Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Otto Beer und Mag.Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alfred G***, Angestellter, Wien 8., Alserstraße 55/12, vertreten durch Dr.Norbert Kosch, Dr.Ernst Schilcher, Dr.Jörg Beirer und Dr.Roman Kosch, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei B*** Burgenländische Erdgasversorgungs-AG in Eisenstadt, Kasernenstraße 10, vertreten durch Dr.Harald Beck und Dr.Klaus Dornhöfer, Rechtsanwälte in Eisenstadt, wegen 115.226 S sA (Revisionsstreitwert 89.980 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 5. November 1986, GZ 13 Cg 6/86-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Eisenstadt vom 28. Oktober 1985, GZ Cr 152/84-16, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien als nunmehriger Berufungsinstanz in Arbeits- und Sozialrechtssachen die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Ob dem Kläger die noch streitverfangene restliche Abfertigung in Höhe von 89.980 S sA zusteht, hängt ausschließlich davon ab, ob ihm die beklagte Partei für die Abfertigung vier Jahre Vordienstzeiten angerechnet hat oder nicht. Zum Beweis dieser Zusage berief sich der Kläger unter anderem auf den Zeugen Dr. Friedrich H***. Das Erstgericht wies diesen Teil des Klagebegehrens mit der Begründung ab, daß die vom Kläger behauptete Anrechnungszusage nicht erwiesen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung im ersten Rechtsgang Folge, weil es die vom Kläger behauptete Anrechnungszusage auf Grund der als glaubwürdig erachteten Aussage des Zeugen Dr. Friedrich H*** als erwiesen annahm.
Der Oberste Gerichtshof hob die Entscheidung der zweiten Instanz mit Beschluß vom 30.September 1986, 14 Ob 163/86 (auf den, was die nähere Darstellung des Verfahrens im ersten Rechtsgang betrifft, verwiesen wird), auf und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung mit der Begründung auf. Das Berufungsgericht habe den von der beklagten Partei in zweiter Instanz beantragten Strafakt, aus dem sich eine rechtskräftige Verurteilung des Zeugen Dr. Friedrich H*** wegen versuchter falscher Beweisaussage ergeben soll, nicht eingeholt; aus seiner Beweiswürdigung ergebe sich auch nicht, daß es eine Beweisaufnahme über diesen Gegenstand als nicht wesentlich angesehen habe. Damit liege in der Unterlassung der Aufnahme dieses Kontrollbeweises kein in dritter Instanz unüberprüfbarer Akt der Beweiswürdigung, sondern ein Verfahrensmangel.
Im zweiten Rechtsgang gab das Berufungsgericht der Berufung neuerlich statt. Es war der Ansicht, daß die Anberaumung einer neuerlichen Berufungsverhandlung entbehrlich sei, weil dem Berufungsgericht die Tatsache, daß Dr. Friedrich H*** mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 3.Dezember 1980, 8 E Vr 850/79, Hv 130/80, nicht nur wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Gefahr für fremdes Eigentum, sondern auch wegen des Vergehens der versuchten Nötigung verurteilt wurde, bekannt gewesen sei. Es habe den Inhalt des Strafaktes für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen Dr. Friedrich H*** nicht herangezogen, weil nicht einmal eine Verurteilung wegen falscher Beweisaussage einen Zeugen in einem anderen Verfahren von vornherein unglaubwürdig erscheinen lasse. Der Inhalt des Strafurteils bestärke das Berufungsgericht in der Annahme, daß die Verurteilung des Dr. Friedrich H*** wegen der versuchten Bestimmung eines Zeugen in einem gegen ihn anhängigen Strafverfahren weder von vornherein noch unter den in diesem Strafverfahren obwaltenden Umständen gegen seine Glaubwürdigkeit spreche.