TE OGH 1987/3/5 7Ob540/87

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Veröffentlicht am 05.03.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuderna, Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als Richter in der Rechtssache der Antragsteller

1.) Karl M***, ÖBB-Bediensteter, und 2.) Maria M***, Hausfrau, beide Lauterach, Austraße 13, vertreten durch Dr. Richard Kempf, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die Antragsgegner 1.) Maria K***, Hausfrau, Wolfurt, Hofsteigstraße 14, 2.) Alfons L***, Pensionist, Wolfurt, Frühlingstraße 9, beide vertreten durch Dr. Werner Tarabochia und Dr. Walter Geisselmann, Rechtsanwälte in Bregenz,

3.) Walter M***, Angestellter, und 4.) Barbara M***, Hausfrau, beide Wolfurt, Frühlingstraße 10, vertreten durch Dr. Wilhelm Winkler und Dr. Bertram Graß, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen Einräumung eines Notweges, infolge Revisionsrekurses der Antragsgegner gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 26. November 1986, GZ 1 a R 470/86-35, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Bregenz vom 21.Oktober 1986, GZ 1 Nc 71/84-30, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Antragsteller sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 2020 KG Wolfurt mit dem Grundstück Nr. 1118 Wiese. Die Erstantragsgegnerin ist Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ 810 KG Wolfurt mit Grundstück Nr. 1122 Wiese, der Zweitantragsgegner ist Eigentümer der EZ 1693 KG Wolfurt mit Grundstück 1121/1, während die Dritt- und Viertantragsgegner je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 1177 KG Wolfurt mit Grundstück Nr. 1121/2 sind. Das Grundstück Nr. 1118 wurde im Jahre 1948 als Baugrundstück nutzbar gemacht. Zugunsten dieser Liegenschaft besteht eine Dienstbarkeit in Form eines landwirtschaftlichen Geh- und Fahrrechtes über die Grundstücke der Antragsgegner. Das Grundstück Nr. 1118 ist im Flächenwidmungsplan als Bauland ausgewiesen. Die Antragsteller haben ihre Liegenschaft mit Kaufvertrag vom 29. April 1982 erworben. Schon vor Abschluß des Kaufvertrages war ihnen bekannt, daß diese Liegenschaft nicht durch ein uneingeschränktes Fahrrecht mit dem öffentlichen Wegenetz verbunden ist. Der Zweitantragsgegner Alfons L*** hat ihnen auch zur Kenntnis gebracht, daß er über sein Grundstück niemals ein unbeschränktes Geh- und Fahrrecht einräumen werde. Auf Grund dieser Umstände, besonders wegen des Fehlens der unbeschränkten Zufahrtsmöglichkeit zur Kaufliegenschaft, gelang es den Antragstellern, den ursprünglich von den Verkäufern geforderten Kaufpreis von 700.000 S auf 300.000 S zu reduzieren.

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 28.Jänner 1964, 1 Nc 18/63-23 (bestätigt mit Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch vom 2.Juni 1964, R 109/64-29), wurde der Antrag der römisch-katholischen Pfarrkirche St. Georg in Lauterach, Johann L*** und Maria Magdalena L*** zugunsten verschiedener Grundstücke, unter anderem des Grundstückes 1118 KG Wolfurt, über die Grundstücke 1121/2 und 1122 einen Notweg zu errichten, mit der Begründung abgewiesen, die Notlage sei durch auffallende Sorglosigkeit insoweit verursacht worden, als die Eigentümer der notleidenden Grundstücke, darunter auch des Grundstückes Nr. 1118 KG Wolfurt, erst durch Zusammenlegung einen Baugrund geschaffen hätten, ohne vorher für eine entsprechende Aufschließung und Verbindung zum öffentlichen Wegenetz Sorge zu tragen.

