TE OGH 1987/4/8 9Os10/87

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Veröffentlicht am 08.04.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.April 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Florian E*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 18. März 1986, GZ 23 Vr 1813/85-20, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Kofler, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seiner gesetzlichen Vertreter zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Jugendliche Florian E*** von der Anklage, er habe am 22.Feber 1985 in St.Anton am Arlberg dadurch, daß er als Schifahrer trotz Sichtbehinderung im Schuß mit überhöhter Geschwindigkeit in eine Pistenkreuzung einfuhr, wo er mit Ing.Erich K*** zusammenstieß, fahrlässig dessen Tod herbeigeführt und hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt. Nach den Feststellungen des Jugendschöffengerichtes fuhr der Angeklagte am angeführten Tag mit seinen Schiern auf der gesicherten und gekennzeichneten Schipiste Nr 24 von der Bergstation des Tanzbodenliftes in Richtung Steißbachtal ab. Diese Piste wurde in ihrem Verlauf von einer von der Ulmerhütte und vom Arlenmähderlift kommenden, nicht zum organisierten Schiraum gehörenden und daher auch nicht markierten, jedoch von Pistengeräten präparierten Schispur gekreuzt, die vor dieser Kreuzung in einer Mulde verlief, wodurch auf einer Strecke von ca 30 bis 40 m vor Kreuzungsbeginn für die Pistenbenützer und die Benützer der Variante keine gegenseitige Sicht bestand. Der ortskundige Angeklagte blieb ungefähr 100 m vor der Kreuzung stehen und überzeugte sich davon, daß von links auf der nichtmarkierten "Route" keine Schifahrer herannahen. Dann fuhr er weiter talwärts, schwang etwa 30 m vor der Kreuzung wiederum ab, sodaß er beinahe zum Stillstand kam, und schaute neuerlich nach links, wobei er abermals keine Schifahrer auf der kreuzenden Spur wahrnahm. Daraufhin fuhr er zunächst in Schwüngen und schließlich die letzten 15 bis 20 m vor der Kreuzung in Hocke und Schußfahrt weiter. Dabei stieß er mit Ing.Erich K*** zusammen, der aus der Mulde herausfuhr und auf der nichtmarkierten Variante von links kommend die Piste Nr 24 queren wollte und den er (zufolge der ortsbedingten Sichtverhältnisse) erst im letzten Augenblick wahrgenommen hatte, sodaß er den Zusammenstoß nicht mehr verhindern konnte. Durch den Zusammenprall kamen beide Schifahrer zu Sturz, Ing.K*** erlitt dadurch tödliche Verletzungen (S 129, 130). In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß der Angeklagte als Benützer einer gesicherten und gekennzeichneten Schipiste gegenüber dem auf der querenden Schispur fahrenden Ing.K*** im Vorrang gewesen sei und darauf vertrauen habe dürfen, daß ein diese Spur benützender Schifahrer nicht einfach aus der Mulde herausfahren und die bevorrangte Piste ohne Rücksicht auf deren Benützer queren werde. Der ihn treffenden Sorgfaltspflicht habe der Angeklagte entsprochen, indem er zunächst stehengeblieben ist und sich mehrmals vergewissert hat, ob ein gefahrloses Weiterfahren möglich ist. Die zuletzt unternommene Schußfahrt ("beziehungsweise, daß er für die gegebenen Sichtverhältnisse zu schnell unterwegs war, sodaß er dann keine Möglichkeit mehr hatte, den Zusammenstoß zu vermeiden"; S 133) könne ihm nicht als Fahrlässigkeit angelastet werden, weil er vorher keinen Schifahrer auf der nichtmarkierten "Route" wahrnehmen konnte und das rasche Passieren der Kreuzung einem Zusammentreffen mit anderen, nicht wahrnehmbar gewesenen Schifahrern vorbeugen sollte (S 132, 133). In der Mängelrüge (Z 5) reklamiert die Anklagebehörde zunächst insoweit eine Unvollständigkeit der Urteilsgründe, als das Gericht sowohl die Angaben der damaligen Begleiterin des Ing.K***, Adelheid H***, wie auch die der Anzeige beiliegenden Lichtbilder über die Unfallsörtlichkeit ungewürdigt gelassen habe, aus welchen sich ergebe, daß Ing.K*** die im Verlauf der von ihm benützten Schivariante befindliche Mulde ohne stehenzubleiben durchfahren haben mußte, weil er ansonsten infolge der Steigung seine Fahrt (über die Kreuzung mit der Schipiste hinaus) nicht fortsetzen hätte können. Die Feststellung, Ing.K*** sei zunächst (für den Angeklagten nicht wahrnehmbar) in der Mulde stehengeblieben und sodann aus dieser (aus dem Stand) herausgefahren, sei daher in den Verfahrensergebnissen nicht gedeckt. Gehe man aber davon aus, daß K*** die Mulde in einem Zug durchfahren hat, so sei die Verantwortung des Angeklagten, er habe trotz ständiger Beobachtung der Variante den Genannten nicht (rechtzeitig) bemerken können, widerlegt.

