TE OGH 1987/6/4 7Ob29/87

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Veröffentlicht am 04.06.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte G***, Graz, Flurgasse 28 b, vertreten durch Dr. Hella Ranner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei M*** V***

A***, Wien 1., Concordiaplatz 2, vertreten durch DDr. Horst Spuller, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 220.000,-- s.A.

und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 28. Jänner 1987, GZ 1 R 15/87-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Handelsgerichtes vom 24. November 1986, GZ 9 Cg 403/85-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin hat mit der beklagten Partei für ihren PKW BMW 320 eine Kaskoversicherung abgeschlossen. Am 25. Juli 1985 überließ sie den PKW in Ascona (Schweiz) dem Alessandro T***, der einen Unfall mit Totalschaden verursachte. Alessandro T*** war nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung. Die beklagte Partei lehnte deshalb den Versicherungsanspruch gemäß § 12 Abs. 3 VersVG unter Berufung auf ihre Leistungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 1 lit. b der A*** ab. Die Klägerin begehrt die Versicherungsleistung und mit Eventualbegehren die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei. Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen besuchte die Klägerin am 21. Juli 1985 das Restaurant St. Michele. Sie stellte infolge Parkplatzmangels den PKW im Bereich der Einfahrt ab. Alessandro T***, der im Restaurant beschäftigt ist, machte die Klägerin in der Folge darauf aufmerksam, daß der PKW wegen Behinderung abfahrender Gäste umgeparkt werden muß. Die Klägerin gab ihm die Autoschlüssel, ohne sich zu erkundigen, ob er eine Lenkerberechtigung hat. Sie ließ sich auch einen Führerschein nicht zeigen. Die Klägerin sah, daß auch andere Gäste dem Alessandro T*** den Autoschlüssel zum Umparken gaben. Als die Klägerin zwischen dem 21. und dem 25. Juli 1985 das Restaurant besuchte, erzählte ihr Alessandro T***, daß er seinerzeit, als er eine Autofahrerlizenz erhalten habe, auch einen BMW 320 gehabt habe. Er habe sich dann wegen des Parkplatzmangels einen VW-Golf gekauft. Am Unfallstag, an dem die Klägerin wieder Gast in dem Restaurant war, ersuchte Alessandro T*** die Klägerin dreimal um die Autoschlüssel, um den PKW umzustellen. Beim dritten Mal fuhr er vom Restaurant weg, um in der Nähe einen Parkplatz zu suchen.

Nach der Rechtsansicht der Vorinstanzen habe die Klägerin nicht ohne Verschulden annehmen können, daß Alessandro T*** eine Lenkerberechtigung besitze. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt. Es erklärte die Revision mit der Begründung für zulässig, daß der Frage, ob Leistungsfreiheit des Versicherers auch dann gegeben sei, wenn das Fahrzeug im Zusammenhang mit einem Lokalbesuch an einen im Gastlokal Beschäftigten zum Zwecke des Umparkens oder zum Zwecke des Aufsuchens eines Parkplatzes überlassen werde, die Qualifikation nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zukomme.

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der Klägerin ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist an den Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs. 3 ZPO nicht gebunden (§ 508 a Abs. 1 ZPO). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Danach sind, wie schon das Berufungsgericht eingehend dargelegt hat, an den den Versicherten treffenden Schuldlosigkeitsbeweis strenge Anforderungen zu stellen. Wenn jemand die Lenkung seines Fahrzeuges einem anderen überläßt, hat er sich die Kenntnis von dessen Lenkerberechtigung zu verschaffen. Zur Verschaffung dieser Kenntnis ist eine sichere Erkenntnisquelle erforderlich. Dies ist in der Regel der Führerschein, in den der Versicherungsnehmer sorgfältig Einsicht nehmen muß. Eine solche Einsichtnahme kann nur dann unterbleiben, wenn eine andere sichere Erkenntnisquelle zur Verfügung steht. Das Wissen, daß der Lenker schon mit anderen Fahrzeugen gefahren ist und hiebei den Eindruck der Fahrtüchtigkeit gemacht hat, genügt hiebei ebensowenig wie die bloße Befragung des Lenkers, die Auskunft eines Dritten oder die Behauptung des Lenkers, im Besitz einer Lenkerberechtigung zu sein. Letzteres könnte den Versicherungsnehmer nur dann exkulpieren, wenn besondere Gründe vorliegen, die ihn berechtigen, eine solche Behauptung mit Rücksicht auf die persönliche Vertrauenswürdigkeit als glaubwürdig anzusehen. Bei Beurteilung dieser Umstände ist jedoch gleichfalls ein strenger Maßstab anzulegen (ZVR 1987/46, 1978/28, 1970/139 und 251; SZ 46/105 uva; vgl. auch Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den Kfz-Versicherungen in ZVR 1985, 72). Die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß der Klägerin der Schuldlosigkeitsbeweis nicht gelungen ist, steht mit der dargestellten ständigen Rechtsprechung im Einklang, und zwar mit Rücksicht auf die flüchtige Bekanntschaft der Klägerin mit Alessandro T*** auch in der Beurteilung, daß besondere Gründe für die Annahme persönlicher Vertrauenswürdigkeit nicht vorlagen. Bei der Obliegenheit des Versicherungsnehmers nach Art. 6 Abs. 1 lit. b der AKIB kommt es auf den Zweck der Überlassung des Fahrzeuges nicht an. Der dem Versicherungsnehmer eingeräumte Schuldlosigkeitsbeweis bezieht sich daher auch nur auf die Frage der Lenkerberechtigung. Der vom Berufungsgericht angezeigten Rechtsfrage kommt daher die Qualifikation nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO nicht zu.

Demgemäß ist die Revision zurückzuweisen.

Anmerkung

E11468

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0070OB00029.87.0604.000

Dokumentnummer

JJT_19870604_OGH0002_0070OB00029_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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