TE OGH 1987/5/12 2Ob19/86

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Veröffentlicht am 12.05.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andrea F***, Gastwirtin, Saaz 33, 8341 Paldau, vertreten durch Dr. Michael Nierhaus, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei G*** B*** Aktiengesellschaft, 5630 Bad Hofgastein, vertreten durch Dr. Wolfgang Weis, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 180.257 und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 31. Jänner 1986, GZ 3 R 24/86-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teilzwischenurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 8.November 1985, GZ 1 Cg 109/85-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 28.Februar 1981 kam die Klägerin als Benützerin des von der Beklagten betriebenen Hochleiten-Schleppliftes am Stubnerkogel zu Sturz und zwar entweder dadurch, daß der neunjährige Alexander M*** in die Schleppspur rutschte oder durch ein Aussteigmanöver des gemeinsam mit der Klägerin einen Liftbügel benützenden Erwin L***. In der Folge rutschte die Klägerin die 57 bis 60 % steile Lifttrasse hinunter, kollidierte mit mehreren den Lift benützenden Personen und erlitt schwere Verletzungen. Die Klägerin begehrt, gestützt auf eine außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG, einen Schadenersatzbetrag von S 180.257 samt Zinsen sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Unfallsschäden. Die Beklagte bestritt eine Haftung, stellte aber die geltend gemachten Leistungsansprüche der Höhe nach mit je 1 S außer Streit. Das Erstgericht sprach mit Teilzwischenurteil aus, daß der Leistungsanspruch dem Grunde nach zur Gänze zu Recht bestehe. Es führte aus, es habe nicht geklärt werden können, ob der Sturz der Klägerin durch das Hineinrutschen des Alexander M*** in die Liftspur oder dadurch ausgelöst worden sei, daß der "Bügelpartner" der Klägerin während der Fahrt die Liftspur verlassen habe. Da unaufgeklärte Umstände zum Nachteil der beweispflichtigen Beklagten als Halterin der Liftanlage auszulegen seien, sei davon auszugehen, daß der Sturz der Klägerin durch das Hineinrutschen des neunjährigen Alexander M*** in die Lifttrasse verursacht worden sei. Durch diese Blockierung der Schleppspur sei die gewöhnliche Betriebsgefahr des Schleppliftes ins Außergewöhnliche gesteigert worden, sodaß kein unabwendbares Ereignis gegeben sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und erklärte die Revision für zulässig. Der Oberste Gerichtshof habe zwar bei einem ähnlich gelagerten Sachverhalt das Vorliegen einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr verneint (SZ 57/27), doch sei von der Lehre (Pichler in RdA 1978, 21 f, und in ZVR 1984, 289 f), aber auch in der nichtveröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 8 Ob 170/82 der gegenteilige Standpunkt vertreten worden. Das Berufungsgericht folge der zuletzt angeführten Ansicht, nicht aber jener, die in SZ 57/27 vertreten wurde. Da ungeklärte Umstände zu Lasten der Beklagten gingen, sei davon auszugehen, daß Alexander M*** in die Schleppspur hineingerutscht und diese blockiert habe und die Klägerin dadurch zu Sturz gekommen und verletzt worden sei. Da somit der Unfall auf die durch das Verhalten eines Dritten ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen sei, sei der Beklagten der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen.

Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht als Revisionsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt die Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Mit der Frage, ob eine außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG vorliegt, wenn die Schleppspur durch einen anderen Skifahrer blockiert wird und deshalb ein Liftbenützer zu Sturz kommt, hat sich der Oberste Gerichtshof bisher nur in der Entscheidung SZ 57/27 befaßt. (Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 8 Ob 170/82 betraf einen Unfall, der sich beim Aussteigen aus einem Sessellift ereignet hatte, das Vorliegen einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr wurde verneint und lediglich erwähnt, daß der Fall anders gelagert sei als das von Pichler angeführte Beispiel.) Die in der Literatur an der Entscheidung SZ 57/27 geübte Kritik (Pichler in ZVR 1984, 289 f, und Pichler-Holzer, Handbuch des Österreichischen Skirechtes 1987, 107 f), sowie die vorliegende Entscheidung des Berufungsgerichtes geben Anlaß, die Frage der außergewöhnlichen Betriebsgefahr bei einem von einem in die Schleppspur geratenen Skifahrer ausgelösten Unfall neuerlich zu überprüfen.

Unter einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr ist eine durch die gewöhnliche Betriebsgefahr hervorgerufene besondere Gefahrensituation zu verstehen (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II 559). Der Unterschied zwischen gewöhnlicher und außergewöhnlicher Betriebsgefahr ist funktionell darin zu erblicken, daß zur gewöhnlichen Betriebsgefahr besondere Gefahrenmomente hinzutreten, die nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge nicht schon durch den normalen Betrieb vorhanden waren (vgl ZVR 1979/139; 8 Ob 294/81). Die Abgrenzung, ob eine außergewöhnliche Betriebsgefahr vorliegt, führt in der Praxis häufig zu Schwierigkeiten, sie kann im allgemeinen nur anhand der Umstände des Einzelfalles gelöst werden (Pichler in ZVR 1984, 289). Bei Beurteilung der Frage, was zur gewöhnlichen Betriebsgefahr eines Schleppliftes gehört, ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Liftbenützer weitgehend an die Schleppspur gebunden sind, nur in einem sehr beschränkten Maß ausweichen können, auch bei Auftreten einer Gefahr keinerlei Möglichkeit haben, den Lift zum Stillstand zu bringen und im allgemeinen, insbesondere an steilen Stellen, nicht gefahrlos aussteigen können (vgl Pichler in RdA 1978, 25). Im Fall der Blockierung der Schleppspur durch einen anderen Skifahrer tritt daher eine durch die Eigentümlichkeit des Schleppliftbetriebes bedingte besondere Gefahr auf, wobei die für den Schaden unmittelbar ursächliche Gefahr des Schleppliftbetriebes gegenüber dem Eingriff des die Spur blockierenden Skifahrers übergewichtig und damit als Schadensursache verselbständigt wird (vgl ZVR 1983/318). Es ist daher in diesen Fällen gerechtfertigt, entgegen der in SZ 57/27 vertretenen Ansicht, das Vorliegen einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG zu bejahen. Damit erweist sich die Revision aber als nicht berechtigt. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E10905

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00019.86.0512.000

Dokumentnummer

JJT_19870512_OGH0002_0020OB00019_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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