TE OGH 1987/2/17 10Os7/87 (10Os13/87)

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Veröffentlicht am 17.02.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Februar 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sulzbacher als Schriftführer in der Strafsache gegen Maximilian B*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über den Antrag des Angeklagten auf Erteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Abgabe eines Rechtsmittelverzichts in bezug auf das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Steyr vom 20. November 1986, GZ 7 Vr 309/86-57, sowie über seine Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen dieses Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Wiedereinsetzungsantrag und beide Rechtsmittel werden zurückgewiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Maximilian B***

wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt sowie nach § 21 Abs. 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Nach der Urteilsverkündung fragte der Vorsitzende den Angeklagten, ob er die Entscheidung verstanden und "was er bekommen" habe; darauf gab dieser sinngemäß (und nahezu wörtlich) die Antwort:

"Fünfzehn Jahre wegen Mordes." Auf die folgende Klarstellung des Vorsitzenden dahin, daß er auch in eine Anstalt nach § 21 Abs. 2 StGB eingewiesen worden sei, sagte er, da kenne er sich nicht so aus; daraufhin wurde ihm die Anstaltsunterbringung dezidiert erklärt. Anschließend erteilte ihm der Vorsitzende die Rechtsmittelbelehrung, verbunden mit einem Hinweis auf die Möglichkeit, vor der Abgabe einer Erklärung mit dem Verteidiger Rücksprache zu nehmen; zu diesem Zeitpunkt machte der Angeklagte einen "etwas aufgewühlten" Eindruck.

In der Folge beriet er sich vorerst kurz und leise im Verhandlungssaal sowie des weiteren (nach Genehmigung durch den Vorsitzenden) außerhalb des Saales mit dem Verteidiger. Auf seine Frage nach den Aussichten eines Rechtsmittels verwies jener auf die Unmöglichkeit einer Erfolgsgarantie; zugleich wurde ihm vom Verteidiger angekündigt, er werde nach dessen Aktenunterlagen die Kosten von dessen Einschreiten bezahlen müssen. Auf seine weitere Frage wurden ihm die Kosten einer allfälligen Berufung mit etwa 20.000 S veranschlagt; hierauf erklärte der Angeklagte sinngemäß, wenn das so teuer sei und womöglich die Gerichtskosten auch noch dazukämen, dann werde er das Urteil wohl annehmen müssen. Nach der Rückkehr in den Verhandlungssaal verzichtete er sodann auf Rechtsmittel gegen das Urteil (S 135/II).

Am letzten Tag der Rechtsmittelanmeldungsfristen (§§ 344, 284 Abs. 1, 294 Abs. 1 StPO) langte beim Erstgericht ein vom Angeklagten verfaßter Schriftsatz (ON 16) ein, in dem er dem "Betreff:

Nichtigkeit und Berufung ..." die "Begründung" beifügte, er "lege gegen das Urteil vom 20.11.86 Nichtigkeit und Berufung ein", da er

1.)

vom Verteidiger nicht über seine Rechte aufgeklärt worden und

2.)

in einem geistigen Zustand gewesen sei, demzufolge er überhaupt nicht mitbekommen habe, um was es bei seiner Hauptverhandlung gegangen sei; er habe daher auch das Halbe davon nicht gehört, weil er seit einem Unfall im Jahr 1984 schwerhörig und zeitweise geistig abwesend sei; das sei am Tag der Hauptverhandlung der Fall gewesen; er habe sich in einem seelischen und geistigen Zustand befunden, der ihm ein klares Denken nicht erlaubt habe.

Nachdem ihm der Vorsitzende mit Bezug auf diese Eingabe "Rechtsbelehrung zu den Möglichkeiten einer Wiedereinsetzung und Wiederaufnahme bzw. den Folgen eines Rechtsmittelverzichtes" erteilt hatte, erklärte der Angeklagte zu Protokoll (ON 62), er wolle seinen Antrag als Wiedereinsetzungsantrag verstanden haben, zu dessen Begründung er ausführte: er habe seine Verurteilung "nicht registriert", weil er geistig und seelisch in einer schlechten Verfassung gewesen sei, und er habe erst am nächsten Tag aus der Zeitung mitbekommen, daß er wegen Mordes "fünfzehn Jahre erhalten" habe sowie in eine Anstalt eingewiesen worden sei; trotz des Vorhalts, daß er über Befragen selbst wiederholt habe, "wegen Mordes fünfzehn Jahre bekommen" zu haben, bleibe er dabei, zur Zeit der Urteilsverkündung und des Rechtsmittelverzichts nicht in der Lage gewesen zu sein, das Urteil und dessen Folgen zu begreifen; wegen dieser Verhandlungsunfähigkeit hätte ihn der Verteidiger besser belehren sollen, doch sei er von letzterem bei der Besprechung vor dem Rechtsmittelverzicht schlecht beraten worden, und zwar immer wieder dahin, daß er das Urteil annehmen solle, weil er ein Rechtsmittel selbst zahlen müsse und ihm das zuviel Geld koste; nur deswegen habe er schließlich das Urteil tatsächlich angenommen, ohne zu begreifen, was er tue.

