TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/7 2003/08/0043

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Veröffentlicht am 07.09.2005
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §111;
ASVG §114 Abs2;
ASVG §67 Abs10;
BAO §80 Abs1;
VStG §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des W in S, vertreten durch Dr. Walter Brunner, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Villacher Straße 1A/VII, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 21. Jänner 2003, Zl. 14-SV- 3234/4/02, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Kärntner Gebietskrankenkasse, 9021 Klagenfurt, Kempfstraße 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Abspruch über Verzugszinsen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Vorgeschichte dieses Beschwerdefalles ergibt sich aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 2000, Zl. 99/08/0117, aus dem für das Beschwerdeverfahren noch Folgendes von Bedeutung ist:

Mit dem im ersten Rechtsgang ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 23. Juni 1999 hatte diese die beschwerdeführende Partei gemäß § 67 Abs. 10 ASVG verpflichtet, als Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft m.b.H. rückständige, bei der Gesellschaft uneinbringlich gewordene Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von S 120.331,12 sA zu zahlen.

Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 2000, Zl. 99/08/0117, unter Hinweis auf das zwischenzeitig ergangene Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Slg. Nr. 15.528/A, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im fortgesetzten Einspruchsverfahren schlüsselte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zunächst mit Schreiben vom 29. Oktober 2001 den (eingeschränkten) Haftungsbetrag von S 27.636,58 (EUR 2.008,42) wie folgt auf:

"Restliche Dienstnehmerbeitragsanteile 02/96 bis 03/96 ......

ATS 16.242,41

Verzugszinsen .................................................................... ...

ATS 10.188,61

Nebengebühren .................................................................... .

ATS 1.205,48

 

ATS 27.636,50"

Zu diesem Schriftstück gab der Beschwerdeführer in einer Stellungnahme vom 16. November 2001 eine Äußerung ab, in der er zunächst eine falsche Berechnung der Verzugszinsen behauptet und darüber hinaus vorgebracht hat, dass er die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aufgefordert hatte, die unter Vorbehalt entrichteten Raten zurückzuzahlen und das Exekutionsverfahren einzustellen, welchem Verlangen entsprochen worden sei. Damit habe die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse "offenkundig auf allfällige Ansprüche" gegenüber dem Beschwerdeführer "verzichtet, ebenso auf die Weiterbetreibung des gegenständlichen 'Haftungsverfahrens'". Der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zur Stellungnahme übermittelt, berichtigte diese die Mitteilung vom 29. Oktober 2001 wie folgt:

"Restliche Dienstnehmerbeitragsanteile 02/96 bis 03/96 ..

EUR 1.180,38

8,04 Verzugszinsen berechnet bis 31.12.2001 ..................

EUR 385,15

zusammen .................................................................... ......

EUR 1.565,53

(ATS 21.542,16)

 

samt weiterlaufender Verzinsung bis zum Zahlungstag."

Ferner bestritt die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse, dass mit der Rückerstattung der bereits bezahlten Raten in der Höhe von S 26.000,-- auf allfällige Ansprüche gegen den Beschwerdeführer verzichtet worden sei. Diese Stellungnahme wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht. Er gab dazu die Äußerung ab, er anerkenne die Forderung nicht und sei auf Grund der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im vorhin erwähnten Erkenntnis eines verstärkten Senates der Auffassung, dass ihn keine Haftung treffe. Die geltend gemachten Dienstnehmeranteile seien nicht einbehalten worden und könnten daher auch nicht abgeführt werden.

Mit einem weiteren Schreiben vom 15. Oktober 2002 schlüsselte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse ihre Forderung weiter auf wie folgt:

"Sozialversicherungsbeiträge

 

Februar 1996 .....................................................

EUR 6.249,90

März 1996 .........................................................

EUR 6.561,41

Dienstnehmeranteile

 

Februar 1996 .....................................................

EUR 2.629,--

März 1996 .........................................................

