Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Gertrude K*** und
2) Wolfgang K***, beide Hauseigentümer, Weyringergasse 31, 1040 Wien, vertreten durch Dr. Hans Bichler, Dr. Daniel Charim und Dr. Wolfgang Spitzy, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Mohammed M***, Kaufmann, Hietzinger Hauptstraße 64/3, 1130 Wien, vertreten durch Dr. Gerhard Millauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 5. März 1986, GZ 41 R 65/86-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 20. November 1985, GZ 42 C 591/84-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.994,08 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 181,28, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger kündigten dem Beklagten die von ihm im Haus Wien 4, Weyringergasse 31, gemietete Wohnung top. Nr. 1 a aus den Kündigungsgründen des § 30 Abs 2 Z 4 und Z 6 MRG im wesentlichen mit der Begründung auf, der Beklagte habe die Wohnung zur Gänze weitergegeben und benötige sie weder für sich noch für Eintrittsberechtigte. Die Wohnung werde nicht regelmäßig zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder Eintrittsberechtigter verwendet.
Der Beklagte erhob fristgerecht Einwendungen und brachte im wesentlichen vor, daß in der aufgekündigten Wohnung sein und seiner Gattin Adoptivsohn Ahmad Began A*** wohne, der nach mehrjähriger Studienzeit in den USA nach Österreich zurückgekehrt sei. Er sei der leibliche Neffe der Gattin des Beklagten. Der Beklagte habe auf Grund einer rechtsverbindlichen Erklärung vor seiner Eheschließung die Rechtsstellung eines ehelichen Vaters dieses Neffen seiner Gattin erlangt. Allerdings sei eine diesbezügliche Eintragung in einem Personenstandsregister nicht erfolgt; sie sei auch im Gesetz nicht vorgesehen. Die Übernahme der Vormundschaft über ihren Neffen durch die Gattin des Beklagten sei jedoch in Anwesenheit von Zeugen festgehalten worden. Ahmad Began A*** sei eine eintrittsberechtigte Person.
Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Kläger sind Eigentümer des Hauses Wien 4, Weyringergasse 31. Seit 1976 ist der Beklagte Mieter der Wohnung top. Nr. 1 a in diesem Haus. Der Beklagte, seine Ehefrau und deren Neffe sind iranische Staatsbürger und Angehörige der schiitischen Religionsgemeinschaft. Als der Neffe der Gattin des Beklagten noch ein Kleinkind war, übernahm sie (vor der Eheschließung mit dem Beklagten) die Vormundschaft über ihn. Der Beklagte verpflichtete sich anläßlich seiner Eheschließung im Iran mündlich, den Neffen seiner zukünftigen Gattin als eigenen Sohn anzunehmen. Nachdem der Neffe der Gattin des Beklagten nach einem mehrjährigen Studienaufenthalt in den USA nach Wien kam, überließ ihm der Beklagte die aufgekündigte Wohnung. Seit damals wohnt der Beklagte mit seiner Gattin ausschließlich in Wien 13, Hietzinger Hauptstraße 64/3.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß sich der Personenstand des Beklagten, seiner Gattin und ihres Neffen nach iranischem Recht richte. Diesem sei das Rechtsinstitut der Adoption unbekannt. Der Neffe der Gattin des Beklagten sei somit nicht deren Adoptivsohn und damit schon gar nicht der Adoptivsohn des Beklagten. Er gehöre daher nicht zu den eintrittsberechtigten Personen im Sinne des § 14 Abs 3 MRG, sodaß die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 und Z 6 MRG gegeben seien, weil der Mietgegenstand nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder einer eintrittsberechtigten Person verwendet werde, sondern der Mieter den Bestandgegenstand zur Gänze weitergegeben habe.
Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteigt und daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Das Berufungsgericht führte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes, rechtlich im wesentlichen aus, daß lediglich der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 MRG als der speziellere Tatbestand in Betracht komme und nicht der generelle Tatbestand des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung die Wohnung weitergegeben gewesen sei; der Beklagte habe die Wohnung dem Neffen seiner Gattin überlassen und wohne nicht mehr selbst in der Wohnung.
