TE OGH 1987/3/31 10Os47/87

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Veröffentlicht am 31.03.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31.März 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Dr. Hörburger, Dr. Reisenleitner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schopper als Schriftführer in der Strafsache gegen Johann G*** wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 2.September 1986, AZ 4 Bs 488/86, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 2.September 1986, AZ 4 Bs 488/86 (= GZ 25 Vr 3187/83-31 des Landesgerichtes Innsbruck) verletzt zufolge Unterlassung der vorherigen Vernehmung des Antragsgegners (Beschuldigten) Johann G*** das Gesetz in der Bestimmung des § 357 Abs. 2 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Innsbruck die neuerliche Entscheidung nach Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 2.April 1984, GZ 25 Vr 3187/83-14, wurde Johann G*** des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, jedoch von zwei weiteren Anklagevorwürfen in Richtung des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Als Faktum 2/ dieser Fälschungsvorwürfe war ihm angelastet worden, er habe in der Zeit vom 18.Dezember 1982 bis zum 22.Juni 1983 in Leutasch und Innsbruck eine gefälschte Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweise eines Rechtes verwendet, indem er die "Kaufvereinbarung" vom 17. November 1982 zwischen Alfons H***, Hans G*** und Karl N***, auf welcher die Unterschrift des Alfons H*** gefälscht worden war, den Erben des Alfons H*** sowie in einer Rodungsverhandlung vor Dr.S*** vom Amt der Tiroler Landesregierung vorlegte. Die gegen dieses Urteil von der Staatsanwaltschaft Innsbruck angemeldete volle Berufung wurde am 3.Mai 1984 zurückgezogen (ON 16), sodaß der freisprechende Teil des Urteils (§ 223 Abs. 2 StGB) mit diesem Tag in Rechtskraft erwachsen ist. Vom Schuldspruch wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB wurde Johann G*** mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 28.Juni 1984, AZ 4 Bs 224/84, gemäß § 259 Z 4 StPO freigesprochen.

Über Anregung des "Anzeigers" Andreas H*** vom 26.Juni 1986 (ON 26) stellte die Staatsanwaltschaft Innsbruck am 30.Juni 1986 einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 355 Z 2 StPO hinsichtlich des vorerwähnten Faktums der Urkundenfälschung, in dem sie sich auf ein im Verfahren AZ 5 Cg 289/85 des Landesgerichtes Innsbruck am 9.Juni 1986 erstattetes Gutachten des gerichtlich beeideten Schriftsachverständigen und Diplomschriftpsychologen Prof. Dr. W.R. M*** bezog, der in seiner abschließenden

gutachtlichen Äußerung zum Ergebnis kommt, daß "die vorgelegte inkriminierte Unterschrift (nämlich des Alfons H***) alle Merkmale einer freihändigen Nachahmung" aufweist, "mit der letztlich bewiesen werden kann, daß diese in Frage gestellte Unterschrift "Alfons H***" sicher freihändig nachgeahmt bzw eben gefälscht ist". Dieser Wiederaufnahmeantrag wurde mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 15.Juli 1986, GZ 25 Vr 3187/83-28, im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, daß das vorgelegte Sachverständigengutachten kein neues Beweismittel darstelle, weil bereits seinerzeit im Strafverfahren ein gerichtliches Sachverständigengutachten erstattet und im Urteil verwertet worden sei, nämlich jenes des gerichtlich beeideten Schriftsachverständigen Gottlieb O***, der zum Ergebnis gelangt war, es spreche eine "hohe Wahrscheinlichkeit" dafür, daß die in Frage gestellte Unterschrift auf der Vereinbarung vom 17.November 1982 nicht echt sei, sondern eine zumindest oberflächlich relativ gut gelungene Nachahmungsfälschung darstelle; eine solche "hohe Wahrscheinlichkeit" hatte das Landesgericht Innsbruck aber nicht als für einen sicheren Nachweis der Tatbegehung durch den damaligen Beschuldigten G*** ausreichend angesehen, weshalb es den bereits erwähnten Freispruch gefällt hatte.

