Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18.März 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Peter E*** wegen des Vergehens der sittlichen Gefährdung Unmündiger nach § 208 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4.Dezember 1981, GZ 2 b Vr 4934/78-74, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, des Angeklagten Peter E*** und des Verteidigers Dr. Rudolf Mayer zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Gemäß § 290 Abs 1 StPO wird das angefochtene Urteil im Ausspruch nach § 38 Abs 1 Z 1 StGB dahin ergänzt, daß dem Angeklagten auch die in der Zeit vom 26.Juni 1979, 12.50 Uhr, bis 27. Juni 1979, 9.15 Uhr, und am 13.Oktober 1980 von 6.15 Uhr bis 11.40 Uhr erlittene Vorhaft auf die verhängte Strafe angerechnet wird.
Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die Freiheitsstrafe auf 15 (fünfzehn) Wochen herabgesetzt wird.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 20.September 1941 geborene Peter E*** 1. (insoweit abweichend von der auf das Verbrechen der versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB lautenden Anklage - ON 30) des Vergehens der sittlichen Gefährdung Unmündiger nach § 208 erster Fall StGB und 2. des Vergehens der öffentlichen unzüchtigen Handlungen nach § 218 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er in Wien
(zu 1.) in der Zeit von März bis Anfang Mai 1978 (gemeint an einem zwischen März und Anfang Mai 1978 gelegenen, nicht mehr näher feststellbaren Tag - vgl. S 436), um sich geschlechtlich zu erregen, vor der am 19.August 1966 geborenen, mithin unmündigen Sylvia V*** eine Handlung vorgenommen, die geeignet war, die seelische Entwicklung unmündiger Personen zu gefährden, indem er vor ihr seinen Geschlechtsteil entblößt zur Schau stellte und sie durch Gesten aufforderte, daran zu schlecken; und
(zu 2.) am 26.Juni 1979 dadurch, daß er sein erigiertes Glied aus der Hose ragen ließ und sich auf der Straße und den Gehwegen in Wien 21., Franklinstraße zur Schau stellte, während zahlreiche Schüler der dort gelegenen Schulen an ihm vorbeikamen, öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, eine unzüchtige Handlung vorgenommen.
Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 5, 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. Im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) beschwert er sich (zum Schuldspruchfaktum 1) unter dem Aspekt einer unvollständigen und unzureichenden Begründung des Urteils insbesondere darüber, daß sich das Erstgericht nicht mit sämtlichen Ergebnissen des Beweisverfahrens auseinandergesetzt habe und "die Widersprüche unbeachtet" gelassen habe. Aus den dem Schöffengericht vorgelegten Urkunden ergebe sich nämlich im Zusammenhalt mit der Aussage des Zeugen D***, daß die tägliche Arbeitszeit von "7 - 16 Uhr" dauerte und er sich am "Vorfallstag vom 29.Mai 1978 in Arbeit befunden" habe; zudem hätte sich das Erstgericht im Hinblick darauf, daß eine Identifizierung - wie der Beschwerdeführer meint - nur bei einer (vorliegend jedoch unterbliebenen) Wahlkonfrontation zielführend sein könne, mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, daß eine "echte" Gegenüberstellung nicht erfolgt sei.
Rechtliche Beurteilung
Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde indes keine formalen Begründungsmängel in der Bedeutung des angerufenen Nichtigkeitsgrundes auf. Sie erörtert nämlich nur die Glaubwürdigkeit und Beweiskraft der - soweit relevant, durch das Gericht ohnedies gewürdigten - Verfahrensergebnisse und bekämpft solcherart lediglich in unzulässiger und damit unbeachtlicher Weise die tatrichterliche Beweiswürdigung mit dem Ziel, der abgelehnten (leugnenden) Verantwortung des Angeklagten doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.
