TE OGH 1987/3/4 9Os29/87

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.03.1987
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.März 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Viktor B*** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15.Juli 1986, GZ 2 a Vr 5574/85-97, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, im übrigen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden - Urteil wurde Viktor B*** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 9.Mai 1985 (gegen 18 Uhr) in Wien Walter S*** dadurch am Körper vorsätzlich verletzt, daß er ihn von hinten festhielt, ein Fixiermesser an seinen Hals ansetzte und ihn damit schnitt, wodurch eine 4 cm lange Schnittwunde am unteren Halsteil und eine kleine Schnittwunde am Vorderrand des linken Kopfwendemuskels entstand, wobei die Tat mit einem solchen Mittel und auf solche Weise begangen wurde, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 1 a, 4, 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Schon der Mängelrüge (Z 5) kommt Berechtigung zu.

Zur Widerlegung der (die Täterschaft leugnenden) Verantwortung des Angeklagten, es hätten sich damals (im Gasthaus "S***" im Wiener Volksprater) "10 Kellner auf ihn gestürzt und ihn bewußtlos geschlagen", stützte sich das Erstgericht (US 7 ff) in erster Linie auf die Aussagen der Zeugen Walter S***, Gertraud E*** und Balduin P*** und gelangte hinsichtlich der "beim Angeklagten tatsächlich entstandenen Verletzungen, Hautabschürfungen" zum Ergebnis, daß diese "ausschließlich durch sein Verhalten, und zwar aggressives aktives Einschlagen auf andere, herbeigeführt, also durch ihn selbst verursacht worden sein können und, wie das Gericht annimmt, auch verursacht worden sind" (US 9).

Mit Recht macht die Beschwerde eine unzureichende und widersprüchliche - der Sache nach auch unvollständige - Begründung mit der Argumentation geltend, das Erstgericht habe einerseits festgestellt, daß der Angeklagte dem Kellner Walter S*** beim Zufügen der zuvor bezeichneten Verletzungen "von hinten eine Hand um die Schulter legte und ihn festhielt" (US 6) bzw. ihn "mit einer Hand umklammerte" (vgl. US 7), während es andererseits zum Ergebnis gelangte, daß sich Walter S*** "in dem Augenblick, als er das Messer an seinem Hals spürte, nach hinten fallen ließ, ohne aber dabei zu Boden zu stürzen" (US 6, 11).

Abgesehen davon, daß die bloß ganz allgemein gehaltene Formulierung des Ersturteils, das von S*** - um sich dem Druck des Messers am Hals zu entziehen - praktizierte Sich-Zurückfallen-lassen sei "medizinisch und kriminologisch gesehen durchaus glaubhaft und verständlich, körperlich auch möglich" (vgl. US 11), keinen Aufschluß darüber gibt, wie dies angesichts des unmittelbar hinter ihm stehenden, ihn (umklammernd) festhaltenden Angeklagten überhaupt möglich gewesen sein könnte, hätte sich das Schöffengericht nicht - gleichsam in Überschreitung der Grenzen des Rechtes der freien Beweiswürdigung - mit der an sich inhaltsleeren (die konkreten Tatumstände in keiner Weise erwähnenden) Floskel begnügen dürfen, die Tatsache, daß die Aussagen der genannten (drei) Zeugen "nicht in allen Einzelheiten übereinstimmten, ja sogar während der einzelnen Hauptverhandlungen sich leicht veränderten" und "Umstände, die sie in ihren Aussagen unbewußt als ihre Wahrnehmungen dargelegt hatten, korrigiert werden mußten", spreche für ein besonders hohes Maß an Glaubwürdigkeit (US 8). Es hätte sich vielmehr insoweit mit den wesentlichen Abweichungen, insbesondere mit jenen in den Aussagen des Zeugen Walter S*** ausdrücklich auseinandersetzen müssen, der seinen in der Anzeige (vgl. S 14, 42) enthaltenen (ersten) Angaben zufolge, vom Angeklagten bei der Tatbegehung von hinten in den "Schwitzkasten" genommen worden sei, bei seiner am darauffolgenden Tag (10.Mai 1985) erfolgten niederschriftlichen Vernehmung durch die Polizei (S 27 f) angab, er habe sich, nachdem er "von rückwärts an beiden Schultern gepackt" worden sei, angesichts des "am Hals mit der Schneide angehaltenen" Messers "instinktiv nach rückwärts fallen" lassen, wobei er "obenauf liegend zu Sturz gekommen" sei, diese Angaben vor dem Untersuchungsrichter "vollinhaltlich" aufrecht erhielt und dahin ergänzte (S 73), daß er sich auf den Angeklagten "rücklings drauffallen lassen" habe, in der Hauptverhandlung jedoch davon abweichend bekundete, er sei von hinten gepackt worden, habe sich zwar zurückfallen lassen, sich jedoch "aufgefangen" und sei "nicht zu Sturz gekommen" (S 257, 387, 392), er habe "den Angeklagten Rücken an Brust gespürt" (S 390) und schließlich zum Ausdruck brachte, er habe früher (im Vorverfahren) nicht genau gewußt, was man unter "Schwitzkasten" verstehe und erst später erfahren, daß dies bedeute, bei jemand "mit beiden Händen am Hals zudrücken" (S 395).