Bei diesem Einwand übersieht die Beschwerdeführerin jedoch, daß die Frage, ob Ing.K*** vor dem Queren der Schipiste in dem für den Angeklagten nicht einsehbaren Bereich der Variante von ca 30 bis 40 m vor der Piste einige Zeit gestanden ist (wie dies das Erstgericht annimmt; vgl S 132), oder ob er - nachdem er zunächst auf einem oberen Abschnitt der Schispur für den Angeklagten von der Piste Nr 24 aus zu sehen gewesen wäre - den "im toten Winkel" gelegenen Variantenbereich in einem Zug durchfahren hat, nach Lage des Falles keine für das Erkenntnis in der Schuldfrage entscheidende Tatsache betrifft. Denn nach dem (insoweit unbekämpft gebliebenen) Urteilssachverhalt benützte der Angeklagte eine Schipiste, während Ing.K*** eine nicht zum organisierten Schiraum gehörende (vgl S 129 sowie den Erhebungsbericht der Gendarmerie S 13), mithin im freien Schiraum verlaufende, wenngleich - aus welchen Gründen immer - durch Befahren mit Pistengeräten präparierte Strecke befuhr. Den aus dem freien Schiraum in eine Piste (Abfahrtsstrecke) einfahrenden Schifahrer trifft aber gemäß Punkt 5 der vom Internationalen Schiverband (FIS) erstellten Verhaltensregeln auf Schiabfahrten (sog FIS-Regeln) bzw § 4 des vom Österreichischen Kuratorium für Alpine Sicherheit erstellten Modellentwurfs einer Pistenordnung - als den für die Beurteilung, ob sich ein Schifahrer objektiv sorgfaltswidrig verhalten hat, maßgebenden Verkehrsnormen, welche die beim Schilauf zu beachtenden Sorgfaltsgrundsätze zusammenfassen und das erlaubte Risiko des Schifahrens abgrenzen (vgl ÖJZ-LSK 1986/70 = EvBl 1987/21 = RZ 1986/78) - die Beobachtungs- und Wartepflicht; er muß sich nach oben und unten vergewissern, daß er ohne Gefahr für sich und andere in die Abfahrtsstrecke einfahren bzw das (organisierte) Schigelände queren kann (vgl Lamprecht-Schröcksnadel-Wagner, Die Verkehrssicherungspflicht für Schiabfahrten, 10; Pichler-Holzer, Handbuch des österreichischen Schirechts, 159). So gesehen war demnach Ing.K*** gegenüber dem die Piste Nr 24 benützenden Angeklagten, wie das Erstgericht zutreffend erkannte, wartepflichtig (vgl ZVR 1986/135 sowie SZ 44/178, JBl 1983, 258 uam) und es durfte der Angeklagte, solange für ihn ein insoweit regelwidriges Verhalten des Genannten nicht erkennbar war, grundsätzlich darauf vertrauen, daß diese Wartepflicht auch entsprechend beachtet werden wird (vgl abermals SZ 44/178; Burgstaller im Wr Komm § 6 Rz 54; Kienapfel BT I 2 § 80 Rz 68; Pichler-Holzer aaO 159). Kraft dieses Vertrauensgrundsatzes hätte der Angeklagte aber auch dann, wenn Ing.K*** für ihn bereits vor seinem Einfahren in die Mulde im Zuge der Variante wahrnehmbar gewesen wäre, dennoch darauf vertrauen dürfen, daß K*** die Piste nicht ohne Beachtung seiner Wartepflicht queren oder in diese einfahren werde, sodaß er auch bei dieser (von der Beschwerde ins Treffen geführten) Fallkonstellation nicht zu einer vorzeitigen Reaktion verpflichtet gewesen wäre. Legt doch die Wahrnehmung eines vom Punkt eines möglichen Zusammentreffens genügend weit entfernt befindlichen Schifahrers (noch) nicht den Schluß nahe, dieser werde in der Folge der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht nicht entsprechen. Solange aber für den Angeklagten ein derartiges Fehlverhalten des anderen nicht vorhersehbar war, brauchte er ein solches bei seiner eigenen Fahrweise nicht (vorweg) in Rechnung zu stellen.