EUR 2.883,35

 

EUR 5.512,35

- IAG-Zahlung

EUR 4.281,77

Zwischensumme

EUR 1.230,58

- 4,08 % Quote

EUR 50,20

 

EUR 1.180,38

Verzugszinsen berechnet bis 31.12.2001

EUR 385,15

gesamt

EUR 1.565,53".

Auch dieses Schreiben übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme binnen drei Wochen. Diese Aufforderung wurde dem Beschwerdeführer am 30. Dezember 2002 zugestellt. Anhand der Eingangsstampiglie der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 20. Jänner 2003 lässt sich nicht mehr feststellen, ob diese rechtzeitig zur Post gegeben bzw. fristgerecht bei der belangten Behörde eingelangt ist; sie beschränkt sich jedoch auf die Mitteilung, dass sich der Beschwerdeführer nicht in der Lage sehe, den geforderten Betrag zu bezahlen und dass er auf seine letzte Stellungnahme verweise.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 23. Februar 1998 teilweise Folge gegeben und den mit dem erstinstanzlichen Bescheid in Haftung gezogenen Betrag "auf EUR 1.565,53 samt Verzugszinsen berechnet bis 31.12.2001, zuzüglich weiterlaufender Verzinsung bis zum Zahlungstag, eingeschränkt".

Nach einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens begründet die belangte Behörde ihre Entscheidung im Wesentlichen mit jenen Berechnungen, die seitens der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse im fortgesetzten Einspruchsverfahren beigebracht worden waren, insbesondere der zuletzt wiedergegebenen Berechnung vom 15. Oktober 2002. Im Übrigen verwies die belangte Behörde auf das aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes aus dem ersten Rechtsgang und auf die Bindung der belangten Behörde an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 63 VwGG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten nur teilweise (ohne die Akten des ersten Rechtsganges und ohne die Akten der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft, offene Erwerbsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Kommandit-Erwerbsgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Slg. Nr. 15.528/A, vertritt der Verwaltungsgerichtshof in Abkehr von seiner früheren ständigen Rechtsprechung nunmehr die Auffassung, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne dieser Gesetzesstelle in Ermangelung weiterer in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese im § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die im § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG erwiesen.

Zu Unrecht hat die belangte Behörde die Haftung des Beschwerdeführers auch für jene Teile der Gesamtforderung angenommen, die aus den gegen die Gesellschaft laufenden Verzugszinsen resultieren. Es ist nicht erkennbar, dass eine der vom Verwaltungsgerichtshof im bereits genannten Erkenntnis des verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Slg. Nr. 15.528/A, für die Haftung für erforderlich bezeichneten schuldhaften Pflichtverletzungen eines Geschäftsführers für die Uneinbringlichkeit der genannten Forderungsteile kausal sein könnten (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 20. April 2005, Zl. 2002/08/0238 mwH). Eine Leistungsverpflichtung des Beschwerdeführers in Ansehung von Verzugszinsen kommt daher nur insoweit in Frage, als solche gegen ihn wegen nicht rechtzeitiger Entrichtung des ihm zur Zahlung auferlegten Haftungsbetrages laufen, nicht aber für Verzugszinsen, welche die Gesellschaft schuldete.

Insoweit hat die belangte Behörde daher den Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; er war in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2. Gemäß § 114 Abs. 1 ASVG ist ein Dienstgeber strafbar, der Beiträge eines Dienstnehmers zur Sozialversicherung einbehalten oder von diesem übernommen und dem berechtigten Versicherungsträger vorenthalten hat. Trifft die Pflicht zur Einzahlung der Beiträge eines Dienstnehmers zur Sozialversicherung eine juristische Person, eine Personengesellschaft des Handelsrechts oder eine Erwerbsgesellschaft, so ist diese Bestimmung gemäß § 114 Abs. 2 erster Satz ASVG auf alle natürlichen Personen anzuwenden, die dem zur Vertretung befugten Organ angehören.

