Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Hans O***, Baumeister, Landeck, Malser Straße 70, vertreten durch Dr. Walter Lenfeld, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei I*** D*** S***, vertreten durch Dr. Anna Jahn,
Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Aufkündigung infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 3. Februar 1987, GZ 1 a R 9/87-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 11. November 1986, GZ 4 C 387/86-8, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger ist Eigentümer des Wohnhauses Feldkirch, Ardetzenbergstraße 13, samt Garage und Garten. Das Haus umfaßt eine Wohnung im Parterre sowie eine Kleinwohnung im Tiefparterre. Die Beklagte ist Mieterin des Wohnhauses, ausgenommen die Wohnung im Tiefparterre.
Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist nur mehr das Haus ohne die Wohnung im Tiefparterre. Diesbezüglich liegt eine Kündigung wegen Eigenbedarfes für den Sohn des Klägers Marco O***, wegen vertragswidriger Verwendung und nachteiligen Gebrauches vor. Die Vorinstanzen haben die Kündigung wegen Eigenbedarfes für rechtswirksam erkannt, wobei sie von folgenden wesentlichen Feststellungen ausgingen:
Marco O*** studiert an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Er hat sämtliche Prüfungen abgelegt und arbeitet derzeit noch an seinem letzten Programm. Dieses wird im Herbst beendet sein. Um dieses Programm zu vollenden, ist seine Anwesenheit in Wien nicht notwendig. Daran anschließend wird er seine Diplomarbeit, bestehend ebenfalls aus einem Programm, schreiben. Die Anwesenheit am Ort des Objektes, auf welches sich das Programm bezieht, ist zweckmäßiger als die Anwesenheit in Wien. Marco O*** hat hiefür noch kein konkretes Thema, voraussichtlich wird es sich jedoch in Tirol (Landeck) abspielen. Für die Durchführung dieses Programmes benötigt er relativ viel Platz, so daß es ihm nicht möglich ist, dies in der Wohnung seines Vaters in Landeck durchzuführen.
Derzeit lebt Marco O*** mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind in einer Wohnung in Wien, die aus drei Zimmern, Bad und WC besteht. In dieser Wohnung wohnt auch noch ein Mitstudent. Marco O*** betätigt sich seit drei Jahren auch als Berater und Gestalter im Kunsthandelssektor. Er ist spezialisiert auf Tiroler Galerien und Vorarlberger Künstler, darüber hinaus auf Kunstmessen in Innsbruck und Basel. Knapp vor einer Ausstellung ist er ca. zwei Wochen ausschließlich mit ihrer Gestaltung befaßt. Die Beratung hiefür erstreckt sich über mehrere Monate. Offensichtlich ist es für ihn wesentlich günstiger, diese Beratungstätigkeit von Feldkirch aus vorzunehmen als von Wien. Marco O*** betreut mehrere Firmen, die sich im Raum Bregenz befinden.
Für Marco O*** ist es nicht möglich, seine Diplomarbeit im Hause seines Vaters in Landeck durchzuführen, weil dort hiefür die räumlichen Voraussetzungen fehlen.
Rechtlich führten die Vorinstanzen aus, dringender Eigenbedarf sei nur dann gegeben, wenn seitens des Vermieters die unabweisliche Notwendigkeit bestehe, den derzeitigen Zustand sobald wie möglich zu beseitigen und dies nur durch Aufkündigung des Bestandgegenstandes möglich ist. Der dringende Eigenbedarf setze einen Notstand voraus. Dabei sei ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gelte selbst für den Fall, daß kein Bedarf des Mieters entgegenstehe. Es sei nicht auf die bloße Unbequemlichkeit abzustellen. Erst für den Fall, daß der Eigenbedarf in seiner Dringlichkeit bejaht werden könne, komme es zu einer Interessenabwägung. Es sei demnach zu prüfen, ob für den Vermieter oder seine Verwandten in absteigender Linie ein wichtiges persönliches oder wirtschaftliches Bedürfnis bestehe, welches nur durch die Benützung der gekündigten Räumlichkeiten befriedigt werden könne. Dabei sei grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung abzustellen. Ein Bedarf, der im Zeitpunkt der Aufkündigung erst für die Zukunft zu erwarten war, reiche im allgemeinen nicht für die Berechtigung der Kündigung aus. Vage, erst in der Zukunft liegende Möglichkeiten stellen einen wichtigen Kündigungsgrund nicht dar, jedoch können künftige Ereignisse eine Kündigung dann rechtfertigen, wenn sie mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft zu erwarten seien. Nahe bevorstehende Ereignisse und Umstände seien zu berücksichtigen.
