Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Februar 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schopper als Schriftführers in der Strafsache gegen Karin P*** wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127 f. StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengerichts vom 17.November 1986, GZ. 23 Vr 2825/85-20, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Karin P*** ist des Vergehens nach § 127 Abs. 1 und 2 Z. 3, 128 Abs. 1 Z. 4 StGB schuldig erkannt worden, weil sie im Jahr 1982 in Linz Verfügungsberechtigten der Adolf S*** Gesellschaft m.b.H. & Co. KG., Großhandel mit Uhren und Schmuckwaren, unter Ausnützung ihrer Gelegenheit als deren Handelsarbeiterin Schmuckgegenstände im Gesamtwert von 33.059 S gestohlen hat.
Gegen diesen Schuldspruch wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Als gestohlen sah das Gericht diejenigen siebzehn Schmuckstücke an, die auf einem (in dem von der Angeklagten widerrechtlich entzogenen, in ihrer Wohnung sichergestellten Lieferscheinbuch mit den Nummern 1301 bis 1350 unter der Nr. 1327 eingehefteten) mit 10.12.1982 datierten Auswahlschein verzeichnet waren und die nicht zugleich auch auf einer (einen Auswahlschein mit der Nummer 14206 betreffenden) Unterlage gleichen Datums des Arbeitgebers der Angeklagten (über ihr rechtmäßig ausgefolgte Ware) aufscheinen. Unterlagen, die die rechtmäßige Ausfolgung auch dieser siebzehn Schmuckstücke an die Angeklagte belegt hätten, fanden sich beim Arbeitgeber der Angeklagten nicht.
Die Mängelrüge weist auf das Organisationssystem am Arbeitsplatz der Angeklagten hin, das auch anderen die Möglichkeit eines unbemerkten diebischen Zugriffs zur Schmuckware eröffnete, bezweifelt die Effizienz des Kontrollsystems, insbesondere der Warenausfolgung im Weg von "Auswahlscheinen" und deren Ausschließlichkeit sowie die Vollständigkeit der darauf bezüglichen Unterlagen des Arbeitgebers.
Rechtliche Beurteilung
Indes hat das Schöffengericht ein ausschließliches Gelegenheitsverhältnis der Angeklagten zu Schmuckdiebstählen an ihrem Arbeitsplatz ohnehin nicht angenommen, unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß auch für andere Personen Schmuck frei zugänglich war und Körper- und Kleidungskontrollen beim Verlassen des Arbeitsplatzes nicht vorgenommen wurden (S. 200 bis 202, 210). Unter dem nach Ansicht des Gerichts funktionierenden "Kontrollmechanismus" ist ferner nicht die Absicherung gegen einen unmittelbaren diebischen Zugriff zu verstehen, sondern die Gewähr einer ordnungsgemäßen Gebarung betreffend jene Ware, die über "Auswahlscheine" Firmenangehörigen ausgefolgt wurde und innerhalb angemessener Frist durch den Auswahlnehmer zurückzugeben oder zu bezahlen war. Wenn der Senat "mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" annahm, daß dieser "Kontrollmechanismus" funktionierte (S. 210) und daß, "mögen nun auch in gewisser Weise die internen Verhaltensregeln für den Umgang mit Schmuck nicht immer eingehalten worden sein, .... doch nach dem durchgeführten Beweisverfahren kein logischer und ersichtlicher Grund" dafür besteht, "daß diese Kontrollmechanismen im Falle der Karin P*** versagt haben" (S. 208), so ist dies ein Tatsachensubstrat, welches die Richter nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung konstatiert haben. Eine solche Überzeugung wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muß doch, wie hier, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung (so etwa Berechnungen oder Konstruktionspläne) nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, jene Überzeugung, die ihrerseits zufolge § 258 Abs. 2 StPO die ausschließliche Grundlage der richterlichen Tatsachenentscheidung sein darf
(SSt. 45/23 u.v.a., zuletzt 13 Os 105/86).
