TE OGH 1987/4/29 3Ob512/87

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Veröffentlicht am 29.04.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karin V***, Hausfrau, Bludenz, Beim Kreuz 36, vertreten durch Dr. Roland Piccolruaz, Rechtsanwalt in Bludenz, wider die beklagte Partei Jürgen V***, Kraftfahrer, Bludenz, Beim Kreuz 36, vertreten durch Dr. Hans Widerin, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 14. November 1986, GZ 6 R 178/86-12, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 25. März 1986, GZ 4 Cg 72/86-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 308,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen miteinander am 14. August 1979 die Ehe. Beide sind österreichische Staatsbürger. Der Ehe entstammen zwei Kinder, die am 19. Februar 1979 geborene Christina und die am 29. Dezember 1982 geborene Ramona. Die Ehegatten haben ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Bludenz.

Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Sie habe Anfang 1986 erfahren, daß der Beklagte ehebrecherische Beziehungen zu einer anderen Frau unterhalte. Der Beklagte weigere sich, diese Beziehungen aufzugeben; er habe der Klägerin erklärt, daß er sie nicht mehr liebe. Die Ehe sei unheilbar zerrüttet. Zwar hätten beide Streitteile schon zuvor ehebrecherische Verhältnisse gehabt; sie hätten einander jedoch diese Verfehlungen verziehen.

Der Beklagte behauptet, es sei die Klägerin gewesen, die durch ehebrecherische Beziehungen die Ehe der Streitteile unheilbar zerrüttet habe, und beantragt, das überwiegende Verschulden der Klägerin auszusprechen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden

des Beklagten. Es traf folgende Feststellungen:

Die Ehe der Streitteile war bis 1982 gut.

Im Frühjahr 1982 unterhielt die Klägerin drei Wochen lang ehebrecherische Beziehungen zu einem anderen Mann, die sie nach Beendigung dieser Beziehungen dem Beklagten auch gestand. Der Beklagte war darüber sehr betroffen.

Etwa vier Monate später begann der Beklagte ehebrecherische Beziehungen zu Gabriele G***, die zwei oder drei Monate lang anhielten. Diese Beziehungen stellten keine Reaktion auf das vorangegangene Verhalten der Klägerin dar.

Die Ehe der Streitteile verlief in der Folge wieder relativ gut. Sie verbrachten einen Großteil der Freizeit miteinander und hatten auch regelmäßig miteinander Geschlechtsverkehr.

1984 kam es zur annähernd gleichen Zeit zu ehebrecherischen Beziehungen beider Parteien, wobei auch hier die Beziehungen des Beklagten, die etwa zwei Monate dauerten, keine Reaktion auf jene der Klägerin waren.

Am 12. August 1984 kam es zu einer Aussprache der Streitteile, in der sie über die beiderseitigen außerehelichen Beziehungen sprachen. Sie kamen überein, es noch einmal miteinander versuchen zu wollen und sich um einen guten Verlauf der Ehe zu bemühen. Die Ehe verlief in der Folge wieder gut. Die Streitteile fuhren gemeinsam auf Urlaub, verbrachten den Großteil der Freizeit miteinander und hatten regelmäßig miteinander Geschlechtsverkehr. Bei fallweisen Streitigkeiten hielten die Ehegatten einander die Ehebrüche vor. Im großen und ganzen aber "hatten sich die Gemüter der Streitteile wegen der gegenseitigen außerehelichen Beziehungen beruhigt". Die Klägerin verzieh dem Beklagten dessen Seitensprünge bis 1984; sie war der Ansicht, auch der Beklagte habe ihr die Seitensprünge verziehen.