Im vorliegenden Verfahren hat das Erstgericht den Antrag, zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Grundparzelle 1118 (im Beschluß unrichtig 118) eine Wegverbindung über die Grundparzellen 1122, 1121/1 und 1121/2 einzuräumen, mit der Begründung abgewiesen, die Antragsteller hätten ihre Notlage durch auffallende Sorglosigkeit dadurch herbeigeführt, daß sie in Kenntnis des Fehlens einer Wegverbindung das Grundstück gekauft hätten. Der Ankauf in Kenntnis des Fehlens der Wegverbindung müsse als Verzicht auf eine solche Verbindung angesehen werden.

Das Rekursgericht hat die erstgerichtliche Entscheidung aufgehoben. Es vertrat die Rechtsansicht, der Ankauf einer Liegenschaft in Kenntnis des Fehlens einer ausreichenden Wegverbindung sei noch nicht als auffallende Sorglosigkeit im Sinne des Notwegegesetzes anzusehen, weil nicht erst durch diesen Ankauf die Notlage des Grundstückes hervorgerufen worden sei. Auf eine allfällige Sorglosigkeit des Rechtsvorgängers der Antragsteller sei nicht Bedacht zu nehmen, weil nur die auffallende Sorglosigkeit des jeweiligen Grundeigentümers von Bedeutung sei. Im Ankauf einer mit dem öffentlichen Wegenetz nicht ausreichend verbundenen Liegenschaft könne auch kein Verzicht auf ein entsprechendes Zufahrtsrecht erblickt werden. Demnach müsse geprüft werden, ob die weiteren Voraussetzungen für die Einräumung eines Notweges vorliegen.

Rechtliche Beurteilung

Die von den Antragsgegnern gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobenen Revisionsrekurse sind im Ergebnis nicht gerechtfertigt.

Auf die Frage eines stillschweigenden Verzichtes auf eine ausreichende Zufahrtsmöglichkeit kommen die Rekurswerber mit Recht nicht mehr zurück, weshalb diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichtes verwiesen werden kann. Die von sämtlichen Rechtsmittelwerbern behauptete Nichtigkeit des vorinstanzlichen Verfahrens wegen entschiedener Streitsache ist nicht gegeben. Zwar gilt der Grundsatz, daß ein- und dieselbe Rechtssache nicht zweimal verhandelt und entschieden werden darf, auch im außerstreitigen Verfahren (Fasching Zivilprozeßrecht Rz 1508). Die materielle Rechtskraftwirkung setzt jedoch Identität des Anspruches, der Parteien und des rechtserzeugenden Sachverhaltes voraus (Fasching aaO Rz 1513). Im vorliegenden Fall fehlt es schon an der Identität der Parteien. Außerdem ist der rechtserzeugende Sachverhalt nicht identisch, weil zum Sachverhalt des Vorverfahrens (1 Nc 18/63 des Bezirksgerichtes Bregenz) noch die Veräußerung der Liegenschaft (Parzelle 1118) hinzukommt. Dies führt aber zur Notwendigkeit der Prüfung der weiteren Rechtsfrage, inwieweit die im Vorverfahren festgestellte auffallende Sorglosigkeit der Rechtsvorgänger auch zu Ungunsten der nunmehrigen Liegenschaftseigentümer (Antragsteller) wirkt.

Aus dem genannten Grund war also der Antrag nicht wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Ungeachtet des Fehlens einer materiellen Rechtskraftwirkung kommt aber der Vorentscheidung eine Bindungswirkung bezüglich der für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Vorfrage der auffallenden Sorglosigkeit der Rechtsvorgänger der Antragsteller zu (Fasching aaO Rz 1518). Diese Bindungswirkung führt aber nicht zu einer Zurückweisung des Antrages, sondern zur Notwendigkeit einer Sachentscheidung (Fasching aaO Rz 1539). Maßgebend für die Beurteilung der Bindungswirkung ist der Spruch der Vorentscheidung, doch sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung des Spruches heranzuziehen. Bei abweislichen Entscheidungen beschränkt sich die Bindungswirkung auf die maßgeblichen Abweisungsgründe (Fasching aaO Rz 1523).

