Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Mag.Engelmaier als weitere Richter in der Vormundschaftssache des mj. Georg P***, geboren 26. September 1978, derzeit im Aufenthalt beim Vater Ladislaus S***,
kfm. Angestellter, Wien 20., Burghardtgasse 2/1/22, infolge Revisionsrekurses der Mutter Monika F***, Angestellte, Wien 10., Neilreichgasse 115/28/29, vertreten durch Dr. Wolfgang Kluger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgerichtes vom 31. Oktober 1986, GZ 15 c R 63/86-33, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Vormundschaftsgericht vom 23. Juli 1986, GZ 26 P 219/84-30, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Obwohl im seinerzeit beim Bezirksgericht Floridsdorf geführten Vormundschaftsverfahren ein Antrag des unehelichen Vaters, ihm die Pflege und Erziehung seines am 26. September 1978 geborenen Kindes Georg P*** zu übertragen, mit dem Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 30. August 1984, 6 Ob 639/84, rechtskräftig abgewiesen wurde, blieb das Kind, das der Vater im Oktober 1983 nach einem Besuch nicht mehr an die seinerzeit zum Vormund bestellte Mutter zurückgestellt hatte, seither faktisch bis zum heutigen Tage beim Vater.
Am 22. Oktober 1984 beantragte die Bezirksverwaltungsbehörde beim Jugendgerichtshof Wien, dessen Zuständigkeit mit dem Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 12. Februar 1986, 3 Ob 629/85, bejaht wurde, die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe gemäß § 26 JWG durch Einweisung des Kindes in die Pflege und Erziehung des Vaters.
Das Erstgericht ordnete nach verschiedenen Erhebungen die beantragte gerichtliche Erziehungshilfe gemäß § 26 JWG an. Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung. Die Vorinstanzen gingen im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Bei der Mutter herrschten bis vor kurzem eher ungünstige Verhältnisse. Ihre Ehe mit Herbert F*** war nicht harmonisch. Es gab immer Streitigkeiten, schließlich kam es im November 1984 zur Trennung und im Jänner 1985 zur Scheidung. Bis zum Jahr 1982 war die Mutter Alkoholikerin, im August 1984 mußte sie wegen Einnahme einer Überdosis von Medikamenten in ein Krankenhaus eingeliefert werden. In der letzten Zeit trat im Leben der Mutter, in deren Haushalt jetzt ein am 20. Dezember 1985 geborenes zweites uneheliches Kind lebt, eine weitgehende Ordnung ein, so daß sie an und für sich derzeit zur Pflege und Erziehung eines Kindes geeignet wäre. Seit Georg im Haushalt des Vaters lebt, konnten bei ihm die vorher bestandenen Sprachstörungen behoben werden, auch sonstige Entwicklungsrückstände wurden aufgeholt. Er hat gute Schulerfolge, seine Hauptbezugspersonen sind jetzt der Vater und dessen Ehefrau. Ein Wechsel vom Vater zur Mutter wäre für ihn eine seelische Katastrophe und würde wahrscheinlich zu einer schweren psychischen Krise mit einem Rückfall in der bisher so positiv verlaufenen Entwicklung führen.
Auf Grund dieser Feststellungen nahmen die Vorinstanzen einen Erziehungsnotstand im Sinne des § 26 JWG an. Daß der Vater den jetzigen Zustand seinerzeit widerrechtlich herbeigeführt habe, müsse im Interesse des Wohles des Kindes hingenommen werden. Die Mutter erhebt gegen den Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz einen Revisionsrekurs, in dem sie unter Hinweis auf ihre jetzt geordneten Verhältnisse und die seinerzeitige Eigenmacht des Vaters trotz Beachtung des Kindeswohles die von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht als "unrichtig" rügt und ein gewisses Zusammenspiel des Vaters mit dem Erstrichter geltend macht.
Rechtliche Beurteilung
Dieser Revisionsrekurs ist unzulässig, weil keiner der nach § 16 Abs. 1 AußStrG zulässigen Rechtsmittelgründe aufgezeigt wird. Ein Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs. 1 Z 1 ZPO kann in dem ganz unbestimmten Vorbringen über angebliche Absprachen zwischen dem Vater und dem Erstrichter nicht erblickt werden, zumal im Revisionsrekurs betont wird, daß man dem Erstrichter konkret nichts vorwerfen wolle.
Eine schlichte unrichtige rechtliche Beurteilung stellt noch keinen zulässigen Anfechtungsgrund dar; gegen einen bestätigenden Beschluß der zweiten Instanz findet die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof nur im Falle einer offenbaren Gesetzwidrigkeit statt. Eine solche liegt nur in jenen Fällen unrichtiger rechtlicher Beurteilung vor, in denen entweder ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde, oder in denen das Gericht gegen ein Grundprinzip des Rechts verstoßen hat (EFSlg. 47.208 ua).
Gemäß § 26 Abs. 1 JWG kann die gerichtliche Erziehungshilfe gegen den Willen des Erziehungsberechtigten nur angeordnet werden, wenn diese geboten ist, weil der Erziehungsberechtigte seine Erziehungsgewalt mißbraucht oder die damit verbundenen Pflichten nicht erfüllt. Daß seinerzeit ein Erziehungsnotstand in diesem Sinne vorlag, liegt nach den getroffenen Feststellungen auf der Hand. Die Mutter hatte ihre Pflichten nicht erfüllt, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie daran ein Verschulden traf. Dieser Erziehungsnotstand liegt auch jetzt noch vor; denn die Mutter kann zwar jetzt nicht mehr wegen ihrer eigenen Lebenssituation, wohl aber wegen der psychischen Verfassung des Kindes die diesem erforderlich scheinende Hilfe immer noch nicht gewähren, weil ein Milieuwechsel derzeit zu riskant wäre (vgl. SZ 46/137 ua). Ob und wann ein solcher Erziehungsnotstand eine geänderte Unterbringung eines Kindes im Rahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe erfordert und rechtfertigt, ist im Gesetz nicht geregelt, so daß in dieser Hinsicht auch keine offenbare Gesetzwidrigkeit vorliegen kann (EFSlg. 47.239 uva). Richtig ist zwar, daß die Entziehung elterlicher Rechte immer nur als äußerste Notmaßnahme in Frage kommt und dabei ein sehr strenger Maßstab angelegt werden muß, und daß ein Verstoß gegen dieses Grundprinzip des Familienrechtes auch eine offenbare Gesetzwidrigkeit darstellen könnte (1 Ob 740/83 teilw. veröffentlicht in EFSlg. 44.649, 7 Ob 560/84 teilw. veröffentlicht in EFSlg. 47.217). Die Vorinstanzen haben aber festgestellt, daß für das Kind bei einer erzwungenen Rückkehr zur Mutter die konkrete Gefahr schwerer psychischer Schäden und einer erheblichen Beeinträchtigung der weiteren geistigen und seelischen Entwicklung des Kindes besteht. Trotz der jetzt gebesserten Situation in den Verhältnissen der Mutter und trotz der seinerzeitigen Verletzung des Rechtes durch den Vater kann daher in diesem besonderen Fall kein offenbar gesetzwidriger Eingriff in die Erziehungsrechte der Mutter erkannt werden.
Anmerkung
E10507European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0030OB00651.86.0304.000Dokumentnummer
JJT_19870304_OGH0002_0030OB00651_8600000_000