Daß der Beschwerdeführer am 29.Mai 1978 - jenem Tag, an dem er von der (ua in Begleitung ihrer Freundin Margit N*** gewesenen) Schülerin Sylvia V*** in der Stromstraße (im 20.Wiener Gemeindebezirk) gesehen und (auch) als jener Mann wiedererkannt wurde, mit dem sie das dem Urteilsfaktum I zugrunde liegende Erlebnis hatte - seiner Arbeit (als Hausarbeiter im Wiener Allgemeinen Krankenhaus) nachgegangen ist, hat das Schöffengericht ohnedies als erwiesen angenommen; es gelangte jedoch im Hinblick auf das (auch vom Angeklagten zugegebene - vgl. S 150 iVm S 339) tatsächliche Ende der - von der Beschwerde aktenwidrig mit "16 Uhr" angegebenen - täglichen Arbeitszeit um 15 Uhr und den Umstand, daß entgegen der Behauptung des als Zeugen vernommenen Vorgesetzten des Angeklagten, Franz D***, er habe Abweichungen von der täglichen Dienstzeit um mehr als fünf Minuten ausnahmslos im sogenannten "Rapportbuch" eingetragen, unter ausdrücklicher Bezugnahme darauf, daß in diesem Rapportbuch (auch) für den 26.Juni 1979 - an welchem Tag der Angeklagte wegen des dem Urteilsfaktum 2 zugrunde liegenden Sachverhaltes um 12.50 Uhr in Wien-Floridsdorf festgenommen wurde - keine Eintragung über eine Abwesenheit des Angeklagten vom Arbeitsplatz aufscheint (S 344), gemäß § 258 Abs 2 StPO zur Überzeugung (vgl. insbesondere S 434, 435), daß es der Zeuge D*** bei der Meldung aller Absenzen nicht genau nahm und sich der Angeklagte daher am 29.Mai 1978 (zeit- und wegmäßig) "gegen
15.30 Uhr" in der Stromstraße (in der Nähe seines Wohnhauses Nr. 38) aufhalten konnte. Insoweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang die Effizienz einer ohne Wahlmöglichkeit erfolgten Gegenüberstellung in Zweifel zu ziehen sucht, übergeht sie, daß das Erstgericht die Konstatierungen über die Identifizierung des Angeklagten auch darauf stützte, daß die Zeuginnen Sylvia V*** und Margit N*** den Angeklagten schon anhand der ihnen von der Polizei (zur Auswahl) vorgelegten (diversen) Lichtbilder (vgl. S 29) als Täter bezeichneten, ihn daraufhin (am 19.Juni 1978) auch bei einer Gegenüberstellung "einwandfrei wiedererkannten" (vgl. S 31) und - unter ausdrücklicher Erwähnung der von ihnen beobachteten Gewohnheit, dort nackt herumzulaufen - bereits vorher "konkrete und richtige Hinweise" auf seine Wohnung machen konnten (S 435 f). Die zum selben Schuldspruchfaktum unter der Behauptung von Feststellungsmängeln hinsichtlich der Einhaltung der Dienstzeit durch den Angeklagten und der für die Zurücklegung der Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a) läßt gleichfalls eine prozeßordnungsgemäße Darstellung vermissen. Denn der Beschwerdeführer geht hiebei nicht, wie dies dazu erforderlich wäre, von dem im Urteil als erwiesen angenommenen Sachverhalt aus, sondern von seiner (den konträren Urteilsfeststellungen entgegengehaltenen) eigenen, seine Täterschaft leugnenden Verantwortung, die jedoch vom Gerichtshof mit gewissenhafter Begründung (mängelfrei) als widerlegt angesehen wurde, wobei er abermals nach Art und Zielsetzung einer im schöffengerichtlichen Rechtsmittelverfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung und damit selbst der Sache nach auch ohne eine Behauptung formeller Begründungsmängel (Z 5) bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft.
Gleiches gilt für das zum Schuldspruchfaktum 2 erhobene, Feststellungsmängel zur subjektiven Tatseite behauptende Beschwerdevorbringen, das Erstgericht hätte sich, mag es auch die Verantwortung des Angeklagten abgelehnt haben, wonach sein Glied zufällig (aus der Hose) herausgeglitten sei, auch damit befassen müssen, "ob nicht gerade die besonders extreme Größe des männlichen Gliedes des Angeklagten tatsächlich das Herausgleiten bzw. Hervorstehen aus der Hose bewirkte".
Der Beschwerdeeinwand hinwieder, die Feststellungen des Erstgerichtes deuten, wiewohl es aufgrund der Gutachten der beigezogenen Sachverständigen "festzustellen gehabt hätte", daß es sich bei dem Täter um einen gutmütigen nicht zu Aggressionen neigenden Sexualtäter handelt, auf eine "Aggressivität sondergleichen" hin, die "mit der Täterpersönlichkeit des Angeklagten nicht in Einklang zu bringen" wäre, läßt überhaupt die erforderliche Substantiierung vermissen und ist solcherart einer sachbezogenen Erörterung nicht zugänglich. Im übrigen hat das Schöffengericht gestützt auf die Gutachten (ON 34 und 71) der Sachverständigen Dr. G*** und Dr. K*** ohnehin zum Ausdruck gebracht (vgl. S 427), daß sich die Schwierigkeiten des Angeklagten, dauerhafte Beziehungen zu Frauen herzustellen, in einer "phobisch gefärbten Ängstlichkeit" äußern und gelangte (von der Anklage abweichend) zum Ergebnis, daß die an V*** gerichtete Aufforderung des Angeklagten an seinem Glied zu schlecken, zu seiner "exhibitionistisch theatralischen Vorstellungswelt gehört, aber keinesfalls im Sinn einer ernstgemeinten Aufforderung zur Unzucht interpretiert werden kann" (S 438).
