Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4.März 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian S*** wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 26.November 1986, GZ 3 a Vr 3476/86-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, des Angeklagten Christian S***, des gesetzlichen Vertreters Helmuth S*** und des Verteidigers Dr. Buder zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 1.November 1969 geborene (demnach noch jugendliche) Christian S*** von der (in Richtung des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB erhobenen) Anklage, er habe am 11. Oktober 1986 in Graz versucht, der Elfriede P*** durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe, indem er ihr ein Messer vorhielt, eine fremde bewegliche Sache, nämlich Bargeld, mit Bereicherungsvorsatz abzunötigen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Den Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer (nominell) auf die Z 9 lit. a - sachlich 9 lit. b - des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der im Ergebnis Berechtigung zukommt.
Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen begab sich der Angeklagte in den Abendstunden des 11.Oktober 1986 unter Mitnahme eines Stricks und eines Fahrtenmessers zur Wohnung seines Dienstgebers. Er hatte die Absicht, den Genannten (und allenfalls bei diesem anwesende Personen) zu bedrohen und zu fesseln und sodann dessen Räumlichkeiten nach Geld zu durchsuchen. Von (der damals allein anwesenden 65jährigen) Elfriede P***, der Ehefrau seines Dienstgebers, wurde er auf seine Erklärung hin, sie dringend sprechen zu wollen, eingelassen. Noch bevor P*** etwas sagen konnte, hielt er plötzlich das Fahrtenmesser derart in der rechten Hand, daß die etwa 10 bis 15 cm lange Klinge ziemlich senkrecht nach oben stand (S 148 f). Beim Anblick dieser Waffe begann die ca. 0,75 m vom Angeklagten entfernt stehende Frau laut um Hilfe zu schreien; sie fragte den Angeklagten auch, ob er wahnsinnig sei und ob er Geld wolle, worauf der Angeklagte die Gegenfrage stellte, wie viel sie im Haus habe. Als Elfriede P***, die mit beiden Händen die Messerklinge erfaßte und festhielt, um Hilfe schrie, forderte sie der Angeklagte auf, still zu sein, und wollte ihr mit der freien Hand den Mund zuhalten. Elfriede P*** versuchte nun gleichzeitig auf den Angeklagten einzureden und ihm das Messer zu entreißen. Beide stürzten und kamen auf dem Boden zu liegen, wo die Frau die Messerklinge weiterhin umklammert hielt und den Angeklagten aufforderte, das Messer wegzulegen und sich sein Leben nicht zu verderben. Auf Grund dieses Einredens stand der Angeklagte, nachdem Elfriede P*** das Messer losgelassen hatte, auf und legte das Messer bei der Balkontür ab.
Der Grund, warum der Angeklagte letztlich von Elfriede P*** abließ, lag darin, daß die Frau, während beide auf dem Boden gelegen waren, auf seine Aufforderung, sie solle leise sein, er könne ihr ohnehin nichts tun, mit dem Kopf genickt und dadurch zu verstehen gegeben hatte, daß sie nicht mehr schreien werde. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte bereits eingesehen, "daß das ganze ein Blödsinn ist", und den Tatentschluß endgültig aufgegeben (vgl. S 149). Er hörte daher auf, Elfriede P*** den Mund zuzuhalten und stand auf. In der Folge ließ er auch zu, daß Elfriede P*** das von ihm bei der Balkontür abgelegte Messer aus der Wohnung warf. Nachdem er auf ihre Vorhaltungen nichts zu erwidern vermocht hatte, verließ er über ihre Aufforderung die Wohnung, wobei er versicherte, ihm tue dies alles leid.
Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht als freiwilligen Rücktritt des Angeklagten vom Verbrechen des versuchten schweren Raubes und gelangte solcherart zu einem Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO. Eine Prüfung dahingehend, ob das konstatierte Tatverhalten ungeachtet seines freiwilligen Rücktrittes vom Versuch des schweren Raubes allenfalls ein (nunmehr selbständig strafbares) vollendetes Delikt - insbesondere eine zum Verbrechen des Raubes gleichfalls subsidiäre gefährliche Drohung im Sinn des § 107 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB - beinhalte, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Dies wurde von der Staatsanwaltschaft in der - (primär) eine Verurteilung des Angeklagten wegen (schwerer) Nötigung nach § 105 Abs. 1 (§ 106 Abs. 1 Z 1 erster Fall) StGB bzw. wegen Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB anstrebenden - Nichtigkeitsbeschwerde insofern dem Sinne nach gerügt, als sie in ihren Ausführungen (auch) auf die Drohung durch Vorhalten des Fahrtenmessers (als mögliches Begehungsmittel der beiden zuvor angeführten Delikte) Bezug nimmt. Gemäß § 16 Abs. 1 StGB wird der Täter wegen Versuches oder Beteiligung daran (ua) dann nicht bestraft, wenn er freiwillig die Ausführung aufgibt. War jedoch in einem derartigen Versuch eine bereits vollendete Straftat enthalten, so bleibt die (nunmehr auflebende gesonderte) Strafbarkeit wegen dieser (vollendeten) Straftat bestehen (qualifizierter Versuch - vgl. SSt. 48/34; Leukauf-Steininger, Kommentar 2 RN 13 zu § 16; Kienapfel AT Z 23 RN 22).
Der - hier in Betracht kommende - zweite Fall des § 99 Abs. 1 StGB setzt einen Zustand voraus, der qualitativ (nach Schwere, Ernstlichkeit und Dauer) einem Gefangenhalten gleichkommt, dem Täter und dem Opfer als Freiheitsentziehung zum Bewußtsein kommt und vom Opfer als Freiheitsbeschränkung empfunden wird (vgl. SSt. 42/5; Leukauf-Steininger aaO RN 6 und 7 zu § 99). Vollendete Nötigung hinwieder erfordert, daß der Täter sein Ziel, einen anderen zu einem Verhalten zu zwingen, auch tatsächlich erreicht hat. Dabei genügt es zwar im allgemeinen, daß der Genötigte infolge der Gewaltanwendung oder der gefährlichen Drohung begonnen hat, sich in der vom Täter gewünschten Weise zu verhalten (Leukauf-Steininger aaO RN 22 zu § 105). Ist das Ziel des Täters allerdings die Erzwingung einer Unterlassung, dann kann der Erfolgseintritt nicht bereits in einer bloß vorübergehenden, nach Zweck, Dringlichkeit und Nachholbarkeit der zu hindernden Handlung unerheblichen Verzögerung ersehen werden (vgl. Mayerhofer-Rieder StGB 2 ENr. 24 bis 26 zu § 269).
Feststellungen darüber, daß das in der letzten Phase vor dem Rücktritt vom Raubvorhaben erfolgte Zuhalten des Mundes, durch welches Elfriede P*** an Hilferufen gehindert werden sollte, die erwähnte Erheblichkeitsschwelle überschritten habe, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Schon aus diesem Grund war das angefochtene Urteil aufzuheben und insoweit die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Im zweiten Rechtsgang wird das Erstgericht gegebenenfalls - sofern eine Freiheitsbeschränkung verneint und hinsichtlich einer Nötigung bloß deren (diesfalls von der Strafaufhebung nach § 16 Abs. 1 StGB mit erfaßter) Versuch angenommen wird - auch zu prüfen haben, ob die vom Angeklagten gegenüber Elfriede P*** - allenfalls als Mittel einer Freiheitsentziehung - gebrauchte Drohung (durch Vorhalten des Fahrtenmessers) das nach §§ 74 Z 5, 107 Abs. 1 (und Abs. 2) StGB tatbestandsmäßige Ausmaß erreichte und ob insoweit "qualifizierter Versuch" vorliegt (vgl. Leukauf-Steininger aaO RN 13 zu § 16 und RN 5 zu § 107; Mayerhofer-Rieder aaO ENr. 9; Kienapfel BT I 2 je zu § 107).
Es war daher spruchgemäß zu erkennen.
Anmerkung
E10200European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0090OS00007.87.0304.000Dokumentnummer
JJT_19870304_OGH0002_0090OS00007_8700000_000