Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Hule, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois S***, Angestellter, Sinnhub 91, vertreten durch Dr. Bertram Maschke, Rechtsanwalt in Radstadt, wider die beklagte Partei Renü K***, Schüler, Wien 22., Hartlebengasse 1-17/59/5/17, vertreten durch Dr. Friedrich Oedl und Dr. Rudolf Forstenlechner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 60.000,-- s.A. und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 8. Juli 1986, GZ 4 R 54/86-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 3. Dezember 1985, GZ 5 Cg 98/84-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 25. Februar 1981 gegen 16 Uhr stießen der Kläger und der damals 13 Jahre alte Beklagte in Altenmarkt im unteren Bereich der von der Hochbifang-Sesselbahn erschlossenen Piste unmittelbar oberhalb einer die Piste querenden Straße zusammen. Der Kläger erlitt hiebei einen Bruch des rechten Unterschenkels. Er wirft dem Beklagten vor, mit zu hoher Geschwindigkeit und unkontrolliert gefahren zu sein, und begehrt ein Schmerzengeld von S 60.000 s.A.
sowie die Feststellung der Haftpflicht des Beklagten für künftige Unfallsfolgen.
Der Beklagte bestreitet eine Sorgfaltsverletzung und behauptet, im Zuge einer Bogenfahrt infolge Verkantung ungewollt nach rechts abgekommen zu sein. Nach seinem Standpunkt gehöre der Zusammenstoß zu den mit der Ausübung des Schisportes verbundenen Risken. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es führte eine Beweiswiederholung durch und legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:
Die weiträumige, ungleich breite Piste macht im Bereich oberhalb der Kollisionsstelle eine Linksbiegung und führt dann schräg zur Hangfallinie weiter in Richtung Talstation. Sie überquert ca. 15 m oberhalb der Kollisionsstelle im spitzen Winkel eine Zufahrtsstraße. An der Straßenkreuzung verengt sich die vorher sehr weiträumige Piste auf ca. 15 m. Aus einer Entfernung von ca. 100 m besteht ungehinderte Sicht auf die Unfallstelle. Zur Unfallszeit war schönes Wetter. Die Pistenverhältnisse waren gut. Der Beklagte war Teilnehmer eines Schulschikurses und fuhr als Vorletzter einer 14köpfigen Schülergruppe ab. Er war als guter Schifahrer in die 2. Leistungsgruppe eingeteilt worden. Die Schüler hatten von dem Gruppenleiter, dem vorausfahrenden Lehrer, die Weisung erhalten, ungefähr der vorgegebenen Spur zu folgen und keinesfalls zu überholen. Der Gruppenleiter fuhr in mittellangen Schwüngen mit einer Geschwindigkeit zwischen 30 bis 40 km/h. Es konnte nicht festgestellt werden, daß der Beklagte mit einer höheren Geschwindigkeit als 30 km/h fuhr. Ca. 50 bis 60 m oberhalb der Kollisionsstelle sah der Beklagte den Kläger, der in einer Entfernung von 15 bis 20 m schräg vor ihm fuhr. Nach dieser Wahrnehmung beobachtete der Beklagte den Kläger nicht mehr und nahm ihn auch bis zur Kollision nicht mehr wahr. Der Kläger, ein Aussteighelfer bei der Doppelsesselbahn, war mit einer Geschwindigkeit von ca. 25 km/h abgefahren und näherte sich immer mehr dem Pistenrand. Er wollte wegen der abfahrenden Gruppe von jungen Schifahrern am Pistenrand anhalten. In einer Entfernung von 12 bis 13 m vom Kläger setzte der Beklagte zu einem Rechts- oder Linksschwung an. Hiebei verlor er die Kontrolle über die Schi und fuhr in unkontrollierter Fahrt auf den Kläger zu.
Beide Vorinstanzen bejahten die Verschuldensfähigkeit des Beklagten. Nach der Auffassung des Erstgerichtes falle dem Beklagten zur Last, als nachkommender und schnellerer Schifahrer seine Fahrweise nicht auf die des Klägers eingestellt zu haben und mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren zu sein. Hiezu ist festzuhalten, daß das Erstgericht eine Fahrgeschwindigkeit des Beklagten von mindestens 40 km/h festgestellt hatte. Nach der insoweit auf anderer Feststellungsgrundlage beruhenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes könne dem Beklagten eine überhöhte Geschwindigkeit nicht angelastet werden. Ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Beklagten liege jedoch darin, daß er den Kläger auf eine Fahrstrecke von 40 bis 50 m nicht mehr weiter beobachtet und seine Fahrlinie nicht auf den Kläger eingestellt habe.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteigt und erklärte die Revision für zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.
Unter dem Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht der Kläger nur einen der rechtlichen Beurteilung zuzuordnenden Feststellungsmangel geltend, der jedoch nicht vorliegt.
Richtig ist, daß die Deliktsfähigkeit Unmündiger in jedem Einzelfall unter Bedachtnahme auf das bei ihnen zur Unfallszeit vorhandene Maß an Einsicht bezüglich der konkreten Handlung (oder Unterlassung) zu prüfen ist (ZVR 1983/215; ZVR 1976/14;
EvBl. 1970/377 uva; Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 4 zu § 1310). Nach § 6 der POE-Regeln, die zwar keine gültigen Rechtsnormen sind, denen aber als Zusammenfassung der bei der Ausübung des alpinen Schisportes zu beobachtenden Sorgfaltspflichten erhebliche Bedeutung zukommt (ZVR 1983/9 mwN), hat der Schifahrer während der Fahrt das Gelände und die anderen Personen vor sich ständig genau zu beobachten, alle möglichen Hindernisse zu berücksichtigen und auf Sicht zu fahren. Das Gebot der Beobachtung des Geländes und der anderen Pistenbenützer ist so selbstverständlich, daß es auf den ersten Blick überflüssig erscheint, es als besonderen Grundsatz zu statuieren. Die Außerachtlassung des relevanten Pistenbereiches macht jedoch die Einhaltung der übrigen Regeln praktisch unmöglich, sodaß es sich bei der Pflicht zur Beobachtung des relevanten Geländes und der anderen Personen um eine der wichtigsten Anforderungen an das Verhalten beim Pistenschilauf handelt (Pichler-Holzer, Handbuch des österreichischen Schirechtes 165 f). Aus der Einsichtigkeit der obgenannten Regel ergibt sich, daß ihre Kenntnis und Einhaltung auch einem erst 13jährigen Schifahrer zumutbar ist. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht die Verantwortlichkeit des Beklagten für den Regelverstoß bejaht. Die Auffassung der Revision, daß den Beklagten als Teilnehmer an einem Schulschikurs geringere Sorgfaltspflichten getroffen hätten, ist abzulehnen. Teilnehmer an Schikursen haben auf Pisten grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie andere Schiläufer. Sie haben die Verhaltensregeln zu beobachten und keine Vorrechte gegenüber anderen Pistenbenützern (Pichler-Holzer aaO 213). Dieser Eigenverantwortlichkeit werden die Teilnehmer eines Schikurses auch nicht durch den voranfahrenden Lehrer entbunden, weil für die nachfolgenden Teilnehmer eine völlig andere Situation gegeben sein kann als für den Gruppenführer (ZVR 1983/9). Der von der Revision geforderten analogen Anwendung des § 29 a StVO ist entgegenzuhalten, daß die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung auf den Schilauf in der Lehre grundsätzlich abgelehnt wird (Pichler, Pisten, Paragraphen, Schiunfälle 41; Kleppe, Die Haftung bei Schiunfällen in den Alpenländern 29; Reindl in ZVR 1976, 378). Gerade bei der Bestimmung des § 29 a StVO erscheint eine sinngemäße Anwendung auf den alpinen Schilauf besonders fraglich. Diese Frage kann aber unerörtert bleiben, weil ohnehin feststeht, daß der Kläger an den Pistenrand fuhr, um dort wegen der abfahrenden Gruppe anzuhalten, sodaß selbst aus einer sinngemäßen Anwendung des § 29 a StVO für den Beklagten nichts gewonnen wäre.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes verlor der Beklagte bei einem Rechts- oder Linksschwung die Kontrolle über die Schi, sodaß er den Schwung nicht mehr ausführen konnte und in unkontrollierter Fahrt auf den am Pistenrand befindlichen Kläger zufuhr. Ein schitechnisch unrichtiges Verhalten ist zwar für sich allein nicht rechtswidrig, es muß auch noch ein anderes sorgfaltswidriges Verhalten vorangehen (Reischauer aaO Rdz 7 zu § 1297; Pichler-Holzer aaO 180). Letzteres liegt aber hier vor, hatte doch der Beklagte den Kläger nach erster Wahrnehmung nicht mehr weiter beachtet und seine Fahrlinie nicht auf den schräg vor ihm befindlichen Kläger eingestellt. Zu den Revisionsausführungen über den fehlenden Kausalzusammenhang zwischen dem regelwidrigen Verhalten des Beklagten und dem mißglückten Schwung ist auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach für den Kausalzusammenhang insbesondere bei Unterlassungen keine strengen Anforderungen gestellt werden dürfen. Der Beweis eines sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrades genügt (JBl. 1972, 426 und 569; JBl. 1971, 307; JBl. 1960, 190; 8 Ob 252/79; vgl. auch Reischauer aaO Rdz 3 zu § 1295). Der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß hier ein solcher Wahrscheinlichkeitsgrad vorliegt (AS 182), kann gefolgt werden. Die Geländebeschaffenheit, wie sie sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen und dem Lichtbild ergibt, die guten Pistenverhältnisse und die Qualifikation des Beklagten als guter Schifahrer reichen für die Annahme aus, daß der Beklagte bei gehöriger Beobachtung des Klägers seine Fahrlinie auf diesen rechtzeitig eingestellt hätte und dann nicht so nahe am Kläger den Abschwung vorgenommen hätte. Eine Stellungnahme zu den Revisionsausführungen zum dritten Fall des § 1310 ABGB erübrigt sich, weil dieser Fall nach herrschender Rechtsprechung nur subsidiär in Betracht kommt, wenn ein Schuldvorwurf ausgeschlossen ist (JBl. 1982, 375; ZVR 1976/14;
SZ 47/43; SZ 45/69; EFSlg. 41.096, 24.832, 13.683; 8 Ob 25/86;
6 Ob 618/83; 1 Ob 670/78 ua). Letzteres ist hier jedoch, wie sich aus den obigen Darlegungen ergibt, nicht der Fall.
Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E10167European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00721.86.0129.000Dokumentnummer
JJT_19870129_OGH0002_0070OB00721_8600000_000