TE OGH 1987/4/9 13Os140/86

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Veröffentlicht am 09.04.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.April 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller (Berichterstatter), Dr. Lachner, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Streller als Schriftführers in der Strafsache gegen Leopold S*** und Anneliese S*** wegen des Verbrechens des Diebstahls nach §§ 127 f. StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der beiden Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichts Korneuburg als Schöffengerichts vom 12.Juni 1986, GZ. 11 b Vr 439/83-30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Gehart, der Privatbeteiligten Anna H*** und ihres Vertreters Dr. Winkler sowie der beiden Angeklagten und deren Verteidigers Dr. Claus zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den beiderseitigen Berufungen wird nicht Folge gegeben. Gemäß § 390 a StPO. fallen den Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Die Ehegatten Leopold und Anneliese S*** sind der Verbrechen des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs 1 und 2 Z. 1, 128 Abs 2 StGB. (I) und des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB. (II) schuldig erkannt worden. Darnach haben sie vom 22. Oktober bis 16.November 1982 mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung in Gösting in Gesellschaft als Beteiligte der Anna H*** 588.000 S Bargeld weggenommen (I) und in Zistersdorf in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken durch Vortäuschung ihrer Verfügungsberechtigung über zwei vinkulierte Sparbücher der Anna H*** Angestellte der R*** Z*** in Irrtum geführt

und zur Auflösung der Sparguthaben und Überweisung der Guthaben auf ihr eigenes Girokonto bei der genannten R*** verleitet, was Anna H*** an ihrem Vermögen um 237.562,31 S schädigte (II). Die Angeklagten bekämpfen dieses Urteil in einem gemeinsamen Schriftsatz mit Nichtigkeitsbeschwerden, die sie auf § 281 Abs 1 Z. 5, 9 lit a bis c und 10 StPO. stützen.

Abschnitt A ihres Beschwerdevorbringens, mit welchem die Gründe des § 281 Abs 1 Z. 5 und 9 lit a StPO. zur gemeinsamen Darstellung gebracht werden sollen, zeigt indes keine formellen Begründungsmängel (Z. 5) auf.

Das Schöffengericht hält die Verantwortung der Angeklagten, Anna H*** habe ihnen die den Gegenstand dieser Strafsache bildenden Vermögenswerte geschenkt, auf Grund denkmöglicher und auch einleuchtender Erwägungen für widerlegt, wobei es insbesondere das Motiv, welches Anna H*** zu der behaupteten Schenkung veranlaßt haben sollte, einer eingehenden und sämtliche diesbezüglichen Verfahrensergebnisse berücksichtigenden Würdigung unterzieht. Im Gegensatz zu den Beschwerdeausführungen bedeutet es keinen inneren Widerspruch der Urteilsbegründung, wenn das Erstgericht feststellt, daß Anna H*** zwar "an sich nicht" in ein Pflegeheim gehen wollte, gleichwohl aber daran dachte, ihr erspartes Geld "allenfalls einmal" für einen Aufenthalt in einem Pflegeheim zu benötigen (S. 283 unten); denn das eine bezieht sich auf die (damalige) Gegenwart, das andere auf eine nicht auszuschließende künftige Notwendigkeit.

Hinsichtlich des Gesundheitszustands der Anna H*** im maßgebenden Zeitraum ist ebenfalls kein Widerspruch des Urteils mit sich selbst zu erkennen. In diesem Zusammenhang gibt das Urteil die Zeugenaussagen der die Anna H*** behandelnden Ärztinnen Dr. Hanni B*** und Dr. Hermine S*** ihrem wesentlichen Inhalt nach aktengetreu wieder, setzt sie zueinander in Beziehung und erörtert sie eingehend (S. 284, 285, 289 bis 291).

Auch das Verhalten der Anna H*** nach ihrer (zweiten) Entlassung aus dem Krankenhaus (5.November 1982) ist vom Schöffengericht in seine Erwägungen einbezogen und den Umständen entsprechend dahin gedeutet worden, daß sie bei vorerst weiterem Verbleib im Haus der Angeklagten die ihr von diesen widerrechtlich entfremdeten Vermögenswerte auf gütlichem Weg wiederzuerlangen hoffte, von den Angeklagten jedoch durch verschiedene Ausflüchte nur hingehalten wurde (S. 287, 299).

