Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag, Dr. Kodek und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** G*** U*** W***, Wien 4., Schwarzenbergplatz 14, vertreten durch Dr. Walter Prunbauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*** D*** Gesellschaft m.b.H. Hermagor,
Kühwegboden Nr. 30, vertreten durch Dr. Franz Zimmermann, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert S 200.000,--) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 28. Mai 1985, GZ. 6 R 76/85-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 10. Jänner 1985, GZ. 24 Cg 355/84-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil der ersten Instanz aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die beklagte GmbH betreibt den Handel mit Bekleidung, insbesondere mit Lederwaren. Im Rahmen ihres Versandgeschäftes verteilte sie Anfang Juli 1984 einen Werbeprospekt, in welchem ua. eine "Lederhose aus Wildleder mit Gürtel, Gr. 46-54" um S 1.998,-- angeboten wurde (Beilage E). Lederhosen aus Wildleder kosten bei der Beklagten sonst mindestens S 3.490,--. Zumindest einem Kunden konnte die in Beilage E um S 1.998,-- angebotene "Lederhose aus Wildleder mit Gürtel" nicht geliefert werden; die Beklagte lieferte ihm statt dessen eine Hose aus Chromspaltleder, welche sie sonst um S 1.999,-- anbietet.
Unter Berufung auf § 2 UWG begehrt der klagende Verband (ua) die Verurteilung der Beklagten, im geschäftlichen Verkehr beim Einzelhandel mit Bekleidung auch aus Leder, insbesondere auch im Versandhandel, es zu unterlassen, der Wahrheit zuwider Bekleidungsgegenstände mit einer nicht zutreffenden höherwertigen Gattungsbezeichnung, insbesondere Lederhosen "aus Wildleder", die tatsächlich aus billigem Rindsvelourspaltleder bestehen, anzubieten und anzukündigen.
Die Beklagte beantragt die Abweisung dieses Begehrens. Die in Beilage E um nur S 1.998,-- angebotenen Wildlederhosen seien Teil eines günstig erworbenen Kontingents von insgesamt etwa 30 Stück gewesen. Nach deren Abverkauf habe sie "im Interesse der Beibehaltung des angebotenen Verkaufspreises" den weiteren Bestellern eine Chromspaltlederhose geliefert, zugleich aber jeder derartigen Lieferung einen sogenannten "Ersatzzettel" in roter Farbe beigelegt, in welchem ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, daß der bestellte Artikel nicht mehr vorrätig sei und deshalb ein ähnliches Produkt geliefert werde; der Kunde sei sowohl zum Umtausch, als auch zur Rückgabe der Lieferung berechtigt. Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Für die Beklagte wäre auch bei Annahme der Richtigkeit ihres Tatsachenvorbringens nichts gewonnen: Zu besonders günstigen Bedingungen angebotene Waren müßten für einen bestimmten Zeitraum in ausreichender, der üblicherweise zu erwartenden Nachfrage entsprechender Menge vorhanden sein. Das sei hier nicht der Fall gewesen, weil ein Kontingent von rund 30 Wildlederhosen keineswegs ausgereicht habe, um der angesichts des äußerst günstigen Angebots zu erwartenden Nachfrage aus ganz Österreich auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Auch der angeblich mitgelieferte "Ersatzzettel" könne nichts daran ändern, daß die Beklagte Bekleidungsgegenstände mit einer nicht zutreffenden höherwertigen Gattungsbezeichnung angeboten und angekündigt und damit ein sittenwidriges "Lockangebot" zu verantworten habe.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000,-- nicht aber S 300.000,-- übersteige und die Revision an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das beanstandete Verhalten der Beklagten sei vom Erstgericht zu Recht als sittenwidriges Lockangebot qualifiziert worden. Davon abgesehen, falle der Beklagten aber auch das Unterschieben nicht bestellter Ware zur Last. Sei der Kaufentschluß des Kunden auf eine bestimmte Ware gerichtet, dann verstoße es gegen die guten Sitten, diesem Wunsch nur scheinbar zu entsprechen, tatsächlich aber - in der Hoffnung, der Kunde werde den Unterschied nicht bemerken oder sich mit der ihm aufgedrängten Ware abfinden - etwas ganz anderes zu liefern. Der nach dem Vorbringen der Beklagten jeder Lieferung beigefügte "Ersatzzettel" sei rechtlich bedeutungslos, weil die Täuschungshandlung im Zeitpunkt der Lieferung bereits abgeschlossen gewesen und die günstigere Position im Wettbewerb schon erlangt worden sei. Daß dem Kunden tatsächlich eine andere als die bestellte Hose geliefert wurde, sei im konkreten Fall keineswegs klar erkennbar gewesen; da der Anreiz zur Bestellung regelmäßig in der besonderen Preisgünstigkeit des Angebotes liege, habe die Beklagte auch nicht davon ausgehen können, daß der Kunde an der Ersatzware das gleiche Interesse wie an der von ihm bestellten Ware haben werde. Auch der Hinweis auf die Möglichkeit eines Umtausches oder einer Rückgabe der Ware könne die Handlungsweise der Beklagten nicht rechtfertigen, weil gerade beim Versandgeschäft die Kunden die mit dem Umtausch oder einer Rücksendung der Ware verbundenen Unannehmlichkeiten vielfach scheuten und die nichtbestellte Ersatzware behielten. Unter dem Gesichtspunkt einer solchen Belästigung habe die Beklagte in jedem Fall ein wettbewerbswidriges Verhalten zu verantworten.