Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichthofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann B***, Inhaber der nicht protokollierten Firma A***- A***, Export-Import, Klagenfurt, Bahnstraße 49, vertreten durch Dr. Johann Quendler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei S***, Handelsgesellschaft m.b.H., Berg 3, Primelweg 4, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Fritz Czerwenka, Rechtsanwalt in Wien, wegen DM 125.819 (Streitwert S 893.314,90), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 24. Februar 1987, GZ 2 R 9, 10/87-30, womit das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 10. November 1986, GZ 20 Cg 357/85-26, und die darin aufgenommene Entscheidung über die Einrede der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit und der mangelnden örtlichen Zuständigkeit aufgehoben wurden, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Punkt B) des angefochtenen Beschlusses wird aufgehoben. Die Berufung der beklagten Partei wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht und die Zurückweisung der Einreden der örtlichen Unzuständigkeit und der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit bekämpft verworfen.
Im übrigen wird die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die weiteren Berufungsgründe an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrt von der Beklagten für Lieferungen einen restlichen Preis von DM 125.819, wobei die Zuständigkeit des Landesgerichtes Klagenfurt nach § 88 Abs. 2 JN in Anspruch genommen wird.
Neben sachlichen Einwendungen behauptet die Beklagte das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit mit der Begründung, die Voraussetzungen für den Gerichtsstand nach § 88 Abs. 2 JN seien nicht gegeben. Aus dem gleichen Grund wird die Unzuständigkeit des Erstgerichtes eingewendet.
Das Erstgericht hat die Einrede der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit sowie der mangelnden örtlichen Zuständigkeit zurückgewiesen und in der Sache selbst dem Kläger unter Abweisung eines Mehrbegehrens und Berücksichtigung einer Gegenforderung den Schillinggegenwert von DM 124.319 s.A. zugesprochen. Es traf hiebei die Feststellung, daß alle vom Kläger ausgestellten Rechnungen den Vermerk aufwiesen "zahlbar und klagbar in Klagenfurt". Die Rechnungen langten spätestens mit der Ware bei der Spedition der Beklagten ein.
Das Berufungsgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung sowohl das erstgerichtliche Urteil als auch die in dieses Urteil aufgenommene Entscheidung über die inländische Gerichtsbarkeit und die örtliche Zuständigkeit unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben. Es führte hiebei in rechtlicher Hinsicht folgendes aus:
Die inländische Gerichtsbarkeit in Zivilsachen bestehe für alle Rechtssachen, welche durch positives Gesetz, durch völkerrechtliche Regeln oder zufolge eines durch die inländische Verfahrensordnung anerkannten Anknüpfungspunktes an das Inland vor die österreichischen Gerichte verwiesen sind. Zur Abgrenzung des Bereiches der inländischen Gerichtsbarkeit seien die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit mittelbar heranzuziehen. Im vorliegenden Fall seien die Zuständigkeitsnormen der einzige durch die inländische Verfahrensordnung anerkannte Anknüpfungspunkt, weil die Beklagte als Handelsgesellschaft nach deutschem Recht im Inland keinen Sitz habe und auch sonst keine gesetzlich anerkannte Inlandsbeziehung aus den Behauptungen des Klägers abgeleitet werden könne. Der Kläger nimmt den Gerichtsstand nach § 88 Abs. 2 JN in Anspruch. Dieser Gerichtsstand werde durch die Annahme einer zugleich mit der Ware oder schon vor ihrem Einlangen übersendeten Faktura begründet, welche mit dem Vermerk versehen sein müsse, daß die Zahlung an einem bestimmten Ort zu leisten sei und daß an demselben Ort die Klage aus dem Geschäft angebracht werden könne. Derartiges habe der Kläger zu beweisen. Sei ihm jedoch der Beweis der rechtzeitigen Absendung gelungen, insbesondere dadurch, daß Ware und Faktura gleichzeitig abgesendet wurden, dann müsse der Beklagte beweisen, daß die Faktura nach der Ware eingelangt sei. Das Erstgericht habe zwar eine Feststellung getroffen, aus der sich nach den aufgezeigten Grundsätzen der Gerichtsstand nach § 88 Abs. 2 JN ergeben würde, doch habe es zu diesem Thema mehrere von der Beklagten angebotenen Beweise mit der Begründung, diese seien aus Verschleppungsabsicht verspätet angeboten worden, nicht aufgenommen. Da jedoch Verschleppungsabsicht hier nicht angenommen werden könne, müsse das Verfahren über die Frage des Fakturengerichtsstandes ergänzt werden, was nur durch das Erstgericht geschehen könne, weil eine förmliche Beweisaufnahme notwendig sei.
