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66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;Norm
ASVG §4 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Urbarialgemeinde S, vertreten durch die Hajek & Boss & Wagner Rechtsanwälte OEG, 7000 Eisenstadt, Blumengasse 5, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 10. Juni 2003, Zl. 6-SO-N1708/7-2003, (mitbeteiligte Partei: Burgenländische Gebietskrankenkasse, 7001 Eisenstadt, Esterhazyplatz 3), betreffend Beitragsnachverrechnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 27. März 2000, mit dem diese der Beschwerdeführerin "gemäß §§ 409 und 410 ASVG in Verbindung mit den §§ 4 Abs. 1 und 2, 33 Abs. 1, 34 Abs. 1, 49 Abs. 1 und 2, 54 Abs. 1, 56 ASVG sowie § 1 AlVG" die Zahlung von allgemeinen Beiträgen, Sonderbeiträgen, Fonds- und Umlagenbeiträgen in der Höhe von insgesamt EUR 3.110,05 sowie die Zahlung eines Beitragszuschlags von EUR 622,03 vorgeschrieben hat, keine Folge gegeben.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe den erstinstanzlichen Bescheid im Wesentlichen mit den Feststellungen des Beitragsprüfers anlässlich der am 3. Februar 2000 durchgeführten Beitragsprüfung begründet. Nach diesen Feststellungen "hätten Dienstnehmer auf Grund der vorgefundenen Belege für den Zeitraum 1995 bis 1999 tageweise zufolge fallweiser Beschäftigung in die Sozialversicherung einbezogen werden müssen." In ihrem Einspruch habe die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass die in die Pflichtversicherung einbezogenen Personen Mitglieder der Beschwerdeführerin seien und als solche die von der Vollversammlung bestimmten Arbeiten zu leisten hätten. Diese Leistungspflicht stünde der Bewertung der Tätigkeit als einer im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübten Tätigkeit entgegen. Auch stünde der Status eines Miteigentümers dem eines Dienstnehmers entgegen, sowohl persönliche als auch wirtschaftliche Abhängigkeit seien zu verneinen, es sei auch kein Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG bezahlt worden. Es habe sich bei den ausbezahlten Beträgen um Aufwandsentschädigungen gemäß § 49 Abs. 3 Z 1 ASVG gehandelt; diese seien ausdrücklich vom Entgeltbegriff ausgenommen. Die Geringfügigkeitsgrenze sei nicht überschritten worden.
Nach der Wiedergabe der Bestimmungen über fallweise beschäftigte Personen (§§ 471a bis 471c ASVG) führte die belangte Behörde weiter aus, es stehe unbestritten fest, dass die im Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse genannten Personen von der Beschwerdeführerin die dort angeführten Beträge erhalten hätten. Dabei habe es sich nicht um Aufwandsentschädigungen gehandelt, weil der persönliche Einsatz eines ehrenamtlichen Mitgliedes im Verwaltungsausschuss nicht mittels Aufwandsentschädigung abgegolten werden könne. Es werde der Umstand nicht verkannt, dass es Aufgabe der Mitglieder einer Urbarialgemeinde sei, die von der Vollversammlung beschlossenen, ihnen nach der Zahl ihrer Anteile zugewiesenen Arbeiten selbst zu leisten oder durch geeignete Personen leisten zu lassen. Werde aber für diese Tätigkeit an Mitglieder der Urbarialgemeinde eine Bezahlung von täglich S 600,-- vorgenommen, so sei diese Leistung als Entgelt zu beurteilen. Zudem sei festzuhalten, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse lediglich jene Beträge als Entgelt qualifiziert habe, bei welchen nicht ersichtlich gewesen sei, welcher Aufwand (z.B. Kilometergeld) damit hätte abgegolten werden sollen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin ist nach der Aktenlage eine Agrargemeinschaft im Sinne des § 47 des burgenländischen Flurverfassungs-Landesgesetzes. Die genannte Bestimmung lautet auszugsweise:
"(1) Die Gesamtheit sowohl der jeweiligen Eigentümer jener Liegenschaften, an deren Eigentum Anteilsrechte an agrargemeinschaftlichen Grundstücken gebunden sind (Stammsitzliegenschaften), als auch jener Personen, denen persönliche (walzende) Anteilsrechte zustehen, bildet eine Agrargemeinschaft.
