Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Ing. Otto Beer und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arthur R***, Arbeiter, Torren 186, Golling, vertreten durch Dr. Robert P***, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, dieser vertreten durch Dr. Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Arno W*** Gesellschaft m.b.H., Obergäu 75, Golling, vertreten durch Dr. Alexander Diemand und Dr. Christian Greinz, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 40.302,18 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27. Oktober 1986, GZ 31 Cg 82/85-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Salzburg vom 11. September 1985, GZ Cr 124/85-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 257,25 an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei, seiner ehemaligen Arbeitgeberin, die Zahlung eines (näher aufgeschlüsselten) Betrages von S 40.302,18 s.A. an anteiligen Sonderzahlungen, Kündigungsentschädigung und Abfertigung. Er behauptet, am 18. Jänner 1985 ungerechtfertigt entlassen worden zu sein. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Arbeitsverhältnis sei vom Kläger mit den Worten, er bleibe in dieser Firma nicht mehr, er gehe, sowie durch das anschließende Verlassen des Betriebes ungerechtfertigt vorzeitig aufgelöst worden. Die beklagte Partei habe ungeachtet der bereits auf diese Weise erfolgten Auflösung des Arbeitsverhältnisses noch am selben Tag aus dem Grunde des § 82 lit f GewO die Entlassung ausgesprochen. Die Bestreitung des Klagebegehrens werde hilfsweise auf die Entlassung des Klägers gestützt.
Der Kläger bestritt dieses Vorbringen. Er habe im Hinblick auf eine vorangegangene Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen lediglich erklärt, er gehe nach Hause, "weil er das nervlich nicht mehr aushalte". Nach dem Abklingen seiner Erregung am Nachmittag des 18. Jänner 1985 habe er von daheim bei der beklagten Partei angerufen und seine Arbeitsbereitschaft bekundet. Infolge der Erregung sei sein - erstmaliges - Arbeitsversäumnis entschuldbar. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit der Begründung statt, das Arbeitsversäumnis sei weder erheblich, noch treffe den Kläger ein Verschulden. Der beklagten Partei sei vorzuwerfen, daß sie die zwischen dem Kläger und seinem Arbeitskollegen bestehenden Spannungszustände nicht beseitigt habe; damit habe sie ihre Fürsorgepflicht vernachlässigt.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf folgende noch wesentliche Feststellungen:
Zwischen dem Kläger und den ebenfalls in der Galvanikabteilung der beklagten Partei arbeitenden jugoslawischen Arbeitern kam es im Laufe der Zeit zu Spannungen. Der Kläger glaubte, von diesen Arbeitskollegen benachteiligt und gehänselt zu werden. Am 17. Jänner 1985 wurde er von seinem Arbeitskollegen Franjo L***, als ihm beim Durchschreiten einer Türöffnung Eisenteile zu Boden fielen, ausgelacht, wobei dieser Arbeitskollege überdies noch eine Äußerung über österreichische Arbeiter machte, die den Kläger verärgerte. Der Abteilungsleiter S*** beauftragte den Kläger, gemeinsam mit L*** am nächsten Tag bestimmte Rostarbeiten durchzuführen. Der Kläger meinte zwar, er wolle diese Arbeiten allein verrichten, doch hielt S*** den Auftrag unter Hinweis darauf aufrecht, daß viel Arbeit zu erledigen sei.
Am 18. Jänner 1985 bereitete der Kläger für die Rostarbeiten ein Säurebad vor. Da er zu diesem Zweck zu wenig Säure hatte, holte er neue Säure. Inzwischen schüttete L*** gebrauchte Säure in das vom Kläger vorbereitete Säurebad, obwohl ihn dieser gebeten hatte, die alte Säure nicht mehr zu verwenden. Der Kläger war über dieses Vorgehen seines Arbeitskollegen aufgebracht "und murmelte vor sich hin". L*** beklagte sich beim Abteilungsleiter S*** darüber, daß der Kläger ständig vor sich hinschimpfe. S*** hörte hierauf den Kläger an und gab ihm in der Absicht, den Frieden wiederherzustellen, den Auftrag, ein neues Säurebad herzurichten, obwohl er das vorhandene Säurebad nicht für unbrauchbar hielt. Er wies den Kläger überdies an, die bisher gemeinsam mit L*** verrichteten Arbeiten nunmehr allein durchzuführen. Als der Kläger ein neues Säurebad vorbereitete, schüttete L*** etwas gebrauchte Säure auf vom Kläger bearbeitete Gegenstände, die sich hierauf schwarz verfärbten. Der Kläger ärgerte sich darüber und schimpfte vor sich hin. Als L*** auch noch sagte: "Ein Austria-Mann zu viel", geriet der Kläger vollends in Rage und begab sich zum stellvertretenden Vorarbeiter R***. Er sagte zu diesem, er lasse sich von L*** nicht sekkieren, er werde gehen. Da der Kläger aber trotzdem weiterarbeitete, nahm R*** diese Äußerung nicht sehr ernst. Gegen 9,30 Uhr begab sich der Kläger zum stellvertretenden Vorarbeiter und erkundigte sich nach dem Aufenthalt des Abteilungsleiters S***. Als dieser momentan nicht gefunden werden konnte, teilte der Kläger dem R*** mit, er werde jetzt gehen, er wolle nicht mehr. R*** gab zur Antwort, der Kläger solle sich das überlegen,
er - R*** - könne ihn aber nicht halten. Der Kläger verließ mit seiner Tasche den Betrieb, weil er so wütend war, daß er im Falle des Verbleibens gegen L*** tätlich geworden wäre. Als S*** auf dem Firmenparkplatz den Kläger erblickte, rief er ihm über eine größere Entfernung zu, er solle bleiben, sein Verhalten sei nicht tragbar. Der Kläger vernahm die Äußerungen sinngemäß und rief zurück, R*** wisse ohnehin Bescheid. Dann fuhr der Kläger heim.
Als die Firmenleitung gegen 10,30 Uhr von dem Vorfall erfuhr, wurde die Entlassung des Klägers beschlossen. Das Entlassungsschreiben wurde ihm um etwa 14 Uhr durch einen Eilboten zugestellt. Danach versuchte der Kläger, mit der Firmenleitung Kontakt aufzunehmen, um seinen Arbeitsplatz zu erhalten; die Entlassung wurde aber nicht zurückgenommen. Die beklagte Partei war bis zum 18. Jänner 1985 mit den Arbeitsleistungen des Klägers zufrieden gewesen.
Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, der Kläger sei nicht vorzeitig ausgetreten, weil sein Erklärungsverhalten die Annahme, er wolle das Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden, nicht rechtfertige. Überdies habe auch die beklagte Partei das Verhalten des Klägers nicht in diesem Sinne verstanden. Das Arbeitsverhältnis sei durch die Entlassung des Klägers beendet worden. Die Entlassung sei gerechtfertigt, weil das Arbeitsversäumnis einen erheblichen Zeitraum betroffen habe und das Verlassen des Betriebes unbefugt und schuldhaft erfolgt sei. Der Kläger hätte - wie schon vorher - versuchen müssen, bei seinen Vorgesetzten Abhilfe gegen das Verhalten des Arbeitskollegen zu verlangen; diese Möglichkeit habe er durch sein Wegfahren vereitelt. Eine Verletzung der Fürsorgepflicht der beklagten Partei liege nicht vor, weil der Abteilungsleiter S*** ohnehin zweckmäßige Anordnungen getroffen habe. Die schließlich zum Verlassen des Betriebes führende Auseinandersetzung habe jedoch der Kläger an seine Vorgesetzten nicht mehr herangetragen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem auf eine Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzielenden Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Da im Revisionsverfahren keine der beiden Parteien auf die Frage, ob der Kläger vorzeitig ausgetreten sei, zurückkommt, genügt es darauf hinzuweisen, daß der für die Beurteilung dieser Frage maßgebliche objektive Erklärungswert seines Verhaltens die Annahme eines Austritts, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, nicht gerechtfertigt. Der Kläger hat wohl erklärt, daß er nicht mehr wolle und jetzt gehen werde, und er hat auch tatsächlich den Betrieb verlassen; er hatte aber schon vorher eine gleichlautende Erklärung abgegeben und trotzdem weitergearbeitet, so daß sie von R*** nicht ernst genommen worden war. Das Verhalten des Klägers war daher nicht derart eindeutig, daß es vom Erklärungsempfänger mit Überlegung aller Umstände (§ 863 ABGB) nur als vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufgefaßt werden konnte. Wie es von ihm tatsächlich aufgefaßt wurde, ist allerdings entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes belanglos.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die auf den § 82 lit f GewO 1859 gestützte Entlassung aufgelöst. Nach dieser durch den § 376 Z 47 Abs 1 GewO 1973 vorläufig aufrechterhaltenen Bestimmung kann ein Arbeiter u.a. dann entlassen werden, wenn er die Arbeit unbefugt verlassen hat. Diese Bestimmung ist im Sinne der analogen Vorschrift des § 27 Z 4 AngG auszulegen. Das Arbeitsversäumnis muß daher, um tatbestandsmäßig zu sein, erheblich, pflichtwidrig und schuldhaft sein und überdies eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes entbehren (Arb. 9991 mwH). Der Arbeitnehmer muß, um die Voraussetzung eines schuldhaften Verhaltens zu erfüllen, das Arbeitsversäumnis vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Erheblich ist das Arbeitsversäumnis insbesondere dann, wenn ihm nach der Dauer der versäumten Arbeitszeit, nach Maßgabe der Dringlichkeit der zu verrichtenden Arbeit oder wegen des Ausmaßes des infolge des Versäumnisses nicht erzielten Arbeitserfolges oder der sonstigen betrieblichen