Im Dezember 1985 begann der Beklagte ehebrecherische Beziehungen zu Doris M***. Er besuchte sie regelmäßig, blieb auch über Nacht bei ihr und brachte bei ihr auch Kleidungsstücke unter. Als die Klägerin im Jänner 1986 hievon erfuhr, gab der Beklagte die Beziehungen zu und erklärte, lieber mit Doris M*** als mit der Klägerin und seiner Familie zusammensein zu wollen. Beide Teile sind nicht mehr bereit, die Ehe miteinander fortzusetzen.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, die Ehe der Streitteile sei zerrüttet. Dazu sei es jedoch nicht durch die Ehebrüche beider Teile in den Jahren 1982 und 1984 gekommen; die Streitteile hätten einander vielmehr im Sommer 1984 die Ehebrüche verziehen. Erst durch das ehebrecherische Verhältnis, das der Beklagte seit Dezember 1985 unterhalte, sei die Ehe unheilbar tief zerrüttet worden. Der Beklagte könne zwar die Ehebrüche der Klägerin nicht als primären Scheidungsgrund geltend machen, weil sie bereits verziehen und als verfristet anzusehen seien. Der Ausspruch eines Mitverschuldens der Klägerin entspreche aber iS des § 60 Abs 3 EheG der Billigkeit.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es übernahm dessen Feststellungen und teilte dessen rechtliche Beurteilung. Aus dem Verhalten der Streitteile im Sommer 1984 sei auf eine innere Absicht der Ehegatten zur Verzeihung der beiderseits in den Jahren 1982 und 1984 begangenen Eheverfehlungen zu schließen. Auch verziehene und verfristete Eheverfehlungen seien jedoch bei der Entscheidung über einen Mitschuldantrag zu berücksichtigen, wenn dies der Billigkeit entspreche. Dies sei hier der Fall, weil auch die Ehebrüche in den Jahren 1982 und 1984 die Vertrauensbasis zwischen den Ehegatten untergraben und die Hemmschwelle für künftige Verfehlungen niedriger gesetzt hätten. Bei der Verschuldensabwägung sei das Gesamtverhalten beider Ehegatten zu berücksichtigen und auch auf die zeitliche Abfolge sowie auf die ursächliche Verknüpfung und auf den Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe Bedacht zunehmen. Ausschlaggebend sei, wodurch die Zerrüttung der Ehe unheilbar geworden sei und welcher Eheteil ein Verhalten gesetzt habe, das zunächst den Zerrüttungsprozeß einleitete. Jener Teil, der mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht habe, sei bei sonst gleichen Umständen gegenüber dem anderen Teil in höherem Maße schuldig. Sei aber auch der Klägerin vorzuwerfen, daß sie den Zerrüttungsprozeß durch ihre ehebrecherischen Beziehungen im Frühjahr 1982 eingeleitet und durch eine weitere derartige Beziehung im Jahr 1984 verstärkt habe, dürfe doch andererseits nicht außer Acht gelassen werden, daß auch der Beklagte 1982 und 1984 ehebrecherische Beziehungen unterhalten und durch die neuerlichen, seit Dezember 1985 andauernden ehebrecherischen Beziehungen die Ehe, die nach einer Versöhnung bereits wieder in Heilung begriffen gewesen sei, endgültig zerrüttet habe. Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Beklagten, der voraussetze, daß sein Verschulden eindeutig und offenkundig erheblich schwerer ist als das der Klägerin, sei daher gerechtfertigt.

Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung insoweit, als die Ehe nicht aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin geschieden wurde, mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß das überwiegende Verschulden der Klägerin ausgesprochen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte macht geltend, es sei zu berücksichtigen, daß zwar seine letzte ehewidrige Beziehung zum endgültigen Bruch der Ehe geführt habe, daß aber die Vertrauensbasis zwischen den Streitteilen zu diesem Zeitpunkt bereits untergraben gewesen sei und daß die Klägerin den Zerrüttungsprozeß durch ihre ehebrecherische Beziehung im Frühjahr 1982 eingeleitet habe. Die Klägerin habe durch diesen Ehebruch die bis dahin aufrechte Vertrauensbasis zutiefst erschüttert und dadurch jenen Prozeß in Gang gesetzt, der schließlich zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt habe. Der Oberste Gerichtshof schließt sich dieser Ansicht nicht an. Wie bereits vom Berufungsgericht dargelegt wurde, ist nicht nur darauf Bedacht zu nehmen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen, sondern auch wer den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung geleistet hat (EFSlg 48.821 u.v.a.). Im vorliegenden Fall war das ehebrecherische Verhalten des Beklagten ab Dezember 1985 ausschlaggebend für die Zerrüttung der Ehe. Das vorangegangene Verhalten in den Jahren 1982 und 1984 haben die Ehegatten einander im Sommer 1984 verziehen, so daß darauf nur mehr nach Billigkeit (§ 60 Abs 3 EheG) Bedacht zu nehmen ist. Diese Bedachtnahme kann nicht so weit gehen, daß ungeachtet der erfolgten Verzeihung der Klägerin ein schwereres oder auch nur gleichteiliges Verschulden an der Scheidung der Ehe nur deshalb angelastet wird, weil auch sie im Jahr 1982 die Ehe gebrochen hat und dieser Ehebruch jenem des Beklagten im Jahr 1982, der aber nicht eine Reaktion auf das Verhalten der Klägerin darstellte, zeitlich vorangegangen war. Die Ursächlichkeit des Umstandes, daß es zunächst die Klägerin war, die die Ehe gebrochen hat, ist vielmehr im Zusammenhang mit dem nachfolgenden gleichartigen Verhalten des Beklagten und die gegenseitige Verzeihung im Sommer 1984 gegenüber der letzten, ausschlaggebenden Verfehlung des Beklagten gering einzuschätzen (vgl. EFSlg 43.677 und Schwind in Klang 2 I/1, 839). Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41 und 50 ZPO

Anmerkung

E10912

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0030OB00512.87.0429.000

Dokumentnummer

JJT_19870429_OGH0002_0030OB00512_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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