Unabhängig vom Gleichbehandlungsgebot verletzt der Geschäftsführer, der entgegen den Bestimmungen der §§ 60 iVm 114 ASVG die einbehaltenen Beiträge (Dienstnehmeranteile) nicht der Sozialversicherung abführt, seine gesetzlichen Pflichten im Zusammenhang mit der Beitragsentrichtung, weil diesen Bestimmungen ein Gebot zur Abfuhr tatsächlich einbehaltener Dienstnehmeranteile zu Grunde liegt. In subjektiver Hinsicht muss dem Geschäftsführer in Ansehung aller Tatbestandelemente Vorsatz zur Last liegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2001, Zl. 99/08/0142). Als "einbehalten" sind nicht nur jene Dienstnehmeranteile an Sozialversicherungsbeiträgen anzusehen, die bei der Lohn- oder Gehaltsauszahlung an den Dienstnehmer beim Dienstgeber bar verbleiben. Es genügt auch die rechnungsmäßige Kürzung der Löhne und Gehälter um den vom Dienstnehmer zu tragenden Sozialversicherungsbeitrag bei der Auszahlung (Auszahlung der Nettolöhne).

Der Beschwerdeführer rügt, dass die belangte Behörde das Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen im Sinne des § 114 ASVG nicht festgestellt habe. Damit ist er im Ergebnis im Recht:

Die belangte Behörde hat mehrfach detaillierte Aufstellungen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse über die Berechnung der Haftungssumme von EUR 1.180,38 eingeholt, die letzte Aufstellung stammt vom 15. Oktober 2002. Aus dieser ist ersichtlich, dass für die Dienstnehmeranteile der Entgeltzahlungszeiträume Februar und März 1996 von insgesamt EUR 5.512,35 ein Betrag von EUR 4.281,77 vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bezahlt worden ist. Gemäß § 13a IESG umfasst der Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenz-Ausfallgeld auch die auf den Dienstnehmer entfallenden Beitragsanteile, welche der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds dem Sozialversicherungsträger schuldet. Der Umstand, dass Zahlungen im genannten Ausmaß vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse entrichtet worden sind, spricht dafür, dass diese für gesicherte (d.h. vom insolventen Dienstgeber gerade nicht befriedigte) Ansprüche entrichtet worden sind. Hat der Dienstgeber aber in den strittigen Entgeltzahlungszeiträumen die Zahlungen an die Dienstnehmer nicht oder nicht vollständig geleistet, dann kommt ein Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen im Sinne des § 114 ASVG insoweit nicht in Betracht. Es ist daher von vornherein verfehlt, wenn die Gebietskrankenkasse den aus einer Verletzung der Pflichten aus § 114 ASVG abgeleiteten Haftungsbetrag aus den an sich geschuldeten Dienstnehmerbeiträgen im Sinne des Anspruchslohnsprinzip ableitet; erforderlich wäre vielmehr die Feststellung, dass und in welchem Umfang Nettoentgelte an Dienstnehmer tatsächlich ausbezahlt, dafür Sozialversicherungsbeiträge einbehalten, aber nicht abgeführt worden sind. In welchem Umfang dies der Fall war, ist weder den Feststellungen im angefochtenen Bescheid noch den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen. Insoweit ist das Verfahren somit in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben.

Mit Blick auf das weitere Beschwerdevorbringen sei aber darauf hingewiesen, dass es für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 114 Abs. 2 ASVG (seit 1. März 2005: § 153 c Abs. 2 StGB) nicht darauf ankommt, ob der Beschwerdeführer die betreffenden Nettolöhne aus Eigenmitteln der Gesellschaft oder aus Mitteln entrichtet hat, die er der Gesellschaft aus seinem Privatvermögen zur Verfügung gestellt hat.

3. Der angefochtene Bescheid war daher teils wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG, im Übrigen aber wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 7. September 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003080043.X00

Im RIS seit

14.10.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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