Was die von der Beschwerde als mangelhaft begründet bekämpften Feststellungen der Tatrichter über das Verhalten des Angeklagten vor Beginn der Schußfahrt auf den letzten 15 bis 20 m vor der späteren Unfallstelle betrifft, so finden diese in der Verantwortung des Angeklagten vor der Gendarmerie und in der Hauptverhandlung Deckung. Daß der Angeklagte zweimal stehengeblieben sei, hat das Gericht nicht konstatiert; es ging vielmehr im Einklang mit den Verfahrensergebnissen davon aus, daß der Angeklagte, nachdem er ca 100 m vor der "Kreuzung" stehengeblieben war, ca 30 m davor "beinahe zum Stillstand kam", ehe er zunächst in Schwüngen und letztlich im Schuß weiterfuhr (S 130). Lediglich bei der Wiedergabe der Verantwortung spricht das Urteil - ersichtlich die Angaben des Angeklagten unpräzise verkürzend - von einem "wiederholten" Stehenbleiben, indem das "beinahe Stehenbleiben" einem Anhalten gleichgesetzt wird (S 131). Auch insoweit vermag die Beschwerdeführerin demnach einen Begründungsmangel in Ansehung entscheidungswesentlicher Tatumstände in Wahrheit nicht aufzuzeigen. Entgegen der Ausführung in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) bedurfte es keiner näheren Konstatierungen über die von Ing.K*** zuletzt eingehaltene Geschwindigkeit und die von ihm in der letzten Phase vor dem Zusammenprall zurückgelegte Entfernung sowie darüber, ab wann Ing.K*** Sicht auf den Angeklagten hatte. Für die Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten genügte vielmehr die Feststellung, daß Ing.K*** trotz des herannahenden Angeklagten in die von diesem benützte Schipiste einfuhr bzw diese kreuzte und somit die ihm obliegende Wartepflicht nicht beachtet hat. Die konstatierte Sichtbehinderung aber geht grundsätzlich zu Lasten des Wartepflichtigen.

Dem weiteren Beschwerdevorbringen zuwider hat das Gericht ohnedies festgestellt, daß der Angeklagte in der letzten Phase vor dem Unfall keine Sicht auf die Variante hatte (S 130). Allein daraus kann aber vorliegend dem Angeklagten ein Sorgfaltsverstoß nicht zum Vorwurf gemacht werden; durfte er doch - solange für ihn eine Verletzung der Wartepflicht nicht erkennbar war - darauf vertrauen, daß sich Schifahrer, die aus dem freien Schigelände in die Piste einfahren oder diese queren, entsprechend sorgfaltsgemäß verhalten werden, womit aber unter den gegebenen Umständen auch von einem Verstoß gegen den Grundsatz des Fahrens auf Sicht durch den Angeklagten, wie ihn die Anklagebehörde reklamiert, nicht gesprochen werden kann, sodaß weitere Konstatierungen in dieser Beziehung nicht indiziert waren. Im übrigen brachte das Gericht mit den bezüglichen Urteilsausführungen nur zum Ausdruck, daß der Angeklagte sich durch die zuletzt gewählte Schußfahrt außerstande gesetzt hat, einen Zusammenstoß mit einem nahezu gleichzeitig auf der Variante in seinen aktuellen Wahrnehmungsbereich einfahrenden Schifahrer zu vermeiden; ein solches Einfahren mußte jedoch der Angeklagte bei der Wahl seiner Geschwindigkeit nicht von vornherein einkalkulieren, weil er - wie gesagt - auf ein sorgfaltsgemäßes Verhalten der Benützer der Variante vertrauen durfte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich somit, wie auch die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend darlegte, als nicht begründet, weshalb sie zu verwerfen war.

Anmerkung

E11032

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0090OS00010.87.0408.000

Dokumentnummer

JJT_19870408_OGH0002_0090OS00010_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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