Daraufhin stellte der Vorsitzende in einem Aktenvermerk (ON 63) - neben der Wiedergabe der zuvor dargestellten Vorgänge im Verhandlungsaal nach der Urteilsverkündung - fest, er habe bei der Hauptverhandlung nicht den Eindruck gehabt, daß der Angeklagte nicht in der Lage gewesen wäre, dem Gang der Verhandlung zu folgen, zumal er im Hinblick auf dessen einleitende Erklärung, schlecht zu hören, laut gesprochen habe und es dementsprechend keine Verständigungsprobleme gegeben habe; auch habe er zur Zeit der Hauptverhandlung schon den Eindruck gehabt, da jener die Rechtsbelehrung sowie die Folgen des Urteils und eines Rechtsmittelverzichts begriffen habe. Inwieweit der Angeklagte zu dieser Zeit wirklich imstande gewesen sei, klar zu denken und die Folgen eines Rechtsmittelverzichts abzuschätzen, könne er aber naturgemäß nicht mit Sicherheit sagen: rückblickend betrachtet könne es bei dessen ohnehin seelisch abartiger Persönlichkeit durchaus sein, daß jener die in Rede stehenden Folgen nicht abzuschätzen vermocht habe; es sei durchaus vorstellbar, daß die doch erhebliche Verurteilung wegen Mordes zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe und die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beim Angeklagten "eine derartige seelische Aufwühlung bzw. einen derartigen Gemütszustand" nach sich gezogen haben, daß jener ab diesem Zeitpunkt die Tragweite eines Rechtsmittelverzichts nicht vollständig zu beurteilen vermocht habe.

Der eingangs wiedergegebene Verlauf der Beratung des Angeklagten durch den Verteidiger war dem Vorsitzenden bei der Abfassung des Aktenvermerks nicht bekannt (ON 63); er ergibt sich aus einer Mitteilung des Verteidigers (ON 67), der in der Folge unter Anschluß je einer Fotokopie der Rechtsmittelanmeldung des Angeklagten (ON 60) und des mit letzterem aufgenommenen Protokolls (ON 62) um eine Äußerung dazu ersucht worden war (ON 64).

Der darnach aktenkundige Hinweis des Verteidigers bei dieser Besprechung darauf, daß der Angeklagte im Fall eines Rechtsmittelverfahrens auch die Kosten der weiteren Verteidigung bezahlen müsse, war falsch; denn bei der seiner Bestellung (S 38/I) zugrunde gelegenen Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs. 3 StPO für das ganze Verfahren (S 2/I) hatte der Untersuchungsrichter beschlossen, daß der Angeklagte dessen Kosten nicht zu tragen habe. Durch ein Versehen der Geschäftsabteilung war allerdings in der dem Verteidiger zugestellten Ausfertigung des Beigebungsbeschlusses mit StPO-Form VH 3 (bei ON 67) keine der beiden insoweit allein denkbaren - und darin mit dem Hinweis, daß der zutreffende Begriff im jeweiligen Viereck anzukreuzen sei, angeführten - Alternativen, wonach der Angeklagte die Kosten seiner Verteidigung entweder zu tragen oder nicht zu tragen (§ 41 Abs. 2 StPO) hat, angekreuzt worden.

Nach der Einholung einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zum Wiedereinsetzungsantrag, dem die Anklagebehörde entgegentrat, weil ihrer Ansicht nach die Voraussetzungen des § 364 StPO nicht vorliegen (S 167/II), legte der Vorsitzende diesen Antrag sowie die angemeldeten (und seiner Auffassung nach in ON 62 auch ausgeführten) Rechtsmittel des Angeklagten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor (S 169/II).

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem im Vorlagebericht zum Ausdruck gebrachten Verständnis zielt indessen der Wiedereinsetzungsantrag in der Tat gar nicht auf die Behebung der Folgen einer Fristversäumnis im Sinn des § 364 StPO. Denn die Rechtsmittelanmeldungsfristen wurden ja vom Angeklagten, worauf er selbst im betreffenden Protokoll (ON 62) ausdrücklich hinweist, mit seiner Eingabe (ON 60) ohnehin gewahrt. Der Sache nach strebt er vielmehr mit seinem Begehren eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den von ihm abgegebenen Rechtsmittelverzicht an: ein derartiger Rechtsbehelf ist in der Prozeßordnung nicht vorgesehen. Der in Rede stehende Antrag war dementsprechend als unzulässig zurückzuweisen.