Keineswegs unvollständig - wie die Beschwerdeführer vermeinen - ist die Urteilsbegründung in bezug auf die Aussage des Zeugen Paul H***, seine Schwester Anna H*** habe ihrer (im Urteil wiedergegebenen) Äußerung ihm gegenüber, sie müsse "wieder von vorne anfangen", das Eingeständnis vorangestellt "... ich habe alles vergeben" (S. 272). Auch hierauf bezieht sich nämlich das Schöffengericht in der Urteilsbegründung, wonach dem Zeugen Paul H***, soweit er vor Gericht (im Gegensatz zu seiner ersten Vernehmung durch die Gendarmerie) davon zu wissen behauptete, Anna H*** habe ihr Geld an die Angeklagten verschenkt, nicht geglaubt wurde (S. 294).

Als unzutreffend erweist sich auch die weitere Beschwerdebehauptung, im Zusammenhang mit der Zweckwidmung der in Rede stehenden Sparbücher zur Deckung von Begräbniskosten habe der Schöffensenat das Vorbringen der Angeklagten "völlig übergangen", sie hätten sich an diesem Geld nicht bereichern, sondern es für Anna H*** "quasi in Verwahrung" halten wollen. Das Gericht bezeichnet es nämlich in der Urteilsbegründung als "völlig uneinsichtig", weshalb die Angeklagten, wenn dem so sei, das Geld nach wie vor nicht der Eigentümerin herausgeben (S. 298 unten), und gelangt zu der einwandfreien Schlußfolgerung, daß die Angeklagten sich mit dem Ziel ihrer unrechtmäßigen Bereicherung die Sparguthaben zueignen wollten (S. 286 unten) und das Realisat dementsprechend auf ihr eigenes Konto bei der R*** Z*** gutbuchen ließen, um

diesen Wert dem Zugriff der Anspruchsberechtigten zu entziehen

(S. 305 unten).

Die Argumentation der Beschwerdeführer,

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das Erstgericht habe den Wunsch der Anna H***, "auf keinen Fall in ein Heim" zu kommen, "nicht entsprechend festgehalten",

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es habe aus der Art der Beziehungen zwischen den Angeklagten und Anna H***, die "viel intensiver" gewesen seien als das Gericht (übrigens ganz der Darstellung des Angeklagten Leopold S*** folgend: S. 224) feststellte (S. 282, 283) und aus denen sich "ein besonderes Vertrauensverhältnis" ableiten lasse, "die diesbezügliche Konsequenz" nicht gezogen,

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es hätte "zu dem Ergebnis kommen müssen", daß Anna H*** um den 14. Oktober 1982 doch sehr krank und pflegebedürftig gewesen sei, sogar mit ihrem (baldigen) Ableben gerechnet und in dieser Gemütslage den Angeklagten, in deren Familie sie aufgenommen zu werden hoffte, ihre Ersparnisse habe schenken wollen,

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es spreche "sehr viel für sich", daß Anna H***, als sie sich dann wieder besser fühlte, diese Schenkung gereut habe und sie nun bestrebt sei, die Zuwendung rückgängig zu machen,

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mit der Auflösung der Sparguthaben und deren Umbuchung auf das Girokonto der Angeklagten habe "offensichtlich" (bloß) verhindert werden sollen, daß sich Anna H*** der zur Deckung der Kosten ihres Begräbnisses bestimmten Mittel anderweitig entäußere, stellt lediglich den Versuch dar, aus den Beweisergebnissen andere, für die Angeklagten günstigere Schlußfolgerungen als jene des Urteils abzuleiten. Damit wird jedoch nur die freie Würdigung der Verfahrensergebnisse durch den Schöffensenat (§ 258 Abs 2 StPO.) unzulässig bekämpft.

