Index
E2D Assoziierung Türkei;Norm
31971R1408 WanderarbeitnehmerV;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des H in A, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Stroch, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Bürgerstrasse 62, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 23. Dezember 2004, Zl. LGSOÖ/Abt.4/12842136/2004-2, betreffend Anspruche auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde einem Antrag des Beschwerdeführers (eines türkischen Staatsangehörigen) auf Gewährung von Notstandshilfe ab 1. Oktober 2004 keine Folge gegeben, weil dieser gemäß § 7 Abs. 6 AlVG dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe. Der Beschwerdeführer sei zuletzt "im Rahmen eines Kontingentes gemäß § 5 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) als Küchenhilfe" bei einem näher bezeichneten Gastronomiebetrieb in U beschäftigt gewesen. Für solche Personen bestimme nunmehr § 7 Abs. 6 AlVG, dass diese dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass dem Beschwerdeführer als Asylwerber jederzeit eine neue Beschäftigungsbewilligung ausgestellt werden könne. Die fehlende Verfügbarkeit werde
"ex lege und ausschließlich durch diese vorzitierte Bestimmung (gemeint: § 7 Abs. 6 AlVG) schlagend (auch wenn sie im Zusammenhang mit den Bestimmungen des AsylG betrachtet, nicht logisch und in das System passend erscheint)".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten (unvollständig) vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich zunächst zu dem Hinweis veranlasst, dass die belangte Behörde die Verwaltungsakten des erstinstanzlichen Verfahrens nur unvollständig vorgelegt hat (auf AS 5/14 folgt 27/1 bis /2, dann 29/3 bis /10, 35/12, 25/13 und /14, sowie schließlich AS 38/16 und /17). Diesen Aktenteilen kann aber immerhin entnommen werden, dass dem Beschwerdeführer bereits am 24. Jänner 2002 von der regionalen Geschäftsstelle des AMS ein fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt bescheinigt wurde (Aktenvermerk AS 5/14), sowie dass er am 22. Jänner 2004 einen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld gestellt hat, auf Grund dessen er Arbeitslosengeld vom 22. Jänner 2004 bis 8. Februar 2004 bezogen hat. Einer Niederschrift mit dem Beschwerdeführer ist ferner seine Erklärung zu entnehmen, ab 21. Februar 2004 "ca. 10 Std./Woche" einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nachzugehen, jedoch bereit zu sein, ein konkretes Stellenangebot anzunehmen. Ferner findet sich im Akt ein Antrag auf Zuerkennung von Notstandshilfe vom 22. Juni 2004 mit dem handschriftlichen Vermerk "gilt ab 29. Juni 2004". Aus Arbeitsbescheinigungen geht hervor, dass der Beschwerdeführer vom
3. bis 7. Juni 2004 als Landarbeiter und vom 10. August bis 30. September 2004 in einem Restaurationsbetrieb in U als Küchenhilfe beschäftigt war. Einer aus dem EDV-System ausgedruckten Telefonnotiz vom 8. November 2004 zufolge war ein Berufungsverfahren des Beschwerdeführers nach dem Asylgesetz noch offen.
Der Inhalt der Beschäftigungsbewilligung zu der zuletzt erwähnten Tätigkeit als Küchenhilfe kann den Akten nicht entnommen werden. Der Verwaltungsgerichtshof geht angesichts der auch in der Beschwerde insoweit nicht in Zweifel gezogenen Begründung des angefochtenen Bescheides aber davon aus, dass das AMS dem Beschwerdeführer für die zuletzt erwähnte Beschäftigung in einem Restaurationsbetrieb eine Beschäftigungsbewilligung nach § 5 Abs. 3 AuslBG erteilt hat.
§ 5 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975, in der Fassung des Art. 1 des EU-Erweiterungs-Anpassungsgesetzes, BGBl. I Nr. 28/2004, in Kraft getreten am 1. Mai 2004, lautet:
"Kontingente für die befristete Zulassung von Ausländern
§ 5. (1) Im Falle eines vorübergehenden zusätzlichen Arbeitskräftebedarfs, der aus dem im Inland verfügbaren Arbeitskräftepotenzial nicht abgedeckt werden kann, ist der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit ermächtigt, innerhalb des hiefür nach der Niederlassungsverordnung (§ 18 FrG) vorgegebenen Rahmens jeweils mit Verordnung zahlenmäßige Kontingente
1. für eine zeitlich befristete Zulassung ausländischer Arbeitskräfte in einem bestimmten Wirtschaftszweig, in einer bestimmten Berufsgruppe oder Region oder
2. für die kurzfristige Zulassung ausländischer Erntehelfer, die zur sichtvermerksfreien Einreise in das Bundesgebiet berechtigt sind, festzulegen.
