TE OGH 1987/6/11 13Os80/87

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Veröffentlicht am 11.06.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Juni 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bibulowicz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian Roland R*** und Robert Andreas R*** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der beiden Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Kreisgericht Ried im Innkreis vom 7.April 1987, GZ. 8 Vr 1027/86-43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Christian Roland R*** wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird - betreffend den Angeklagten Robert Andreas R*** gemäß §§ 344, 290 Abs. 1, letzter

Fall, StPO - aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Der Angeklagte Robert Andreas R*** wird mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, die Staatsanwaltschaft und beide Angeklagten werden mit ihren Berufungen darauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil sind der am 31.Jänner 1963 geborene, zuletzt beschäftigungslos gewesene Christian Roland R*** und der am 12.Februar 1965 geborene Hilfsarbeiter Robert Andreas R*** (zwei Brüder) auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143, erster und dritter Fall, StGB schuldig erkannt worden. Darnach haben sie in der Nacht zum 22.November 1986 in Mauerkirchen in Gesellschaft als Beteiligte dem Nurija C*** mit Gewalt gegen seine Person Bargeld mit dem Vorsatz weggenommen (richtig: abgenötigt), durch dessen Zueignung sich oder Dritte unrechtmäßig zu bereichern, indem sie ihn an den Armen packten, mit sich zerrten, würgten, zu Boden stießen, mit den Füßen nach ihm traten und Geld von ihm forderten, worauf Nurija C*** seine Geldbörse aus der Gesäßtasche zog und Christian Roland R*** Geldbeträge von 500 S und 20 DM übergab; hiebei erlitt Nurija C*** durch die gegen ihn ausgeübte Gewalt schwere Verletzungen (neben zahlreichen Abschürfungen und Hämatomen Schwellungen am ganzen Körper, eine totale Luxation des ersten oberen Schneidezahns links und eine Subluxation des ersten oberen Schneidezahns rechts). Dieses Urteil bekämpfen die beiden Angeklagten mit Nichtigkeitsbeschwerden, wobei sie den Grund des § 345 Abs. 1 Z. 12 StPO, Christian Roland R*** auch jenen der Z. 5, geltend machen.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge des letztgenannten Angeklagten erweist sich als stichhältig.

In der Hauptverhandlung hat der Verteidiger des Angeklagten Christian Roland R*** beantragt, die Zeugen Karl S***, Franz N***, Margit S***, Franz M*** und Edith S***

zum Beweis dafür zu vernehmen, daß Nurija C*** dem Christian Roland R*** im Gastlokal des Zeugen F*** den Daumen stark umgebogen hat und der Erstangeklagte auch schon im Lokal über Schmerzen geklagt hat; weiters wurde die zeugenschaftliche Vernehmung der Gendarmeriebeamten D*** und S*** des Gendarmeriepostens Mauerkirchen zum Beweis dafür beantragt, daß Christian Roland R*** schon vor der Gendarmerie über Schmerzen geklagt hat und eine diesbezügliche Anzeige gegen Nurija C*** erstatten wollte, was jedoch abgelehnt wurde (S. 361). Der Schwurgerichtshof wies diese Beweisanträge ab, weil der Erstangeklagte niemals behauptet habe, daß er (selbst oder durch seinen Bruder) von C*** Schmerzengeld verlangt hat, was aber die Voraussetzung dafür wäre, daß ein Bereicherungsvorsatz mangelt (S. 361 unten).

Die Begründung dieses Zwischenerkenntnisses erweist sich indes als nicht stichhältig.