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und Aktenwidrigkeit erhobene Revision der beklagten Partei ist schon aus dem Grunde der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens berechtigt. Das Berufungsgericht hat im zweiten Rechtsgang keine neuerliche Berufungsverhandlung zur Beseitigung der vom Mangel betroffenen Teile seines Verfahrens und Urteils (§ 496 Abs 2 ZPO iVm § 23 ArbGG) anberaumt und auch den Strafakt, aus dem sich nach den Behauptungen der beklagten Partei die Verurteilung des Zeugen Dr. Friedrich H*** wegen versuchter falscher Beweisaussage ergeben soll, nicht beigeschafft, weil die Tatsache der Verurteilung dieses Zeugen dem "Berufungsgericht" (gemeint offenbar: schon bei der Fällung der Entscheidung im ersten Rechtsgang) bekannt gewesen sei. Gerichtskundige Tatsachen - also solche, die dem Gerichte im Zuge seiner behördlichen Tätigkeit bekannt geworden sind (Fasching III 266; derselbe, LB Rz 854) - bedürfen zwar gemäß § 269 ZPO keines Beweises. Die Kenntnis des "Berufungsgerichtes" von der Verurteilung dieses Zeugen wegen bestimmter strafbarer Handlungen kann aber die Aufnahme des vom Obrsten Gerichtshof für erforderlich gehaltenen Kontrollbeweises durch Beischaffung und Verlesung des beantragten Strafaktes schon deshalb nicht ersetzen, weil erst daraus die in der Regel nicht (mehr) gerichtskundigen Beweisergebnisse in ihren Einzelheiten hervorgehen; diese Umstände können für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen in einem anderen Verfahren von Bedeutung sein. Gerichtsnotorische Tatsachen sind nicht selten einer oder beiden Parteien (jedenfalls in ihren Einzelheiten) unbekannt. Daher hatte die zweite Instanz die generelle Pflicht, diese Tatsachen mit den Parteien zu erörtern (vgl. SZ 55/116). Das Berufungsgericht hat mit seiner Vorgangsweise der beklagten Partei die Möglichkeit genommen, die Verlesung bestimmter Teile des Strafaktes zu begehren, die ihr für die Beweiswürdigung wesentlich erscheinen. Eine Erörterung der behaupteten Verurteilung des Zeugen Dr. Friedrich H*** war umsomehr erforderlich gewesen, als diese anscheinend nicht wie behauptet, wegen versuchter falscher Beweisaussage, sondern wegen versuchter Nötigung erfolgte; im übrigen hat das Berufungsgericht für die Beratung und Beschlußfassung offenbar doch Beweismittel beigeschafft, wie sich aus dem Zitat "21 Bs 175/81, AS 253 des Strafaktes" ergibt. Schließlich kann die Tatsache der Verurteilung des Zeugen Dr. Friedrich H*** wohl nur den Berufsrichtern des arbeitsgerichtlichen Berufungssenates im Zuge ihrer behördlichen Tätigkeit bekannt geworden sein, nicht aber den mit dem Strafverfahren gegen Dr. Friedrich H*** nicht dienstlich befaßten Beisitzern des arbeitsgerichtlichen Berufungssenates, so daß die Gerichtskundigkeit der Verurteilung des Dr. Friedrich H*** iS des § 269 ZPO nicht vorausgesetzt werden kann. Der Hinweis des Revisionsgegners, daß dem Berufungsgericht nur "die neuerliche Entscheidung" aufgetragen wurde, ist verfehlt, weil das die zweite Instanz nicht ihrer Verpflichtung enthob, zum Zwecke der aufgetragenen Beweisergänzung nochmals eine Berufungsverhandlung anzuberaumen (§ 510 Abs 1 ZPO; vgl. Arb 7674 ua).
Da die bisherige zweite Instanz somit die im Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 30. September 1986, 14 Ob 163/86, aufgezeigten Verfahrensmängel nicht behoben hat, ist die neuerliche Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichtes unumgänglich. Zur Entscheidung über die Berufung ist nunmehr gemäß § 101 Abs 1 Z 3 ASGG das Oberlandesgericht Wien berufen.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E10140European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:014OBA00006.87.0217.000Dokumentnummer
JJT_19870217_OGH0002_014OBA00006_8700000_000