Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Otto Beer und Johann Friesenbichler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Leopold V***, Autobuslenker, Wien 21., Pastorstraße 20/3/4/19, vertreten durch Dr. Robert Krepp, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Dr. R*** Verkehrsbetrieb KG, Wien 20., Stromstraße 11, 2.) Dr. R*** Gesellschaft mbH, ebendort, beide vertreten durch Dr. Otto Kern und Dr. Wulf Kern, Rechtsanwälte in Wien, wegen 134.429,69 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 6. Oktober 1986, GZ 44 Cg 124/86-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 9.Dezember 1985, GZ 7 Cr 740/84-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und Fällung einer neuen Entscheidung an das Oberlandesgericht Wien als nunmehr zuständiges Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.
Text
Begründung:
Der Kläger behauptet, er sei von der erstbeklagten Partei - die zweitbeklagte Partei sei persönlich haftende Gesellschafterin der erstbeklagten Partei - am 30. Oktober 1984 ungerechtfertigt entlassen worden. Er begehrt aus diesem Rechtsgrund die Zahlung eines - näher aufgeschlüsselten - Ersatzbetrages von 134.429,69 S sA an Kündigungsentschädigung, Abfertigung, aliquoten Sonderzahlungen und Urlaubsentschädigung.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Entlassung sei gerechtfertigt, weil der Kläger entgegen einer ausdrücklichen Anweisung wiederholt mit dem ihm von der erstbeklagten Partei zur Verfügung gestellten Linienbus Privatfahrten zu seiner Wohnung und zurück unternommen habe. Der Kläger brachte dazu vor, die erstbeklagte Partei habe die ihm ohne Vorbehalt eines Widerrufs erteilte Erlaubnis, den Autobus zu diesen Zwecken zu benützen, grundlos und einseitig widerrufen. Dieser Widerruf sei überdies nur für jene Tage ausgesprochen worden, an denen der Kläger "geteilten Dienst" gehabt habe; nur wenn der vom Kläger gelenkte Bus am nächsten Tag von einem anderen Fahrer gelenkt worden sei, habe der Kläger den Bus am Vortag am Einsatzort abstellen müssen und nicht mit ihm heimfahren dürfen. Der Kläger habe sich daran gehalten. Ein darüber hinausreichendes Verbot wäre schikanös, weil es durch betriebliche Erfordernisse nicht begründet sei und der Kläger den Bus jahrelang habe benützen dürfen. Die beklagten Parteien bestritten dieses Vorbringen und behaupteten, das Verbot sei ohne jede Einschränkung ausgesprochen worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der seit 1977 im Linienverkehr der erstbeklagten Partei als Kraftfahrer beschäftigte und in der Großfeldsiedlung in Floridsdorf wohnende Kläger wurde nach seiner Einschulung und vorübergehender anderweitiger Verwendung auf der von Floridsdorf zum Bruckhaufen führenden Linie 20 B eingesetzt. Diese Linie lag in der Nähe des Wohnortes des Klägers und ermöglichte dessen alleinigen Einsatz auf dieser Linie. Die erstbeklagte Partei erteilt bestimmten Fahrern, soweit betriebliche Erfordernisse nicht entgegenstehen, die Erlaubnis, den von ihnen gelenkten Linienbus auch für die Fahrt zu ihrem Wohnort und zurück zu benützen. Eine solche Erlaubnis hatte auch der Kläger. Die Dienstleistung des Klägers verlief sechs Jahre lang ohne besondere Vorkommnisse. Im Februar und im Juni 1984 kam es zu einer größeren Verspätung bei der Ablieferung der kassierten Fahrgelder. Dem ersten Vorfall lag nach Auffassung der erstbeklagten Partei kein Verschulden des Klägers zugrunde, so daß eine Beanstandung nicht erfolgte. Am zweiten Vorfall traf den Kläger nach Meinung der erstbeklagten Partei ein Verschulden, so daß er verwarnt wurde.