(1a) Die nach § 18 FrG festgelegte Höchstzahl für befristet zugelassene ausländische Arbeitskräfte darf im gewichteten Jahresdurchschnitt nicht überschritten werden; zeitlich begrenzte Überschreitungen dieser Höchstzahl sind zulässig, sofern der Jahresdurchschnitt insgesamt nicht überschritten wird.
(2) (...)
(3) Im Rahmen der gemäß Abs. 1 festgelegten Kontingente dürfen Beschäftigungsbewilligungen
1. für befristet beschäftigte Ausländer mit einer Geltungsdauer von höchstens sechs Monaten und
2. für Erntehelfer mit einer Geltungsdauer von höchstens sechs Wochen
erteilt werden. Ausländer, die bereits über einen Aufenthaltstitel verfügen oder Niederlassungsfreiheit genießen, sind dabei zu bevorzugen. Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit kann festlegen, dass Beschäftigungsbewilligungen für Ausländer gemäß Z 1 um höchstens sechs Monate verlängert werden dürfen, sofern der Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers weiter besteht und nicht anderweitig abgedeckt werden kann. Im Falle einer durchgehenden Beschäftigung bis zu einem Jahr darf eine neue Beschäftigungsbewilligung für denselben Ausländer jedoch frühestens zwei Monate nach Beendigung der letzten bewilligten Beschäftigung erteilt werden.
(4) Im Falle einer nicht durchgehenden Beschäftigung dürfen für einen Ausländer Beschäftigungsbewilligungen im Rahmen von Kontingenten gemäß Abs. 1 und 2 nur für eine Gesamtdauer von zwölf Monaten innerhalb von 14 Monaten erteilt werden.
(5) Für Ausländer, die über einen Aufenthaltstitel zum Zweck des Studiums oder einer Schulausbildung verfügen, dürfen Beschäftigungsbewilligungen im Rahmen von Kontingenten gemäß Abs. 1 und 2 nur für eine Gesamtdauer von höchstens drei Monaten pro Kalenderjahr erteilt werden.
(6) Beschäftigungsbewilligungen mit einer Geltungsdauer von höchstens sechs Wochen, die für einen an sich zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigten Ausländer erteilt werden, sind in dessen Reisedokument ersichtlich zu machen."
Der in § 5 Abs. 1 AuslBG verwiesene § 18 des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr. 75/1997 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 126/2002, lautet auszugsweise:
"Niederlassungsverordnung
§ 18. (1) Die Bundesregierung hat im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates mit Verordnung für jeweils ein Jahr die Anzahl der Niederlassungsbewilligungen festzulegen, die
1. Schlüsselkräften (§§ 2 Abs. 5 und 12 Abs. 8 AuslBG) und deren Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern, sowie
2.
(aufgehoben durch BGBl. I Nr. 126/2002)
3.
Familienangehörigen Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 in Österreich niedergelassen haben, höchstens erteilt werden dürfen (Niederlassungsverordnung).
Die Bundesregierung hat dabei die Entwicklung eines geordneten Arbeitsmarktes sicherzustellen und in der Verordnung die Bewilligungen so auf die Länder aufzuteilen, wie es deren Möglichkeiten und Erfordernissen entspricht.
(1a) In der Verordnung gemäß Abs. 1 ist die Anzahl jener Fremden festzulegen, die innerhalb der Quote gemäß Abs. 1 Z 1 zur Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Schlüsselkraft ermächtigt sind.
(2) (...)
(3) In der Niederlassungsverordnung hat die Bundesregierung festzulegen:
1. die Höchstzahl der Beschäftigungsbewilligungen für befristet beschäftigte Fremde (§ 5 AuslBG), mit denen der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit mit Verordnung einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder auf befristete Zweckänderung verbinden darf;
2. die Höchstzahl der Beschäftigungsbewilligungen für Erntehelfer (§ 5 AuslBG), mit denen der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit mit Verordnung einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verbinden darf.
(...)
(6) Ist anzunehmen, dass das Angebot an Arbeitskräften auf dem inländischen Arbeitsmarkt während der Geltungsdauer der Verordnung die Nachfrage deutlich übersteigen wird, so ist bei Erlassung der Verordnung im Hinblick auf Erwerbstätige (Abs. 1 Z 1, Abs. 1a) nur auf die im Inland nicht verfügbaren Arbeitskräfte, deren Beschäftigung als Schlüsselkräfte (§§ 2 Abs. 5 und 12 Abs. 8 AuslBG) im Hinblick auf den damit verbundenen Transfer von Investitionskapital oder im Hinblick auf ihre besondere Ausbildung und ihre speziellen Kenntnisse im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegt, und auf deren Familiennachzug Bedacht zu nehmen. Bei Erlassung der Verordnung gemäß Abs. 1 Z 3 hat die Bundesregierung unter Bedachtnahme auf die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes abzuwägen, in welchem Ausmaß bei Vorrang der Integration der ansässigen erwerbsbereiten Fremden in den Arbeitsmarkt weitere erwerbsbereite Fremde zu unselbständiger Erwerbstätigkeit zugelassen werden können. Hiebei kann die Bundesregierung Gruppen ansässiger Drittstaatsangehöriger bezeichnen, denen in Hinblick auf ihre fortgeschrittene Integration der Familiennachzug bevorzugt ermöglicht werden soll. Außerdem kann die Bundesregierung Gruppen von Familienangehörigen bezeichnen, denen aufgrund bestimmter, die Integration erleichternder Umstände, wie etwa der bevorstehende Eintritt der Schulpflicht, der Familiennachzug bevorzugt ermöglicht werden soll.
(...)"
Durch Art. 2 des EU-Erweiterungs-Anpassungsgesetzes BGBl. I Nr. 28/2004 wurde auch ein neuer § 7 Abs. 6 in das AlVG eingeführt, welcher lautet:
"(6) Personen, die im Rahmen von Kontingenten gemäß § 5 AuslBG befristet beschäftigt sind, stehen dem Arbeitsmarkt nach Beendigung ihrer Beschäftigung nicht zur Verfügung und erfüllen daher nicht die Voraussetzungen des Abs. 3 Z 2."
Dem § 79 AlVG wurde durch Art. 2 Z. 2 dieses Gesetzes folgender Abs. 75 angefügt:
"(75) § 7 Abs. 6 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 28/2004 tritt mit 1. Mai 2004 in Kraft und gilt für Geltendmachungen nach dem 30. April 2004."
Die Materialien zum EU-Erweiterungs-Anpassungsgesetz (RV 414 NR, GP XXII) führen dazu allgemein aus, es seien "bestimmte Anpassungen und Übergangsbestimmungen im Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) und im Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) erforderlich", um bei der "Anwendung des Übergangsarrangements auch die notwendige Kontrolle und Rechtssicherheit am Arbeitsmarkt (zu) wahren sowie nicht zuletzt seine Funktionsweise und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt evaluieren zu können".
Zu § 7 Abs. 6 AlVG führen die Erläuterungen aus:
"Mit der vorgeschlagenen Ergänzung soll klar gestellt werden, dass ausländische Arbeitskräfte, die aufgrund von Saisonkontingenten gemäß § 5 AuslBG nur für die Dauer einer Saisonbeschäftigung befristet zum Arbeitsmarkt zugelassen werden, nach Beendigung der Beschäftigung dem Arbeitsmarkt nicht weiter zur Verfügung stehen. Diese Einschränkung gilt jedoch nicht für Arbeitskräfte, die aufgrund zwischenstaatlicher Abkommen (dazu gehört auch der EU-Beitrittsvertrag) die Voraussetzungen für den freien Zugang zum Arbeitsmarkt erfüllen. Die Beschäftigung von Saisonarbeitskräften zielt darauf ab, einen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf, der aus dem im Inland verfügbaren Arbeitskräftepotential nicht befriedigt werden kann, vorübergehend abzudecken. Solche Arbeitskräfte sollen nach dem Zweck der Regelung nicht dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert werden und erfüllen daher auch nicht die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung im Inland. Die in Österreich erworbenen Versicherungszeiten können jedoch nach Wegfall der Beschränkungen aufgrund des Saisonierstatus innerhalb der für die Beurteilung der Anwartschaft maßgeblichen Rahmenfrist berücksichtigt werden. Außerdem sind sie im Rahmen zwischenstaatlicher Abkommen bzw. aufgrund der Verordnung (EG) 1408/71 für eine Leistungsbeurteilung im Heimatstaat heranzuziehen."
Das durch die genannten Bestimmungen konstituierte System intendiert der Sache nach zu ermöglichen, ausländischen Staatsangehörigen in Wirtschaftsbereichen, in denen kurzfristig Arbeitskräfte benötigt werden, eine befristete Beschäftigungsbewilligung verbunden mit einer ebenso befristeten Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, wobei in der Regel davon auszugehen ist, dass sich diese Personen nur während, nicht aber auch nach Beendigung dieser Beschäftigung legal in Österreich aufhalten dürfen. Die Bestimmung in § 5 Abs. 3 AuslBG, wonach Ausländer, die bereits über einen Aufenthaltstitel verfügen oder Niederlassungsfreiheit genießen, dabei zu bevorzugen sind, deutet zwar darauf hin, dass der Personenkreis, dem Beschäftigungsbewilligungen nach § 5 Abs. 3 AuslBG (auch) erteilt werden können, möglicherweise weiter sein könnte, als der soeben beschriebene; die schon erwähnten Gesetzesmaterialien zum EU-Erweiterungs-Anpassungsgesetz zeigen aber, dass damit nur Angehörige der neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gemeint sind, zumal es dort in den Erläuterungen zu der erwähnten Einfügung in § 5 Abs. 3 AuslBG heißt:
"Die im Beitrittsvertrag verankerte Verpflichtung, neue EU-Bürger bei der Neuzulassung zum Arbeitsmarkt gegenüber Drittstaatsangehörigen zu bevorzugen (Gemeinschaftspräferenz), kann im geltenden Zulassungsverfahren und im Zuge der gebotenen Arbeitsmarktprüfung an sich ausreichend erfüllt werden. Dennoch ist es arbeitsmarktpolitisch sinnvoll, dieses Vorrangprinzip bei der konkreten Arbeitsmarktprüfung (§ 4b) im normalen Zulassungsverfahren und für die befristete Zulassung von Ausländern im Rahmen von Sonderkontingenten (§ 5) ergänzend ausdrücklich vorzusehen."
Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer als Asylwerber zum Aufenthalt berechtigt ist und ihm auch eine Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4 Abs. 3 Z. 7 AuslBG ohne die besondere Ermächtigung des § 5 Abs. 3 AuslBG erteilt werden kann (sodass er auch nach Beendigung einer Beschäftigung als Saisonier nicht zur Ausreise verpflichtet ist), stellen die oben wiedergegebenen Materialien zu § 7 Abs. 6 AlVG klar, dass diese Bestimmung nur auf jene Personen anzuwenden ist, deren Aufenthaltsberechtigung an die Beschäftigungsbewilligung als Saisonier nach § 5 Abs. 3 AuslBG gebunden ist und mit dieser endet.
Die in § 7 Abs. 6 AlVG enthaltene unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, dass jemand ab Beendigung seiner Beschäftigung nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und er deshalb vom Bezug von Leistungen nach dem AlVG ausgeschlossen werden kann, kann sich auch sachlicherweise nur auf einen Personenkreis beziehen, bei dem das Fehlen einer Berechtigung zu einem weiteren Inlandaufenthalt tatsächlich vorausgesetzt werden kann.
Es kann in diesem Verfahren aber auf sich beruhen, ob der anscheinend nur auf den Umstand der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach § 5 AuslBG abstellende § 7 Abs. 6 AlVG zur Vermeidung eines verfassungswidrigen Ergebnisses im dargelegten Sinne (teleologisch reduziert) ausgelegt werden kann und demnach von vornherein auf jene Fälle unangewendet zu bleiben hat, in denen das AMS eine Beschäftigungsbewilligung außerhalb des in § 5 AuslBG hiefür an sich in Betracht kommenden Personenkreises an andere, im Inland zum Aufenthalt berechtigte ausländische Staatsangehörige vergeben hat, wie dies offenbar beim Beschwerdeführer der Fall gewesen ist. Im hier vorliegenden Fall steht nämlich schon das Gemeinschaftsrecht einer Auslegung des § 7 Abs. 6 AlVG, wie sie die belangte Behörde zur Grundlage ihres Bescheides gemacht hat, entgegen:
Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 vom 19. September 1980 des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: ARBS) lautet:
"Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt."