Der vom Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs ist gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Richtig und auch vom Rekurs nicht bekämpft, gehen die Vorinstanzen davon aus, daß im allgemeinen die inländische Gerichtsbarkeit dann anzunehmen ist, wenn die inländischen Zuständigkeitsregeln die Zuständigkeit für einen bestimmten Rechtsstreit ergeben und eine entsprechende Inlandsbeziehung vorliegt (SZ 55/95, 3 Ob 579/86 u. a.). Die Inlandsbeziehung kann im vorliegenden Fall nicht fraglich sein. Gelingt daher dem Kläger der Beweis für das Vorliegen eines Gerichtsstandes nach § 88 Abs. 2 JN, so ist einerseits die inländische Gerichtsbarkeit gegeben und andererseits das Erstgericht für die Entscheidung zuständig.
Auch die weitere richtige Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß Voraussetzung für die Begründung des Gerichtsstandes nach § 88 Abs. 2 JN das spätestens gleichzeitige Einlangen der mit dem Fakturenvermerk versehenen Faktura mit der Ware beim Empfänger Voraussetzung ist, bekämpft der Rekurs nicht. Ebenso bleibt die Rechtsansicht unbekämpft, der Kläger, der sich auf den Gerichtsstand des § 88 Abs. 2 JN beruft, müsse beweisen, daß er Ware und Faktura gleichzeitig abgesendet hat. Gelingt ihm dieser Beweis, dann muß der Beklagte beweisen, daß die Faktura nach der Ware eingelangt ist (Fasching I 449, EvBl. 1984/49, SZ 36/87 u.a.).
Der Oberste Gerichtshof tritt auch der vom Berufungsgericht zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht bei, daß von einem gleichzeitigen Eingang der Ware und der Faktura beim Besteller dann auszugehen ist, wenn beide bei dem vom Beklagten zur Übernahme der Ware bevollmächtigten Spediteur eingegangen sind. Diese Rechtsansicht hat der Oberste Gerichtshof bereits in mehreren Entscheidungen (6 Ob 706/84, EvBl. 1984/49 u.a.) vertreten. Es besteht kein Anlaß, davon abzugehen. Bevollmächtigt der Besteller zur Übernahme der Ware einen Spediteur, so gelangt die Ware mit Eingang beim Spediteur in seinen Einflußbereich. Für Geschehnisse, die ab diesem Zeitpunkt eintreten, kann demnach der Versender nicht mehr verantwortlich gemacht werden. Vielmehr wäre es Sache des Bestellers, den von ihm bevollmächtigten Spediteur entsprechende Weisungen zu erteilen.
Geht man also von den aufgezeigten Rechtsansichten aus, so erweist sich die Entscheidung des Erstgerichtes über seine örtliche Zuständigkeit und die inländische Gerichtsbarkeit dann als richtig, wenn die erstrichterliche Feststellung über den spätestens gleichzeitigen Zugang der Faktura mit der Ware bei der Spedition der Beklagten (S. 184 d.A.) richtig ist. Dies hat auch das Berufungsgericht erkannt. Es hat jedoch das Verfahren, das zu dieser Feststellung geführt hat, als mangelhaft erachtet und aus diesem Grunde die erstgerichtliche Entscheidung aufgehoben. Wie von allen Teilen richtig erkannt wird, ist die Sachentscheidung eines österreichischen Zivilgerichtes im Falle des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit nichtig. Für den Fall der Nichtigkeit sieht jedoch § 473 Abs. 2 ZPO ausschließlich eine Entscheidung des Berufungsgerichtes ohne vorhergehende mündliche Verhandlung durch Beschluß vor. Hält der Berufungssenat zur Feststellung des Berufungsgrundes der Nichtigkeit tatsächliche Aufklärungen seitens der Parteien oder des Gerichtes erster Instanz oder andere Erhebungen für erforderlich, so sind diesselben anzuordnen und unter Benützung der einschlägigen, in den Berufungsschriften enthaltenen Parteiangaben entweder vom Berufungssenat selbst durchzuführen oder durch einen beauftragten Richter oder das Prozeßgericht erster Instanz durchführen zu lassen.