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird von der Beklagten mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung bekämpft. Die Beklagte beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren im vollen Umfang abgewiesen werde. Der Kläger beantragt, dieses Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil gerade auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechtes eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO auch dann vorliegen kann, wenn zu einem unbestimmten Rechtsbegriff - hier: zum sogenannten "Unterschieben" einer Ware - zwar schon allgemeine, von der Rechtsprechung entwickelte Leitsätze bestehen, die konkrete Lösung des Falles sich aber daraus noch nicht ohne weiteres ergibt, sondern wegen Fehlens von Vorentscheidungen mit weitgehend gleichartigen Sachverhalten ein sorgfältiger Vergleich mit den bisher entschiedenen, nur ähnlichen Fällen vorgenommen werden muß (ÖBl 1984, 48; ÖBl 1985, 51 uva). Da die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites über den konkreten Fall hinaus von erheblicher Bedeutung für die Rechtseinheit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung ist, hat das Berufungsgericht die Revision mit Recht zugelassen.
Die Revision ist aber auch berechtigt.
Beide Vorinstanzen haben das beanstandete Verhalten der Beklagten als sittenwidriges Lockartikel-Angebot beurteilt; das Berufungsgericht hat darin überdies ein Unterschieben nicht bestellter Ware und im Zusammenhang damit auch eine wettbewerbswidrige Belästigung der Kunden gesehen. Keiner dieser beiden Vorwürfe ist aber durch das Klagebegehren gedeckt:
Nach dem - ersichtlich auf § 2 UWG gestützten - Urteilsantrag des Klägers soll der Beklagten verboten werden, "der Wahrheit zuwider Bekleidungsgegenstände mit einer nicht zutreffenden höherwertigen Gattungsbezeichnung ..... anzubieten und anzukündigen". Ob die Beklagte über eine ausreichende Stückzahl der in Beilage ./E besonders preisgünstig angebotenen Lederhosen verfügte, ist danach ebensowenig von Bedeutung wie die Frage, ob und aus welchen Gründen die Beklagte anstelle dieser Wildlederhosen nachträglich andere, qualitativ schlechtere Hosen geliefert hat. Der gegen die Beklagte allein erhobene Vorwurf einer zur Täuschung und Irreführung der Konsumenten geeigneten Falschbezeichnung der angebotenen Ware wäre vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn die Beklagte schon im Zeitpunkt der Verteilung des Prospektes Beilage ./E - aus welchen Gründen immer - außerstande oder doch nicht willens gewesen wäre, die Ankündigung einer "Lederhose aus Wildleder" um nur S 1.998,-- auch nur in einem einzigen Fall tatsächlich zu erfüllen.
Gerade zu dieser entscheidungswesentlichen Frage haben jedoch die Vorinstanzen weder Beweise aufgenommen noch Tatsachenfeststellungen getroffen; ihr Verfahren leidet daher an einem - auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung
beruhenden - Feststellungsmangel, der zur Aufhebung der untergerichtlichen Urteile und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht führen muß. Dieses wird im fortgesetzten Verfahren in Ausübung seiner Pflicht zur materiellen Prozeßleitung (§ 182 ZPO) zunächst auf ein entsprechendes Tatsachen- und Prozeßvorbringen der Parteien hinzuwirken und sodann nach Aufnahme der ihm erheblich erscheinenden Beweise die entsprechenden Feststellungen zu treffen haben; erst dann wird es verläßlich beurteilen können, ob der Beklagten tatsächlich eine wahrheitswidrige, zur Irreführung der angesprochenen Konsumenten geeignete Falschbezeichnung der von ihr angebotenen Lederhosen und damit ein Verstoß gegen § 2 UWG zur Last fällt.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E10711European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0040OB00373.85.0505.000Dokumentnummer
JJT_19870505_OGH0002_0040OB00373_8500000_000