(2) Die Tätigkeit einer Agrargemeinschaft wird durch Satzung geregelt, die durch die Agrarbehörde von Amts wegen mit Verordnung zu erlassen ist.
(3) Agrargemeinschaften sind Körperschaften öffentlichen Rechtes.
(4) Das Eigentum an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken steht, sofern es sich nicht um Gemeindeeigentum ... handelt, der Agrargemeinschaft zu."
Die im Beschwerdefall im Verordnungsweg erlassenen maßgebenden "Satzungen für Agrargemeinschaften (Urbarialgemeinden)" lauten:
"§ 1.
(1) Die Agrargemeinschaft Urbarialgemeinde Schützen am Gebirge hat ihren Sitz in der Gemeinde Schützen am Gebirge ...
(2) Ihr obliegt die zweckmäßige Bewirtschaftung des gemeinschaftlichen Besitzes und die Erreichung eines nachhaltigen, möglichst hohen Ertrages.
Rechtsfähigkeit der Agrargemeinschaft
§ 2.
Die Agrargemeinschaft ist eine Körperschaft öffentlichen Rechtes. Ihr steht das Eigentum an den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften zu.
...
Mitglieder der Agrargemeinschaft
§ 4.
(1) Die Gesamtheit sowohl der jeweiligen Eigentümer jener Liegenschaften, an deren Eigentum Anteilsrechte an agrargemeinschaftlichen Grundstücken gebunden sind (Stammsitzliegenschaften), als auch jener Personen, denen persönliche (walzende) Anteilsrechte zustehen, bilden die Agrargemeinschaft.
...
Rechte und Pflichten der Mitglieder
§ 6.
(1) Die Mitglieder der Agrargemeinschaft (Teilhaber, Teilgenossen) haben Sitz und Stimmrecht in der Vollversammlung (§ 13). Sie nehmen an der Nutzung des Gemeinschaftsvermögens teil (§ 27).
...
(4) Die Mitglieder sind verpflichtet, die von der Vollversammlung festgesetzten Umlagen und die von ihr bestimmten Arbeiten zu leisten (§ 28).
...
Wirkungsbereich
§ 8.
(1) Die Vollversammlung besteht aus der Gesamtheit der Mitglieder der Agrargemeinschaft und beschließt über alle wichtigen, die Agrargemeinschaft betreffenden Angelegenheiten.
(2) Ihr obliegt insbesondere
...
h) die Anstellung, Kündigung seitens der Agrargemeinschaft, einvernehmliche Dienstlösung und Entlassung der ständigen Dienstnehmer der Agrargemeinschaft;
i) die Festsetzung einer etwaigen Vergütung für die Leistungen der Ausschussmitglieder und des nicht aus dem Mitgliederstande entnommenen Schriftführers ...
Bestreitung der Gemeinschaftsbedürfnisse
§ 28.
...
(3) Eine Verteilung des Reingewinnes ist erst nach Deckung aller laufenden Auslagen zulässig ... Die für die Führung des Betriebes (Heumahd, Holzschlag u. dgl.) oder für die Verbesserung der gemeinschaftlichen Liegenschaft (Hüttenbau, Entwässerung u. dgl.) notwendigen Arbeiten sind tunlichst durch die Mitglieder besorgen zu lassen. Die Mitglieder sind verpflichtet, die von der Vollversammlung beschlossenen, ihnen nach der Zahl ihrer Anteile zugewiesenen Arbeiten selbst zu leisten oder durch geeignete Personen leisten zu lassen. Der Obmann hat solche Arbeiten, die von den Mitgliedern oder den von ihnen bestellten Kräften in der vorgeschriebenen Art und Zeit nicht geleistet werden, auf Kosten der säumigen Mitglieder ausführen zu lassen. ..."
