheid dargestellten Rückschlüsse ziehen zu können. Die belangte Behörde hat dazu nur ausgeführt, der Beschwerdeführer habe "seit 1993 48 Verwaltungsübertretungen" bzw. "eine Vielzahl von Verwaltungsübertretungen" begangen, sie hat jedoch Feststellungen über die Tathandlungen der bis 19. November 1997 begangenen Verwaltungsübertretungen nicht getroffen. Zu den danach am 6. März 1998, am 12. April 1999, am 7. Februar 2000 und am "32. Februar 2002" begangenen Verwaltungsübertretungen hat die belangte Behörde wenigstens die jeweils als erwiesen angenommene Tat (vgl. § 44a Z 1 VStG) dargestellt, mit dem konkreten Verhalten des Beschwerdeführers, das seinen Verwaltungsstrafen zu Grunde gelegen ist, hat sich die belangte Behörde allerdings nicht auseinander gesetzt und darüber keine Feststellungen getroffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2001/01/0032). Allein die Anzahl der (innerhalb von zehn Jahren vor Erlassung des angefochtenen Bescheides begangenen) Verwaltungsstrafen bzw. die bloße Tatsache der "Begehung von Verwaltungsübertretungen" ist für die Beurteilung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht hinreichend aussagekräftig.

Aus den strafgerichtlichen Verurteilungen folgert die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer "seit 1996 immer wieder strafbare Handlungen gegen fremdes Eigentum" bzw. "in den letzten Jahren wiederholt Vermögensdelikte" begangen habe.

Die Verurteilung mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 17. August 1993 erfolgte wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 StGB und demnach nicht wegen eines Vermögensdeliktes. Über den Tatzeitpunkt und die Tathandlung, die zu dieser Verurteilung geführt hat, wurden keine Feststellungen getroffen. Hinsichtlich der Verurteilung vom 17. Oktober 1996 wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida (nach damaliger Rechtslage) ist von einem Tatzeitraum Dezember 1994 bis Sommer 1995 auszugehen. Die belangte Behörde gründete ihre Einschätzung, der Beschwerdeführer habe "seit 1996 immer wieder strafbare Handlungen gegen fremdes Eigentum begangen", demnach nicht auf diese beiden Verurteilungen.

Hinsichtlich der verbleibenden Verurteilungen vom 24. April 1997 und vom 22. Mai 2001 wegen der Vergehen der Unterschlagung bzw. der Veruntreuung ist davon auszugehen, dass diese Taten im März 1997 und im Oktober 2000 begangen wurden. Diese Straftaten lagen demnach im maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung durch die belangte Behörde schon sechs Jahre bzw. zwei Jahre und fünf Monate zurück. Die konkreten Tathandlungen (Nichtbezahlung einer Tankfüllung; unterlassene Rückgabe eines entliehenen Videofilms), die zu diesen Verurteilungen geführt haben, sind ihrer Art nach nicht als ausreichend gravierend anzusehen, um für sich betrachtet die dargelegte Zukunftsprognose der belangten Behörde zu tragen.

Im Rahmen der Beurteilung des Persönlichkeitsbildes (der gebotenen Persönlichkeitsprüfung) des Beschwerdeführers hätte sich die belangte Behörde im Übrigen nicht allein mit dem Aufzeigen von Bestrafungen und Verurteilungen (wegen eines strafrechtlichen bzw. verwaltungsstrafrechtlichen Fehlverhaltens) begnügen dürfen. Im gegenständlichen Fall ließ die belangte Behörde insbesondere unberücksichtigt, dass sich die Lebensumstände des Beschwerdeführers seit seinen bereits länger zurückliegenden Straftaten durch das nach absolvierter Lehre (als Stahlbauschlosser) und Ablegung der Berufsreifeprüfung seit 2001 begonnene Studium (der Rechtswissenschaften) wesentlich verändert haben. Die belangte Behörde hätte aber vom Gesamtverhalten des Beschwerdeführers auszugehen gehabt und alle wesentlichen Umstände (insbesondere sein familiäres und persönliches Umfeld oder ein allfälliges Wohlverhalten) in ihre Beurteilung einbeziehen müssen.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Die nicht entrichtete, jedoch verzeichnete Pauschalgebühr war nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer im Rahmen der bewilligten Verfahrenshilfe von der Entrichtung dieser Gebühr befreit wurde.

Wien, am 30. August 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003010227.X00

Im RIS seit

31.10.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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