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, wäre auf Grund des Erwerbs der Anwartschaft und der Erschöpfung des Bezuges von Arbeitslosengeld zum Bezug von Notstandshilfe - so wie auch schon vor der in Rede stehenden Beschäftigung als "Saisonier" - berechtigt. Er ist daher Arbeitnehmer im Verständnis des ARBS, weil dazu auch Personen gehören, die gegen eines der Art. 1 lit. b des genannten Beschlusses iVm der VO (EWG) 1408/71 genannten Risken, d.h. auch gegen Arbeitslosigkeit versichert sind, auch wenn sie in keinem Dienstverhältnis stehen (Rz 86f, insbesondere 93 des Urteils des EuGH vom 4. Mai 1999, Rs C-262/96, Sürül, mit Hinweisen auf frühere Entscheidungen des EuGH). In dieser Entscheidung hat der EuGH auch klargestellt, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 des ARBS Nr. 3/80
"einen eindeutigen, unbedingten Grundsatz aufstellt, der ausreichend bestimmt ist, um von einem nationalen Gericht angewandt werden zu können, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des einzelnen zu regeln. Daraus, dass dieser Vorschrift somit unmittelbare Wirkung zuzuerkennen ist, folgt, dass sich die Bürger, für die sie gilt, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf sie berufen können." (aaO, Rz 62ff, insbesondere Rz 74).
Der Beschwerdeführer ist Asylwerber; sein Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Er hielt sich im fraglichen Zeitraum seines potenziellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld daher rechtmäßig in Österreich auf; daher gilt für ihn das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 ARBS. Auf Grund dessen dürfen Ansprüche auf Leistungen im Rahmen der VO (EWG) 1408/71 (somit auch Leistungen aus dem Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit) nicht von strengeren Anforderungen abhängig gemacht werden als im Falle von österreichischen Staatsbürgern. Genau das sieht § 7 Abs. 6 AlVG aber vor, indem er ausländische (daher auch türkische) Staatsangehörige, die im Rahmen von Kontingenten gemäß § 5 AuslBG beschäftigt sind, durch die unwiderlegliche Vermutung, dass diese dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, ungeachtet des Bestehens der Arbeitslosenversicherungspflicht während dieser Beschäftigung, vom Bezug von Geldleistungen nach dem AlVG ausschließt, ohne danach zu differenzieren, ob diese Personen nach Beendigung der anwartschaftsbegründenden Beschäftigung berechtigt sind, sich im Inland aufzuhalten und hier auch einer Beschäftigung nachzugehen. Beide Voraussetzungen liegen beim Beschwerdeführer vor (vgl. § 4 Abs. 3 Z. 7 AuslBG), sodass er durch die Bestimmung des § 7 Abs. 6 AlVG in einer Art. 3 Abs. 1 ARBS widersprechenden Weise diskriminiert wird.
§ 7 Abs. 6 AlVG muss daher selbst dann, wenn diese Bestimmung nicht von vornherein im vorhin erwähnten Sinne reduzierend, sondern wenn sie so auszulegen wäre, wie dies die belangte Behörde getan hat, wegen Widerspruchs zum Gemeinschaftsrecht im Falle des Beschwerdeführers unangewendet bleiben.
Eine Vorlage dieser Frage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften konnte im Hinblick darauf unterbleiben, dass die maßgebliche Rechtsfrage der Anwendbarkeit und Wirkung des Art. 3 Abs. 1 ARBS in der Rechtssache Sürül vom EuGH bereits entschieden wurden.
Da die belangte Behörde verkannt hat, dass sie § 7 Abs. 6 AlVG aus den genannten gemeinschaftsrechtlichen Gründen hätte unangewendet lassen müssen, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 7. September 2005
Gerichtsentscheidung
EuGH 61996J0262 Sürül VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005080019.X00Im RIS seit
23.12.2005Zuletzt aktualisiert am
12.06.2012