Nachteile besondere Bedeutung zukommt; dabei ist stets auf den Umstand des konkreten Falles abzustellen (Arb. 10.427 mwH). Diese Voraussetzungen liegen hier entgegen der Meinung des Revisionswerbers vor. Die Erheblichkeit des Arbeitsversäumnisses ergibt sich nicht nur aus dem zwischen dem Verlassen des Betriebes um 9,30 Uhr und der Zustellung des Entlassungsschreibens an den Kläger um 14 Uhr liegenden Zeitraum. Abgesehen davon, daß der Kläger gar nicht behauptet hat, er wäre um diese Zeit in den Betrieb gefahren, um die Arbeit wieder anzutreten, wenn er das Entlassungsschreiben nicht erhalten hätte - aus seinen Parteiangaben ergibt sich das Gegenteil -, darf nicht außer acht gelassen werden, daß an diesem Tag, wie dem Kläger vom Abteilungsleiter S*** mitgeteilt worden war, viel Arbeit zu verrichten gewesen wäre. Die Voraussetzung der Erheblichkeit des Arbeitsversäumnisses ist aus diesen Gründen erfüllt.
Den Kläger trifft aber auch ein Verschulden an dem Arbeitsversäumnis. Richtig ist zwar, daß er sich über das Verhalten seines Arbeitskollegen L*** geärgert hat und daß ihm auch ein gewisses Maß an Erregung zuzubilligen ist. Diese Umstände vermögen aber die im Verlassen des Betriebes bestehende (Über-)Reaktion des Klägers nicht zu entschuldigen. Er wäre nämlich verpflichtet gewesen, seine Vorgesetzten von den Vorfällen zu verständigen und Abhilfe zu verlangen. Das Verhalten des Arbeitskollegen L*** war nämlich, so sehr es auch den Kläger verärgert hat, keineswegs so schwerwiegend, daß es ein sofortiges Verlassen des Betriebes, etwa um Tätlichkeiten des Arbeitskollegen gegen den Kläger zu entgehen, gerechtfertigt hätte. Es lag nicht einmal eine Ehrverletzung vor. Der dem Revisionswerber gegen die beklagte Partei erhobene Vorwurf, sie habe ihre Fürsorgepflicht dadurch verletzt, daß sie nicht für ein "zuträgliches Arbeitsklima" zwischen den Arbeitskollegen gesorgt und nicht alles unternommen habe, um einen weiteren Kontakt zwischen dem Kläger und L*** zu vermeiden und die Situation zu entschärfen, ist nicht berechtigt. Der Kläger übersieht, daß der Abteilungsleiter S*** ohnehin konkrete Schritte zur Bereinigung der Auseinandersetzungen unternahm, indem er die Vorbereitung eines neuen Säurebades anordnete, obwohl er das alte nicht für unbrauchbar hielt, und dem Kläger den Auftrag erteilte, die Arbeiten nicht mehr gemeinsam mit L***, sondern allein durchzuführen. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers reicht aber nicht so weit, daß er verpflichtet wäre, dafür zu sorgen, daß zwei Arbeitskollegen, die sich miteinander nicht vertragen, im Betrieb nicht nur nicht mehr gemeinsam arbeiten, sondern überhaupt keinen Kontakt mehr miteinander haben. Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, dafür zu sorgen, daß zwischen zwei Arbeitnehmern ein gutes Arbeitsklima herrscht. Der Abteilungsleiter hat im Rahmen des Möglichen ohnehin versucht, weitere Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und L*** zu vermeiden und die Situation zu beruhigen. Von der weiteren Auseinandersetzung, die der Kläger dann zum Anlaß nahm, den Betrieb zu verlassen, hatte er aber den Abteilungsleiter nicht mehr in Kenntnis gesetzt und eine Abhilfe nicht verlangt. Aus den dargelegten Gründen ist die Entlassung, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, gerechtfertigt, so daß dem Kläger die eingeklagten Ansprüche, welche eine ungerechtfertigte Entlassung voraussetzen, nicht zustehen.
Der Revision muß daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41, 50 ZPO begründet.
Anmerkung
E14858European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:014OBA00008.87.0217.000Dokumentnummer
JJT_19870217_OGH0002_014OBA00008_8700000_000