Dies gilt auch für den Beschwerdeeinwand, die Unterlagen des Arbeitgebers ("roten Ausfertigungen") über die Ausfolgung von Ware mittels Auswahlscheinen seien nicht vollständig vorhanden, sodaß nicht sicher sei, ob etwa doch eine die siebzehn Schmuckstücke betreffende Unterlage unter den fehlenden Belegen vorhanden war. Indes geht der Senat ohnehin davon aus, daß vier Lieferscheinbücher nicht auffindbar waren, und gelangte dennoch mit plausiblen - und insoweit gleichfalls als freie Beweiswürdigung von der Beschwerde unzulässig bekämpften - Argumenten zur Überzeugung, daß diese vier Bücher niemals praktische Verwendung gefunden haben, sodaß "mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" auszuschließen ist, daß in ihnen diese Schmuckstücke betreffende Unterlagen vorhanden waren (S. 209). Daß das Lieferscheinbuch mit der Nummer 14125 noch im Dezember 1982 abhanden gekommen sein dürfte (S. 153), ist daher belanglos.
Gewiß hat die Zeugin Ute P*** erklärt, alle rosa Scheine durchkontrolliert, "aber hier einige Nummern nicht vorgefunden" zu haben (S. 152). Abgesehen davon, daß sich unter dem Begriff "Nummern" auch zwanglos "Artikelnummern" verstehen lassen, zumal die Zeugin im folgenden Satz ausdrücklich von solchen spricht, ist das Gericht ohnedies nicht von der Vollständigkeit der Unterlagen des Arbeitgebers ausgegangen (siehe die vier fehlenden Lieferscheinbücher), sodaß auch dann nichts für die Beschwerdeführerin gewonnen wäre, wenn die Zeugin Auswahlscheinnummern gemeint haben sollte. Das Unterbleiben einer Nachschau, ob die fraglichen Stücke auf "späteren Auswahlscheinen" verzeichnet sind (S. 160), betrifft nach der Fallgestaltung keinen entscheidenden Umstand, weil die Zeugin P*** im Kontext ihrer Aussage auf die für den Schuldspruch relevante zeitliche Koinzidenz der entscheidenden Belege ("10.12.1982") hinweisen wollte, für welche "spätere Auswahlscheine" nicht in Frage kommen. Daß die Schmuckstücke bei sofortigem Barverkauf der Angeklagten überhaupt ohne Auswahlschein ausgefolgt worden sein konnten, bedurfte schon deshalb keiner Erörterung, weil der Zeuge Werner P*** von einer solchen Möglichkeit nur beim Ankauf eines Schmuckstücks sprach (während es hier um siebzehn Stücke geht) und auch begründete, weshalb er eine solche beleglose Ausfolgung von Ware im Fall der Angeklagten ausschließt, was von der Beschwerde unerwähnt bleibt (S. 173).
Wenn das Schöffengericht aus der Diskrepanz der in den - hier entscheidungswesentlich (S. 206, 207, 210) - mit demselbem Datum versehenen Unterlagen aufgelisteten Schmuckstücke (einerseits 26, andererseits 9 Stücke) den Schluß zog, daß nur die in den Unterlagen der Angeklagten und ihres Arbeitgebers übereinstimmend angeführten neun Stücke regulär in den Besitz der Angeklagten gekommen, die anderen siebzehn aber von ihr gestohlen worden sind, dann liegt darin ein nach dem Gesagten unanfechtbarer Akt freier richterlicher Beweiswürdigung, der zu respektieren ist.
Der dies ignorierenden Nichtigkeitsbeschwerde war daher ein Erfolg zu versagen. Sie war teils als offenbar unbegründet gemäß § 285 d Abs. 1 Z. 2 StPO, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt nach § 285 d Abs. 1 Z. 1 StPO in Verbindung mit § 285 a Z. 2 StPO schon in einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.
Anmerkung
E10274European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0130OS00017.87.0219.000Dokumentnummer
JJT_19870219_OGH0002_0130OS00017_8700000_000