Eine sorgfältige Erörterung der somit in einem entscheidungswesentlichen Punkt widersprüchlichen Aussagen des Zeugen S*** und die urteilsmäßige Darlegung der Erwägungen des Erstgerichtes, die es veranlaßten, der Darstellung dieses Zeugen in der Hauptverhandlung gegenüber seinen insoweit anders lautenden Angaben im Vorverfahren den Vorzug zu geben, wäre - wie die Beschwerde gleichfalls zu Recht rügt - nicht zuletzt auch deshalb geboten gewesen, weil die Urteilsannahme (US 9), der Angeklagte habe sich die bei ihm entstandenen, als "Hautabschürfungen" bezeichneten Verletzungen durch sein "aggressives aktives Einschlagen auf andere" selbst zugefügt, vollkommen unberücksichtigt läßt, daß dem Gutachten (S 346) des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr.S*** zufolge beim Angeklagten im Zuge der am 9.Mai 1985 um 19,56 Uhr - demnach rund zwei Stunden nach dem verfahrensgegenständlichen Vorfall im Gasthaus "S***" - erfolgten ambulanten Behandlung im Lorenz-Böhler-Krankenhaus neben "Abschürfungen" am linken Ellenbogen und an der linken Kniescheibe sowie einer Blutunterlaufung am rechten Ellenbogen, insbesondere auch ein Bruch des Nasenbeines (ohne Verschiebung der Bruchstücke) und eine 1,5 cm lange Rißquetschwunde am Nasenrücken, demnach Verletzungen festgestellt wurden, die nach den allgemeinen Lebenserfahrungen jedenfalls nicht "ausschließlich durch ein aktives Einschlagen" des Verletzten auf andere erklärt werden können (vgl. hiezu auch S 15, 257, 260, 263). Diese Vorgangsweise des Schöffengerichtes stellt sich (zumindest derzeit) als willkürliche Annahme ungeklärt gebliebener Umstände und damit als unzulässige Ergänzung der Ergebnisse des Beweisverfahrens zum Nachteil des Angeklagten dar (vgl. SSt 27/47 ua). Kann aber, wie vorliegend, aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens folgerichtig auf verschiedene rechtlich nicht gleichwertige Varianten des zu beurteilenden Sachverhaltes geschlossen werden, dann hat das Gericht die Pflicht, eingehend und schlüssig zu begründen, warum es sich für die eine und nicht für die andere Annahme entscheidet. Es geht jedenfalls nicht an, mehrdeutige Verfahrensergebnisse ohne solche Begründung in einem dem Angeklagten nachteiligen Sinn auszulegen und auf durch sie ebenso nahegelegte, für den Angeklagten günstigere Annahmen überhaupt nicht oder nicht ausreichend einzugehen sowie dazu in logisch einwandfreier Weise Stellung zu nehmen.

Die damit aufgezeigten, vom Beschwerdeführer zutreffend gerügten und entscheidungswesentlichen Begründungsmängel des Urteils machen eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unerläßlich, sodaß in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen war (§ 285 e StPO), ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedurfte.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E10204

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0090OS00029.87.0304.000

Dokumentnummer

JJT_19870304_OGH0002_0090OS00029_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten