Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei August H*** sen., Taxi- und Mietwagenunternehmer, 8354 St. Anna Hochstraden 20, vertreten durch Dr. Manfred Rath, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien
1)
Otto Z***, Pensionist, Kaiserfeldgasse 17, 8010 Graz, und
2)
E*** A*** V***-AG, Brandstätte 1-7, 1010 Wien,
vertreten durch Dr. Bernd Fritsch, Dr. Hans-Peter Benischke und Dr. Klaus Kollmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen 22.397,80 S sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 26. Mai 1986, GZ 4 R 177/86-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Voitsberg vom 5. Dezember 1985, GZ 3 C 211/85-28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.
Text
Begründung:
Am 19. Februar 1984 ereignete sich gegen 9,25 Uhr auf der Straße zwischen Hirschegg und Salzstiegl im Freilandgebiet auf Höhe des Gasthauses "Spengerwirt" ein Verkehrsunfall, an dem August H*** jun., der Sohn des Klägers, als Lenker des VW-Busses des Klägers mit dem Kennzeichen St 94.644 und der Erstbeklagte als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen G 2.989 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeuges. Der in Richtung Hirschegg fahrende VW-Bus des Klägers kollidierte mit dem in der Gegenrichtung fahrenden PKW des Erstbeklagten. Dabei wurden beide Fahrzeuge beschädigt; Personenschaden trat nicht ein. Ein gerichtliches Strafverfahren fand nach der Aktenlage gegen keinen der beiden beteiligten Lenker statt.
Der Kläger begehrte im vorliegenden Rechtsstreit aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 22.436 S sA (Fahrzeugschaden). Der Höhe nach ist die Klagsforderung unbestritten. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren auf die Behauptung, den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall. Der Lenker des Fahrzeuges des Klägers habe dieses bei der Begegnung mit dem entgegenkommenden PKW des Erstbeklagten wegen der infolge Schneelage glatten Fahrbahn am äußersten rechten Fahrbahnrand bzw. schon im Abräumschnee angehalten. Der Erstbeklagte, der mit seinem Fahrzeug die Fahrbahnmitte benützt habe, habe eine Vollbremsung eingeleitet, wodurch der PKW unlenkbar geworden sei. Der PKW des Erstbeklagten sei infolge dieses Bremsmanövers über die Fahrbahn gerutscht und gegen das stehende Fahrzeug des Klägers gestoßen, an dem er ohne weiteres vorbeifahren hätte können, weil ihm eine Durchfahrtslücke von rund 7 m zur Verfügung gestanden sei.
Die Beklagten wendeten ein, daß den Erstbeklagten ein mit 50 % zu bewertendes Mitverschulden treffe (ihr später erhobener Einwand des Alleinverschuldens des Lenkers des Fahrzeuges des Klägers wurde nicht aufrecht erhalten; siehe dazu die Ausführungen der Beklagten in ihrer Berufungsbeantwortung ON 30), daß aber im übrigen der Lenker des Fahrzeuges des Klägers den Unfall verschuldet habe. Der VW-Bus des Klägers sei knapp vor der Begegnung infolge der von seinem Lenker eingehaltenen überhöhten Geschwindigkeit auf der schneeglatten Fahrbahn ins Schleudern geraten und habe dadurch die dem Erstbeklagten zugeordnete Fahrbahnhälfte blockiert. Der Erstbeklagte habe, als er wahrnehmen habe können, daß das Fahrzeug des Klägers in seine Fahrbahnhälfte eindrang, ein Bremsmanöver eingeleitet. Infolge dieser Bremsung sei der PKW des Erstbeklagten unlenkbar geworden und schließlich mit seiner linken vorderen Ecke gegen das Fahrzeug des Klägers geprallt. Die Beklagten wendeten eine Schadenersatzforderung des Erstbeklagten aus diesem Verkehrsunfall in der Höhe von 23.648,40 S (Fahrzeugschaden) aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein. Der Höhe nach ist diese Gegenforderung mit 22.359,60 S nicht strittig.
Das Erstgericht entschied im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 11. Dezember 1984 (ON 9), daß die Klagsforderung mit 11.218 S sA und die eingewendete Gegenforderung des Erstbeklagten mit 11.179,80 S zu Recht besteht. Es verurteilte daher die Beklagten zur Zahlung von 38,20 S sA an den Kläger und wies dessen auf Zahlung eines weiteren Betrages von 22.397,80 S sA gerichtetes Mehrbegehren ab. Dieses Urteil blieb im Umfang des Zuspruches des Betrages von 38,20 S an den Kläger unangefochten. Im übrigen wurde es infolge Berufung des Klägers vom Berufungsgericht aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen (ON 19).
Im zweiten Rechtsgang entschied das Erstgericht, daß die Klagsforderung mit 5.609 S sA und die eingewendete Gegenforderung des Erstbeklagten mit 16.769,80 S zu Recht besteht. Es wies das Begehren des Klägers auf Zahlung eines Betrages von 22.436 S sA ab. Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Interessentenweg von Hirschegg nach Salzstiegl verläuft im Unfallsbereich als Freilandstraße annähernd in Nord-Süd-Richtung. Er beschreibt von Norden gesehen eine flache langgezogene Linkskurve mit einer Richtungsänderung von etwa 30 Grad, die über eine Strecke von rund 60 m erreicht wird. Dieser Linkskurve ist eine Rechtskurve mit einer Richtungsänderung von 45 Grad vorgelagert. Die Fahrbahn ist mit einer 3,5 m breiten Asphaltdecke befestigt. Nördlich des Unfallsbereiches steigt sie in Richtung Süden mit 3 bis 4 % an und bildet etwa 10 m südlich der Unfallstelle eine Fahrbahnkuppe; von dort fällt sie in Richtung Süden wieder mit etwa 3 bis 4 % ab. An den östlichen Fahrbahnrand schließt eine ansteigende Wiesenböschung an. Entlang des westlichen Fahrbahnrandes verläuft ein dreieckförmiger Wiesenstreifen, der durch die Steinmauer eines Stadls begrenzt ist. In der Mitte dieser Steinmauer ist in einer Höhe von etwa 2 m ein 3,5 m langer Balken horizontal eingelassen. Vom Nordende dieses Balkens liegt in einer Distanz von 11,5 m ein 3,6 m breites Einfahrtstor zum Scheunengebäude. In diesem Bereich beträgt der Abstand des Asphaltrandes der Fahrbahn zum Gebäude 4,1 m. Südlich des Balkens endet das Scheunengebäude in einer Entfernung von 9,5 m. In diesem Bereich beträgt der Abstand des Asphaltrandes zur Steinmauer 0,4 m. Im Unfallsbereich besteht keine Geschwindigkeitsbeschränkung. Verkehrszeichen und Bodenmarkierungen sind im Unfallsbereich nicht vorhanden. Zur Unfallszeit war die Fahrbahn schneebedeckt und durch festgefahrenen Schnee eisig. Als Bezugslinie wurde eine Normale zur Fahrbahnlängsachse auf Höhe der Mitte des beschriebenen Balkens in der Wand des Stadls angenommen.
40 m südlich der Bezugslinie sieht man bis 28 m nördlich der Bezugslinie, 35 m südlich der Bezugslinie bis 35 m nördlich der Bezugslinie und 30 m südlich der Bezugslinie bis 115 m nördlich der Bezugslinie. Diese Sichtverhältnisse beziehen sich auf das Dach eines herankommenden Fahrzeuges.
Die am Unfall beteiligten Fahrzeuge waren je 1,8 m breit. August H*** jun. näherte sich mit dem Fahrzeug des Klägers, das mit 4 Spikesreifen ausgestattet war, der Unfallstelle in südlicher Richtung mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h. Zur gleichen Zeit näherte sich aus der Gegenrichtung der PKW des Erstbeklagten, an dem 4 Winterreifen montiert waren, mit einer Geschwindigkeit von etwa 27 km/h.
Der Unfallspunkt liegt 1,3 m südlich der Bezugslinie. Im Unfallszeitpunkt waren beide Fahrzeuge in Bewegung. In der Endlage waren die Frontpartien der beiden Fahrzeuge 1,5 m voneinander entfernt. Das Fahrzeug des Klägers legte nach dem ersten Kontakt noch 0,5 m zurück, der PKW des Erstbeklagten noch 1 m. In der Endlage befand sich das Fahrzeug des Klägers mit der rechten Frontecke hart an der Stallmauer westlich der Fahrbahn; die linke Frontecke lag dabei bereits außerhalb des westlichen Fahrbahnrandes. Das Fahrzeug des Erstbeklagten hielt eine Fahrlinie am äußersten westlichen Fahrbahnrand ein.
Der PKW des Erstbeklagten konnte eine Verzögerung von 1,5 m/sec 2 erreichen; seine Restgeschwindigkeit im Anstoßzeitpunkt betrug 7 km/h. Das Fahrzeug des Klägers konnte eine Verzögerung von 2,5 m/sec 2 erreichen; seine Restgeschwindigkeit im Anstoßzeitpunkt betrug knapp 6 km/h.
Für das Fahrzeug des Klägers ist eine Teilbremsstrecke vor dem Anstoß von 13,4 m und eine Teilbremszeit von 3 Sekunden festzustellen. Die Distanz zwischen der Front des Fahrzeuges des Klägers und dem Unfallspunkt betrug im Zeitpunkt des Bremsentschlusses 21,7 m. Die Zeitspanne zwischen dem Bremsentschluß des Lenkers des Fahrzeuges des Klägers und dem Anstoß betrug 4 Sekunden. Im Zeitpunkt des Bremsentschlusses befand sich die Frontpartie des Fahrzeuges des Klägers 20,4 m nördlich der Bezugslinie. Im Zeitpunkt des Bremsentschlusses des Lenkers des Fahrzeuges des Klägers konnten sich die Frontpartien der unfallsbeteiligten Fahrzeuge nur 35,2 m voneinander entfernt befunden haben.
Das Fahrzeug des Klägers legte von der ersten Sichtmöglichkeit auf den PKW des Erstbeklagten bis zum Erreichen des Unfallspunktes eine Strecke von 38,4 m zurück, der PKW des Erstbeklagten von der ersten Sichtmöglichkeit auf das Fahrzeug des Klägers bis zum Unfallspunkt eine Strecke von 28,6 m. Bei erster gegenseitiger Sichtmöglichkeit befand sich das Fahrzeug des Klägers mit der Frontpartie 37,1 m nördlich der Bezugslinie, der PKW des Erstbeklagten mit der Frontpartie 29,9 m südlich der Bezugslinie. Der Erstbeklagte wäre in der Lage gewesen, sein Fahrzeug über eine Distanz von 29,6 m und daher noch innerhalb der halben Sichtstrecke anzuhalten.
Im Anstoßzeitpunkt war für den Erstbeklagten eine genügend große Durchfahrtslücke vorhanden, die er jedoch deswegen nicht ausnützen konnte, weil er die Bremse nicht ausließ und sein PKW deswegen schleuderte. Hätte der Erstbeklagte fahrtechnisch richtig die Bremse ausgelassen, wäre sein PKW wieder lenkbar geworden und er hätte am Fahrzeug des Klägers anstoßfrei vorbeikommen können. Diese Situation war jedoch für den Erstbeklagten erst relativ spät erkennbar, da der Lenker des Fahrzeuges des Klägers dieses erst spät in diese Position gebracht hatte.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß das Fahrzeug des Klägers in die halbe Sichtstrecke des Erstbeklagten eingedrungen sei; hingegen sei der Erstbeklagte in der Lage gewesen, sein Fahrzeug vor Erreichen der halben Sichtstrecke anzuhalten. Bei einer Breite der unfallsbeteiligten Fahrzeuge von zusammen 3,6 m und bei einer Fahrbahnbreite von 3,5 m hätten beide Fahrzeuglenker auf halbe Sicht fahren müssen. Das überwiegende Verschulden an diesem Unfall im Ausmaß von drei Vierteln habe daher der Lenker des Fahrzeuges des Klägers zu vertreten. Den Erstbeklagten treffe ein Mitverschulden von einem Viertel, weil er sich fahrtechnisch unrichtig verhalten habe. Er hätte durch Auslassen der Bremse sein Fahrzeug wieder lenkfähig machen und die große Durchfahrtslücke ausnützen können. Aus Anlaß der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers hob das Berufungsgericht mit Beschluß das Urteil des Erstgerichtes im Umfang der Abweisung des Klagebegehrens mit einem Betrag von 38,20 S sA als nichtig auf (Verstoß gegen die Rechtskraft des im ersten Rechtsgang gefällten Urteiles). Im übrigen gab es mit Urteil der Berufung Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es (unter Einbeziehung des im ersten Rechtsgang erfolgten rechtskräftigen Zuspruches) die Klagsforderung mit 22.436 S als zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend erkannte und dem Klagebegehren stattgab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.
Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, es erübrige sich aus rechtlichen Gründen, auf die Feststellungs- und Beweiswürdigungsrüge des Klägers, mit welcher dargetan werden solle, daß August H*** jun. das Fahrzeug des Klägers im Zeitpunkt der Kollision bereits innerhalb seiner Sichtstreckenhälfte und völlig außerhalb der Fahrbahn angehalten habe, näher einzugehen. Es stehe nämlich jedenfalls fest, daß den Beklagten der Beweis jenes Sachverhaltes, den sie in erster Instanz zur Dartuung eines Mitverschuldens des Lenkers des Fahrzeuges des Klägers am Zustandekommen des Unfalles behauptet hätten, nicht gelungen sei. Nach den insoweit unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes habe die halbe Sichtstrecke für den Lenker des Fahrzeuges des Klägers 33,6 m betragen. Die Bremsausgangsgeschwindigkeit dieses Fahrzeuges habe bloß 30 km/h betragen und es hätte eine mittlere Bremsverzögerung von 2,5 m/sec 2 erzielen können. Der Lenker des Fahrzeuges des Klägers hätte daher dieses Fahrzeug selbst bei Zubilligung einer Bremseinleitungszeit von einer Sekunde in der Zeit von 4,33 Sekunden auf einer Strecke von 22,22 m, also innerhalb der halben Sichtstrecke, zum Stillstand bringen können. Von der Einhaltung einer überhöhten, dem Grundsatz des Fahrens auf halbe Sicht widersprechenden Fahrgeschwindigkeit (Verstoß gegen § 20 StVO) durch den Lenker des Fahrzeuges des Klägers könne daher keine Rede sein. Im Vergleich dazu hätte der Erstbeklagte, dessen Bremsausgangsgeschwindigkeit mit 27 km/h festgestellt worden sei, der aber mit den montierten Winterreifen eine Bremsverzögerung von bloß 1,75 m/sec 2 erreichen habe können, sowohl eine längere Anhaltezeit als auch einen längeren Anhalteweg (5,28 sec bzw. 23,57 m) benötigt.
Es könne dahingestellt bleiben, ob der Lenker des Fahrzeuges des Klägers tatsächlich - wie dies vom Erstgericht als erwiesen angenommen worden sei - erst 2 Sekunden nach erster Sicht und eine Sekunde nach dem Erstbeklagten den Bremsentschluß gefaßt und (aus diesem Grund) im Zeitpunkt des Primärkontaktes noch tatsächlich eine Restgeschwindigkeit von knapp 6 km/h eingehalten habe. Jedenfalls stehe fest, daß im Anstoßzeitpunkt für den Erstbeklagten bereits eine genügend große Durchfahrtslücke vorhanden gewesen sei, weil August H*** jun. auf die an die Fahrbahn angrenzende Fläche ausgewichen sei. Dieses Ausweichen müsse in Verbindung mit der deutlichen Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit von 30 auf 6 km/h als rechtzeitige und ausreichende Reaktion angesehen werden, mit welcher von seiner Seite eine anstandslose Begegnung der Fahrzeuge ermöglicht worden sei. Es bestehe zwar keine Verpflichtung des Fahrzeuglenkers, zum Ausweichen außerhalb der Fahrbahn befindliche Teile der Straße zu benützen; es könne aber nicht bezweifelt werden, daß er dazu berechtigt sei, zumal er bestehende Ausweichgelegenheiten wahrnehmen solle. Ein Schleudern des Fahrzeuges des Klägers, das den Erstbeklagten zur Fortsetzung seiner die Räder blockierenden Bremsung hätte veranlassen können bzw. müssen, sei nicht erwiesen.
Der Erstbeklagte habe somit diesen Unfall durch Nichtausnützung der vorhandenen Durchfahrtslücke im Begegnungsverkehr (mangelndes Ausweichen im Sinne des § 10 Abs 1 StVO) allein verschuldet. Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß zur Frage des Ausweichens noch keine einheitliche bzw. ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen es aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß unter Einbeziehung des im ersten Rechtsgang erfolgten rechtskräftigen Zuspruches die Klagsforderung mit 11.218 S sA und die eingewendete Gegenforderung mit 11.179,80 S als zu Recht bestehend erkannt und demnach die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Betrages von 38,20 S sA verurteilt, das Mehrbegehren des Klägers auf Zahlung eines weiteren Betrages von 22.397,80 S sA aber abgewiesen werde; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag. Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw. ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und auch sachlich berechtigt. Gemäß § 10 Abs 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges einem entgegenkommenden Fahrzeug rechtzeitig und ausreichend nach rechts auszuweichen. Gemäß § 10 Abs 2 StVO sind, wenn nicht oder nicht ausreichend ausgewichen werden kann, die einander begegnenden Fahrzeuge anzuhalten. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß der Lenker eines Fahrzeuges zum Fahren auf halbe Sicht verpflichtet ist, wenn für ihn bei ordnungsgemäßer Fahrweise eine gefahrlose Begegnung mit einem entgegenkommenden Fahrzeug mit der gesetzlich zulässigen Höchstbreite von 2,5 m nicht möglich ist (ZVR 1983/216, 231, 232 uva), daß dann, wenn nach § 10 Abs 2 StVO im Begegnungsverkehr angehalten werden muß, die beteiligten Lenker dieser Verpflichtung genügen, wenn sie ihre Fahrzeuge vor der Mitte der Sichtstrecke anhalten (ZVR 1983/216, 231; ZVR 1985/75 uva), es sei denn, sie könnten angesichts des Verhaltens des entgegenkommenden Lenkers nicht mit dessen Anhalten innerhalb der halben Sichtstrecke rechnen (ZVR 1983/216; ZVR 1985/75 uva) und daß schließlich, wenn die Umstände ein Anhalten im Begegnungsverkehr erfordern, die Frage, ob die Lenker zunächst dem Rechtsfahrgebot entsprochen haben, bei der Beurteilung ihres Verschuldens an Bedeutung zurücktritt (ZVR 1983/232; ZVR 1984/194 uva). Davon ausgehend erscheint es im vorliegenden Fall nicht möglich, dem Erstbeklagten aus der alleinigen Erwägung, da für ihn zufolge der (im übrigen nicht eindeutig festgestellten) Position des Fahrzeuges des Klägers im Augenblick des Zusammenstoßes eine hinlänglich breite Durchfahrtslücke bestanden hätte, das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall anzulasten, zumal aus dieser Position allein (ohne näheren Anhaltspunkte dafür, wie und wann das Fahrzeug des Klägers in diese Position kam und ob es sich bereits im Stillstand befand oder nicht) keinesfalls geschlossen werden kann, daß der Lenker dieses Fahrzeuges dem entgegenkommenden PKW des Erstbeklagten im Sinne des § 10 Abs 1 StVO rechtzeitig ausgewichen wäre.
Es trifft sicher zu, daß ein allfälliges Mitverschulden nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist und daß sich die Prüfung des Mitverschuldens grundsätzlich auf die in erster Instanz behaupteten Tatumstände zu beschränken hat (ZVR 1981/8; ZVR 1985/75 ua). Dabei darf aber kein so strenger Maßstab angelegt werden, daß er zu einer Überspannung der Behauptungspflicht der Parteien führen würde. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den von den Beklagten in erster Instanz aufgestellten Behauptungen hinreichend deutlich, daß sie dem Lenker des Fahrzeuges des Klägers als Mitverschulden anlasten, daß dieser entgegen seiner im § 10 StVO normierten Verpflichtung weder ausreichend und rechtzeitig ausgewichen sei noch rechtzeitig angehalten habe.
Unter diesen Umständen ist aber eine erschöpfende rechtliche Beurteilung auf Grund der im Berufungsverfahren unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes allein keinesfalls möglich. Das Berufungsgericht wird sich daher mit der in der Berufung des Klägers ausgeführten Tatsachenrüge auseinandersetzen müssen und erst dann, wenn der im Sinne obiger Rechtsausführungen rechtserhebliche Sachverhalt eindeutig und widerspruchslos klargestellt ist, die Frage des Vorliegens und des Ausmaßes eines allfälligen Mitverschuldens des Klägers erschöpfend rechtlich beurteilen können.
Es war daher in Stattgebung der Revision der Beklagten wie im Spruch zu entscheiden.
Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E11029European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00068.86.0409.000Dokumentnummer
JJT_19870409_OGH0002_0080OB00068_8600000_000