Ungeachtet dessen, daß in der niederschriftlichen Bekanntgabe (ON 62) jener Gründe durch den Angeklagten, aus denen er (mit ON 60 letztlich doch) Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung habe ergreifen wollen, (abermals entgegen dem Vorlagebericht) keineswegs auch schon eine Ausführung dieser Rechtsmittel zu erblicken ist, zumal er mit dem gleichzeitigen Wiedereinsetzungsantrag erklärtermaßen bezweckte, letztere "noch" ausführen zu können, und zudem nicht einsichtig wäre, warum er beabsichtigt haben sollte, eine derartige Ausführung noch vor der Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Verteidiger selbst zu gerichtlichem Protokoll zu erklären, war allerdings bereits jetzt zudem die prozessuale Wirksamkeit der hier aktuellen Verzichtserklärung des Angeklagten zu überprüfen; denn im Fall ihrer Annahme war schon die Anmeldung der Rechtsmittel unzulässig (§§ 285 a Z 1, 294 Abs. 4 StPO). Auch gegen diese Annahme bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken.

Konkrete Anhaltspunkte für eine bei der Urteilsverkündung oder danach vor der Abgabe des Rechtsmittelverzichts eingetretene prozessuale Diskretions- oder Dispositionsunfähigkeit des Angeklagten, die zu insoweit näheren Ermittlungen nötigen würden, liegen nicht vor. Denn der ihm vom Vorsitzenden für diesen Zeitraum konzedierte "etwas aufgewühlte" Eindruck war im Hinblick auf den Inhalt der verkündeten Entscheidung keineswegs ungewöhnlich, und auch seinem Verhalten in der hier interessierenden Verfahrensphase, wie insbesondere seinen Antworten und Erklärungen gegenüber dem Gericht, ist kein realer Hinweis darauf zu entnehmen, daß er sich über Inhalt oder Tragweite des Urteils oder seines Rechtsmittelverzichts nicht im klaren gewesen sein könnte; ebenso stehen seine durchaus rationalen Überlegungen bei seiner Besprechung mit dem Verteidiger und die der Verzichtserklärung letztlich zugrunde gelegte Motivation einer derartigen Annahme deutlich entgegen.

Die rein theoretische Erwägung des Vorsitzenden hinwieder, dem dabei der Verlauf der Besprechung des Angeklagten mit dem Verteidiger noch nicht bekannt war, im Hinblick auf die seelische Abartigkeit des Erstgenannten sei es rückblickend "durchaus vorstellbar", daß jener die Tragweite des Rechtsmittelverzichts nicht vollständig zu beurteilen vermocht habe, ist für sich allein nicht geeignet, reale Bedenken in diese Richtung hin zu erwecken, zumal die ursprünglich erhobenen Einwände (in ON 60) auf den Ablauf der gesamten Hauptverhandlung gemünzt waren und sich dahin (laut ON 63) augenscheinlich als haltlos erwiesen.

Unter dem damit erörterten Aspekt ist demnach die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts nicht zu bezweifeln. Gleiches gilt aber auch für die Bedeutung des Umstands, daß der Angeklagte hiezu durch die falsche Ankündigung des Verteidigers motiviert wurde, er würde (auch) die Kosten für dessen Einschreiten in einem Rechtsmittelverfahren bezahlen müssen.

Ein Motivirrtum ist nämlich für die Wirksamkeit darauf zurückzuführender prozessualer Erklärungen unbeachtlich, sofern er nicht auf einem Fehlverhalten des Gerichtes beruht, wie etwa auf einer der Manuduktionspflicht nach § 3 StPO zuwiderlaufenden unrichtigen Information über den Inhalt, die Voraussetzungen oder die (möglichen) Folgen einer Rechtsmittelerklärung. Von einer derartigen (immerhin mittelbaren) Fehlinformation des Angeklagten durch das Gericht kann aber im vorliegenden Fall selbst dann, wenn man seine unrichtige Belehrung durch den Verteidiger in bezug auf sein konkretes prozessuales Recht auf Inanspruchnahme einer für ihn kostenlosen Verteidigung im Rechtsmittelverfahren als faktische Konsequenz der unvollständigen Ausfüllung des StPO-Form VH 3 (bei ON 67) durch die Geschäftsabteilung des Geschwornengerichts ansieht, schon deswegen nicht gesprochen werden, weil in dem (gleichwohl verfehlten) Offenlassen beider (allein in Betracht kommenden) Möglichkeiten einer Verpflichtung oder Nichtverpflichtung seinerseits zur Bezahlung der Verteidigungskosten keinesfalls eine falsche Information dahin erblickt werden kann, daß er in concreto (im Sinn der hier unaktuellen einen Variante) dazu verpflichtet sei. Auch durch die nunmehr in Rede stehende - trotz des Versehens bei der Ausfertigung des Beigebungsbeschlusses

willkürliche - Fehlinformation des Angeklagten seitens des Verteidigers, die den Rechtsmittelverzicht auslöste, wurde daher dessen prozessuale Wirksamkeit nicht beeinträchtigt. Dementsprechend waren auch beide (10 Os 17/84, 13 Os 146/83 ua) - obgleich fristgerecht - danach angemeldeten Rechtsmittel nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort (als unzulässig) zurückzuweisen (§§ 285 d Abs. 1 Z 1, 285 a Z 1; 296 Abs. 2, 294 Abs. 4 StPO).

Anmerkung

E10239

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0100OS00007.87.0217.000

Dokumentnummer

JJT_19870217_OGH0002_0100OS00007_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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