Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch, Dr.Kuderna, Dr.Gamerith und Dr.Maier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*** DER Ö*** Z***, Wien 9., Spitalgasse 4, vertreten durch Dr. Reinhard Bruzek, Rechtsanwalt in Elsbethen bei Salzburg, wider die beklagte Partei Dr. Johann Georg H***, Facharzt für medizinische und chemische Labordiagnostik und Facharzt für Innere Medizin, Salzburg, Franz-Josef-Straße 4, vertreten durch Dr.Georg Reiter, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unterlassung (Streitwert 500.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 20. Oktober 1986, GZ 6 R 188/86-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 10.Juli 1986, GZ 6 Cg 427/85-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat dem Beklagten die mit 15.874,65 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon 1.443,15 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der klagende Berufsverband der Zytodiagnostiker (Zytodiagnostik = Zelldiagnostik: mikroskopische Untersuchung von Zellen oder Zellverbänden, vor allem zur Erfassung von Karzinomfrühfällen, siehe Pschyrembel 254. Aufl. 1339 f), bezweckt die Wahrung und Förderung des medizinischen Fachgebietes "Zytologie", insbesondere der Zytodiagnose, und die Förderung der Interessen der hiezu wissenschaftlich qualifizierten Ärzte in beruflicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, insbesondere auch durch Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach § 14 UWG. Der Beklagte ist Facharzt für medizinische und chemische Labordiagnostik in Salzburg. Er nimmt im Rahmen seiner ärztlichen Berufstätigkeit in diesem Sonderfach geschäftsmäßig zytodiagnostische Untersuchungen vor und stellt hierüber Befunde aus.
Die klagende Partei behauptet, daß der Kläger für diese Tätigkeit nicht die wissenschaftliche Eignung besitze und nicht berechtigt sei, dieses Sonderfach des ärztlichen Berufes auszuüben (§ 13 Abs 2 ÄrzteG 1984). Er verstoße durch planmäßiges Zuwiderhandeln gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen, die dem Schutz der Volksgesundheit dienen, auch gegen § 1 UWG. Die klagende Partei begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, die geschäftsmäßige Ausübung zytodiagnostischer Untersuchungen und die Ausstellung zytodiagnostischer Befunde zu unterlassen.
Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die Zytodiagnostik sei nur ein Teilgebiet seines Sonderfaches, nämlich der medizinischen und chemischen Labordiagnostik. Dieses Sonderfach dürfe er auf Grund seiner Facharztanerkennung ausüben. Das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz habe ihm mit Schreiben vom 5.8.1983 bestätigt, daß er berechtigt sei, im Rahmen seiner Berufsausübung als Facharzt für medizinische und chemische Labordiagnostik auch auf dem Teilgebiet der Zytodiagnostik tätig zu werden.
Die klagende Partei erwiderte, daß die Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 2.11.1969, BGBl 450, über die Ausbildung zum Facharzt für nichtklinische Medizin idF der Verordnungen des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 29.6.1981, BGBl 358, und vom 8.Juni 1983, BGBl 329, insoweit gesetzwidrig sei, als dadurch Zytodiagnostik zum bloßen Teilgebiet des Sonderfaches "medizinische und chemische Labordiagnostik" geworden sei. Die klagende Partei begehrt, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung dieser Verordnung zu stellen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Schon am 20. Oktober 1977 hatte die Österreichische Ärztekammer dem Beklagten auf Anfrage bestätigt, daß er berechtigt sei, die Zytodiagnostik auszuüben. Mit Eingabe vom 1.7.1983 wandte sich der Beklagte an das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz. Dieses antwortete ihm mit Schreiben vom 5.8.1983, daß er berechtigt sei, im Rahmen seiner Berufsausübung als Facharzt für medizinische und chemische Labordiagnostik auch auf dem Teilgebeit "Zytodiagnostik" im Rahmen seines Sonderfaches tätig zu werden. Er dürfe jedoch im Rahmen der Ausübung seiner Facharzttätigkeit nicht auf eine Spezialisierung auf dem Teilgebiet "Zytodiagnostik" durch einen Zusatz zur Berufsbezeichnung "Facharzt für medizinische und chemische Labordiagnostik" hinweisen. Die Österreichische Ärztekammer vertrat unter Berufung auf das zitierte Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz in ihrer Stellungnahme vom 19.3.1986 ebenfalls den Standpunkt, daß der Beklagte im Rahmen der Berufsausübung als Facharzt für medizinische und chemische Labordiagnostik auch auf dem Teilgebiet "Zytodiagnostik" im Rahmen seines Sonderfaches tätig werden dürfe. Auf Grund dieser Feststellungen war das Erstgericht der Ansicht, daß dem Beklagten eine auch subjektiv vorwerfbare Mißachtung gesetzlicher Vorschriften, die eine gegen die guten Sitten verstoßende Wettbewerbshandlung iS des § 1 UWG sein könnte, nicht zur Last falle. Er übe seine Tätigkeit mit Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz und der Österreichischen Ärztekammer aus.