Aber auch Feststellungsmängel (Z. 9 lit a), das sind solche Lücken der Tatsachenkonstatierung, die eine Gesetzesanwendung hindern (SSt. XX/20 u.a.), werden in Abschnitt A der Beschwerdeschrift nicht dargetan, dessen abschließende Zusammenfassung vielmehr in der mit den gegenteiligen Urteilsannahmen unvereinbaren Behauptung gipfelt, die in Rede stehenden Vermögenswerte seien den Angeklagten von Anna H*** geschenkt worden.

Rechtliche Beurteilung

Dem Einwand eines Rechtsirrtums gemäß § 9 StGB. (Abschnitt B, Z. 9 lit b) ist zu erwidern, daß ein auf einen solchen Rechtsirrtum hinweisender Sachverhalt nicht angenommen wurde. Die Urteilsfeststellungen besagen ganz im Gegenteil das Vorhandensein eines Unrechtsbewußtseins bei den Angeklagten (S. 286). Mit der Annahme fehlenden Unrechtsbewußtseins der Beschwerdeführer, sei es, daß sie Geld und Sparbücher für ihnen (schenkungsweise) übereignet hielten, sei es, daß sie den Gegenwert der Sparbücher für den Fall des Ablebens der Anna H*** zur Bestreitung der Begräbniskosten zur Verfügung halten wollten, geht die Beschwerde von einem urteilsfremden Sachverhalt aus und bringt folglich den geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrund nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung.

Unter der Z. 10 vertreten die Angeklagten (Abschnitt C a) die Auffassung, ihr vom Schuldspruch II erfaßtes Verhalten wäre richtigerweise nicht als Betrug, sondern als Veruntreuung zu beurteilen gewesen. Dieses nicht begründete Vorbringen läßt indes jede Bezugnahme auf den Urteilssachverhalt vermissen, wonach keine Rede davon sein kann, daß die Sparbücher oder deren Realisat den Angeklagten anvertraut waren (S. 286, 307 unten).

In dem auf Z. 10 und - weitergreifend - auf Z. 9 lit c gestützten Vorbringen in den Abschnitten C b und D strebt schließlich die Angeklagte Anneliese S*** für sich eine Beurteilung der ihr als Diebstahl (I) und Betrug (II) angelasteten Taten als (im Familienkreis begangenes) Vergehen nach § 166 Abs 1 StGB. an, welche Subsumtion mangels Erhebung der (in der Strafanzeige ON. 2 nicht enthaltenen) Privatanklage nach § 166 Abs 3 StGB. den Freispruch der Beschwerdeführerin (§ 259 Z. 1 StPO.) zur Folge haben würde.

Auch dieser Einwand versagt: Die Privilegierung der in § 166 Abs 1 StGB. angeführten Vermögensdelikte tritt im Fall der Begehung zum Nachteil eines Angehörigen, der weder Ehegatte noch ein Verwandter in gerader Linie noch Bruder oder Schwester des Täters ist, nur ein, sofern der Täter mit dem betreffenden Angehörigen (hier: Tante der Angeklagten Anneliese S***) zur Tatzeit in Hausgemeinschaft lebt. Für den Begriff der Hausgemeinschaft im Sinn des § 166 Abs 1 StGB. ist die persönliche Nahebeziehung entscheidend, wie sie bei einem familiären Zusammenleben üblich ist; diese muß über die für einen bloßen Besuch charakteristische Zeitspanne hinausgehen (SSt. 50/41). Das trifft im gegebenen Fall nicht zu; denn nach den Urteilsfeststellungen hat sich Anna H*** ab 14. Oktober 1982 lediglich zu einem für die Dauer einer Woche geplanten, nach ihrem ersten (vom 16. bis 19.Oktober 1982 dauernden) Aufenthalt im Krankenhaus Mistelbach fortgesetzten Besuch bei den Angeklagten aufgehalten. Selbst dieser kurzfristige Besuch war ab 22. Oktober 1982 und damit zur Tatzeit durch einen neuerlichen Spitalsaufenthalt von diesmal längerer Dauer unterbrochen, sodaß von einem dem Zusammenleben in einem Familienkreis entsprechenden gemeinschaftlichen Wohnen der Anna H*** mit ihrer Nichte Anneliese S*** keine Rede sein kann.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte nach §§ 28 Abs 1, 128 Abs 2 StGB. über die Angeklagten gemäß § 43 Abs 2 StGB. für eine Probezeit von je drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafen, und zwar über Leopold S*** 20 Monate, über Anneliese S*** 15 Monate. Ferner sprach es gemäß §§ 366 Abs 2, 369 StPO. die Angeklagten zur ungeteilten Hand schuldig, der Privatbeteiligten Anna H*** einen Betrag von 825.562,31 S zu bezahlen.