Demnach muß also bindend davon ausgegangen werden, daß die Voreigentümer der Liegenschaft der Antragsteller durch auffallende Sorglosigkeit jenen Notstand verursacht haben, der zu der Notwendigkeit der Einräumung eines Notweges geführt hat. Es ist daher nicht neuerlich zu prüfen, ob jene Umstände, die seinerzeit zu der Notlage geführt haben, objektiv als auffallende Sorglosigkeit anzusehen sind.

Das vorliegende Rechtsmittelverfahren reduziert sich sohin auf die Frage, ob die Antragsteller die auffallende Sorglosigkeit ihrer Rechtsvorgänger zu vertreten haben oder nicht.

Dem Rekursgericht ist zu folgen, daß der bloße Erwerb einer Liegenschaft ohne ausreichende Zugangs- oder Zufahrtsmöglichkeit für sich allein noch nicht als auffallende Sorglosigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 NotwegeG angesehen werden muß. Der Ankauf hat nämlich die zu beseitigende Notlage nicht herbeigeführt. Die Notlage wurde vielmehr schon von den Voreigentümern durch die Widmungsänderung geschaffen (vgl. Petrasch in Rummel Rz 8 zu § 480, EvBl. 1958/362, SZ 25/52 ua). Ferner hat das Rekursgericht richtig erkannt, daß der Erwerber einer Liegenschaft nicht grundsätzlich die auffallende Sorglosigkeit seines Rechtsvorgängers zu vertreten hat (3 Ob 592/85 mit zahlreichen Nachweisen und insbesondere einer Darlegung der Entstehungsgeschichte des Notwegegesetzes). Dies führt aber nicht zu dem Ergebnis, daß grundsätzlich eine auffallende Sorglosigkeit des Rechtsvorgängers gänzlich außer Betracht zu bleiben hat. Vielmehr kann sich aus den Umständen des Erwerbes der Liegenschaft durch den Antragsteller ergeben, daß diesen selbst eine auffallende Sorglosigkeit zur Last gelegt werden muß. Bei der Beurteilung dieser Frage ist nämlich immer auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Auch der Käufer einer Liegenschaft kann bezüglich einer Wegverbindung zwischen derselben und dem öffentlichen Weg auffallend sorglos sein (6 Ob 684/83 und die dort zitierte Judikatur). Von ausschlaggebender Bedeutung könnte hier sein, welche Kenntnisse die Erwerber (Antragsteller) der Liegenschaft bereits vor deren Ankauf von den tatsächlichen Verhältnissen hatten, insbesondere, ob und auf welche Weise sie darüber Erkundigungen eingezogen haben. Vor allem wird nicht unbeachtet bleiben können, ob sie Kenntnis von einer Entscheidung hatten, die einen Antrag ihres Rechtsvorgängers auf Einräumung eines Notweges abgewiesen hat. Es wäre nämlich geradezu ein Rechtsmißbrauch, wenn jemand (hier Antragsteller) in Kenntnis der Nichtberechtigung eines Anspruches auf Einräumung eines Notweges wegen auffallender Sorglosigkeit seines Rechtsvorgängers die entsprechende Liegenschaft in Ausnützung dieser Kenntnis um einen besonders billigen Preis erwerben würde, um dann seinerseits die Einräumung eines Notweges und damit eine wesentliche Aufwertung der Liegenschaft anzustreben. Jene Judikatur und Lehre, die die Nichthaftung des Liegenschaftserwerbers für die auffallende Sorglosigkeit seines Rechtsvorgängers aussprach, hatte den schuldlosen und damit schutzwürdigen Erwerber einer Liegenschaft im Auge, nicht aber jenen Erwerber, der die gegen seinen Rechtsvorgänger sprechenden Umstände kennt und diese Umstände zu seinem Vorteil ausnützen will. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des Notwegegesetzes ergibt (siehe hiezu die eingehende Begründung in 3 Ob 592/85), wurde die ursprüngliche Regierungsvorlage zum Notwegegesetz, die die nachteiligen Folgen auffallender Sorglosigkeit auch für den Besitznachfolger ausdrücklich vorsah, vom Justizausschuß mit der Begründung abgeändert, es wäre unbillig, die gerechten und gutgläubigen Erwerber ein für allemal im Zustand der Not für ihre notwegebedürftigen Grundstücke zu belassen. Die Änderung wollte also nur der Gutgläubigkeit des Erwerbers Rechnung tragen, nicht aber jeden Erwerber, ungeachtet seiner Kenntnisse früherer Vorgänge, schützen.

Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichtes kann daher noch nicht abschließend beurteilt werden, ob der Ausschlußgrund des § 2 Abs. 1 NotwegeG vorliegt oder nicht. Vielmehr erfordert eine solche Entscheidung die Feststellung, ob die Antragsteller beim Erwerb der Liegenschaft in Kenntnis der Vorentscheidung waren. Die Tatsache, daß sie im Hinblick auf die fehlende Wegverbindung den ursprünglich geforderten Kaufpreis erheblich reduzieren konnten, rechtfertigt zwar für sich allein noch nicht mit Bestimmtheit die Annahme ihrer auffallenden Sorglosigkeit, könnte jedoch ein wesentliches Indiz hiefür sein. Sicherlich wird die bloße Verweigerung der Zustimmung des Eigentümers eines Grundstückes zur Einräumung eines über dieses führenden Notweges auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers noch nicht begründen, weil diese Weigerung noch nicht mit absoluter Sicherheit die Unzulässigkeit des Begehrens auf Einräumung eines Notweges im Sinne des § 2 Abs. 1 NotwegeG dartut, doch müßte auch hier näher geprüft werden, wie der Grundeigentümer seine Weigerung begründet hat und inwieweit ein redlicher Kaufwerber aus dieser Begründung das Bestehen gesetzlicher Hindernisse für die Einräumung eines Notweges ableiten mußte.

Zusammenfassend ergibt sich also, daß infolge der Bindungswirkung der Vorentscheidung von einer auffallenden Sorglosigkeit der Voreigentümer der Antragsteller bezüglich jener Notlage auszugehen ist, die die Notwendigkeit der Einräumung eines Notweges begründen könnte. Diese auffallende Sorglosigkeit hätten die Antragsteller dann nicht zu vertreten, wenn sie bezüglich des Nichtvorliegens eines Hindernisses nach § 2 Abs. 1 NotwegeG im guten Glauben gewesen wären, wenn sie also beim Erwerb der Liegenschaft der Meinung hätten sein können, daß die Einräumung eines Notweges auch von ihren Rechtsvorgängern hätte durchgesetzt werden können. Hätten sie dagegen den Ausschlußgrund nach § 2 Abs. 1 NotwegeG gekannt oder kennen müssen, so würde es einen Rechtsmißbrauch darstellen, wenn sie diesen Umstand für den billigen Erwerb einer Liegenschaft ausgenützt haben, um dann unter Berufung auf das Fehlen eigener auffallender Sorglosigkeit die Einräumung eines Notweges und damit eine wesentliche Werterhöhung der Liegenschaft zu erreichen. Hiebei würde den Antragstellern im Hinblick auf die im § 2 Abs. 1 NotwegeG geforderte "auffallende Sorglosigkeit" nur grobe Fahrlässigkeit schaden (1 Ob 649/84; 6 Ob 684/83 ua). Da somit die Rechtssache bezüglich der Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der Einräumung eines Notweges nach § 2 Abs. 1 NotwegeG noch nicht spruchreif ist, erweist sich der Aufhebungsbeschluß des Rekursgerichtes im Ergebnis als gerechtfertigt. Die vom Rekursgericht dem Erstgericht aufgetragenen Erhebungen werden allerdings nur dann anzustellen sein, wenn sich ergibt, daß das Begehren der Antragsteller nicht schon bereits auf Grund des § 2 Abs. 1 NotwegeG nicht berechtigt ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 25 NotwegeG iVm § 52 ZPO.

Anmerkung

E10569

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00540.87.0305.000

Dokumentnummer

JJT_19870305_OGH0002_0070OB00540_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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