TE OGH 1987/2/12 6Ob517/87

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Veröffentlicht am 12.02.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Schlosser und Mag. Engelmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marianne K***, Serviererin, 2500 Baden, Rainerring 5, vertreten durch Dr. Willi Fuhrmann, Dr. Helmut Steiner und Dr. Thomas Weber, Rechtsanwälte in Baden, wider die beklagte Partei Erwin K***, Pensionist, 2540 Bad Vöslau, Bahnstraße 36, vertreten durch Dr. Friedrich Eckert, Rechtsanwalt in Baden, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6. November 1986, GZ. 1 R 183/86-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 18. Juli 1986, GZ. 3 Cg 1011/85-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.397,35 S (darin enthalten 308,85 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 11. März 1936 (im erstgerichtlichen Urteil ist das Geburtsdatum offenbar irrig mit "11.4.1936" angegeben) geborene Klägerin und der am 5. Juli 1924 geborene Beklagte sind miteinander seit 4. September 1954 verheiratet. Die Klägerin war vorher ledig, die erste Ehe des Beklagten war geschieden worden. Die Parteien sind Österreicher, römisch-katholisch und hatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Bad Vöslau im Sprengel des Kreisgerichtes Wiener Neustadt. Aus der Ehe stammt ein großjähriger Sohn. Ehepakte wurden nicht errichtet.

In der am 11. Jänner 1985 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Scheidung der Ehe wegen Verschuldens beider Ehegatten und brachte dazu vor:

Beide Ehegatten gingen seit Jahren eigene Wege und hätten eigene Interessen. Die Klägerin habe am Beklagten kein Interesse mehr. Dieser Zustand werde durch gegenseitige Lieblosigkeiten, insbesondere ständige Beschimpfungen, zu denen vor allem der Beklagte neige, verstärkt. Die Ehegatten lebten seit einem Jahr getrennt. Durch die beiderseitigen Eheverfehlungen sei die Ehe unheilbar zerrüttet (ON 1).

Im Laufe des Verfahrens machte die Klägerin als weitere Eheverfehlungen geltend, der Beklagte habe ihr nach Einbringung der Klage in ihrer Wohnung aufgelauert, sie beschimpft, mit Gegenständen beworfen und bedroht (ON 5), sie im April 1985 unter Gewaltanwendung zum Beischlaf genötigt und ihr dabei das Gewand heruntergerissen (ON 6) und sie am 27. Dezember 1985 bei einem tätlichen Angriff leicht verletzt (ON 15).

Der Beklagte beantragte zunächst nur die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Er bemühe sich, die Ehe, die bis zu ihrer Störung durch Franz G*** gut gewesen sei, zu retten (ON 3). Später beantragte er "sicherheitshalber", die Mitschuld der Klägerin auszusprechen, weil diese ehewidrige Beziehungen zu Franz G*** unterhalte, betonte aber, daß er sich weiter gegen eine Scheidung wehre (ON 6).

Das Erstgericht schied die Ehe wegen Verschuldens beider Parteien.

Es stellte fest:

Die Ehe verlief bis 1983 gut. In diesem Jahr lernte die Klägerin Franz G*** kennen, in den sie sich "schwärmerisch" verliebte. Sie telefonierte häufig mit ihm, nannte ihn "Schatzi" und "Liebling" und gebrauchte auch andere Kosenamen. Sie traf sich mit ihm in Baden und in der näheren Umgebung Badens in Kaffeehäusern und Konditoreien, nie jedoch in ihrer Wohnung. Es kam auch zu keinen geschlechtlichen Beziehungen. Gegenüber dem Beklagten verhielt sich die Klägerin lieb- und interesselos. Seit Juni 1984 ist die eheliche Gemeinschaft aufgelöst. Die Klägerin wohnt seither in Baden, während der Beklagte in der früheren Ehewohnung in Bad Vöslau blieb. Seither gibt es auch keine gemeinsame Wirtschaftsführung und keine regelmäßigen gegenseitigen geschlechtlichen Beziehungen mehr. Den letzten nicht erzwungenen gemeinsamen Geschlechtsverkehr vollzogen die Ehegatten im Jänner 1985, doch wollte die Klägerin auch diesen Geschlechtsverkehr, währenddessen sie weinte, nicht mehr. Als der Beklagte mit ihr im April 1985 einen Geschlechtsverkehr durchführen wollte, weigerte sich die Klägerin, worauf er ihr "die Kleider" vom Leib riß und "gewaltsam gegen ihren Willen" einen Geschlechtsverkehr vollzog. Seither kam es zwischen den Parteien zu keinen geschlechtlichen Beziehungen mehr. Als die Klägerin im Dezember 1985 mit Angina in ihrer Wohnung im Bett lag, wehrte sie sich gegen geschlechtliche Annäherungsversuche des Beklagten und erlitt dabei zahlreiche Kratzwunden am Unterbauch und über den Lenden. (Der Beklagte beschimpfte die Klägerin auch wegen ihrer Telefonate mit Franz G***.) Durch das Verhalten beider Ehegatten ist die Ehe unheilbar zerrüttet.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes haben beide Ehegatten durch schwere Eheverfehlungen die Ehe schuldhaft unheilbar zerrüttet. Der Beklagte habe die Klägerin beschimpft, einen Geschlechtsverkehr erzwungen und sie beim Versuch eines weiteren Geschlechtsverkehrs leicht verletzt. Die Klägerin habe ehewidrige Beziehungen zu Franz G*** unterhalten. Durch diese etwa gleich schweren Eheverfehlungen sei es zumindest bei der Klägerin zu einer totalen Entfremdung und damit zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe gekommen. Dies rechtfertige deren Scheidung nach § 49 EheG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies das Scheidungsbegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen, vertrat aber die Rechtsansicht, daß die Klägerin wegen ihrer seit 1983 dauernden ehewidrigen Beziehung zu Franz G*** und der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft im Juni 1984 trotz der als schwere Eheverfehlungen zu beurteilenden Handlungen des Beklagten im April und Dezember 1985 das Recht auf Scheidung im Sinne des § 49 Satz 2 EheG verwirkt habe. Die auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung gerichtete Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache ist zulässig (§ 502 Abs.5 ZPO), aber nicht berechtigt.

Wer selbst eine Verfehlung begangen hat, kann nach § 49 Satz 2 EheG die Scheidung nicht begehren, wenn nach der Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Verfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt ist.

Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht mit Recht bejaht. Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen hatte der Beklagte bis zur Scheidungsklage im Jänner 1985 überhaupt noch keine schweren Eheverfehlungen begangen.

Hingegen hatte die Klägerin bis dahin schon schwere Eheverfehlungen gesetzt:

Sie unterhielt seit 1983 ein vom Beklagten schärfstens mißbilligtes schwärmerisches Liebesverhältnis zu Franz G*** und verhielt sich deshalb gegenüber dem Beklagten lieb- und interesselos, wodurch sie beharrlich gegen die Pflichten zur Treue und anständigen Begegnung (§ 90 ABGB) verstieß. Seit Juni 1984

verletzte sie auch ihre Pflichten zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen, sowie zum Beistand (§ 90 ABGB), weil sie ohne gerechtfertigten Grund aus der Ehewohnung auszog und weder zur Deckung der Bedürfnisse noch zur Deckung des Haushaltes beitrug und überdies regelmäßige geschlechtliche Beziehungen zum Beklagten verhinderte. Diese andauernden schweren Eheverfehlungen konnten die eheliche Gesinnung des Beklagten nicht zerstören, der noch immer die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft einschließlich der Wiederaufnahme regelmäßiger geschlechtlicher Beziehungen erhoffte.

Daß der Beklagte die Klägerin im April 1985 zu einem Geschlechtsverkehr nötigte, und sie im Dezember 1985 während einer Auseinandersetzung leicht verletzte, stand daher in einem unmittelbaren zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit den erwähnten Eheverfehlungen der Klägerin, die sich ihm nicht monatelang grundlos verweigern durfte.

Aus diesen Umständen ergibt sich, daß das festgestellte und von beiden Vorinstanzen ohnedies als schwere Eheverfehlungen beurteilte Verhalten des Beklagten nur eine unmittelbare Reaktion auf die schweren Eheverfehlungen der Klägerin darstellt, die ihn schwer verletzten und für ihn immer unerträglicher wurden. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht das Scheidungsbegehren in zutreffender Anwendung des § 49 Satz 2 EheG als sittlich nicht gerechtfertigt abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E10153

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00517.87.0212.000

Dokumentnummer

JJT_19870212_OGH0002_0060OB00517_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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