Die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß nach dem hier anzuwendenden iranischen Recht für Angehörige der schiitischen Religionsgemeinschaft eine Adoption nicht möglich sei, treffe zu. Mit der festgestellten mündlichen Verpflichtung des Beklagten anläßlich seiner Eheschließung, den Neffen seiner zukünftigen Gattin als eigenen Sohn anzuerkennen, seien die Voraussetzungen einer Übernahme der Vormundschaft nach iranischem Recht nicht gegeben. Art. 1227 des Zivilgesetzbuches der islamischen Republik Iran bestimme, daß die Gerichte, die Verwaltung und die Notare als Vormünder nur solche Personen anerkennen werden, deren Ernennung auf Grund Gesetzes durch das Gericht erfolgte. Nach Art. 1228 dieses Gesetzes hätten außerhalb des Irans die iranischen konsularischen Beamten das Recht, vorläufig Vormünder für solche Iraner zu bestellen, für welche gemäß Art. 1228 dieses Gesetzes Vormünder zu bestellen seien (nämlich für Minderjährige, Geisteskranke und zur klugen Verwaltung ihres Vermögens unfähige Personen) und die innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches Aufenthalt hätten oder dort verweilten. Sie müßten jedoch innerhalb von 10 Tagen nach Bestellung des Vormundes die Urkunden, die ihre Maßnahmen beweisen, dem Justizministerium durch das Außenministerium zuleiten. Die Bestellung dieses Vormundes werde nur dann endgültig, wenn das zivile Sondergericht von Teheran die vom konsularischen Beamten getroffene Entscheidung bestätige. Daraus ergebe sich, daß die Vormundschaft nicht durch Erklärung vor Familienmitgliedern übernommen werden könne, sondern einen hoheitlichen Akt voraussetze. Daraus folge weiter, daß die Rechtsbeziehung zwischen dem Beklagten und dem Neffen seiner Gattin nicht jener eines Wahlkindes im Sinne des § 14 Abs 3 MRG gleichzuhalten sei. Zu der inhaltlich im wesentlichen gleichen Bestimmung des § 19 Abs 2 Z 11 MG sei in ständiger Rechtsprechung die Ansicht verteten worden, daß eine ausdehnende Auslegung dieser Gesetzesstelle ebenso ausgeschlossen sei wie ihre analoge Anwendung auf ähnliche Fälle. Im Hinblick auf den klaren Gesetzeswortlaut und die taxative Aufzählung der Eintrittsberechtigten im § 14 Abs 3 MRG sei von dieser Rechtsprechung nicht abzugehen, auch wenn auf Grund des anzuwendenden Personalstatus der Fall einer Wahlkindschaft rechtlich gar nicht möglich sei.
Das Erstgericht habe daher zutreffend das Eintrittsrecht des Neffen der Gattin des Beklagten, an den die aufgekündigte Wohnung zur Gänze weitergegeben worden sei, verneint.
Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO begründete das Berufungsgericht damit, daß zur Auslegung des Begriffes "Wahlkind" im Sinne des § 14 Abs 3 MRG in bezug auf ein anzuwendendes ausländisches Recht, dem die Adoption unbekannt sei, eine Rechtsprechung des Obersten
Gerichtshofes - soweit überblickbar - nicht vorliege. Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten. Er bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der "unrichtigen rechtlichen Beurteilung" mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Aufhebung der Aufkündigung abzuändern.
Die Kläger haben eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision des Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht zutreffend dargelegten Gründen zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Der hier allein in Betracht kommende Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG (1 Ob 654/83; 1 Ob 603/85) setzt voraus, daß der Mieter den Bestandgegenstand ganz weitergegeben hat und ihn offenbar in naher Zeit nicht für sich oder die eintrittsberechtigte Person (§ 14 Abs 3 MRG) dringend benötigt.
Diese Voraussetzungen liegen entgegen der in der Revision des Beklagten vertretenen Meinung hier vor.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat der Beklagte den Bestandgegenstand dem Neffen seiner Ehegattin zur Gänze weitergegeben; daß er selbst ihn in absehbarer Zeit dringend benötige, hat er nicht einmal behauptet.
