TE OGH 1987/6/10 1Ob607/87

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Veröffentlicht am 10.06.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache Anna A***, geboren am 2.Juli 1908, infolge Rekurses des Sachwalters Dr. Adalbert Laimer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 30.März 1987, GZ 44 R 25/87-39, womit der Rekurs des einstweiligen Sachwalters gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 19.Jänner 1987, GZ 1 SW 35/85-33, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 8.10.1985 (ON 4) wurde Rechtsanwalt Dr. Adalbert Laimer gemäß § 238 Abs.1 und 2 AußStrG zur Vertretung im Verfahren 1 A 445/85, zur Erstellung einer Übersicht über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Betroffenen und insbesondere zur Ergreifung von Maßnahmen zur Sicherung allfälliger Ansprüche gegen Anna G*** zum einstweiligen Sachwalter der Betroffenen Anna A*** bestellt. Mit Beschluß vom 9.1.1987 (ON 33) wurde Rechtsanwalt Dr. Adalbert L*** gemäß § 273 Abs.3 Z 2 ABGB zum Sachwalter für die Einkommens- und Vermögensverwaltung, die Abgabe von Rechtserklärungen und die Vertretung der Betroffenen vor Behörden bestellt. Das Erstgericht nahm auf Grund des Gutachtens des gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. Rolf K. Jech als erwiesen an, daß Anna A*** kritikgemindert sei und eine hochgradige Störung der Merkfähigkeit aufweise. Die Umweltbedingungen und Umweltverhältnisse würden von ihr nicht mehr in vollem Umfang erfaßt. Sie sei infolge hochgradiger Geisteschwäche, die als Begleiterscheinung der altersmäßig bedingten Gefäßsklerose aufgefaßt werden könne, nicht befähigt, rechtsgültige Erklärungen abzugeben, Verträge abzuschließen, ihre Einkünfte allein einzuteilen und ihr Vermögen zu verwalten. Der Beschluß des Erstgerichtes wurde Anna A*** am 11.2.1987 durch Hinterlegung und dem einstweiligen Sachwalter am 9.2.1987 zugestellt.

Den am 27.2.1987 zur Post gegebenen Rekurs des einstweiligen Sachwalters, mit dem die Einstellung des Verfahrens, in eventu die Einschränkung des Bestellungsbeschlusses begehrt wurde, wies das Rekursgericht als verspätet zurück. Eine Bedachtnahme auf das verspätete Rechtsmittel im Sinne des § 11 Abs.2 AußStrG erachtete das Rekursgericht als nicht zulässig. Die durch die Bestellung des Sachwalters bewirkte Einschränkung der Geschäftsfähigkeit wirke gegen jedermann, sohin absolut und allseitig bindend. Sie wirke sich auch im öffentlichen Recht insoferne aus, als unter Sachwalterschaft gestellte Personen vom Wahlrecht ausgeschlossen seien. Damit werde aber ein völlig unbestimmter Personenkreis von den Wirkungen der Bestellung eines Sachwalters betroffen. Auch dem Sachwalter selbst würden durch die Bestellung Rechte erwachsen, z.B. ein Belohnungsanspruch, was der sachlichen Erledigung des Rechtsmittels entgegenstehe.

Dem gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobenen Rekurs des Sachwalters kommt Berechtigung nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 249 Abs.2 AußStrG steht das Rechtsmittel des Rekurses gegen den Beschluß über die Bestellung des Sachwalters dem Betroffenen, seinem Vertreter und dem bestellten Sachwalter zu. Da Rechtsanwalt Dr. Adalbert Laimer von der Betroffenen nicht bevollmächtigt wurde, war er zwar nicht als Vertreter der Betroffenen, aber in seiner Eigenschaft als bestellter Sachwalter, der selbständig rechtsmittelbefugt ist (Maurer, Sachwalterrecht in der Praxis, 120 f), zum Einschreiten berechtigt.