Mit seiner (weiteren) Rechtsrüge (Z 9 lit b) wendet sich der Angeklagte schließlich gegen die Nichtanwendung des § 42 StGB in Ansehung des Faktums 2 (§ 218 StGB); auch diese Rüge versagt. Es schließt zwar der Umstand, daß dem Angeklagten neben dem Vergehen der öffentlichen unzüchtigen Handlungen nach § 218 StGB auch noch eine weitere strafbare Handlung zur Last liegt, eine Anwendung des § 42 StGB in Ansehung des in Rede stehenden Delikts nicht unter allen Umständen aus. Bei Beurteilung des Grades der Schuld des Täters und bei Beantwortung der Frage, ob dessen Bestrafung aus spezialpräventiven Gründen geboten ist, darf allerdings die Art dieser weiteren strafbaren Handlung und ihr allfälliger Zusammenhang mit der gegenständlichen Tat nicht außer acht gelassen werden. Wird unter diesem Gesichtspunkt vorliegend berücksichtigt, daß die dem Angeklagten außerdem zur Last liegende Straftat (§ 208 erster Fall StGB) auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, so spricht dies, nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, daß er die in Rede stehende Straftat (am 26. Juni 1979) ungeachtet des damals schon wegen des Vergehens nach § 208 StGB anhängig gewesenen Strafverfahrens beging, gegen die Annahme einer geringen, weit unter den Regelfällen des in Rede stehenden Vergehens gelegenen Schuld des Beschwerdeführers und für die Notwendigkeit, ihn angesichts des Umstands, daß er bereits eine Vorverurteilung (aus dem Jahr 1976 wegen § 208 StGB) aufweist, durch Bestrafung (auch) wegen dieser strafbaren Handlung dazu zu verhalten, den Unwert seiner Tat zu erkennen und sich von weiteren strafbaren Handlungen abhalten zu lassen (vgl. Leukauf-Steininger Kommentar 2 § 42 RN 16).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Aus deren Anlaß hatte sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugt, daß das Urteil insofern mit dem von Amts wegen wahrzunehmenden materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO behaftet ist, als das Erstgericht bei der Vorhaftrechnung eine vom Angeklagten in der Zeit vom 26.Juni 1979,
12.50 Uhr, bis 27.Juni 1979, 9.15 Uhr, und am 13.Oktober 1980 von 6.15 Uhr bis 11.40 Uhr, jeweils bei der Verwaltungsbehörde verbrachte Verwahrungshaft übersah (vgl. ON 44, S 207, 220 und S 363). Da sich dieses Versehen zum Nachteil des Angeklagten auswirkt, war es gemäß § 290 Abs 1 StPO spruchgemäß zu sanieren. Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 208 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten, auf welche die Vorhaft vom 19.Juni bis 13.Oktober 1978 gemäß § 38 StGB angerechnet wurde.
Bei der Strafbemessung wertete es eine einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen von zwei Vergehen als erschwerend, hingegen keinen Umstand als mildernd.
Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe, deren bedingte Nachsicht gemäß § 43 Abs 1 StGB oder aber die Verhängung einer Geldstrafe an.
Der Berufung kommt im erstbezeichneten Umfang Berechtigung zu. Vorweg ist darauf hinzuweisen, daß der Akt nach der Zustellung einer Ausfertigung des - am 4.Dezember 1981
verkündeten - angefochtenen Urteils an den Verteidiger im Dezember 1982 und dem (hierauf innerhalb der Frist der §§ 285 Abs 1, 294 Abs 2 StPO erfolgten) Einlangen dessen Rechtsmittelausführungen (ON 75) beim Erstgericht in Verstoß geraten ist. Der in der Folge rekonstruierte Akt wurde dem Obersten Gerichtshof (erst) am 28.Jänner 1987 - demnach mehr als fünf Jahre nach der (an sich schon damals mehr als drei bzw. zwei Jahre zurückliegende Straftaten betreffenden) Urteilsverkündung - zur Rechtsmittelentscheidung vorgelegt.
Wiewohl dem auch in der Folgezeit abermals straffällig gewordenen - und deshalb zu Geld- bzw. bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe verurteilten - Angeklagten der besondere Milderungsgrund nach § 34 Z 18 StGB nicht zugute kommen kann, so erschien dem Obersten Gerichtshof die vom Erstgericht bei einer Strafobergrenze von einem Jahr mit neun Monaten ausgemessene Freiheitsstrafe angesichts der zuvor dargelegten exzeptionellen Umstände wie auch unter weiterer Berücksichtigung der sich aus den Sachverständigengutachten (vgl. S 139, 399) ergebenden, vom Erstgericht allerdings unberücksichtigt gebliebenen "verstandesmäßigen Minderbefähigung" des Angeklagten jedenfalls als überhöht; sie war daher - nach Lage des Falles unter besonderer Berücksichtigung der vom Angeklagten in diesem Verfahren im Jahr 1978 bereits erlittenen Vorhaft - auf das aus dem Spruch ersichtliche Ausmaß zu reduzieren.
Dem auf Gewährung bedingter Strafnachsicht bzw. Anwendung des § 37 Abs 1 StGB gerichteten (weiteren) Begehren hinwieder standen angesichts der wiederholten (überwiegend einschlägigen) Delinquenz des Angeklagten wichtige Gründe der Spezialprävention entgegen. Es war daher spruchgemäß zu erkennen.
Anmerkung
E10433European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0090OS00016.87.0318.000Dokumentnummer
JJT_19870318_OGH0002_0090OS00016_8700000_000