Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*** Ö***
(U*** G***), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17- 19, 1010 Wien, wider die beklagte Partei Hanna J***, Hausfrau, Am Dominikanergrund 44, 8043 Graz, vertreten durch Dr. Egon Jaufer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Herausgabe, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 30. April 1986, GZ. 4 R 54/86-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 16. Jänner 1986, GZ. 26 Cg 159/85-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
"Die Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen das Werk "Litographische Ansichten der Steyermärkischen Städte, Märkte und Schlösser, gesammelt und herausgegeben von J.F. Kaiser, Graz, 1825" herauszugeben.
Die Beklagte ist weiter schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.174,-- bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit S 5.145,-- bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen." Die Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.088,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das im Spruch angeführte Buch wurde von der U*** G*** mit der Signatur "I.11.980" versehen und in ein Verzeichnis aller vorhandenen Bücher eingetragen. Auf der Rückseite jedes Blattes des Werkes findet sich ein ovaler Stampiglienaufdruck:
"K.K.Universitätsbibliothek zu Gratz". Im Zuge einer Generalrevision der Bibliothek im Jahre 1950 kam hervor, daß dieses Werk fehlt. Wann und auf welche Weise es aus der Bibliothek verbracht wurde, konnte nicht festgestellt werden. Als Johanna B*** - eine Tante der Beklagten - am 14. September 1970
starb, befand sich dieses Buch in einem im Vorzimmer ihrer Wohnung befindlichen Kasten. Gemäß § 72 Abs 2 AußStrG wurde keine Verlassenschaftsabhandlung eingeleitet, die Mutter der Beklagten, die Eigentümerin des Hauses ist, in dem sich die Wohnung der Johanna B*** befand und die selbst in diesem Haus wohnte, übernahm sämtliche Nachlaßgegenstände. Sie wußte, daß der Kasten ausschließlich der Aufbewahrung von im Besitz ihrer verstorbenen Schwester befindlichen Gegenständen diente, untersuchte den Inhalt aber nicht näher. Die Mutter der Beklagten starb am 22. Juli 1979, ihr Nachlaß wurde der Beklagten eingeantwortet. Als die Beklagte im November 1984 den Kasten räumen wollte, fiel ihr erstmals das Buch auf. Sie war der Meinung, ihre Mutter bzw Johanna B*** seien rechtmäßige Eigentümerinnen des Werkes gewesen, zumal die Stampiglienaufdrucke offensichtlich schon sehr alt waren.
Die klagende Partei begehrt die Herausgabe dieses Buches mit der Begründung, es stehe seit mehr als 100 Jahren in ihrem Eigentum. Die Beklagte wendete ein, sie und ihre Rechtsvorgänger seien redliche Besitzer, schon ihre Rechtsvorgänger hätten durch Ersitzung Eigentum am Buch erworben.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein Eigentumsrecht von Johanna B*** sei zwar nicht erweisbar gewesen, die Mutter der Beklagten habe aber das Eigentum ersessen. Ein der Klägerin obliegender Beweis der Unredlichkeit sei nicht erbracht worden. Es schade nichts, daß die Mutter der Beklagten nicht gewußt habe, welche Gegenstände sich in dem Kasten befänden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige, und erklärte die Revision für zulässig. Die Mutter der Beklagten habe die im Kasten befindlichen Gegenstände als ihr gehörig betrachtet. Sie sei Besitzerin des Buches gewesen, auch wenn sie nie Kenntnis von seiner Existenz gehabt habe. Die Überlassung der Nachlaßgegenstände gemäß § 72 Abs 2 AußStrG stelle einen zum Eigentumserwerb tauglichen Titel dar. Trotz der Signatur und der Stampiglienaufdrucke im Buch sei Gutgläubigkeit anzunehmen. Der Umstand, daß sich das vor mehr als 150 Jahren erschienene Buch einmal im Besitz und Eigentum der "Universitätsbibliothek zu Gratz" befunden habe, könne nicht dahin ausgelegt werden, daß dieses Eigentum auch derzeit noch zu Recht bestehe. Es sei gerichtsbekannt, daß Bibliotheken von Zeit zu Zeit aus ihren Beständen Werke ausscheiden und etwa veräußern, weshalb es möglich sei, daß das Buch auf korrekte Weise aus dem Besitz der Bibliothek gelangt sei. Überdies sei umstritten, ob die Redlichkeit schon verloren gehe, wenn sich jemand nur aus leichter Fahrlässigkeit für berechtigt halte, obwohl er es nicht sei. Im Zweifel sei anzunehmen, daß ein Besitzer redlich sei.
Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Die Vorinstanzen gingen - von der Beklagten unbestritten - davon aus, daß das Buch seinerzeit rechtmäßig zu den Beständen der Universität Graz gehörte, es somit im Eigentum der klagenden Partei stand. Daß das Werk später veräußert wurde, wurde weder behauptet noch festgestellt; im Register (Verzeichnis aller vorhandenen Bücher, Beilage II) ist nichts diesbezügliches vermerkt. Die klagende Partei ist daher berechtigt, die Eigentumsklage zu erheben. Die Beklagte stützt ihren Antrag, das Klagebegehren abzuweisen, auf Ersitzung. Voraussetzung hiefür wäre gemäß § 1460 ABGB (§ 1463 ABGB) unter anderem redlicher Besitz. Guter Glaube setzt die positive Überzeugung von Rechtmäßigkeit des Besitzes voraus, er wird schon durch Zweifel ausgeschlossen (vgl. SZ 57/44; Schubert in Rummel Rz 1 zu § 1463 mwN). Gutgläubiger Erwerb ist überall dort zu verneinen, wo irgendein Merkmal den Erwerbsakt objektiv verdächtig erscheinen läßt (5 Ob 77/70, 6 Ob 761/78). Daher hindern schon Zweifel den guten Glauben (Spielbüchler in Rummel, Rdz 4 zu § 326). Die auf dem Werk angebrachte Signatur und die auf jedem Blatt vorhandene Stampiglie der Universität Graz waren - auch wenn sie offenkundig schon vor langer Zeit angebracht worden waren - ohne Zweifel ein Merkmal, das den Verdacht begründen mußte, das Werk stehe im Eigentum der R*** Ö***. Aus diesem Grund kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Beklagte und ihre Mutter redliche Besitzer des Werkes waren, weshalb die Ersitzung zu verneinen ist, ohne daß es erforderlich wäre, auf die weiteren Ausführungen der Revisionswerberin einzugehen.
Der klagenden Partei steht daher ein Herausgabeanspruch zu, weshalb der Revision Folge zu geben und im Sinne des Klagebegehrens zu entscheiden war.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens überdies auf § 50 ZPO.
Anmerkung
E09952European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00504.87.0127.000Dokumentnummer
JJT_19870127_OGH0002_0020OB00504_8700000_000