Die §§ 249 und 250 AußStrG regeln das Rechtsmittelverfahren in Sachwalterschaftssachen nicht abschließend; sie normieren nur einzelne in Sachwalterschaftssachen geltende Ausnahmen von der allgemeinen Regelung des Rechtsmittelverfahrens in den §§ 9 bis 16 AußStrG, welche Vorschriften aber im übrigen unberührt bleiben (RZ 1986/26). Nach der Bestimmung des § 11 Abs.2 AußStrG bleibt es dem Ermessen des Gerichtes überlassen, auch nach verstrichener Frist auf Beschwerden in denjenigen Fällen Rücksicht zu nehmen, wo sich die Verfügung noch ohne Nachteil eines Dritten abändern läßt. Unter dem Dritten im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede am Verfahren beteiligte, vom Rechtsmittelwerber verschiedene Person zu verstehen (JBl.1978, 269; NZ 1967, 28). Der Sachwalter, der nicht im eigenen Interesse, sondern ausschließlich im Interesse des Betroffenen tätig zu werden hat, erwirbt, wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (1 Ob 532/86; 2 Ob 625/84; 1 Ob 542/82), durch seine Bestellung keine eigenen Rechte, in die eingegriffen werden könnte. Dies gilt naturgemäß auch vom Betroffenen selbst, in dessen Interesse der Sachwalter tätig wird. Durch die Bestellung des Sachwalters erwirbt der Betroffene auch keine Rechte, er wird vielmehr in seiner Rechtsstellung beschränkt. Da die Bestellung des Sachwalters gemäß § 236 AußStrG nur von Amts wegen und auf Antrag der behinderten Person selbst erfolgen kann, dritte Personen hingegen eine solche Bestellung nur anregen können (Maurer a.a.O. 109), kann solchen aus der Bestellung des Sachwalters auch kein Recht erwachsen. Daß die Bestellung des Sachwalters Rechtswirkungen, u.a. auch im öffentlichen Recht, nach sich zieht, hat mit Rechten eines Dritten im Sinne des § 11 Abs.2 AußStrG, die der Erledigung eines verspäteten Rechtsmittels entgegenstehen, nichts zu tun.

Dennoch ist die Zurückweisung des Rechtsmittels durch das Rekursgericht gerechtfertigt. Bei den Beschlüssen, die sich ohne Nachteil eines Dritten ändern lassen, handelt es sich um solche, die weder der formellen noch der materiellen Rechtskraft fähig sind (ZBl 1935/150; Rintelen, Grundriß 41). Gemäß § 247 AußStrG wird jedoch der Beschluß, mit dem der Sachwalter bestellt wird, mit Eintritt der Rechtskraft rechtswirksam. Das Gesetz geht demnach davon aus, daß dieser Beschluß, an den weitreichende Rechtsfolgen im privaten und öffentlichen Recht geknüpft sind (vgl § 248 AußStrG), der Rechtskraft fähig ist. Vor dem Inkrafttreten des Sachwaltergesetzes, BGBl 1983/136, wurde der Standpunkt vertreten, daß das Rechtsmittelverfahren in der Entmündigungsordnung (§§ 37 ff) eine besondere Regelung erfahren hat und die Bezeichnung der Rekursfrist als Notfrist (§ 49 Abs.3 EntmO) der Anwendung des § 11 Abs.2 AußStrG entgegensteht (SZ 38/224; SZ 22/19 ua). Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber des Sachwaltergesetzes von diesem Grundsatz abgehen und es in Kauf nehmen wollte, daß die Bestellung eines Sachwalters auf Grund eines verspäteten Rechtsmittels und damit praktisch ohne zeitliche Begrenzung (rückwirkend) beseitigt werden kann. Mit dem Hinweis auf den Eintritt der Rechtskraft sollte vielmehr eine klare Bestimmung über das Wirksamwerden des Sachwalterbestellungsbeschlusses geschaffen werden, welcher Gesetzesabsicht die Anwendbarkeit des § 11 Abs.2 AußStrG zuwiderliefe.

Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E11326

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0010OB00607.87.0610.000

Dokumentnummer

JJT_19870610_OGH0002_0010OB00607_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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