Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Otto Beer und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1.) Ing. Wolf B***, Bauleiter, Graz, Steyrergasse 9a, 2.) Renate
H***, Buchhalterin, Graz, Denggasse 24 und 3.) Edith S***, Pensionistin, Graz, Rudolfstraße 75 c, alle vertreten durch Dr. Harold Schmid und Dr. Kurt Klein, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Josef F***, Bau- und Zimmermeister, Graz, Hüttenbrennergasse 17, vertreten durch Dr. Harald Hohenberg, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 285.608,39 netto sA, S 238.679,26 netto sA und S 39.312,75 netto sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 16. September 1986, GZ 2 Cg 40-42/86-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Graz vom 13. März 1986, GZ 3 Cr 95/85-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, den Klägern die mit S 18.436,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 1.676,07 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Erstkläger war vom 1.6.1951 bis 31.12.1983 als Bauleiter, die Zweitklägerin vom 1.7.1974 bis 30.9.1985 als Buchhalterin und die Drittklägerin vom 15.11.1940 bis 31.7.1983 als Sekretärin im Unternehmen des Beklagten (Bau- und Zimmermeister, Baustoffhandel) beschäftigt. Die Dienstverhältnisse wurden durch Dienstgeberkündigung gelöst.
Den Klägern gebühren aus diesen Dienstverhältnissen (soweit die Zahlungspflicht des Dienstgebers nicht wegen Auflösung des Unternehmens nach Maßgabe des § 23 Abs 2 AngG entfiele) noch folgende der Höhe nach unbestrittene (restliche) Abfertigungsbeträge, deren Zahlung sie mit den verbundenen Klagen begehren:
1.) Dem Erstkläger S 285.608,39 netto sA
2.) der Drittklägerin S 39.312,75 netto sA
und
3.) der Zweitklägerin S 84.855,28 netto,
wozu bei ihr noch an restlichem Lohn, Urlaubsgeld,
Weihnachtsremuneration und Urlaubsentschädigung ein
Betrag von restlich S 153.823,68 netto
kommt, so daß sich ihr
Gesamtbegehren auf S 238.678,96 netto sA
beläuft (tatsächlich verlangt sie infolge eines geringfügigen Rechenfehlers S 238.679,26).
Der Beklagte hat die Forderungen des Erstklägers und der Drittklägerin am 23.10.1985 "im Sinne der am 11.10.1985 beim Arbeitsgericht Graz stattgefundenen Aussprache" ausdrücklich anerkannt. Auch der Zweitklägerin hat er am 30.9.1985 bestätigt, daß sie insgesamt S 238.679,26 zu erhalten hat.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Behauptung, er habe sein Unternehmen mit 31.12.1985 aufgelöst. Seine Wirtschaftslage habe sich derart verschlechtert, daß ihm die Zahlung einer Abfertigung nicht zugemutet werden könne. Er verfüge über keinerlei Mittel und bekomme auch keinen Kredit. Es entfalle daher gemäß § 23 Abs 2 AngG die Verpflichtung zur Zahlung der Abfertigung. Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt.
Es stellte fest, daß im Unternehmen des Beklagten bereits seit den achtziger Jahren Verluste eingetreten seien, so daß sich der Beklagte letztlich Anfang 1986 gezwungen sah, den Betrieb aufzulösen und die Gewerbeberechtigungen zurückzulegen. Bereits ab 1984 geführte Verkaufsverhandlungen hätten bisher nur teilweise zum Erfolg geführt.
Das Erstgericht war der Ansicht, die Anwendung des § 23 Abs 2 AngG sei ausgeschlossen, wenn ein Abfertigungsanspruch bereits bestehe und die Auflösung des Unternehmens erst später eintrete. Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und gab der Berufung des Beklagten nicht Folge.
Die zweite Instanz stellte fest, daß der Kläger seine Gewerbeberechtigungen erst mit Wirkung vom 24.1.1986 zurückgelegt habe. Der Beklagte räume in den Rechtsmitteln ein, von Mitte 1983 bis Anfang 1986 in seinem Unternehmen noch Fertigstellungs- und Abwicklungstätigkeiten durchgeführt zu haben; die Kläger seien zuletzt mit der Abwicklung bereits fertiger Baustellen betraut gewesen.
Diese Behauptungen könnten der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Gemäß § 23 Abs 2 AngG entfalle die Verpflichtung zur Gewährung einer Abfertigung im Falle der Auflösung eines Unternehmens nur dann, wenn diese im Zeitpunkt der Auflösung des Dienstverhältnisses bereits eingetreten sei; es genüge nicht, wenn sich das Unternehmen in diesem Zeitpunkt erst in Auflösung befinde. "Aufgelöst" sei ein Unternehmen erst dann, wenn seine rechtliche und wirtschaftliche Existenz beendet sei, es also zur vollständigen und endgültigen Betriebseinstellung gekommen sei. Der Schutz des § 23 Abs 2 AngG, der die Existenzvernichtung des Dienstgebers durch hohe Abfertigungsansprüche verhindern solle, komme nur zum Tragen, wenn die Auflösung des Dienstverhältnisses eine unmittelbare Folge der Unternehmensauflösung sei. Dies könne aber nicht mehr gesagt werden, wenn der Abfertigungsanspruch vor der Unternehmensauflösung entstehen und fällig werde.
Die vollständige und endgültige Beendigung des Unternehmens des Beklagten sei erst am 24.1.1986 eingetreten; bis dahin seien aber sämtliche bestrittenen Abfertigungsansprüche bereits entstanden gewesen und auch fällig geworden.
Der Beklagte erhebt Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, wobei er die Revision gegen den Zuspruch von S 39.312,75 sA an die Drittklägerin als außerordentliche Revision gemäß § 505 Abs 3 ZPO bezeichnet.
Eine außerordentliche Revision war dem bisherigen Arbeitsgerichtsverfahren, dessen Bestimmungen für die Zulässigkeit des vorliegenden Rechtsmittels noch maßgebend sind (§ 101 Abs 2 ASGG) fremd, doch ist auch gegen den Zuspruch von S 39.312,75 sA an die Drittklägerin eine ordentliche Revision zulässig (§ 23 a Abs 4 ArbGG).
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Gemäß § 23 Abs 2 AngG entfällt im Falle der Auflösung des Unternehmens die Verpflichtung zur Gewährung einer Abfertigung ganz oder teilweise dann, wenn sich die persönliche Wirtschaftslage des Dienstgebers derart verschlechtert hat, daß ihm die Erfüllung dieser Verpflichtung zum Teil oder zur Gänze billigerweise nicht zugemutet werden kann. Diese Bestimmung soll verhindern, daß der Arbeitgeber, der sein Unternehmen infolge einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation auflösen will oder muß, durch hohe Abfertigungsansprüche seiner Arbeitnehmer in seiner Existenz bedroht und so möglicherweise in den Konkurs getrieben wird (so schon SZ 10/110 unter Berufung auf den damals noch geltenden § 33 AngG; Arb.8.388, 9.461, 10.293). Nach Lehre und Rechtsprechung hat die Bestimmung des § 23 Abs 2 AngG, die eng auszulegen ist und nicht auf ähnliche Fälle analog angewendet werden kann (Martinek-Schwarz AngG 6 , 465), nur jene Situationen im Auge, in denen infolge Auflösung des Unternehmens auch die Arbeitsverhältnisse ihr Ende finden; die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen ist ausgeschlossen, wenn ein Anspruch auf Abfertigung bereits besteht und die Auflösung des Unternehmens später eintritt (SZ 8/116; ähnlich Arb.10.293;
ebenso OLG Wien 6.12.1951, SozM I A/e 10; Martinek-Schwarz aaO 466;
dieselben, Abfertigung, Auflösung des Arbeitsverhältnisses 338). Die Verpflichtung zur Zahlung der Abfertigung kann danach nur entfallen, wenn die Auflösung des Unternehmens - worunter die Beendigung seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Existenz verstanden wird (Martinek-Schwarz AngG aaO 466; dieselben, Abfertigung, Auflösung des Arbeitsverhältnisses 338; Migsch, Abfertigung für Arbeiter und Angestellte 167; OLG Wien SozM I A/e 10) - im Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses bereits eingetreten ist. Die Gleichzeitigkeit zwischen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses und der des Unternehmens fordert auch Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Individualarbeitsrecht 2 , 138, während Migsch (aaO 169) der elastischeren Formel des Landesgerichtes für ZRS Wien in Arb.5.882, wonach die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der Auflösung des Unternehmens in unmittelbarem (zeitlichem) Zusammenhang stehen müsse (ähnlich später auch das Landesgericht für ZRS Wien in SozM I A/d 464: Es kommt zeitlich nicht unbedingt auf den Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses an; das Unternehmen darf jedoch nicht allzu lange nach dem Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses noch fortgesetzt werden) den Vorzug gibt und als Beispiel anführt, daß der Arbeitgeber seine Kündigung mit der bevorstehenden Unternehmensauflösung motiviert und sie einige Tage später auch tatsächlich vollzieht. Zeitspannen, die mehr als einen Monat betragen, sprengen aber nach Ansicht von Migsch das Erfordernis des unmittelbaren Zusammenhanges bei weitem.
Ob an der Rechtsansicht, daß bereits erworbene Abfertigungsansprüche durch spätere Vorgänge nicht mehr berührt werden können, in der Strenge festzuhalten ist, daß § 23 Abs 2 AngG auch auf eine zeitlich knapp nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses liegende Unternehmensauflösung nicht zur Anwendung käme, selbst wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der unmittelbar bevorstehenden Unternehmensauflösung begründet worden wäre, kann diesmal dahingestellt bleiben, weil der festgestellte Sachverhalt die Anwendung des § 23 Abs 2 AngG keinesfalls rechtfertigt:
Das Dienstverhältnis des Erstklägers wurde schon zum 31.12.1983 und jenes der Drittklägerin sogar zum 31.7.1983 beendet, während die Auflösung des Unternehmens des Beklagten, also die Beendigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Existenz seines Betriebes, erst mit der Zurücklegung der Gewerbeberechtigung am 24.1.1986 eintrat. Damit liegen zwischen der Auflösung der Dienstverhältnisse dieser beiden Kläger und der Unternehmensauflösung mehr als 2 (2 1/2) Jahre. Es fehlt also selbst dann, wenn in der Zwischenzeit hauptsächlich Fertigstellungs- und Abwicklungsarbeiten durchgeführt wurden - die für den Fortbestand der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmens ausreichen - , jeder zeitlich unmittelbare Zusammenhang zwischen der Auflösung der Dienstverhältnisse und der Unternehmensauflösung. Im übrigen hat aber der Beklagte die Abfertigungsansprüche dieser beiden Kläger nach einer "Aussprache beim Arbeitsgericht" ausdrücklich anerkannt. Er hat diese Anerkenntnisse zwar verfehlt als bloße Wissenserklärungen bezeichnet, sie aber wegen Vorliegens relevanter Willensmängel, insbesondere aus den Gründen des § 871 ABGB, nicht angefochten.
Was die Zweitklägerin anlangt, so liegt die Beendigung ihres Dienstverhältnisses (30.9.1985) der Auflösung des Unternehmens (24.1.1986) zwar zeitlich wesentlich näher, doch bedarf die Frage eines hinreichend engen Zusammenhanges zwischen der Auflösung des Dienstverhältnisses und jener des Unternehmens auch hier keiner Klärung: Der Beklagte hat lediglich vorgebracht, daß sich seine wirtschaftliche Lage derartig verschlechtert habe, daß ihm die Zahlung der Abfertigung nicht zugemutet werden könne; er verfüge über kein Bargeld, bekomme keinen Kredit, besitze aber "etwas Vermögen", doch könne er dieses nicht realisieren. Mit diesem Vorbringen hat der Beklagte seiner Pflicht, konkrete Tatsachen zu behaupten, daß ihm die Erfüllung der Verpflichtung zur Zahlung der Abfertigung billigerweise nicht zugemutet werden könne, nicht ausreichend entsprochen (vgl SozM I A/d 421). Als Partei hat der Beklagte zudem angegeben, daß ihm nach dem Verkauf seiner Liegenschaften und Bezahlung aller seiner Verbindlichkeiten (einschließlich der gegenständlichen Abfertigungsforderungen) noch etwa 2 Millionen S verbleiben würden. Die Gefahr, daß er durch die Erfüllung der Abfertigungsansprüche in Überschuldung gerate, besteht demnach nicht. Im übrigen hat der Beklagte auch die Forderung der Zweitklägerin mit Bestätigung vom 30.9.1985 ausdrücklich anerkannt. Soweit sich diese Forderung nicht auf den Titel der Abfertigung stützt (nämlich bezüglich S 153.823,60 sA), läßt die Revision überhaupt jegliche Ausführungen vermissen.
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Für die in den verbundenen Rechtssachen in einem Schriftsatz erstattete Revisionsbeantwortung gebühren Kosten nur auf der Grundlage der Summe der Streitwerte.
Anmerkung
E10354European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:014OBA00002.87.0217.000Dokumentnummer
JJT_19870217_OGH0002_014OBA00002_8700000_000