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes insgesamt 300.000 S übersteigt.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß Ärzte, die die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt für ein Sonderfach der Heilkunde erfüllt hätten, zur selbständigen Ausübung einer ärztlichen Berufstätigkeit als Facharzt auf diesem Teilgebiet der Heilkunde als Sonderfach berechtigt seien (§ 13 Abs 1 ÄrzteG 1984). Nach der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 2.11.1969, BGBl 450, über die Ausbildung zum Facharzt für nichtklinische Medizin idF der Verordnungen BGBl 1981/358 und 1983/329 gelte "Zytodiagnostik" als Teilgebiet des Sonderfaches medizinische und chemische Labordiagnostik. Für dieses Teilgebiet sei eine spezielle Ausbildung vorgesehen; die (erfolgreich zurückgelegte) Facharztausbildung berechtige zur Führung der Berufsbezeichnung "Facharzt für ...." unter Beifügung des entsprechenden Sonderfaches. Die durch Verordnung festgelegte Zusatzausbildung ändere jedoch, wie das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz in seinem Erlaß vom 14.7.1976, Zl II- 51.107/13-3 a/76, zum Ausdruck gebracht habe, nichts am Berechtigungsumfang des Facharztes. Diese Ansicht sei berechtigt, weil durch die Schaffung neuer Zusatzausbildungsvorschriften der Berufsumfang der in diesem Teilgebeit bereits tätigen Ärzte nicht beschränkt werden dürfe. Der Beklagte habe daher die den Umfang seiner Berufsausübung regelnden Rechtsvorschriften nicht verletzt. Eine Verwirklichung des Tatbestandes nach § 1 UWG würde jedoch auch am Fehlen der besonderen subjektiven Komponente auf der Seite des Beklagten scheitern. Werde nämlich der dem Beklagten angelastete Wettbewerbsverstoß aus der Verletzung von Rechtsvorschriften abgeleitet, dann komme es darauf an, ob seine Auffassung über den Umfang seiner Befugnisse durch das Gesetz so weit gedeckt ist, daß sie mit gutem Grund vertreten werden kann. Dem Beklagten sei sowohl von der Österreichischen Ärztekammer als auch vom Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz bestätigt worden, daß er zur Berufsausübung auch auf dem Teilgebiet der "Zytodiagnostik" berechtigt sei. Der Beklagte habe daher seit der Beantwortung seiner Eingabe vom 1.7.1983 an das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz keinen Grund mehr gehabt, an der mitgeteilten Rechtslage zu zweifeln.
Zu einem Vorgehen nach § 57 VerfGG bestehe kein Anlaß.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der klagenden Partei ist nicht berechtigt.
Das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz vertritt seit dem Erlaß vom 14.7.1976, Zl. II-51.107/13-3 a/76, betreffend die Verordnung BGBl 1975/529, mit der die Ärzte-Ausbildungsordnung geändert wurde, die Meinung, daß durch die Einführung einer ergänzenden speziellen Ausbildung auf einem Teilgebiet im Rahmen eines Sonderfaches (§ 2 c Abs 1, letzter Satz, ÄrzteG 1949 idF der ÄrzteG-Nov. 1974 = jetzt § 5 Abs 1, letzter Satz, ÄrzteG 1984) die Rechte bestehender Sonderfächer nicht berührt werden; das sei "zweifelsfrei" dem § 6 a Abs 2 der oben zitierten Verordnung zu entnehmen, wonach die Fachärzte eines Sonderfaches, die eine ergänzende spezielle Ausbildung auf einem Teilgebiet absolviert haben, der Berufsbezeichnung "Facharzt für ...." das Teilgebiet in Klammer als Zusatz anfügen dürfen. Nach Ansicht des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz bleibt demnach ein Facharzt, auch wenn er eine ergänzende spezielle Ausbildung auf einem Teilgebiet seines Sonderfaches nicht absolviert hat, im Rahmen seines gesamten Sonderfaches zur Ausübung seiner ärztlichen Berufstätigkeit berechtigt; er darf dann nur nicht das Teilgebiet seines Sonderfaches bei der Berufsbezeichnung gesondert anführen. Diese - jedenfalls für den Laien nicht erkennbar gesetzwidrige - Auffassung brachte das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz über Anfrage des Beklagten auch im Schreiben vom 5.8.1983 zum Ausdruck. Denselben Standpunkt nahm die Österreichishe Ärztekammer unter Berufung auf die Ansicht des