Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler, Dr.Jensik, Dr.Zehetner und Dr.Klinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***-Fernlehrinstitut, Fonds der Wiener Kaufmannschaft, Lothringerstraße 8, 1041 Wien, vertreten durch Dr. Rudolf Stöhr und Dr. Johann Stöhr, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Eckhard S***, Angestellter, Schweizerstraße 12, 6971 Hard, vertreten durch Dr. Walter Derganz, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 23.810 S sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 18. Februar 1986, GZ 1 b R 23/86-53, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 20. Dezember 1985, GZ 2 C 981/82-48, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
In Abänderung des angefochtenen Urteils wird die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten binnen 14 Tagen die mit 8.094,68 S (einschließlich 735,88 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte schloß mit dem klagenden Fernlehrinstitut am 2. März 1981 einen Fernlehrvertrag. Lehrgegenstand sollte das Fach Radio- und Fernsehtechnik (Lehrgang B 760) sein. Vor Abschluß dieses Vertrages hat kein Studienberater der Klägerin den Beklagten aufgesucht und beraten. Der Beklagte hatte der Klägerin formulargemäß angegeben, daß er von Beruf Matrose sei und die Volks- und Hauptschule sowie die Schifferschule in Basel besucht habe. Nach der auf dem Anmeldeformular abgedruckten Studienordnung behielt sich die Klägerin vor, eine Anmeldung abzulehnen oder zur Teilnahme an einem anderen Lehrgang zu raten, wenn die Vorbildung des Anmeldenden nach pädagogischem Ermessen nicht Gewähr bieten sollte, daß er den gewählten Lehrgang mit Erfolg absolvieren kann. Mit Brief vom 14. Jänner 1982 ersuchte der Beklagte die Klägerin, den Fernlehrkurs "zu stornieren", weil er nicht die Fähigkeiten habe, den Kurs erfolgreich zu Ende zu führen, und es ihm auch an den finanziellen Mitteln fehle, die Kursgebühren zu bezahlen. Mit hektographiertem (undatierten) Schreiben antwortete ihm die Klägerin mit dem Hinweis auf die erstmals nach Ablauf eines Jahres unter Einhaltung einer sechswöchigen Frist mögliche Vertragskündigung, er könne trotz Kündigung das anteilsmäßige Lehrmaterial abrufen, dazu Hausarbeiten einsenden und pädagogische Betreuung in Anspruch nehmen, werde aber gebeten, sich den Ausspruch Henry F*** vor Augen zu halten: "Für den Menschen unserer Zeit gibt es nur eine einzige echte Sicherheit: Wissen, Erfahrung, Können", und danach seine Entscheidung treffen, die ihm nach Jahren auch noch richtig erscheinen werde; vorläufig werde seine Kündigung vorgemerkt und die Mitteilung erbeten, ob er nicht doch den von ihm belegten Fernkurs weitermachen wolle.
Am 3. Februar 1982 teilte daraufhin der Beklagte der Klägerin schriftlich mit, daß er den Kurs nun doch absolvieren wolle, er habe jedoch seit August 1981 nicht mehr daran gearbeitet und müsse von vorne anfangen. Die rückständigen Zahlungen werde er im Laufe dieses Monats (Feber 1982) überweisen.
Dieses Schreiben bestätigte die Klägerin dem Beklagten mit dem Bemerken, daß sie mit seinem Vorschlag einverstanden sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, das auf Verurteilung zur Zahlung der fälligen Kursgebühren von 23.810 S gerichtet war und dessen Abweisung der Beklagte mit der Begründung begehrt hatte, daß die Klägerin ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen sei und ihn über den wesentlichen Inhalt des Vertrages irreführt habe, er aber auch gar nicht in der Lage sei, den Kurs erfolgreich zu absolvieren. Das Erstgericht führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen an:
Dem Beklagten sei von der Klägerin ein Kurs angeboten worden, der ihm gar nichts nütze, denn er sei auf Grund seiner Vorbildung gar nicht in der Lage, das versprochene Lehrziel zu erreichen. Die Klägerin hätte sich auf geeignete Weise vergewissern müssen, ob der Beklagte nach Stand, Ausbildung und geistigen Fähigkeiten imstande sei, das gestellte Lehrziel zu erreichen. Dieser Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht sei die Klägerin aber nicht nachgekommen. Sie habe dadurch den Beklagten in Irrtum geführt, weshalb dieser nicht verpflichtet sei, die begehrte Kursgebühr zu zahlen. Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin Folge und verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 23.810 S samt 4 % Zinsen seit 17. Mai 1982 und zum Ersatz der Prozeßkosten erster und zweiter Instanz. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen:
Der Beklagte habe sich auf Irreführung beim Vertragsabschluß durch die Klägerin berufen. Auf die Irrtumsanfechtung könne ausdrücklich, aber auch schlüssig verzichtet werden. Ob ein schlüssiger Verzicht vorliege, sei nach den Grundsätzen des § 863 ABGB zu beurteilen. Es komme also auf das objektive Verhalten des Verzichtenden an, wie dieses nach den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig zu verstehen sei: es dürfe kein vernünftiger Grund übrig sein, daran zu zweifeln, daß der Wille, eine bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen, vorliege. Der Umstand, daß der Beklagte nach Erhalt von mehreren Unterrichtsheften mit seinem Brief vom 3. Februar 1982 der Klägerin unmißverständlich erklärt habe, daß er nun doch beabsichtige, den Kurs zu absolvieren, bedeute, daß er von der vorher ausgesprochenen Stornierung bzw. Kündigung Abstand nahm, damit alle Zweifel über seine allfällige mangelnde Fähigkeit zur Absolvierung des Kurses ausräumte und - zumindest - schlüssig auf die Irrtumsanfechtung verzichtete. Damit sei der Irreführungseinwand hinfällig geworden.
Mit der Begründung, daß zum schlüssigen Anfechtungsverzicht eine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege, erklärte das Berufungsgericht die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für nicht zulässig.
Das Urteil des Berufungsgerichtes bekämpft der Beklagte mit einer außerordentlichen Revision. Er begehrt, dieses Rechtsmittel zuzulassen und in Abänderung des angefochtenen Urteils die Entscheidung der ersten Instanz wiederherzustellen. Die Klägerin beantragt in ihrer Rechtsmittelgegenschrift, die außerordentliche Revision mangels Zulässigkeitsvoraussetzung zurückzuweisen, und begehrt hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Die Zulässigkeit ergibt sich aus den vom Beklagten geltend gemachten Grund, daß das Berufungsgericht ohne eine entsprechende Sacheinwendung der Klägerin in erster Instanz amtswegig zur Rechtsfrage, ob in dem Schreiben des Beklagten an die Klägerin vom 3. Februar 1982 ein schlüssiger Verzicht auf die Vertragsanfechtung wegen Irreführung durch die Klägerin liege, in Ergänzung des Beweisverfahrens aus den Prozeßkosten die erforderlich erscheinenden Tatsachenfeststellungen traf und auf dieser Grundlage zur Verwerfung der Irrtumsanfechtung und in der Folge zur Verurteilung des Beklagten gelangte. Durch diesen Vorgang verstieß das Berufungsgericht gegen das Verbot, ohne eine entsprechende Sacheinwendung der Klägerin, die dafür die subjektive Behauptungslast getroffen hätte (vgl. Fasching, Lehr- und Handbuch Rz 877), einen von ihm angenommenen anspruchsaufhebenden Tatbestand, nämlich den vermeintlichen schlüssigen Verzicht des Beklagten auf die Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums (§ 871 Abs 1 erster Fall ABGB), amtswegig zu berücksichtigen und zu diesem Zwecke überschießende Tatsachenfeststellungen zu treffen (so schon 7 Ob 645/85 vom 3. Oktober 1985 zur Frage des konkludenten Verzichts auf das Recht der Gewährleistung). Das Erfordernis der Wahrung der Rechtssicherheit gebietet, die außerordentliche Revision des Beklagten schon aus diesem Grunde gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zuzulassen.
Im übrigen ist die Revision in der Sache selbst berechtigt. Die Irrtumsanfechtung des Beklagten wird auf die Unterlassung der vorvertraglichen Aufklärungs- und Informationspflicht der Klägerin gegründet, zu der diese nach der Art der angebotenen Leistungen dem Beklagten gegenüber verpflichtet war (vgl. SZ 49/13 = EvBl 1976/193 S 398), der sie aber nicht nachgekommen ist. Von einem Lehrinstitut ist eine Kontaktnahme durch einen geeigneten Pädagogen, der die einschlägigen Fachkenntnisse des Unterrichtsgegenstandes besitzt, mit dem Kursinteressenten und dessen Überprüfung in der Richtung zu fordern, ob er auch die grundlegenden Voraussetzungen an Vorbildung, Auffassungsgabe und Intelligenz besitzt, die nach pädagogischer Erfahrung für eine erfolgverheißende Teilnahme an dem Ausbildungskurs als erforderlich erscheinen. Ein Urteil darüber darf das Lehrinstitut nicht allein dem Kursinteressenten überlassen. Nach dem Ergebnis dieser Überprüfung ist der Kursinteressent aufzuklären, ob ihm der gewünschte Ausbildungslehrgang zu empfehlen ist oder nicht, allenfalls auch noch, welche notwendigen, aber fehlenden Vorkenntnisse er sich vorerst noch verschaffen müßte, damit der Lehrkurs erfolgreich absolviert werden kann. Diesen Pflichten ist die Klägerin hier nicht nachgekommen, sie hat sich - und dies darf sie nicht - bloß mit der Selbsteinschätzung des Kursinteressenten begnügt, die dieser in jenem Brief vom 3. Februar 1982, den das Berufungsgericht unzulässigerweise als Anfechtungsverzicht beurteilte, wiederholt hat, obwohl er noch immer nicht in der aufgezeigten Art von einem fachkundigen Pädagogen der Klägerin überprüft und aufgeklärt worden war. Es ist daher bedeutungslos, daß der Beklagte nach seiner ersten Erkenntnis, den Anforderungen des Fernunterrichts nicht gewachsen zu sein, noch einmal - über Zureden der Klägerin durch einen Brief - einen Versuch zur Teilnahme an dem Fernunterricht unternahm, weil er schließlich abermals wieder zur Einsicht gekommen ist, er könne die gestellten Anforderungen nicht erfüllen. Mit Recht macht er wegen der unterbliebenen Prüfung und Aufklärung durch die Klägerin geltend, er sei über die von ihm geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse in Irrtum geführt worden, ohne den er den Fernlehrvertrag nicht geschlossen hätte. Da die Klägerin die ihr zur Vermeidung fehlerhafter Verträge auferlegte Pflicht der oben aufgezeigten Art nicht erfüllt hat, oblag ihr auch die Darlegungs- und Beweispflicht, daß der Fernlehrvertrag mit dem Beklagten auch dann geschlossen worden wäre, wenn sie ihrer Pflicht zur Prüfung, Information und Aufklärung, wie sie oben dargelegt wurde, nachgekommen wäre, ihrem Fehlverhalten also keine Relevanz zukäme. Dies hat die Klägerin aber weder behauptet, noch unter Beweis gestellt. Es ist deshalb, wie das Erstgericht an Hand der in den Akten erliegenden Kursschriften mit einzelnen Beispielen aufgezeigt hat, mit Rücksicht auf die Vorbildung des Beklagten nach Volks- und Hauptschulbesuch und Lehre in der Schifferschule als Matrose davon auszugehen, daß er mangels richtigen Selbsteinschätzungsvermögens über die für die erfolgreiche Teilnahme an dem Fernlehrkurs geforderten Vorkenntnisse und Fähigkeiten infolge Unterbleibens einer Prüfung und Beratung durch einen geeigneten Fachpädagogen der Klägerin von dieser in einem Irrtum geführt wurde, ohne den er diesen Vertrag nicht geschlossen hätte. Aus diesen Erwägungen ist der außerordentlichen Revision des Beklagten Folge zu geben und in Abänderung des angefochtenen Urteils die Entscheidung des Gerichtes erster Instanz wiederherzustellen. Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E10537European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0050OB00523.87.0224.000Dokumentnummer
JJT_19870224_OGH0002_0050OB00523_8700000_000