Die Angeklagten verantworteten sich im Gegenteil dahin, im Hinblick auf eine durch C*** verursachte Daumenverletzung des Christian Roland R*** und dessen daraus abgeleiteten Schmerzengeldanspruch keine unrechtmäßige Bereicherung angestrebt zu haben. Ihre Schilderungen des Tatgeschehens stehen allerdings nicht nur mit der (dem Wahrspruch der Geschwornen ersichtlich zugrundeliegenden) Zeugenaussage des Verletzten, sondern auch in wesentlichen Punkten zueinander im Widerspruch. Während nämlich der Zweitangeklagte behauptet, sein Bruder Christian Roland sei im Vorhaus des Gasthauses F*** gegen C*** tätlich

geworden und habe sich dabei am Daumen verletzt, worauf er durch ihn im Gasthaus und nach dessen Verlassen auch selbst von C*** Schmerzengeld verlangt habe, geht die Darstellung des Erstangeklagten dahin, C*** habe ihn bereits im Gastraum am Daumen verletzt und habe ihm dort auch Schmerzengeld angeboten, welches er jedoch abgelehnt habe. Erst später hätte dann über Verlangen seines Bruders C*** den als Schmerzengeld gedachten Geldbetrag übergeben, er, Christian Roland R***, habe aber "das Geld weggeschmissen" (S. 275, 276, 283, 293 unten; siehe auch S. 304 oben, 306, 307, 316).

Bei dieser Beweislage ist aber immerhin nicht gänzlich auszuschließen, daß die zeugenschaftliche Vernehmung der damaligen Gäste im Lokal F*** ein verwertbares, für die Entscheidung der Schuldfrage wesentliches Ergebnis erbracht hätte, durch das die Beweislage zugunsten der Brüder R*** verschoben worden wäre. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Angeklagten, wenn auch etwa irrtümlich, der Meinung waren, daß einer von ihnen einen Rechtsanspruch auf Schmerzengeld habe, kommt es nämlich zunächst darauf an, ob ein Schmerzengeld verlangt wurde oder C*** ein solches selbst angeboten hat, Umstände, die der Schwurgerichtshof in seinem Zwischenerkenntnis übergangen hat (siehe oben). Für die ausschließlich den Geschwornen vorbehaltene Lösung der Beweisfrage, ob die Angeklagten mit Bereicherungsvorsatz oder in der Vorstellung einer vermeintlich berechtigten Forderung gehandelt haben, sind zusätzlich die näheren Umstände bei der Entstehung der angeblichen Verletzung des Christian Roland R*** und die Reaktion dieses Angeklagten sowie der anderen Beteiligten von Bedeutung. Da dem angestrebten Ergebnis der beantragten Beweisaufnahmen ein maßgebender Beweiswert - auf einen abschätzbaren Grad der Beweiskraft kann es im Nichtigkeitsverfahren nicht ankommen - nicht von vornherein abgesprochen werden kann und das knappe Zwischenerkenntnis auf das relevante Tatsachenvorbringen gar nicht eingeht (siehe nochmals die obigen Protokollzitate), sind durch das Unterbleiben der Zeugenvernehmungen Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers beeinträchtigt worden.

Zufolge der aufgezeigten Nichtigkeit gemäß § 345 Abs. 1 Z. 5 StPO waren daher, ohne daß es eines Eingehens auf weitere Beschwerdeeinwände bedurfte, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Christian Roland R*** und weil dieselben Gründe auch dem Mitangeklagten zustatten kommen, der diese Nichtigkeit nicht geltend gemacht hat, von Amts wegen hinsichtlich des Angeklagten Robert Andreas R*** gemäß §§ 290 Abs. 1, letzter Fall, 344 StPO die Wahrsprüche der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§§ 344, 285 e StPO).

Im fortgesetzten Verfahren wäre bei Aufrechterhaltung des bisherigen Tatsachenvorbringens der Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht nur eine Eventualfrage wegen schwerer Körperverletzung (§§ 83, 84 Abs. 1 StGB), sondern auch eine solche wegen (idealkonkurrierender) Nötigung (§ 105 Abs. 1 StGB) zu stellen. Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde war der Angeklagte Robert Andreas R*** auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen. In gleicher Weise war mit den Berufungen der Staatsanwaltschaft und der beiden Angeklagten zu verfahren.

Anmerkung

E11055

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0130OS00080.87.0611.000

Dokumentnummer

JJT_19870611_OGH0002_0130OS00080_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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