Die Linie 20 B hatte einen Anschluß an die Schnellbahn. Zu gewissen Zeiten war die Abfahrt des vom Kläger gelenkten Busses unmittelbar vor der Ankunft eines Zuges der Schnellbahn angesetzt. Um den Fahrgästen, die aus der Schnellbahn in den Bus umsteigen wollten, entgegenzukommen, wartete der Kläger gelegentlich das Eintreffen dieser Fahrgäste ab und fuhr um einige Minuten später ab. Darüber beschwerten sich die bereits im Autobus befindlichen Fahrgäste.
Nachdem der Kläger eine alte Frau von der Beförderung mit seinem Autobus ausgeschlossen hatte, kam es zu einem "größeren Aufsehen", darunter auch zu einem Artikel im "Floridsdorfer Bezirksjournal". Diese Frau erregte auf Grund ihrer körperlichen und möglicherweise auch geistigen Krankheit in der Öffentlichkeit immer wieder Ärgernis. Sie verbreitete nämlich wegen ihres ungepflegten Äußeren, das nicht nur auf ihrer Krankheit, sondern auch auf der Außerachtlassung der primitivsten hygienischen Pflege beruhte, ferner wegen der von ihr mitgeführten übelriechenden Nahrungsmittel einen derartigen Gestank, daß anderen Fahrgästen wiederholt übel wurde. Dies hatte Verunreinigungen des Autobusses zur Folge, die der Kläger selbst beseitigen mußte. Er schloß aus diesen Gründen sowie infolge des massiven auf Unterschriftenlisten gestützten Druckes der Anrainer diese Frau von der weiteren Beförderung aus. In der Folge beschwerte sich die Frau über diese Maßnahme.
Diese Vorfälle veranlaßten die erstbeklagte Partei zur Versetzung des Klägers zu der zwischen dem Praterstern und der Stadionbrücke verkehrenden Linie 80 A. Dort herrschte Wechseldienst, so daß der Kläger nur noch in Ausnahmsfällen mit dem Bus hätte nach Hause fahren können. Die erstbeklagte Partei verbot dem Kläger aus betrieblichen und disziplinären Gründen generell die Benützung des Linienbusses für die Fahrt zu und von seinem Wohnort. Da der Kläger keinen PKW besaß - dies teilte er der erstbeklagten Partei anläßlich seiner Versetzung mit -, bedeutete die Versetzung für ihn eine Erschwernis seiner Dienstausübung. Auf Beschwerden des Klägers wies der Leiter des Linienbüros der erstbeklagten Partei den Kläger darauf hin, daß er mit einem PKW, allenfalls mit einem alten Bus der erstbeklagten Partei oder einem Sammelbus der Wiener Stadtwerke fahren könne. Der Kläger schaltete weder den Betriebsrat ein noch unternahm er andere Schritte, um eine Zurücknahme des Verbots zu erreichen. Da er über keinen PKW verfügte, die erstbeklagte Partei ihm keinen alten Bus zur Verfügung stellte und er von der Möglichkeit, den Personalbus der Wiener Stadtwerke in Anspruch zu nehmen, keinen Gebrauch machte, blieb ihm an sich nur die Benützung eines Taxis. Der Betriebsrat wurde von der Versetzung nicht in Kenntnis gesetzt; er hat der Versetzung des Klägers und dem Verbot der Benützung des Linienbusses zur Fahrt zum und vom Wohnort des Klägers nicht zugestimmt. Um die Taxifahrten einzuschränken, benützte der Kläger trotz des ausdrücklichen Verbotes jeder Privatfahrt dennoch den Linienbus für die Fahrt zu seinem Wohnort, wenn dieser Bus am nächsten Tag von keinem anderen Fahrer benötigt wurde. Von dieser Benützung machte er der erstbeklagten Partei keine Mitteilung. Nach einigen solcher Fahrten erfuhr die erstbeklagte Partei durch einen Zufall von der Mißachtung ihres Verbots, worauf der Kläger sofort entlassen wurde.
Die allgemeinen Beförderungsrichtlinien für Kraftfahrlinien sehen vor (Punkt 3.1.2.), daß Personen, die an einer anzeigepflichtigen Krankheit leiden oder aus Gründen wie Trunkenheit oder unangebrachtes Benehmen den Mitreisenden offenbar lästig fallen würden, den Mitreisenden durch ihren äußeren Zustand Schaden zufügen oder den Wagen verunreinigen könnten, von der Beförderung ausgeschlossen sind.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffasung, die Entlassung sei aus dem Grunde des § 82 lit f GewO gerechtfertigt, weil der Kläger mehrfach das Verbot der Benützung des Busses zur Fahrt von und zu seinem Wohnort verletzt habe. Die infolge der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zustimmungsbedürftige Versetzung habe zwar mangels Zustimmung des Betriebsrates den Bestimmungen des § 101 ArbVG widersprochen, doch hätte der Kl ger trotzdem das erwähnte Verbot nicht mißachten dürfen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch. Obwohl es keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, kann den Entscheidungsgründen immerhin entnommen werden, daß es die Feststellungen des Erstgerichts seiner Entscheidung zugrunde legte. Es billigte dessen Rechtsauffassung und hielt die Entlassung im Zusammenhalt mit der festgestellten verspäteten Ablieferung der kassierten Fahrgelder im Feber und Juni 1984 und dem verspäteten Abfahren von der Schnellbahnstation für gerechtfertigt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Der Kläger erblickt mit Recht eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens in der Unterlassung der Vernehmung des Hermann P***. Dieser Zeuge wurde bereits vom Erstgericht vernommen. In der Berufung beantragte der Kläger seine neuerliche Vernehmung zum Beweis dafür, daß diesem Zeugen, obwohl er Betriebsratsvorsitzender sei, die Möglichkeit einer Beförderung von Autobuslenkern der erstbeklagten Partei in einem Sammelautobus der W*** S*** V*** unbekannt gewesen sei; daraus folge jedoch die Unrichtigkeit der Aussagen der darüber vernommenen Zeugen Peter T*** und Johann C*** sowie in weiterer Folge die Richtigkeit der Parteiangaben des Klägers, wonach ihm T*** anläßlich der Versetzung ausdrücklich erlaubt habe, an den Tagen, an denen der Kläger "geteilten Dienst" habe, den ihm anvertrauten Linienautobus zur Fahrt zu und von seiner Wohnung zu verwenden.
Nach dem Inhalt des über die Berufungsverhandlung aufgenommenen Protokolls trug der Kläger den Inhalt seiner Berufungsschrift vor und stellte daher auch diesen Beweisantrag. Das Berufungsgericht war daher im Sinne des § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG nicht berechtigt, sich mit der bloßen Verlesung des Protokolls über die Vernehmung dieses Zeugen zu begnügen; es mußte vielmehr den Zeugen neuerlich vernehmen. Der Hinweis auf die übrigen Beweisergebnisse enthob es nicht seiner Verpflichtung, den Zeugen unmittelbar zu vernehmen. Ob bestimmte Fragen bereits vor dem Erstgericht an den Zeugen hätten gestellt werden können, ist auf diese Verpflichtung ohne Einfluß. Ohne die Vernehmung dieses Zeugen kann die prozeßentscheidende Frage, ob eine Pflichtenverletzung des Klägers vorliegt und ob diese - im bejahenden Fall - beharrlich erfolgt ist, nicht abschließend beurteilt werden, so daß auf die Rechtsrüge nicht einzugehen ist.
Das angefochtene Urteil war sohin aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und Fällung einer neuen Entscheidung an das nunmehr als Berufungsgericht sachlich zuständige Oberlandesgericht Wien zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 50, 52 ZPO begründet.
Anmerkung
E10720European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:014OBA00040.87.0407.000Dokumentnummer
JJT_19870407_OGH0002_014OBA00040_8700000_000