Bei der Strafbemessung waren erschwerend das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen, der hohe Schaden, der besondere Vertrauensbruch und die Ausnützung der Notlage der Geschädigten; mildernd waren der bisherige ordentliche Lebenswandel und das Wohlverhalten seit der Tat.

Gegen den Strafausspruch wenden sich die Staatsanwaltschaft und die beiden Angeklagten mit Berufungen. Erstere beantragt eine wesentliche Erhöhung der Freiheitsstrafen und die Aufhebung der bedingten Strafnachsicht, letztere streben eine Herabsetzung des Ausmaßes der bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen an. Überdies bekämpfen die Angeklagten noch das Adhäsionserkenntnis und beantragen dessen Aufhebung und die Verweisung der Privatbeteiligten gemäß § 366 Abs 2 (letzter Satz) StPO. auf den Zivilrechtsweg. Keiner der Berufungen kommt Berechtigung zu.

Die in der Berufung der Anklagebehörde für eine Erhöhung der Freiheitsstrafe ins Treffen geführten Argumente wurden, wie die angenommenen Erschwerungsgründe zeigen, vom Schöffengericht bedacht und bei der Strafbemessung innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens verwertet. Die Berufungseinwände der Angeklagten hinwieder gehen nicht vom Schuldspruch aus, wenn sie deren Gutgläubigkeit an eine Schenkung der Anna H*** beteuern. Die Berücksichtigung von Sorgepflichten ist nicht vorgesehen (LSK. 1975/118). In Abwägung der Erschwerungs- und Milderungsgründe und in Orientierung an den Strafzumessungsregeln des § 32 Abs 2 und 3 StPO. erweisen sich die Freiheitsstrafen ihrem Ausmaß nach keiner Korrektur bedürftig. Die Angeklagten waren bisher unbescholten. Wenn sie auch den Schaden noch nicht gutgemacht haben, leben sie doch in wirtschaftlichen Verhältnissen, die eine Restitution der entzogenen Vermögenswerte nach dem rechtskräftigen Abschluß dieser Strafsache jedenfalls außer Frage stellen. Es sind daher auch angesichts des zu erwartenden empfindlichen Vermögenseingriffs die zufolge § 43 Abs 2 StPO. vorausgesetzten besonderen Gründe für die Gewähr künftigen Wohlverhaltens der Angeklagten zu bejahen. Der Vorschrift des § 365 Abs 2 StPO. wurde schließlich dadurch entsprochen, daß die Angeklagten durch ihren Verteidiger zum geltend gemachten Privatbeteiligtenanspruch ausdrücklich Stellung nahmen. Daß dies erst im Schlußvortrag geschah (S. 276), verschlägt nichts, zumal keine nur von den Angeklagten selbst zu erhaltenden zusätzlichen Aufklärungen über Tatsachen nötig waren (LSK. 1981/164). Abzüge von den konstatierten Schadensbeträgen (zu I und II), wie sie die Angeklagten reklamieren, scheitern daran, daß diesbezügliche Zusagen der Anna H*** an die vollständige Rückstellung des ihr entzogenen Vermögens geknüpft waren, zu der sich die Angeklagten bisher nicht bereitgefunden haben. Dazu kommt, daß eigenmächtig oder listig entzogene Werte kein Gegenstand einer Kompensation sind (§ 1440 abGB.).

Anmerkung

E10656

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0130OS00140.86.0409.000

Dokumentnummer

JJT_19870409_OGH0002_0130OS00140_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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