In Stattgebung der von der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde änderte das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 2.September 1986, AZ 4 Bs 488/86 (ON 31 im landesgerichtlichen Akt) den angefochtenen Beschluß dahingehend ab, daß dem Wiederaufnahmeantrag Folge gegeben und das (insoweit freisprechende) Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 2.April 1984 in dem vom Wiederaufnahmebegehren umfaßten Umfang aufgehoben wurde. Das Oberlandesgericht Innsbruck vertrat hiebei die Rechtsansicht, daß das mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegte Schriftsachverständigengutachten ein neues Beweismittel im Sinne des § 355 Z 2 StPO darstelle und diesem Beweismittel die nach der genannten Gesetzesstelle erforderliche Eignung zugeschrieben werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Erhebungen durch den Untersuchungsrichter und eine Vernehmung des Beschuldigten im Sinne des § 357 Abs. 2 StPO fanden weder vor der (abweisenden) Entscheidung der ersten Instanz, noch vor der (die Wiederaufnahme bewilligenden) Entscheidung der zweiten Instanz statt. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hat am 27.November 1986 einen neuen, das von der Wiederaufnahme umfaßte Faktum (§ 223 Abs. 2 StGB) betreffenden Strafantrag beim Einzelrichter des Landesgerichtes Innsbruck eingebracht, über welchen noch nicht entschieden wurde. Die Unterlassung der Vernehmung des Beschuldigten vor der den Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck stattgebenden Entscheidung durch das Oberlandesgericht Innsbruck verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 357 Abs. 2 StPO. Demnach hat der Untersuchungsrichter (erforderlichenfalls) die Tatsachen zu erheben, durch die der (Wiederaufnahme-)Antrag begründet wird. Sodann ist in den Fällen der §§ 355 und 356 StPO - zwingend - der Beschuldigte zu vernehmen und schließlich vom Gerichtshof erster Instanz über die Statthaftigkeit der Wiederaufnahme zu entscheiden.

Wenngleich sich dieser Gesetzesbefehl zunächst an das in erster Instanz entscheidende Gericht wendet, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß er in gleicher Weise auch dann zu befolgen ist, wenn auf Grund einer gegen die Entscheidung erster Instanz erhobenen Beschwerde (§ 357 Abs. 3 StPO) der Gerichtshof zweiter Instanz endgültig entscheidet (§ 357 Abs. 4 StPO). Denn ohne Vernehmung des Antragsgegners kann über einen Wiederaufnahmeantrag nur dann entschieden werden, wenn er abgewiesen wird, weil Umstände, die nach den §§ 352, 353, 355 oder 356 StPO eine Wiederaufnahme begründen können, gar nicht vorgebracht wurden, insbesondere wenn keine neuen Tatsachen und Beweismittel angeführt wurden oder wenn die Vornahme von Erhebungen von vornherein zwecklos erscheint. Hingegen hat einer Stattgebung der Wiederaufnahme immer die Vernehmung des Antragsgegners im Sinne des § 357 Abs. 2 StPO voranzugehen (RZ 1961, 79; Platzgummer, Grundzüge des österr. Strafverfahrens, S 178; Bertel, Grundriß des österr. Strafprozeßrechtes 2 , S 239). Da das Oberlandesgericht Innsbruck vorliegend die Wiederaufnahme des Verfahrens ohne vorherige Vernehmung des Johann G*** bewilligte, wurde das Gesetz in der Bestimmung des § 357 Abs. 2 StPO verletzt. Diese Gesetzesverletzung gereicht dem Antragsgegner (Beschuldigten) Johann G*** zum Nachteil.

Der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde war demnach Folge zu geben, die aufgezeigte Gesetzesverletzung festzustellen, der Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck aufzuheben und dem Oberlandesgericht Innsbruck die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufzutragen, und zwar, sofern eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung in Erwägung gezogen wird, nach Entsprechung der in § 357 Abs. 2 StPO normierten prozessualen Voraussetzungen (Vernehmung des Beschuldigten - auch zu Ergebnissen allenfalls erforderlicher Erhebungen). Hiebei wird im Sinne des § 355 StPO auch die Frage einer allfälligen Verfolgungsverjährung zu beachten sein (vgl insbesondere auch zur Frage der Gerichtsanhängigkeit JBl 1976, 325; SSt 52/4; ÖJZ-LSK 1981/115).

Anmerkung

E10623

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0100OS00047.87.0331.000

Dokumentnummer

JJT_19870331_OGH0002_0100OS00047_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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