Die Beschwerdeführerin kommt als juristische Person (Körperschaft öffentlichen Rechts) als Dienstgeberin gemäß § 35 ASVG in Frage, was auch in den Satzungen (§ 8: Anstellungen, Kündigungen) zum Ausdruck gebracht wird.
Auf Grund der Gesetzeszitate im Kopf des angefochtenen Bescheides - der erstinstanzliche Bescheid befindet sich nicht im Akt - und den Ausführungen zu den fallweise beschäftigten Personen in der Begründung ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde die der Beitragsfrage vorgelagerte Frage des Vorliegens einer voll- und arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung der Mitglieder der Beschwerdeführerin, deren Abgeltung Anlass für die Beitragsvorschreibung war, bejaht hat. Mit den Voraussetzungen für die Annahme einer solchen Beschäftigung hat sich die belangte Behörde jedoch nicht auseinander gesetzt.
Gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG sind die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet.
Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.
Nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG sind für den Fall der Arbeitslosigkeit Dienstnehmer versichert (arbeitslosenversichert), die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind, soweit sie in der Krankenversicherung auf Grund gesetzlicher Vorschriften pflichtversichert oder selbst versichert (§ 19a ASVG) und nicht nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen versicherungsfrei sind.
Die Kriterien, die für die Annahme (überwiegender) persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Einzelnen beachtlich sind, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur ausführlich dargelegt (gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird dazu etwa auf das Erkenntnis vom 26. Mai 2004, Zl. 2001/08/0009, verwiesen).
Die belangte Behörde sieht die abhängige, tageweise Beschäftigung der Mitglieder der Beschwerdeführerin im Sinne der §§ 471a ASVG darin begründet, dass die Mitglieder verpflichtet seien, "die von der Vollversammlung beschlossenen, ihnen nach der Zahl ihrer Anteile zugewiesenen Arbeiten selbst zu leisten oder durch geeignete Personen leisten zu lassen" und dafür täglich S 600,-- erhielten.
Die Frage, ob im vorliegenden Fall überhaupt eine taugliche Grundlage für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses vorliegt, kann dahinstehen, weil sich schon auf Grund der eben wiedergegebenen Feststellung, die in § 28 der Satzungen ihre Deckung findet, die Rechtsansicht der belangten Behörde, es liege eine abhängige Beschäftigung vor, als unrichtig erweist. Die Berechtigung, die übernommene Arbeitspflicht generell durch Dritte verrichten zu lassen oder sich ohne weitere Verständigung des Vertragspartners zur Verrichtung der bedungenen Arbeitsleistung einer Hilfskraft zu bedienen, schließt nämlich die persönliche Abhängigkeit wegen der dadurch fehlenden Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Verpflichteten aus. Hiebei ist es ohne Belang, ob der Beschäftigte von der ihm zustehenden Berechtigung, sich vertreten zu lassen, auch Gebrauch macht (vgl. das Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 88/08/0200).
Im Beschwerdefall werden die Mitglieder von der Vollversammlung zwar zur Leistung bestimmter Arbeiten verpflichtet, bei diesen können sie sich jedoch uneingeschränkt vertreten lassen bzw. werden die Arbeiten auf Kosten der säumigen Mitglieder ausgeführt.
Die belangte Behörde ist nach dem Gesagten bei der Vorschreibung der Beiträge und des Zuschlages in Verkennung der Rechtslage von einer voll- und
arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung der Mitglieder ausgegangen und hat damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Dieser war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Der Antrag auf Ersatz der Beschwerdegebühr war wegen der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) abzuweisen; die begehrte Umsatzsteuer ist im pauschalen Aufwandersatz bereits enthalten, weshalb das darauf gerichtet Ersatzbegehren ebenfalls abzuweisen war. Wien, am 7. September 2005
Schlagworte
Dienstnehmer Begriff Persönliche AbhängigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003080153.X00Im RIS seit
14.10.2005Zuletzt aktualisiert am
27.12.2011