Das Berufungsgericht darf in einem solchen Fall das erstgerichtliche Urteil nicht zur Prüfung einer allfälligen Nichtigkeit und zur Vornahme der hiezu erforderlichen weiteren Feststellungen aufheben (SZ 46/25). Im vorliegenden Falle ist dem Berufungsgericht zugegeben, daß ein Dilemma dann besteht, wenn das Gericht zweiter Instanz tatsächliche Feststellungen des Erstgerichtes, die zu seiner Entscheidung über eine Prozeßeinrede geführt haben, für bedenklich hält. Das Rechtsmittelgericht kann zwar die ihm erforderlich erscheinenden Erhebungen durchführen oder veranlassen, hat aber keine mündliche Verhandlung anzuordnen. Die ohne Formalitäten und ohne Zuziehung der Parteien vorzunehmenden Beweisaufnahmen können daher nicht zu einer Umwürdigung der in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweise führen (Fasching IV, 383, SZ 22/40 u.a.). Wenn daher das Berufungsgericht nur nach § 473 Abs. 2 ZPO vorgehen kann, so sind ihm die Hände auch dann gebunden, wenn es Bedenken gegen die Richtigkeit erstgerichtlicher Feststellungen hat, die auf Grund unmittelbarer Beweisaufnahmen getroffen worden sind und die weder gegen die Aktenlage noch gegen die Gesetze der Logik verstoßen. Dies könnte zu dem auf den ersten Blick eigenartigen Ergebnis führen, daß der Rechtsmittelwerber zwar im Rahmen seiner Nichtigkeitsberufung Feststellungen nicht bekämpfen kann, ihm jedoch eine Bekämpfung derselben Feststellungen im Rahmen seiner weiteren Berufungsausführungen möglich ist, soweit diese Feststellungen auch die Sache selbst betreffen. Dies hat jedoch der Gesetzgeber in Kauf genommen. Durch die Eröffnung zweier Tatsacheninstanzen in der Hauptsache hat er nur zum Ausdruck gebracht, daß für ihn die materielle Richtigkeit der Entscheidung in der Hauptsache einen höheren Stellenwert einnimmt als die Entscheidung prozessualer Fragen, die mit Beschluß zu erfolgen hat (SZ 53/4). Es ergibt sich sohin im vorliegenden Fall, daß das Berufungsgericht nicht berechtigt war, die erstinstanzliche Entscheidung über die Verwerfung der Prozeßeinreden aufzuheben, um dem Erstgericht eine Erweiterung seiner Entscheidungsbasis aufzutragen. Eine solche notwendige Erweiterung der Entscheidungsbasis hätte vielmehr das Berufungsgericht selbst vornehmen müssen. Im vorliegenden Fall ist dies jedoch entbehrlich weil, wie bereits dargelegt wurde, das Berufungsgericht bei der Entscheidung über die Nichtigkeitsberufung an die auf Grund unmittelbarer Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes gebunden ist. Seine allfälligen Erhebungen im Sinne des § 473 Abs. 2 ZPO würden es nicht berechtigen, von den erstinstanzlichen Feststellungen abzugehen. Das Erstgericht hat nun die entscheidende Feststellung, nämlich daß sämtliche Rechnungen spätestens mit der Ware bei der Spedition der Beklagten eingelangt sind, auf Grund einer unmittelbaren Beweisaufnahme (Aussage des vor dem Erstgericht vernommenen Klägers) getroffen. An diese Feststellung ist das Berufungsgericht auf jeden Fall gebunden.
Demnach erübrigen sich weitere Erhebungen zu diesem Punkt. Vielmehr mußte auf Grund dieser Feststellung von der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichtes gemäß § 88 Abs. 2 JN und infolge ausreichender Inlandsbeziehung auch von der inländischen Gerichtsbarkeit ausgegangen werden. Damit ist aber der Berufung, soweit sie Nichtigkeit geltend macht und die Zurückweisung der Einreden der örtlichen Unzuständigkeit und der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit bekämpft, ein Erfolg zu versagen. Die berufungsgerichtliche Entscheidung war demnach in diesem Umfange aufzuheben und die Berufung, soweit sie Nichtigkeit geltend macht und sich gegen die Zurückweisung der vorgenannten Einreden wendet schon jetzt zu verwerfen.
Da sich das Berufungsgericht mit den anderen Berufungsgründen nicht auseinandergesetzt hat, war eine Zurückverweisung zur neuerlichen Entscheidung an dieses Gericht erforderlich.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E11440European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00585.87.0514.000Dokumentnummer
JJT_19870514_OGH0002_0070OB00585_8700000_000