Selbst bei Anlegung dieser strengen Maßstäbe sei im Hinblick auf die bevorstehende Diplomarbeit der dringende Eigenbedarf Marco O*** zu bejahen. Diesem könne nicht zugemutet werden, daß er die während des Studiums in Wien benützte Wohnung auch im weiteren für unbestimmte Zeit weiterbenützen und zu mieten habe, wenngleich der Bereich seiner persönlichen, familiären und beruflichen Interessen und Bedürfnisse nicht mehr in Wien liege, in bezug auf Wohnraum und Arbeitsraum vielmehr diese Bedürfnisse allein durch die Benützung der gekündigten Räumlichkeiten befriedigt werden können. Eine Interessenabwägung müsse zugunsten des Sohnes des Klägers ausfallen, weil im Verfahren überhaupt kein dringendes Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses hervorgekommen sei.
Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteigt. Es hat die Revision für nicht zulässig erklärt.
Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist zulässig und gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Dem Berufungsgericht ist zuzubilligen, daß die von ihm in seinen Rechtsausführungen vertretene Rechtsansicht bezüglich des Eigenbedarfes durch die ständige Judikatur gedeckt ist. Der nunmehr geltende Kündigungstatbestand des § 30 Abs. 2 Z 8 MRG entspricht dem § 19 Abs. 2 Z 5 MG (7 Ob 598/84, 7 Ob 510/85 ua). Demnach ist nach wie vor bei der Beurteilung der Frage des dringenden Eigenbedarfes ein strenger Maßstab anzulegen. Der Kündigungsgrund ist demnach nur dann gegeben, wenn auf Seiten des Vermieters ein Notstand, also die unabweisliche Notwendigkeit, den bestehenden Zustand sobald als möglich zu beseitigen, vorliegt (MietSlg. 28.312, 26.253, 23.358 ua). Erst dann, wenn der Eigenbedarf und seine Dringlichkeit bejaht werden, hat eine Interessenabwägung zu erfolgen (MietSlg. 28.313, 24.291 ua). Das Erfordernis des dringenden Eigenbedarfes, als ein auf Seiten des Vermieters eingetretener Notstand, ist auch dort streng auszulegen, wo kein Bedarf des Mieters entgegensteht (7 Ob 510/85 ua). Schließlich ist es auch richtig, daß vage, erst in der Zukunft liegende Möglichkeiten keinen wichtigen Kündigungsgrund darstellen, jedoch künftige Ereignisse eine Kündigung dann rechtfertigen, wenn sie mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft zu erwarten sind (MietSlg. 25.292, 23.363 ua).
Die Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes würden daher keinen Anlaß für die Zulassung einer Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO bilden. Trotzdem wurde die Revision im Ergebnis mit Recht zugelassen, weil das Berufungsgericht letzten Endes bei der Beurteilung des konkreten Sachverhaltes von der von ihm selbst dargestellten ständigen Rechtsprechung abgewichen ist. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Sohn des Klägers sein Studium in Wien noch nicht beendet. Vielmehr hat er noch ein letztes Programm zu erstellen, dessen Erstellung erst im Herbst 1987 abgeschlossen sein wird. Erst dann wird es zur Ausarbeitung der Diplomarbeit kommen. Das Thema dieser Arbeit steht noch nicht fest. Lediglich der Sohn des Klägers rechnet damit, daß es den Raum Tirol zum Gegenstand haben wird. Von einer derartigen Wahrscheinlichkeit, daß man bereits jetzt von einem dringenden Notstand des Sohnes des Klägers ausgehen könnte, kann demnach bei den gegebenen Verhältnissen keine Rede sein. Es besteht lediglich eine gewisse Möglichkeit, daß die Diplomarbeit des Sohnes des Klägers ein Thema zum Gegenstand haben wird, dessen Bearbeitung im Raum Tirol günstiger wäre. Wenn schon diese Arbeit wesentlich durch die Anwesenheit an jenem Ort, mit dem sie sich beschäftigt, gefördert würde, ist es nicht ohne weiters ersichtlich, daß dies unbedingt Feldkirch sein muß, das bekanntlich nicht in Tirol liegt. Was die nebenbei vom Sohn des Klägers ausgeübte geschäftliche Tätigkeit anlangt, so mag es sein, daß diese leichter von Feldkirch aus zu bewältigen ist als von Wien. Nach den getroffenen Feststellungen besteht aber keineswegs eine so dringende Notwendigkeit für eine Übersiedlung des Sohnes des Klägers nach Feldkirch, daß von einem Notstand gesprochen werden könnte. Vielmehr wird hier eher eine bloße Verbesserung der Situation anzunehmen sein. Diese allein kann aber eine Eigenbedarfskündigung noch nicht rechtfertigen.
Es ergibt sich sohin, daß unter Zugrundelegung der ständigen Judikatur, die vom Berufungsgericht richtig dargestellt worden ist, ein Eigenbedarf für den Sohn des Klägers nicht nachgewiesen wurde. Der diesbezügliche Kündigungsgrund ist daher nicht gegeben. Die Vorinstanzen werden sich sohin mit dem Vorliegen der weiteren behaupteten Kündigungsgründe zu beschäftigen haben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E10989European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00616.87.0514.000Dokumentnummer
JJT_19870514_OGH0002_0070OB00616_8700000_000