Die Frage, ob es sich bei dem Neffen der Gattin des Beklagten um eine eintrittsberechtigte Person im Sinne des § 14 Abs 3 MRG handle, wurde von den Vorinstanzen zutreffend verneint. Nach dieser Gesetzesstelle sind (unter bestimmten Voraussetzungen) der Ehegatte, der Lebensgefährte, Verwandte in gerader Linie einschließlich der Wahlkinder und die Geschwister des Mieters eintrittsberechtigt. Es handelt sich hier um eine taxative Aufzählung; eine ausdehnende Auslegung oder analoge Anwendung ist ausgeschlossen (Würth in Rummel, ABGB, § 14 MRG Rz 6 und § 12 MRG Rz 4 mwN). Im vorliegenden Fall ist, da der Neffe der Gattin des Beklagten (so wie diese selbst und der Beklagte) nach den Feststellungen der Vorinstanzen in dem für die Beurteilung der Berechtigung des geltend gemachten Kündigungsgrundes maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung (MietSlg 25.368, 28.395 ua) iranischer Staatsbürger war, sein Personenstand nach den Vorschriften des Rechtes dieses Staates zu beurteilen; davon hängt dann ab, ob er dem Personenkreis des § 14 Abs 3 MRG unterstellt werden kann. Der Sachlage nach ist es nicht möglich, den Neffen der Gattin des Beklagten als Ehegatten, Lebensgefährten oder Bruder des Beklagten zu qualifizieren. Daß er unter den von den Vorinstanzen festgestellten Umständen nach den Vorschriften des iranischen Rechtes als Verwandter des Beklagten in gerader Linie anzusehen wäre, wurde weder behauptet noch ergibt sich dafür aus iranischen Rechtsvorschriften irgendein Anhaltspunkt (Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Iran). Das Rechtsinstitut der Adoption gibt es aber nach dem Recht des Iran nicht, und zwar aus religiösen Gründen (siehe dazu Bergmann/Ferid aaO 14). Es mag in Fällen, in denen ein ausländisches Recht zwar dieses Rechtsinstitut nicht kennt, ihm aber völlig wertneutral gegenübersteht, zulässig sein, auf vergleichbare dem ausländischen Recht bekannte Rechtsinstitute zurückzugreifen, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Lehnt aber die ausländische Rechtsordnung - wie hier die iranische - diesen Rechtsbegriff aus wertenden (hier aus religiösen) Gründen eindeutig ab, dann ist es keinesfalls zulässig, auf andere dem ausländischen Recht bekannte Rechtsinstitute zurückzugreifen, um den Begriff der Wahlkindschaft (mit seinem in unserer Rechtsordnung durchaus klar und eindeutig umschriebenen Begriffsinhalt, der aber von der ausländischen Rechtsordnung abgelehnt wird) zu erfüllen. Wenn daher nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Gattin des Beklagten vor ihrer Eheschließung die Vormundschaft über ihren Neffen übernahm und sich der Beklagte anläßlich seiner Eheschließung mündlich verpflichtete, den Neffen seiner zukünftigen Gattin als eigenen Sohn anzuerkennen, ergibt sich daraus keine Möglichkeit, den Neffen der Gattin des Beklagten als dessen Wahlkind zu beurteilen.
Daß aber eine ausdehnende Auslegung der Vorschrift des § 14 Abs 3 MRG oder ihre analoge Anwendung ausgeschlossen ist, wurde bereits oben ausgeführt.
Auf die in der Revision des Beklagten aufgestellte Behauptung, er sei in der Zwischenzeit österreichischer Staatsangehöriger geworden und es liege ein gerichtlich genehmigter Adoptionsvertrag mit dem Neffen seiner Gattin vor, ist schon wegen des im Revisionsverfahren herrschenden Neuerungsverbotes nicht einzugehen. Im übrigen wurde bereits oben darauf hingewiesen, daß das Vorliegen des geltend gemachten Kündigungsgrundes nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung zu beurteilen ist. Der Revision des Beklagten muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E10582European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00665.86.0312.000Dokumentnummer
JJT_19870312_OGH0002_0080OB00665_8600000_000