zuständigen Ministeriums in ihrem Schreiben vom 19.3.1986 an das Erstgericht ein. Ob diese Schreiben, mit denen dem Beklagten bzw. dem Erstgericht Auskünfte erteilt wurden, den Charakter von "Bescheiden" oder bescheidförmigen "Genehmigungen" haben, ist für den vorliegenden Wettbewerbsstreit ohne Belang. Es mag sein, daß aus dem Zusammenhang der einschlägigen Vorschriften des Ärztegesetzes (insbesondere § 5 Abs 1 und § 13 Abs 2 ÄrzteG 1984) und der mehrmals novellierten Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung über die Ausbildung zum Facharzt für nichtklinische Medizin zur Frage des Umfanges der fachärztlichen Berufsausübungsberechtigung des Beklagten auch andere rechtliche Schlüsse gezogen werden könnten. Darauf braucht jedoch hier nicht eingegangen zu werden:
Zur Klärung der Frage, welche Befugnisse der Beklagte als Facharzt für medizinische und chemische Labordiagnostik auf dem Gebiet der Zytodiagnostik besitzt, sind, soweit diese Frage Hauptfrage eines Verfahrens ist, die zuständigen Verwaltungsbehörden (Selbstverwaltungskörper) berufen. Einer Beurteilung dieser Frage als Vorfrage des von der klagenden Partei erhobenen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruches bedarf es jedoch nicht: Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, verlangt das jedem Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens begrifflich innewohnende moralische Unwerturteil jedenfalls dort eine besondere subjektive Komponente auf der Seite des Beklagten, wo der ihm angelastete Wettbewerbsverstoß aus der Verletzung einer gesetzlichen Vorschrift abgeleitet wird. Was dem Betroffenen hier als "unlauteres Verhalten" angelastet wird, ist der Umstand, daß er sich über eine gesetzliche Norm hinweggesetzt hat, um auf diese Weise einen Wettbewerbsvorsprung vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen. Nur eine dem Beklagten auch subjektiv vorwerfbare Mißachtung einer solchen Vorschrift rechtfertigt es aber, über die bloße Verantwortlichkeit nach der übertretenen Verwaltungsvorschrift hinaus auch eine unlautere, gegen die guten Sitten verstoßende Wettbewerbshandlung im Sinne des § 1 UWG anzunehmen (in diesem Sinne bereits Schönherr in ÖBl 1977, 33; ÖBl 1977, 159; ÖBl 1981, 19; zu allem SZ 56/2 und zuletzt 4 Ob 305/86). Dieser Grundsatz muß vor allem dort gelten, wo es um eine unterschiedliche Auslegung der angeblich verletzten Rechtsvorschrift (hier: der in Betracht kommenden Vorschriften des Ärztegesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen) geht. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Verletzung dieser Vorschriften gegen § 1
UWG verstößt, kommt es vor allem darauf an, ob die Auffassung des Beklagten über den Umfang seiner Befugnisse durch das Gesetz so weit gedeckt ist, daß sie mit gutem Grund vertreten werden kann. Trifft dies zu, dann kann diese Auslegung der gesetzlichen Vorschrift und die darauf beruhende Tätigkeit des Beklagten nicht mehr als eine gegen das Anstandsgefühl der betroffenen Verkehrskreise verstoßende Handlung angesehen werden.
Selbst wenn man nun mit der Revision davon ausginge, die Gesetzeslage sei unklar und erlaube (auch) den Schluß, daß der Beklagte mangels einer ergänzenden speziellen Ausbildung auf dem Teilgebiet "Zytodiagnostik" seines Sonderfaches "medizinische und chemische Labordiagnostik" nicht tätig sein dürfe, kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß seine Auffassung über den Umfang seiner Berufsausübungsberechtigung auf Grund der positiven Auskünfte des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz und der Österreichischen Ärztekammer so weit gedeckt ist, daß er sie mit gutem Grund vertreten kann. Eine objektive Klärung der strittigen Berufsumfangsberechtigung ist für den vorliegenden Wettbewerbsstreit nicht erforderlich, so daß auf die von der Revision vorgetragenen Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der (oben zitierten) Verordnungen über die Ausbildung zum Facharzt für nichtklinische Medizin nicht einzugehen ist und ein Überprüfungsantrag beim Verfassungsgerichtshof nicht präjudiziell wäre.
Warum die Grundsätze der Entscheidung SZ 56/2 zur fehlenden subjektiven Vorwerfbarkeit eines Wettbewerbsverstoßes bei der Verletzung von Rechtsvorschriften, die dem Schutz der Volksgesundheit dienen, nicht gelten sollten, ist nicht einzusehen. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E10135European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0040OB00307.87.0217.000Dokumentnummer
JJT_19870217_OGH0002_0040OB00307_8700000_000